Im Deutschabitur 2023 wird der Roman “Der Verschollene” mit Thomas Manns  “Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull” verglichen. Der Text ist damit Grundlage für eine literarische Erörterung als Werkvergleich. 

An dieser Stelle geht es um den erweiterten Inhalt von Thomas Manns Roman (eine Kurzfassung liegt schon auf dem Blog). Große Teile dieser Ausführungen sind erarbeitet von StD Michael Tinkl, für dessen Genehmigung für die Veröffentlichung ich mich bedanke. 

Zum Inhalt des Verschollenen geht es hier entlang.

Erstes Buch

Seite 9 (I,1) Der Ich-Erzähler blickt mit 40 (S.15) auf sein bisheriges Leben zurück. Er erläutert dem Leser sein Vorhaben (Exordium, Parodie von Rousseaus „Confessions“) und beschreibt den Rheingau, die Gegend seiner Herkunft, (Parodie von Goethes „Dichtung und Wahrheit“) sowie seinen Vater, den Sektfabrikanten Engelbert Krull, der Abendgesellschaften und schöne Frauen liebt.

14 (I,2) Felix („der Glückliche“) wird Anfang der 1870er Jahre an einem Sonntag im Mai geboren. Schon als Kleinkind verkleidet er sich. Einmal lässt er sich als Kaiser (Wilhelm II?) im Wägelchen ziehen (13), später spielt er einen Tag lang einen 18-jährigen Prinz Karl. (17) Felix sieht gut aus. (17) Im Spiegel trainiert er, seine Pupillen zu steuern.

20 (I,3) Im Hause Krull finden zahlreiche Feste statt, an denen auch der junge Felix teilnehmen darf. Mit acht Jahren tritt er bei einem Kuraufenthalt der Familie als angebliches „Geigenwunderkind“ auf.

28 (I,4) Felix sitzt seinem Paten, dem Maler Schimmelpreester, in dessen Atelier Modell, auch nackt. Sein Mentor erzählt ihm die Geschichte des antiken Künstlers und Diebs Phidias (29). Nach den Sitzungen ergreift den Jungen „Langeweile“ und „Niedergeschlagenheit“ (31).

31 (I,5) Mit 14 besucht Felix in Wiesbaden mit seiner Familie zum ersten Mal ein Theater, für ihn eine „Kirche des Vergnügens“. Am Beispiel des Operetten-Schauspielers Müller-Rosé sieht er den Unterschied zwischen Schein (Schönheit) und Sein (Ekel) (38). Er erkennt, dass die Zuschauer „verführt“ werden wollen. (40)

42 (I,6) Schule vergleicht Felix mit einem Gefängnis. Er fälscht die Unterschrift seines Vaters, um sich krankzumelden. Vor dem Hausarzt simuliert er mit Erfolg Krankheiten. Wie Gott will er aus dem Nichts Wirklichkeit erschaffen. (49)

54 (I,7) In unregelmäßigen Abständen stiehlt Krull als Jugendlicher Süßigkeiten aus einem Delikatessengeschäft. Er sieht dies nicht als „Diebstahl“, sondern als Erfüllung seiner Träume. (56)

58 (I,8) Mit 16 beginnt er eine längere sexuelle Beziehung mit Genovefa, dem dreißigjährigen Zimmermädchen der Familie.

63 (I,9) Als Felix 18 wird, geht die Fabrik seines Vaters in Konkurs. Der Vater erschießt sich. Die Möbel werden verkauft, die Familie wird noch eine gewisse Zeit in der Villa geduldet.

Zweites Buch

71 (II,1) Der Erzähler meldet sich nach einjähriger Schreibpause zurück. Er erklärt dem Leser, dass sein Werk kein Krimi, sondern eine „traumähnliche Denkschrift“ sei.

73 (II,2) Mit der Lüge, sein Vater wäre durch einen Unfall ums Leben gekommen, erreicht Felix für diesen ein katholisches Begräbnis. Der Pfarrer verheißt ihm eine große Zukunft. Felix erklärt sich seine zeitweilige „Niedergeschlagenheit“, „Neigung zur Weltflucht und Menschenscheu“ sowie „Anhänglichkeit an Menschen“ (77) mit dem abschätzigen Urteil der Gesellschaft in Bezug auf seine Peron. Der nun 41-jährige Ich-Erzähler vergleicht sein schönes Aussehen mit 19 mit seinem aktuellen (77). In Fotos sucht der 19-Jährige erfolglos nach der Herkunft seiner Schönheit. Er schreibt sie sich letztlich selbst zu.

80 (II,3) Schimmelpreester eröffnet der Familie seine Pläne für ihre Zukunft: Krulls ältere Schwester Olympia soll Sängerin werden, seine Mutter in Frankfurt eine Pension eröffnen und Felix in Paris im Hotel arbeiten, um Zugang zu den Oberen zu bekommen. Felix freut sich, die Enge der Heimat gegen die große Welt zu tauschen. (84) Kurz vor Weihnachten zieht er mit seiner Mutter nach Frankfurt.

