Früher, wenn ich nach einem anstrengenden 4-Stunden-Tag nach Hause kam und nach einem ein- bis zweistündigen Powernap durch meine Instagram-Kommentare scrollte, war ich manchmal so böse über das Unwissen einiger Hennings, dass ich die Aufregung noch den ganzen Tag verspürte, während ich nach harter Arbeit am Hochbeet versuchte, meine Meditationsübungen im Garten zu genießen. Das hat sich geändert. Denn auch wenn ich ab dem heutigen Tage als Nestbeschmutzer gelten werde, ist es endlich Zeit zuzugeben: Ja, Lehrerinnen und Lehrer haben ständig Freizeit! Und jammern tun wir nur, damit die Gesellschaft uns noch viel lieber hat als ohnehin schon. Eine Beichte.
Es sind mal wieder Ferien. Also noch nicht überall, aber jeder, der mal Schüler war, weiß ja, wie locker und flockig die Arbeit dieser ewig nölenden Lehrkräfte vor den Ferien ist. Kein Wunder: Die letzten Noten und die kommenden Zeugnisse sorgen für ein allgemein locker-fröhliches Klima, in dem jeder sich anlächelt und in hüpfenden Bewegungen über den Flur galoppiert, als sei er auf dem Weg zu seinem sternsilbernen Einhorn. Aber ich schweife ab.
Jedenfalls ist es kein Wunder, dass man in den Kommentaren im Internet immer wieder hört, wie wenig Lehrerinnen und Lehrer eigentlich zu tun haben. Ein bloßes „halbes Jahr Arbeit“ hätten die Lehrer, wenn man alles abziehe, also Wochenenden, Hitzefrei, Ferien, bewegliche Feiertage, Schulausflüge und was es sonst noch alles gibt, das die Pädagogen eigentlich von Burn-Out und Frühpensionierung trennen müsste. Dass dem nicht so ist, dass also ein hoher Prozentsatz an Pädagogen in die Arbeitsunfähigkeit geht, liegt, so ein Henning in den Kommentaren, daran, dass diejenigen, die die Diagnosen stellten, selber Beamte sind. Ein abgekartetes Spiel also? Ein geheimer Bund von Beamten, die sich gegenseitig krank schreiben, damit sie schneller noch mehr Freizeit haben? Eine nationale Verschwörung der Beamten? (Also nur der Beamten an dieser Stelle, denn alleine in Baden-Württemberg werden wieder 4000 angestellte Lehrerinnen und Lehrer arbeitslos und haben damit keine Ferien, sondern Zeit fürs Arbeitsamt). Aber ich schweife ab.
Alles Verschwörung also? Es ist endlich an der Zeit, dass wir Lehrer zugeben müssen:
Ja, alles ist ein abgekartetes Spiel. Lehrerinnen und Lehrer haben dauernd Ferien, ständig Freizeit und jammern einfach nur so rum! Bäm! Jetzt ist es raus!
Gerhard Schröder hatte, als er noch keinen Kriegstreiber rechtfertigen musste Recht, als er von den „faulen Säcken“ sprach. Denn es ist so, wie alle sagen:
In den Ferien (und die sind wirklich dauernd) kann man immer und sofort abschalten, weil am Ende des letzten Schultages alles, aber auch wirklich alles erledigt ist. Sofort stürzt man in das nächste Flugzeug nach egal-wohin und lässt es sich bis Sonntagabend um 8 Uhr abends gut gehen. Dann fängt der Tatort und der Ernst des Lebens an. Überhaupt Ferien: Gerade in sogenannten Korrekturfächern (bitte nicht googeln, hier steht nur die Wahrheit) sind Ferien das pure Vergnügen. Damals als Schüler wunderte man sich noch: Wie hat der die Arbeit korrigiert? Ich sage es: Gar nicht! Während wir in die Toskana fahren, um dort mit einem guten Wein den Sonnenuntergang zu genießen, korrigieren sich die Arbeiten auf unergründliche Weise selbst. Ehrlich! Und wenn das nicht so wäre: So viel kann das ja nicht sein! Sollen sich mal nicht so anstellen, die Lehrer. Paar Klassen, paar Klassenarbeiten, alles immer richtig, nichts zu korrigieren, die Arbeiten sind quasi fertig, während man noch zu seinem Ohrensessel stolpert. Dementsprechend ist man nach den Ferien auch so beseelt, dass man fast Unterricht vorbereiten könnte. Fast. Denn der ist natürlich nach dem ersten Jahr für alle Klassen, Fächer und Umstände sowieso schon fertig.
Montags, während der Fahrt in die Schule, überlegt man sich dann, was man unterrichten könnte, was kein Problem ist, weil das Lehrerstudium so ungemein praxisnah ist, dass sowohl das Methoden- als auch das Wissensrepertoire quasi nicht mehr genährt werden muss. Und das Referendariat ist so locker, dass eigentlich nichts mehr Neues dazu kommt. Endlich kann man mal sein, wie man ist.
Da die Schüler still sind und immer zuhören, vergeht so eine Woche dann auch, ohne dass man nur den geringsten Funken von Anstrengung über sich ergehen lassen muss. Easy! Echt! Gerade nach Corona gibt es nahezu keine Konflikte. Schülerinnen und Schüler hören so gut zu, dass man alles einmal sagt, und dann hängt es in den Synapsen.
