Wer meinen Blog und/ oder meinem Youtube-Kanal aufmerksam verfolgt, dem ist bekannt, dass ich immer wieder versuche, ganz konkrete Hilfestellungen für die Werke zu geben, die in Baden-Württemberg im Abitur behandelt werden. In diesem Abitur ist dies eine besondere Herausforderung, weil die Aufgabe I, Variante B darin besteht, zwei durchaus komplexe und vor allem umfangreiche Werke einer literarisch-vergleichenden Erörterung zu unterziehen. 

Weitere Informationen

Zu den beiden Werken, die übrigens ab dem darauffolgenden Abitur wieder aus dem Programm genommen werden, gibt es hier auf dem Blog schon einige Informationen, die hier nochmals genannt seien:

Der Verschollene – Inhaltsangabe 

Der Verschollene – Themen und Deutungsansätze 

Der Verschollene – Entstehung des Romans 

Felix Krull – kurze Inhaltsübersicht 

Felix Krull – Inhaltsangabe 

Da mir übrigens immer wieder junge Leute schreiben, wie sich mich unterstützen können: Ihr könnt gerne meinem Instagram-Account @netzlehrer  folgen. Damit unterstützt ihr mich schon sehr.

Hinweis zum Werkvergleich

Der vorliegende Werkvergleich ist ohne Gewähr. Zudem sei angemerkt, dass ich diesen mit nur wenigen Zitaten versehe. In einer Klausur und auch im Abitur wären diese aber mehr als sinnvoll. Der Werkvergleich ist also keine derartige Musterinterpretation, dass man diese auswendig lernen könnte (und sollte), sondern es soll eine Hilfestellung sein, dies es ermöglicht, besser zu verstehen, wie ein solcher Werkvergleich aussehen kann. Die Inhaltszusammenfassung wurden von meiner Kursstufenschülerin Nelly Kekk beigesteuert, bei der ich mich herzlich bedanke.

Aufgabenstellung

“Derjenige, der am wenigsten liebt, kontrolliert die Beziehung.” – Robert Anthony

Überprüfen Sie in einer vergleichenden Betrachtung, ob und inwiefern das Zitat von Anthony auf die beiden Protagonisten der Romane “Der Verschollene” von Franz Kafka und “Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull” bezogen werden kann.

Werkvergleich “Der Verschollene”/ “Felix Krull”

Von Bob Blume

  • Einleitung / kreative Hinführung

“War keine Liebe nur verliebt darin, verliebt zu sein” – Benjamin Griffey alias Casper

Das scheinbare Paradox einer Liedzeile des bekannten Rap-Musikers Casper verdeutlich die Romantisierung einer Situation, ausgehend von einer Figur, die diese Romantisierung erst rückwirkend erkennt. Hier zeigt sich also erst im Rückblick die Erkenntnis, dass jene Liebe, die also solche zu erkennen geglaubt wurde, in Wirklichkeit nur die Liebe zu einer Vorstellung war. Ein solches metaphorisches Verliebtsein in eine Rolle spielt auch bei einem der Protagonisten der vorliegenden Romane eine entscheidende Rolle. Sie zeigt die Isolation von tatsächlicher Liebe, die als Kontrolle auf andere ausgeführt wird.

  • Basissatz und Deutungshypothese

In den beiden Romanen “Der Verschollene” (1927) von Franz Kafka und “Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull” (1954) spielen misslingende Beziehungen eine zentrale Rolle für die unterschiedlichen Lebenswege der Protagonisten. Genau wie die Lebenswege könnte argumentiert werden, dass die Beziehungen der Protagonisten Karl Rossmann und Felix Krull diametral gegenübergestellt werden können. Während Felix Krull in Thomas Manns titelgebendem Roman die Menschen um ihn herum manipuliert und so dafür sorgt, dass sie dem Zweck eines sich verbessernden Lebens genügen, zeigen andersherum die Figuren rund um Karl Rossmann keine Empathie mit dem Schutzlosen, der konsequenter Weise sozial absteigt und am Ende vollkommen macht- und hilflos ist.