87 (II,4) Die Pension der Mutter läuft erfolgreich. Felix sieht Bildung als „Geschenk der Freiheit und des äußeren Müßiggangs“. Er schläft deshalb sehr lange und betrachtet nach 16.00 Uhr ausführlich Schaufenster aller Art. Auf dem Balkon des Hotels „Frankfurter Hof“ (96) beobachtet er zwei Minuten lang zwei südamerikanische Zwillingskinder, deren „liebliche Zweiheit“ ihn fasziniert. Der auktoriale Ich-Erzähler kritisiert das „Wort“ (also Sprache) als „Phrase“ (oberflächlich) und hält nur „Blick“ und „Umarmung“ (den unmittelbaren Kontakt) für „Glück“. (100)

101 (II,5) Im Mai (nach 1890?) simuliert Felix bei seiner Musterung in einer Wiesbadener Kaserne, nachdem er lange dafür trainiert hatte, erfolgreich einen epileptischen Anfall und wird für untauglich erklärt. Freiheit ist ihm das Allerwichtigste. (125)

126 (II,6) Fünf Monate bleibt er noch in Frankfurt. Auch Männer interessieren sich für den schönen Jüngling. Die Prostituierte Roszaführt ihn, der „zum Liebesdienst geschaffen und ausgezeichnet sei“ (136), in ihre Liebeskünste ein. Felix wird ihr Zuhälter, weil Roszas bisheriger gerade im Gefängnis sitzt.

140 (II,7) Bei seiner Fahrt Ende September nach Paris gerät bei der Grenzkontrolle „zufällig“ das Schmuckkästchen einer reichen Dame, die neben ihm steht, in seinen Koffer. Das Hotel, in dem Felix arbeiten soll, betritt er durch den Haupteingang. (150) Im – ausführlich beschriebenen – Schlafsaal (154) lernt er Stanko kennen.

161 (II,8) Am nächsten Tag beeindruckt Felix den Hoteldirektor Herrn Stürzli, einen Bekannten von Schimmelpreester, mit seinen angeblichen Sprachkenntnissen. Felix bekommt den Namen „Armand“ und wird Liftboy. Nach seiner Einkleidung sieht er Madame Houpflé, die vierzigjährigen Besitzerin des von ihm gestohlenen Schmucks. Bei einem Hehler (Stankos Tipp) verkauft die „Glückshaut“ Felix (164) den gestohlenen Schmuck (180) und kleidet sich mit dem Geld ein. (190)

195 (II,9) Am nächsten Tag befindet er sich im Aufzug allein mit Madame Houpflé. Er lässt seinen Aufzug einen Moment unbeaufsichtigt, um ihre Einkäufe in ihr Zimmer zu tragen. Dort küsst sie ihn und lädst ihn zu sich ein. Nach 23.00 Uhr betritt er ihr Schlafzimmer. (201) Sie schlafen miteinander und dabei will sie von ihm erniedrigt werden. Felix erfährt, dass sie Schriftstellerin (mit Pseudonym) und mit einem reichen Elsässer, der Kloschüsseln produziert, verheiratet ist. Sie stilisiert Felix zum Gott „Hermes“ (206) und erklärt seine Liebe als „versetzte Mutterliebe“ (207). Er beichtet ihr den Diebstahl ihres Schmucks, daraufhin soll er sie unter ihren Augen bestehlen.

Drittes Buch

213 (III,1) Der 41-jährige Ich-Erzähler preist die Liebesnacht mit Madame Houpflé und deutet weitere Liebesabenteuer an. Krull legt nun ein Konto (12350 Franc) an. Er gibt sich je nach Situation für mehr oder weniger aus. (215) An einem Nachmittag besucht er mit Stanko eine Zirkusvorstellung (217) und ist beeindruckt von der Kunst der androgynen (213) Trapez-Artistin Andromache. Krull sieht den Menschen „zwischen Tier und Engel“. (224) Er beobachtet die Zuschauer und analysiert seine Fähigkeiten als jemand „vom Fach der Wirkung“ (227), die er auf seine „natürliche Neigung zur Eingezogenheit und Verschlossenheit“ zurückführt. Stankos Angebot, mit ihm zu stehlen, lehnt er ab.

229 (III,2) An Ostern steigt Krull zum Hilfskellner auf. Er konstatiert bei den Menschen „einen Sinn fürs Ungleiche“ (233). Die 18-jährige Tochter eines englischen Fabrikanten (238) und ein 50-jähriger schottischer Lord (244) verlieben sich in ihn. Krull lehnt dessen Angebot der Adoption und eines Adelstitels ab. Freiheit und Fantasie sind ihm wichtiger. (255)

257 (III,3) Krull reflektiert über den „Gedanken der Vertauschbarkeit“ (257) der gesellschaftlichen Schichten. Im Hotel lernt Krull den Marquis de Venosta und dessen Freundin, die Schauspielerin Zaza, kennen. Für seine teure Garderobe hat er eine eigene kleine Wohnung gemietet. Ab und zu geht er ins Theater. Er ist sich unsicher, wann er er selbst und wann er verkleidet ist. (264).

