Im Abitur in Baden-Württemberg findet sich dieses Jahr neben einer literarischen Erörterung zu Juli Zehs “Corpus Delicti” und den beiden zu vergleichenden Werken “Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull” von Thomas Mann und “Der Verschollene” von Franz Kafka Büchners Drama “Woyzeck”. Das nur in unvollständigen Fragmenten und ohne eine gesicherte Szenenabfolge erhaltene Werk ist aufgrund unterschiedlicher Aspekte komplex, eignet sich aber gerade deshalb für eine literarische Erörterung.

Vorbemerkung

An dieser Stelle sollen nochmals einige Aspekte gesammelt werden, die unter anderem mit meinem momentanen Kurs erarbeitet worden sind. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und keine Gewähr auf Korrektheit. Sollten sich Fehler eingeschlichen haben oder sich Fragen ergeben, bitte ich, einen Hinweis in die Kommentare zu schreiben.

Der Artikel selbst ist noch nicht vollständig abgeschlossen, sondern wird in der nächsten Zeit ergänzt.

Hinweis für die literarische Erörterung

Für die literarische Erörterung, die auf der Herausarbeitung von Kernthesen aus einem Außentext beruht, ist es wichtig zu verstehen, dass gerade die Tatsache, dass es nicht die eine richtige Interpretation des Dramas gibt, von Vorteil ist. Verstehen wir uns nicht falsch. Das ist nicht die Einladung dazu, jede Deutung zuzulassen oder aber jede Korrektur durch den Lehrer in Frage zu stellen, sondern vielmehr der Hinweis auf sehr genaue Textarbeit, auf die sich die Erörterung bezieht. Man kann sich den Außentext in etwa so vorstellen wie die obere Seite eines Diamants, der dann in den weiteren Ausführungen, die allgemein gehalten werden, in die Breite geht, um dann in einem weiteren Schritt auf ein Beleg zuzulaufen. Deshalb sollten diese Belege auch nicht vergessen oder ignoriert werden. Es reicht nicht, Lektürehilfen auswendig zu lernen und ohne Sinn und Verstand hinzuschreiben.

Zu der Metapher des Diamanten gibt es an dieser Stelle ein Video:

Themen im Woyzeck

Die hier aufgelisteten Themen sind zwar im Woyzeck zu finden, erheben aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch kann an dieser Stelle keine Gewichtung geleistet werden. Insofern sind die hier vorgeschlagenen Themen nur als Anregungen zur Weiterarbeit zu verstehen.

Soziale Ungerechtigkeit

In Woyzeck zeigt Büchner die soziale Ungerechtigkeit, die Woyzeck als unterer Soldat und armer Arbeiter erfährt. Er wird von seinen Vorgesetzten und seiner Gesellschaft ausgebeutet und unterdrückt.

Grundsätzlich zeigt sich Woyzecks prekäre Lage schon daran, dass er in unterschiedlichen Berufen arbeiten muss: Als Soldat hat er seine Dienste zu berichten, als Barbier verdient er sich Geld hinzu, um für sein Kind und Marie zu sorgen, deren Verhältnis zueinander nicht abschließend geklärt ist. So wird zwar in einigen Ausführungen von einem Liebesverhältnis gesprochen, dies ist aber mindestens Auslegungssache. Faktisch kann man festhalten, dass es sich um eine nicht weiter definierte Gemeinschaft handelt:

“Marie Zickwolf lebt mit Franz Woyzeck und ihrem gemeinsamen unehelichen Sohn Christian zusammen. Sie wurde offensichtlich als Kind von ihrem Vater misshandelt, hat jedoch auch früh gelernt sich zu wehren: »Mein Vater hat mich nicht angreifen gewagt, wie ich 10 Jahr alt war, wenn ich ihn ansah« (H 2,8).” (Quelle: Literaturlexikon)

Marie erscheint auch deshalb so wichtig, weil sie diejenige sein könnte, die Woyzeck Halt gibt, nachdem er vom Tambourmajor, dem Hauptmann und dem Arzt jeweils auf unterschiedliche Art erniedrigt wird. Letztlich lässt sie ihn aber genauso im Stich wie alle anderen Figuren des Dramas. Woyzeck ist auf sich allein gestellt, sowohl was eine soziale Lage als auch seine psychischen Störungen angeht. Diese ergeben in dem Drama eine weitere Deutungsperspektive.

Wahnsinn

Eine mögliche Deutung ist jene, dass Woyzeck von der Ungerechtigkeit und Ausbeutung in seinem Leben in den Wahnsinn getrieben wird. Dies ist aber nicht die einzig mögliche, denn wir wissen aufgrund der Anordnung nicht, ob Woyzeck schon zu Beginn Stimmen hört, wie es manche Zusammensetzungen der Fragmente suggerieren oder ob es auch andere Möglichkeiten für die Narration gibt. Mit anderen Worten: Es ist zwar ersichtlich, dass Woyzeck von anderen ausgebeutet wird – man denke an die Erbsendiät, zu der ihn der Arzt gegen Geld verpflichtet – aber daraus ergibt sich keine Zwangsläufigkeit, wie in vielen Deutungen angenommen wird. Vielmehr ergibt sich aus der Überlagerung von prekärer sozialer Lage, Wahnsinn und Beziehungsproblematiken jenes Amalgam, dass in dem Mord endet, aber nicht als definitives Motivkomplex aufgelöst werden kann.

Klar ist, dass Woyzeck von Halluzinationen heimgesucht wird. Einige Interpreten gehen soweit, dass sie daraus eine Pathologisierung des gesamten Dramas herleiten. Damit wären auch jene Stellen, die zunächst als klare Indizien für Taten herangezogen werden können (der Schmuck an Marie als Zeichen oder Vorbote ihrer Untreue, der Betrug durch Marie mit dem Tamourmajor) keine offensichtlichen Handlungen, sondern könnten in dem Sinne aus Woyzecks Perspektive Täuschungen des Geistes sein. Leicht belegen lässt sich eine solche Lesart nicht, aber sie bleibt aufgrund des fragmentarischen Charakters des Dramas nicht ausgeschlossen.

Eifersucht

Ein weiteres wichtiges Thema im Drama ist die Eifersucht, die Woyzeck empfindet, als er herausfindet, dass seine Marie (möglicherweise) untreu gewesen ist. Sicherlich spielt die Eifersucht bzw. der Betrug von Marie eine Rolle. Auf der anderen Seite nimmt diese Lesart dem Drama entscheidende Dimensionen, da das erzeugte Mitleid mit einem Protagonisten deutlich verringert würde, wenn es sich um eine bloße Tat aus Eifersucht handelt.

Mit anderen Worten ist es vielschichtiger, die soziale Komponente eines Betrogenen als weiteren Baustein für die letztlich fatale Tat heranzuziehen und nicht als eine singuläre Lesart, die letztlich als Motiv das Gesamtgeschehen zu erklären versucht.

Gewalt

Das Drama zeigt auch die Gewalt, die Woyzeck erfährt und ausübt. Hierbei geht es zunächst vor allem um sprachliche Formen der Gewalt, die Woyzeck erfährt. Genauso zeigt sich jedoch auch, das Sprache als Form der Machtausübung genutzt wird. Die höhergestellte Klasse (Arzt, Hauptmann) verdeutlicht durch die Art ihrer Ausdrücke, die sich dem geübten Leser als hohle Phrasen zeigen, dass sie ein gesellschaftliches Verhältnis durch die Sprache ausdrücken und beibehalten wollen.

Das einfache Volk hingegen (Marie, Andres, Woyzeck) ist oft sprachlos, kurz angebunden oder stockt. Jedoch sind die dort artikulierten Haltungen oftmals sehr präzise, was die Reflexion der eigenen Verhältnisse angeht. Gleichzeitig ist diese Reflexionsfähigkeit nicht als kognitive Introspektive misszuverstehen. Mit anderen Worten: Auch wenn Woyzeck an vielen Stellen Äußerungen artikuliert, die treffend sind, spricht das nicht für eine intellektuelle Form von Verständnis. Woyzeck bleibt durch Sprache und soziales Milieu in seinem Verstehenshorizont beschränkt.

Unterschied zwischen Interpretation und literarischer Erörterung

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