  • Inhaltsangabe und Einteilung in Sinnabschnitte zur Orientierung

Der Roman „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, von Thomas Mann verfasst und 1954 veröffentlicht, ist eine fiktive Autobiographie des Erzählers und Protagonisten Felix Krull. Darin beschreibt dieser seine (frühe) Kindheit als Sohn eines erfolglosen Weinherstellers. Seine Gabe zur Täuschung, Manipulation und Selbstüberhöhung wird bereits früh sichtbar. Nach dem Bankrott und Suizid des Vaters und des damit einhergehenden sozialen Abstiegs verlässt Krull seine Heimatstadt und zieht mit seiner Mutter nach Frankfurt, wo er seine Talente, sein Können, sein Wissen und sein Auftreten weiter verfeinert. Mithilfe seines Paten Schimmelpreester bekommt Krull eine Anstellung im Hotel Saint James and Albany als Liftjunge, von wo er sich zum Kellner hocharbeitet. Gleichzeitig finanziert er durch Diebesgut seinen Aufenthalt in höheren Gesellschaftskreisen. Sein charmantes Aussehen und sein angenehmes Verhalten erregen viel Aufmerksamkeit, darunter auch die des jungen Marquis de Venosta, der durch Liebesunglück bewegt, den Protagonisten darum bittet, statt seiner auf eine luxuriöse Weltreise zu gehen. Nach der Zusage und gewissen Vorbereitungen reist Krull unter der Identität des Louis de Venosta nach Lissabon und trifft im Zug auf Professor Kuckuck, mit dem dieser später viel Zeit verbringt, wobei er auf Zouzou, die Tochter des Professors, trifft. Seinen Aufenthalt verbringt er mit der Weiterentwicklung seines Wissens, Treffen mit hohen Persönlichkeiten und mit der letztlich erfolgreichen Eroberung Zouzous.

Der Roman „Der Verschollene“, von Franz Kafka verfasst und 1927 veröffentlicht, beschreibt die Suche nach Permanenz und Einfindung des jungen Karl Roßmann in einem anderen Land – Amerika (zunächst auch Titel des später von Max Brod veränderten Romans).

Seine Suche beginnt damit, dass er, nachdem er von seinen Eltern nach Amerika weggeschickt worden ist, auf dem Schiff auf den Heizer trifft, der ein berufliches Problem hat, bei dem ihm Roßmann helfen will. Dabei trifft dieser den Senator Jakob, der sich als dessen Onkel zu erkennen gibt. Den Heizer vergessend folgt Roßmann seinem Onkel und wird von diesem aufgenommen und im kaufmännischen Beruf gelehrt. Als der Protagonist trotz Widerwillen des Onkels eine Einladung zum Hause des Herrn Pollunder annimmt, wird er von ihm verstoßen. Auf der Suche nach weiterer Lebensplanung trifft er in einer Herberge auf die Ganoven und Taugenichts Robinson und Delamarche, mit denen er zusammen nach Ramses wandert, um einen Arbeitsplatz zu bekommen. Nach einem Streit mit den beiden und zufälliger Bekanntschaft mit einer als Oberköchin bezeichneten Frau im Hotel Occidental, bekommt Roßmann eine Anstellung als Liftjunge. Trotz eines gut laufenden Tagewerks verliert er diesen wegen eines die Hotelgäste störenden Besuchs Robinsons und dessen Folgen seine Arbeit. Arbeitslos begleitet er Robinson zu einer zwielichtigen Dame namens Brunelda, wo Roßmann als Dienstjunge untergebracht wird. In den Fragmenten wird offenbart, dass Roßmann sich auch hier nicht halten kann und auf dem Weg nach Oklahama (sic) ist, wo er sich einen Arbeitsplatz im Theater erhofft.

  • Hauptteil, Aufgabe und Werkvergleich 

Das vorliegende Zitat von Robert Anthony erscheint zunächst in einem Kontext von Paarbeziehungen und verweist auf eine hierarchische Struktur dieser Beziehungen, die geprägt ist von einer Abhängigkeit, die hier durch Liebe verdeutlicht wird. Insofern ist das Zitat als Verweis auf eine – gleichsam problematische – Autonomie einer der Personen in der Beziehung zu verstehen: “Derjenige, der am wenigsten liebt, kontrolliert die Beziehung.”

Für die beiden Romane muss aus dem sozialen Verhältnis “Beziehung” der Plural gebildet werden, um es zu überprüfen. Es geht also um Beziehungen und die Frage nach deren Intensität. Der Fokus verschiebt sich so auf die Frage, inwiefern die Abwesenheit von Empathie für eine Kontrolle von relevanten Situationen auf dem Lebensweg der beiden Protagonisten sorgt. Hier ist eine klare Abgrenzung der beiden zu treffen, die sich nicht nur, aber eben auch auf die Fähigkeit der Protagonisten beziehen lässt, überhaupt eine Art von liebender Beziehung zu anderen einzugehen.