265 (III,4) An einem Juli-Abend vor dem 14.07. (1895) trifft Krull auf der Dachterrasse eines Hotels mit Blick auf den 1889 errichteten Eiffel-Turm den Marquis. Dieser soll enterbt werden, wenn er Zaza heiratet. Seinen Eltern hat er zugesagt, eine Weltreise anzutreten, will es aber nicht. Krull soll mit Venosta die Rolle tauschen und seinen Eltern von unterwegs schreiben, während er mit seiner Freundin in Paris bleibt. Dafür versorgt er Krull mit Informationen über die Familie. Dieser sieht sich als „Marquis“ „Armand de Kroullosta“ auf dem Gipfel seiner Kindheitsträume, dem „Ausgleich von Sein und Schein“. (291)

291 (III,5) Am 1.8. erhält Krull von Venosta Reisedokumente sowie Schmuck und fährt mit dem Nachtzug von Paris nach Lissabon. Auf der Fahrt (297) will er seine Erinnerungen an früher ablegen. Er unterhält sich im Speisewagen (299) mit Professor Kuckuck, dem Direktor des Naturkundemuseums von Lissabon. Dieser hält ihm einen Vortrag über die Verwandlungen des Lebens und das Wesen des Menschen: dessen Wissen um seine Vergänglichkeit, „wachste Empfindung“ und „Allsympathie“ (319).

320 (III,6) Nach acht Mokkas und diesem ganz neuen Wissen kann Krull zunächst nicht einschlafen. Nach seiner Ankunft in einem Luxushotel trifft er am 2.8. in einem Lissaboner Café zufällig Kuckucks Frau, die achtzehnjährige Tochter Zouzou und seinen Assistenten (330). Die Schönheit von Mutter und Tochter fasziniert ihn, ebenso die Ähnlichkeit von Zouzou und Zaza. (332f.) Zouzou kritisiert Krulls Auftreten und seine Oberflächlichkeit. (337) Krull ist von ihrer „Stachligkeit“ (342) sehr angetan.

344 (III,7) Der Professor führt ihn am 3.8. morgens durch sein Museum und erklärt ihm ausführlich die evolutionären Prinzipien Anpassung und Selektion. In seiner Schlussrede preist Krull Mutter und Tochter Kuckuck als „das reizendste Doppelbild […] auf diesem Sterne“ (356).

356 (III,8) Krull flirtet beim Mittagessen gleichzeitig mit Mutter und Tochter. Beim Spaziergang im Botanischen Garten (364) erwähnt er der Tochter gegenüber, dass er sie gezeichnet habe (366). Er will den König von Portugal treffen, nicht wegen „Devotion“ (Unterwürfigkeit), sondern wegen der „schönen Form“ (368)

371 (III,9) In einem Brief an seine „Eltern“ vom 25.8.1895 beichtet Krull alias Venosta, dass er die Abreise nach Südamerika um einen Monat verschieben musste, um an einem Herrenabend beim luxemburgischen Gesandten (374) und einem Empfang beim portugiesischen König (377) teilzunehmen. Dort kritisiert Krull die „Gleichmacherei“ (387) und bekommt dafür einen Orden verliehen. Obwohl er von Tennis keine Ahnung hat, spielt er trotzdem mit Zouzou und deren Freunden. Der Antwortbrief der Gräfin (400) zeigt Krulls Erfolg als Hochstapler.

405 (III,10) Es ist September. Krull mietet eine Kutsche und spielt weiter Tennis. Mit Zouzou führt er lange Gespräche über die Liebe, die sie für etwas „Lächerliches, Absurdes und Kindisch-Unappetitliches“ (410) hält. Bei einem Besuch des Kloster Belem (415) preist Krull so lange die Liebe, bis Zouzou ihm die Hand gibt und ihn auffordert, sie heimlich hinter ihrem Haus zu treffen. (424)

425 (III,11) Ende September besucht Krull noch einmal alleine das Museum und wird zu einem Stierkampf eingeladen. Er beobachtet das Publikum (429) und denkt über die Gleichheit der Stände nach (430). Gleichermaßen bewundert er den Torero (434) und Busen der Mutter (436). Nach einem letzten Essen bei den Kuckucks bringt Krull Zouzou heimlich ihre Zeichnungen (441). Als sie sich küssen, werden sie von der Mutter entdeckt. Während Zouzou auf ihr Zimmer muss, nimmt sie Krull mit in ihr Zimmer, um mit ihm zu schlafen.

[Fortsetzung: Thomas Mann hatte ursprünglich geplant, Krull seine Weltreise fortsetzen zu lassen, starb aber vorher.]

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