Seit mittlerweile mehr als 6 Jahren bloggt jeder Kurs, den ich habe über die gesamte Zeit bis zum Abitur. Nach einigen Anfragen bezüglich dieses Projekts, hier noch einige Anmerkungen zu diesem Projekt, das ich immer wieder modifiziert und aktualisiert habe.
Didaktische Anmerkungen
Wenngleich ich kein Anhänger der kulturpessimistischen These bin, dass Schüler immer schlechter schreiben, ist die Art des Schreibens, die in der Schule gefordert (und leider oft nicht gefördert) wird, dennoch eine besondere (die sogar dahingeht, dass explizit gefordert wird, dass Schüler schlecht schreiben). Schüler schreiben täglich viel, aber oftmals eben keine längeren Stücke. Vor allem nicht über Dinge, die sie selbst interessieren. Wenn sie es dann im Kontext von Schule tun müssen, ist die Zeit, die sie in der Schule bekommen, oft sehr begrenzt.
Eine solche zeitliche und räumliche Begrenzung ignoriert aber die Möglichkeiten, die die Digitalität bietet, zumal wir in einer Gesellschaft leben, in der die offene Diskussion, die begründete Meinung und eine substanzielle Haltung immer wichtiger wird.
Der Ansatz des Schreibprojekts, bei dem jede Schülerin und jeder Schüler einen eigenen Blog hat, ist es also, Schüler zum Schreiben zu ermuntern, und zwar zu einem Schreiben, das, wenn möglich, offen für die eigenen Gedanken ist. Zwar werden Impulse ermöglicht (siehe weiter unten), aber diese müssen nicht aufgenommen werden. Das heißt: Alle Impulse, die ich auf dem Impulsblog biete, können ganz bewusst ignoriert werden.
Unterrichtlicher Kontext
Was bedeutet dies konkret: Mein erstes Blogprojekt vor zwei Jahren sah in der Tat so aus, dass die Schüler schreiben konnten, was sie wollten. Was willkürlich erscheinen mag, ermöglichte für die meisten Schüler zunächst einmal die überraschende Erkenntnis, dass es auch für sie interessante Sachverhalte gibt, über die es sich zu schreiben lohnt.
Das Schreiben als reflexiver Prozess des langsamen Nachdenkens über einen Gegenstand kommt in den Fokus. Das Ganze lief schon in der ersten Zeit und läuft immer noch neben dem regulären Unterricht her. Den Schülerinnen und Schülern wird zudem nahegelegt, dass sie Kommentare schreiben (inwiefern dies eingefordert wird, ist noch offen).
Ich als Lehrer greife nur dann korrigierend (bzw. eigentlich als Lektor und Impulsgeber) ein, wenn das von den Schüler:innen explizit gefordert wird.
Ziel des Projekts
Ganz grundlegend ist das Ziel, dass die Schüler Möglichkeiten haben zu schreiben. Wenn sie - gleichsam "nebenbei" dann noch den Gebrauch von Medien reflektieren, miteinander ins Gespräch kommen, weitere Blogs konsumieren - kurz: an der Gesellschaft teilhaben, dann ist das umso besser.
Fürs Erste ist das Blogprojekt aber nichts weiter als eine Verlagerung in den Teil der Welt, der überall außer in der Schule unser Leben mitbestimmt.
Bewertung
Die Art und Weise der Bewertung hat sich über die Jahre verändert. Zunächst einmal bewertete ich alle Texte, was sich als sehr zeitraubend herausstellte. Dann eine Auswahl. Irgendwann stieß ich auf den wunderbaren Text einer Schülerin, die nicht besonders gut in Deutsch war. Sie schrieb über Ihre Heimat. Sie tat dies mit Leidenschaft, Hingabe und Detail, aber formal auf eine Weise, die ich schlechter hätte bewerten müssen. Das wollte ich nicht.
Ich schaffte die Noten also ganz ab. Das Problem: Mir gelang es damals zwar, die Schülerinnen und Schüler auch ohne Noten zu motivieren, dies forderte aber eine stetige Motivation, eine Energieleistung also, die sehr kraftraubend war.
Dieses Jahr änderte ich die Bewertungsskala komplett. Es ist nun nicht mehr relevant, was genau und wie man schreibt. Sondern nur, dass man jedes Mal einen Beitrag schreibt (und kommentiert). Am Ende erhalten alle die gleiche, volle Punktzahl. Was sich so auszahlen soll ist die Konstanz, die ja gleichzeitig auch der Punkt an einem lang anhaltenden Prozess ist. Den Schwerpunkt der Punkte kann dann natürlich die Lehrkraft selbst festlegen. Bisher komme ich mit diesem System am besten zurecht.
Impulsblog
Da einige Schülerinnen und Schüler zunächst (aus nachvollziehbaren Gründen) Schwierigkeiten damit haben, einfach loszuschreiben, habe ich den Blog "Weltimtext" erstellt. Hier poste ich regelmäßig neue Impulse, die die Schüler*innen zu neuen Beiträgen anregen sollen.
Der Blog WELTIMTEXT findet sich hier.
Aktuelle Schülerblogs
Ich bin davon abgekommen, von allen Schülerinnen und Schülern zu fordern, dass Sie einen Blog führen müssen, der öffentlich ist. Insofern waren immer mal nicht alle Blogs öffentlich einsehbar. Die anderen Schülerinnen und Schüler haben Ihre Texte per Mail oder über einen legalen Messenger (WebUntis) geschickt.
Dieses Jahr sind alle Blogs öffentlich zugänglich und dürften gerne gelesen werden. Die Beiträge dieses Halbjahres gibt es hier. Nebenbei: Ich freue mich, wenn sich unter den Beiträgen ein wertschätzender Kommentar findet. Ich finde, es sind wieder wunderbare Beiträge dabei.
Nachwirkungen
Die Erkenntnis, die ich über die Jahre bekommen habe, ist, dass einige Schülerinnen und Schüler das erste Mal in ihrem Leben schreiben, weil es ihnen Spaß macht (eine Schülerin erzählte mir erst gerade, dass sie vier Stunden an einem Beitrag zu Jan Fleischhauer saß, einfach, weil es ihr solchen Spaß machte).
Außerdem kenne ich ehemalige Schülerinnen und Schüler, die Jahre, nachdem sie die Schule verlassen hatten, weiter gebloggt haben. Gerne verweise ich auf diesen Blog meiner ehemaligen Schülerin, deren letzter Beitrag nur einige Monate her ist.
Es dauert, einen Modus mit der Klasse zu finden, kann dauern. Gerade in der eng getakteten Zeit, die in der Schule so voller Inhalte ist, kann es sich anfühlen, als sei dies eine weitere Aufgabe, die zusätzlichen Druck erzeugen kann. Meine Erfahrung ist: Wenn sich alles eingespielt hat, ist ein solches Projekt das Beste, was man einer interessierten Klasse anbieten kann.