Schon früh ist klar, dass die Beziehungen von Karl Roßmann eine andere Qualität haben als die von Felix Krull. Das Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung scheint nicht erfüllt zu werden, weder durch die Eltern noch die die Liebschaften: „Karl hatte aber keine Gefühle für jenes Mädchen“ (S.30). Das fehlende Gefühl scheint schon in der Ausgangssituation, in der beschrieben wird, dass Roßmann aufgrund seiner Verfehlungen, die er ja im Grunde nicht zu verantworten hat, deutlich zu werden. Seine Eltern haben nicht die Empathie mit ihm, die nötig wäre, um ihm Schutz zu bieten. Vielmehr schicken Sie ihn nach Amerika, wo er sein Leben komplett neu und ohne funktionierende Beziehungen aufbauen soll. 

Im Gegensatz dazu hat betont der autodiegetische Erzähler rückblickend über sich selbst, dass er ein guter Liebhaber gewesen ist: „[…] und die Meisterin ihrerseits namentlich versicherte mir vielmals und ungefragt, das meine Anstelligkeit und Liebestugend auch ihre schönsten Mutmaßungen überträfe“ (S.123). Die Selbsterhöhung, die sich hier zeigt, ist charakteristisch für eine Figur, die ihren Selbstwert aus der Betrachtung als Auserwählter zieht. Die Blicke der anderen und die damit einhergehenden Möglichkeiten, Anschluss zu finden, machen so nicht nur aus den Liebesbeziehungen Zweckgemeinschaften, in denen es vor allem um das sozial-gesellschaftliche Fortbestehen geht. 

Im Gegensatz dazu führt die scheinbare Vernachlässigung durch die Eltern bei Karl Roßmann zu einer grundsätzlichen Passivität, die durch die anderen Figuren ausgenutzt wird. Oftmals erscheinen Handlungen hier nicht als die eigene Entscheidung. Dies zeigt sich schon zu Beginn, denn die Amerikareise ist nicht Roßmanns eigene Idee. Im Gegenteil: Handlungen, die Roßmann quasi mit sich drängen, entstehen meist aus den Reaktionen derer, die über ihn bestimmen: Der Heizer, sein Onkel und im Grunde alle Figuren, denen Roßmann in der Folge begegnet sind ihm überlegen oder schaffen es zumindest, ihm ihre Überlegenheit zu verdeutlichen. Daraus resultiert eine eben jene Passivität, die es Roßmann verunmöglicht, sein Leben in die Hand zu neben.

Dies zeigt sich beispielsweise in der Situation, in der er auf dem Balkon verweilt, weil ihm von Robinson gesagt wird, dass er nicht reingehen könnte. Typisch für eine kafkaeske Situation, in der eine Figur in einer unbeweglichen Haltung verweilt, weil er durch eine Kommunikationsinstanz eine Hürde angestellt wird, verweilt Roßmann in seiner Starre, die erst aufgelöst wird, als seine “Peiniger” schlafen.

In Bezug auf Beziehungen und Kontrolle haben wir es also zunächst einmal mit der Gegenüberstellung von Passivität und Aktivität zu tun, die sich im Umgang der Protagonisten mit anderen Figuren zeigt.

Die Aktivität bzw. Passivität entspringt aus gleichsam problematischen familiären Ausgangssituationen, die die Protagonisten schon früh in Entscheidungen drängt, die sie zunächst nicht fällen können. So hegt Flix Krull beispielsweise einen Wunsch zur Namensänderung: „Der Namenwechsel (…) um den ich sie, wie ich mich lebhaft erinnere, bis zur Mißgunst beneidete“ (S.57). Später in seiner “Entwicklung”, die keine tatsächliche Steigerung seiner Erkenntnisfähigkeit ist, sondern bei der seine manipulativen Fähigkeiten perfektioniert werden, tätigt Krull genau einen solchen Namenswechsel. Es kann durchaus argumentiert werden, dass mit diesem Transfer genau jene Form der Kontrolle einhergeht, die Krull braucht, um seine Manipulation weiter zu perfektionieren. Will sagen: Erst dadurch, dass er durch Rollen- und Namenstausch zum Marquis wird, kann er seine Kontrolle über seine Mitmenschen derart ausbauen, dass er nicht auf sich selbst zurückfallen muss. 

Karl Roßmann fällt auf sich zurück oder wird von anderen genötigt, eine andere Rolle einzunehmen als er eigentlich will. Dies kann insofern mit dem Zitat des Außentextes in Bezug gesetzt werden, als dass selbst jene Figuren, die ihm zunächst gewogen sind – man denke beispielsweise an die Oberköchin, die ihm die Chance ermöglicht, als Liftjunge zu arbeiten – in den Rücken fallen. Dies geschieht mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es kein Wunder ist, dass Max Brod später vom Mitleid mir Karl Roßmann sprach. Es gibt niemanden, der Roßmann schützen könnte. Sehr drastisch könnte man ausdrücken: Er wird nicht geliebt.