Was hätte ich, was hätten wir, bei anderen Jobs gelitten. Aber als Lehrer, nein, als Lehrer kommt schon der nächste bewegliche Ferientag. Überhaupt: Es wäre langsam an der Zeit, dass sich die Gesellschaft mal eine neue Herausforderung ausdenkt. Digitalisierung, Inklusion und Integration in einer weltweiten Pandemie waren ja ein absoluter Klacks. Die Infrastruktur der Schulen ist großartig. Meistens gehen Fenster auf! Ja, so habe ich auch geguckt! Alle waren schon fortgebildet, als es losging. Und wo das nicht der Fall war, na, die faulen Lehrer, wissen wir, kennen wir, steht ja hier. Ich musste meinen PC auch erstmal bis zur Hängematte tragen. Die Unterstützung war riesig von allen Seiten. Das war also bisher alles so easy-peasy, dass sich wirklich alle Lehrkräfte Deutschlands - ich würde sagen: Europas! Ach, der Welt! fragen, wann denn mal eine ordentliche Herausforderung kommt.
Klar, die Fehlplanung mit den 30.000 Lehrerstellen, die unbesetzt bleiben. Oder waren es 80.000? Oder 130.000? Na, jedenfalls war das schonmal ein guter Plan, aber so richtig kickt das natürlich nur, wenn man eine Schaufel drauflegt.
Die Ideen sind da! Größere Klassen beispielsweise: Kein Problem! Und dass die Teilzeitkräfte mal mehr arbeiten wurde auch mal Zeit. Denn was alle Internet-Kommentatoren langsam wissen sollten: Wenn ein Lehrer beispielsweise 25 Unterrichtsstunden hat, dann ist das auch alles, was er machen muss. Er erscheint in der Klasse, unterrichtet, geht raus und ist, zack!, im Garten!
Ich bin so befreit, dass ich das zugeben kann, weil ich endlich nicht mehr so tun muss, als gäbe es noch andere Dinge - also so wie "in der freien Wirtschaft", wo man viel mehr arbeiten muss. Viel mehr! Für viel weniger Geld! Letztens schrieb einer 60-70 Stunden und das ist ja echt viel, also vor allem im Gegensatz zu meinen 25 Stunden die Woche. Die 60-70 Stunden Arbeit bezogen sich bestimmt auch auf einen Tag, meines Wissens. Ich weiß nur gerade nicht, ob dass dann der einzige Tag im Jahr bleibt. Weiß das jemand? Sonst müsste ich vielleicht doch mal in die freie Wirtschaft. Ich schweife ab.
Jedenfalls, diese Ferientage verlaufen dann im Prinzip wie die Ferien selbst, da man weder Dienstsitzungen hat, noch Konferenzen, keine pädagogischen Tage, keine Schulentwicklung, keine Entwicklungsgespräche, keine Konfliktgespräche, keine Gespräche mit dem Sozialarbeiter, keine Fachgespräche. Gibt es alles nicht, lasst euch da nichts einreden. Man braucht auch keine Fortbildungen zu machen, da die sich durch das fundamentale Studium erübrigt haben.
Korrekturen hatten wir schon, die könnten nun für den gewieften Kommentator, auf seine Anstrengung pochenden Pädagogen ein Argument sein, aber auch die sind ja im Prinzip nicht weiter als Freizeitbeschäftigung. Was kann denn so schwer daran sein, ein paar Aufsätze zu korrigieren? Zumal es so gut wie nichts zu korrigieren gibt. Alles ist perfekt und man ist in wenigen Tagen durch. Manchmal, das habe ich bisher noch keinem erzählt, nehme ich ein, zwei Stapel Klassenarbeiten mit ans Bett, um kurz vorm Zubettgehen noch in den schönsten Passagen zu schwelgen und meine Seele dem verbalen Genuss auszusetzen. Aber ich schweife wieder ab.
Was besonders schön ist: Wenn man gegen 12 Uhr in den wohlverdienten Feierabend geht, braucht man gar nicht mehr an die Schule zu denken. Die Kinder und Jugendlichen sind vor allem nach zwei Jahren so umsorgt, ihnen geht es so gut, dass man keinen Gedanken daran verschwenden braucht, wem es nicht so gut geht, wer nicht mehr kann, was man tun könnte in einem System, das keinen Platz für Fürsorge hat... Ich schweife ab. Es ist wie in der freien Wirtschaft. Nach Hause kommen, fertig. Nur halt viel, viel früher. (Ich habe diesen Text in sieben Wochen geschrieben. Immer zwischen 12 und 12:15, damit ich mich nicht überarbeite).
Und bevor ich es vergesse: Ja, ihr Kritiker, ihr habt auch recht damit, dass Klassenfahrten pures Freizeitvergnügen sind. Keine Verantwortung, keine Vorbereitung, kein Druck, keine Organisation. Zurücklehnen, die Kinder wegschicken und hoffen, dass alle wiederkommen. Freiheit!
Dem kann man eigentlich nichts mehr hinzufügen, außer: Ihr habt uns erwischt! Wir geben es zu! Ihr seid Teufelskerle! Alleine diese Leistung aus dem Hörensagen eine solch scharfe Analyse abzuleiten, die empirisch locker besteht, ist für mich - aber da darf ich für alle sprechen - bewundernswert.
Also: Falls ihr Bock habt auf einen überbezahlten, einfachen, chilligen Job, der im Grunde aus Freizeit plus Ferien besteht, dann könnt ihr euch auf die zahlreichen Stellen bewerben, die es in dem Bereich gibt. Auch als Quereinsteiger! Auch als Seiteneinsteiger! Alles gar kein Problem!
Falls ihr das nicht machen wollt, liebe Internet-Kommentatoren, würden mich eure Gründe interessieren. Schweift ruhig ab. Ich habe massig Zeit zum Lesen.