[…] LITERATUR: Menschen […]
Bevor das freundliche Wesen den Blick von meinem Gesicht abwandte, als wolle es mit aller Kraft von mir lassen, um alles, was es gesehen hatte, vergessen zu können, war es, als würde eine dicke Träne aus den pechschwarzen Augen über die nässliche Haut rollen.
Es lief zum sich ächzend öffnenden Eingang des rostfarbenen Frachters und drehte sich nicht mehr um. Ich stand da.
Zuvor war das Unglaubliche passiert. Im Dunklen war ich noch um den Block gegangen, um einem Streit zu entkommen. Über Nichtigkeiten. Die Fenster der Häuser starrten viel zu hell in die Nacht, als dass man die Geborgenheit hätte vermuten können, die die Familien, die eng beieinandersaßen, einen Tee tranken, von ihrem Tag erzählten und zusammen lachten, miteinander erlebten. Im Park angekommen waren fast keine Lichter mehr zu sehen. Man hörte nichts, nur eben jenes Knarren und Knarzen, das aus der Nähe der Lichtung kam, die am Tage die Picknicker anzog. Dann ein heller Schein, zu hell, um zur Nacht und den Menschen zu gehören. Und dann nur die schauenden Augen, keine Form.
Erst munkelnde Geräusche, dann ein leises Wispern. Und wieder die Augen – wie flehend. Als würden sie eine Frage formulieren, die beantwortet werden müsste. Diese Augen waren nicht von hier.
Starr vor Angst konnte ich mich nicht bewegen, aber die beiden schwarzen Punkte wurden größer, als sie mich als ein Geschöpf unserer Welt erkannten. Das Wesen schien eine Antwort zu suchen. Aber auf welche Frage?
Es besah mich, schaute und machte zuckende Bewegungen auf und ab, als würde es auf einem Gummiball sitzen. Aber es war kein Körper zu erkennen. Etwas kam auf mich zu und ich machte mich bereit zu sterben.
Aber es war nur ein Finger, der wie ein Windhauch an meine Brust tippte, sich zuckend zurückzog, nur um dann auf den eigenen Körper zu zeigen. Dann auf die Umgebung, weiter wie suchend, die Augen weit aufgerissen.
„Erde“, sagte ich. „Planet Erde.“
Das Wesen zog seine Augen zusammen, schien nicht zu verstehen. Ich machte eine ausladende Bewegung und wiederholte. „Erde“, dieses Mal fast tanzend, tippelte mit den Füßen auf dem Boden und zeigte um mich.
Aber das Wesen schien ängstlich zurückzuweichen. Ich hatte Angst, dass es gehen würde, ohne zu verstehen, streckte meine Hand aus und sagte ruhig: „Warte.“
Dann setzte ich mich, ganz ruhig und sachte, auf den Boden. Ich wartete ab und tatsächlich, die großen Augen kamen näher. Ich zog meine Briefbörse heraus und holte ein Bild meiner Tochter, die auf dem Schoße meiner Frau saß. Ich bemerkte das Wesen gar nicht mehr. Ich besah das Bild, streichelte meiner Tochter erst über die eine, dann über die andere rötliche Wange. Sah ihre Augen, wie sie mich anschauten, als wolle sie auf den Arm. Sah ihre wenigen, luftigen Haare. Ihre kleinen Hände. Schaute auf meine Frau und ihre eindringlichen Augen, ihren freundlichen Mund, ihre weichen Wangen und ihre struppigen Haare. Streichelte über das Bild, als wären sie gerade da.
Dann drehte ich das Bild um. Die schwarzen Augen kamen ganz nah, so nah, dass ich meinte, eine ganze Welt dort zu erblicken, wo eigentliche die Pupille sein müsste.
„Liebe!“, sagte ich. „Liebe.“
Es war, als würde ein Windhauch das Bild wieder zu mir zurückwehen. Erst jetzt bemerkte ich das Krächzen, das von der Lichtung kam. Die Finger des Wesens kamen noch einmal in meine Richtung. Ich strecke meine Hand aus. Zu einer Berührung kam es nicht.
Dann kam ein Wind auf und Motoren waren zu hören. Langsam und sachte erhob sich die Maschine in den Himmel.
Ich habe diese Augen nie wiedergesehen. Aber ich war dankbar. Dankbar dafür, dass sie mich daran erinnert hatten, dass ich ein Mensch bin. Dass wir Menschen sind.
Dieser Text nimmt Bezug auf den Wettbewerb mit Katja Scholtz, Autorin von »Mein Buch«, und dem Self-Publishing-Verlag TWENTYSIX.
Die gestellte Schreibaufgabe ist: Erkläre einem Alien, was Liebe ist.
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