Zwar kann man auch nicht sagen, dass Felix Krull geliebt wird – aber zumindest ist durch den gesamten Roman eine Bewunderung der verschiedenen Menschen zu sehen, auf die Felix Krull trifft. Während sein Pate Schimmelpreester aus nebulösen Gründen von der Wandlungsfähigkeit Krulls fasziniert ist, die er auch durchaus auszunutzen weiß, bezieht sich die Bewunderung der anderen Figuren mal auf die Fähigkeiten als Dieb oder Liebhaber (man denke an Madame Houpfle), seine sprachlichen Künste und seine Eloquenz (Hotelinhaber und später Marquis) oder seine theatralischen Fähigkeiten (z.B. beim Handel mit dem gestohlenen Schmuck).

Beide bilden letztlich keine stabile Beziehungen mit anderen Figuren, sondern sind entweder Verantwortliche von Zweckbeziehungen, die sie weiterbringen sollen (Krull) oder Geschädigte von solchen Zweckbündnissen, die sie in die Enge oder in die Ohnmacht treiben (Roßmann). 

 

  • Möglicher biografischer/ historischer Bezug 

Für viele Autoren*innen der literarischen Moderne wird die narrative Gestaltung [von] Irritationsmomente[n] zum ästhetischen Programm: Die Verzweiflung angesichts der modellierten Sinnlosigkeit des entzauberten Kosmos ist ihren Texten eingeschrieben, sie befeuert die Mannigfaltigkeit der Deutung und begleitet die Lust an der Lektüre. Besonders das Moment des Kafkaesken, wie Thomas Anz notiert, dient dabei als Chiffre für solche „diffuse[n] Erfahrungen der Angst, Unsicherheit und Entfremdung, des Ausgeliefertseins an unbegreifliche […] Mächte, der Konfrontation mit Terror, Absurdität, Ausweg- oder Sinnlosigkeit, mit innerer Düsternis, Schuld und Verzweiflung,“ welche letztlich der Rezipient mit sich selbst ausfechten muss.

Gerade die Frage nach Roßmanns Schuld kann in diesem Roman aber wegen der Unsicherheit der Deutung nicht endgültig beantwortet werden. Vielmehr ergeben sich im “Verschollenen” Leerstellen, die gerade aufgrund ihrer Unmöglichkeit der Auflösung auf die Entfremdung verweisen, der Kafka mit dem zuvor “Amerika” genannten Werk ein literarisches Zuhause geboten hat.

Thomas Manns Krull überwindet eine solche Irritation, zumindest in Bezug auf die Figuren selbst. Sein Felix Krull irritiert eher durch die Gleichgültigkeit, in der er andere auszunutzen weiß. Indem er die anderen Figuren kontrolliert, ergibt sich in der Parodie gleichsam ein Kommentar auf die bundesdeutsche Erfolgsgeschichte des Self-Made-Man.

  • Abschluss und Fazit 

Das Zitat von Robert Anthony kann in seiner Erweiterung auf grundlegende Beziehungen zwischen Figuren als Anknüpfungspunkt für ein Verständnis der beiden Figuren aus den vorliegenden Romanen herangezogen werden. Allerdings kann durchaus konstatiert werden, dass Empathielosigkeit, wie sie sich in dem Zitat offenbart, auf Leerstellen im Roman verweist, die nicht vollends aufgelöst werden können.

Denn obwohl die manipulative Art herausgearbeitet werden konnte, mit der Felix Krull seine Mitmenschen zum Zwecke seines sozialen Aufstiegs manipuliert und jene Passivität verdeutlich worden ist, die Karl Roßmann in einen stetigen Abstiegsstrudel abgleiten lässt, aus dem er sich nicht betreien kann, bleiben Fragen offen. Vor allem jene nach der Gleichheit der Ausgangsvoraussetzung erscheint bei genauem Blick bemerkenswert, da sich in der familiären Problematik zwischen Traumatisierung (Suizid des Vaters bei Krull, Vergewaltigung von Karl) zumindest ein Erklärungsansatz der in der These angenommenen Lieblosigkeit als Antwort herauskristallisiert. Zu fragen wäre demnach, inwiefern ein textbasiertes Urteil einer Beziehungsunfähigkeit ausreicht, um die Figuren und deren Motivation zu verstehen. Oder ob nicht vielmehr die Begleitumstände in den Blick genommen werden müssten, um zu zeigen, dass die Gegensätzlichkeit der beiden Romane und ihrer Protagonisten möglicherweise sehr ähnlichen Umständen entspringt, die letztlich nur aufgrund unterschiedlicher Wirkmächte zu so deutlichen Unterschieden führen.

1 Kommentar

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein