Dass in Online-Kommentaren gewettert wird, Lehrerinnen und Lehrer müssten sich politisch neutral verhalten und dürften sich nicht äußern, ist ob der momentanen Lage keine Überraschung. Immer wieder schreiben mir jedoch auch Kolleg*innen, deren Schulleiter*innen sie darauf hinweisen, dass sie sich neutral zu verhalten hätten. Das ist genauso falsch wie gefährlich in einer Zeit, in der die Verteidigung der Demokratie erste Bürgerpflicht ist. Einige Anmerkungen. 

Vorbemerkung

Ins Internet schreiben können viele, das muss es nicht wahr machen. Deshalb werde ich mich, neben der Tatsache, dass ich zum Beutelsbacher Konsens selbst ein Video gemacht habe und Professor Karim Fereidooni in der Folge von “Die Schule brennt” bestätigt, dass Lehrkräfte nicht neutral sein müssen, auf unterschiedliche Quellen von Expertinnen und Experten beziehen. Die Kurzfassung ist dennoch: Lehrkräfte müssen nicht neutral sein, sie müssen sich in ihrer Meinungsäußerung nur an bestimmte Regeln orientieren.

Lehrkräfte müssen nicht neutral sein, sie müssen sich in ihrer Meinungsäußerung nur an bestimmte Regeln orientieren.

Online und Offline

Zunächst eine kurze Unterscheidung zur politischen Meinungsäußerung online und offline. Der Mythos, dass Lehrkräfte neutral zu sein hätten, kommt auch daher, dass viele die öffentliche Meinungsäußerung und jene in der Schulklasse verwechseln. Michael Wrase, Professor für Öffentliches Recht mit den Schwerpunkten Sozial- und Bildungsrecht an der Stiftung Universität Hildesheim und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), schreibt dazu auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung:

“Ein Gebot vollständiger politischer Neutralität von Lehrer*innen (oder auch anderen pädagogisch Mitarbeitenden) in der Schule gibt es nicht. Der Rechtswissenschaftler Joachim Wieland spricht mit Recht von einem “Mythos“. Im Beamtenrecht verankert ist vielmehr der Grundsatz, dass Beamt*innen “bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren [haben], die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt” (§33 Abs. 2 Beamtenstatusgesetz, BeamtStG). Dieses Gebot gilt in gleicher Weise für angestellte Lehrpersonen (Vgl. Bundesarbeitsgericht (Anm. 6), S. 2889).”

Innerhalb des Klassenzimmers

Weiter zitiert nach Wrase: “Die Rechtsprechung hat hierzu jedenfalls wiederholt betont, dass damit jedenfalls nicht gemeint ist, Lehrer*innen dürften eigene politische Überzeugungen im Unterricht nicht äußern oder müssten sie gar verbergen. Sie können sich vielmehr auch in der Schule und im Unterricht auf ihr Recht auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG berufen (Vgl. Bundesarbeitsgericht (Anm. 6), S. 2889f.; Verwaltungsgericht Berlin, Disz. 99/80, NJW 1982, 30.9.1981, S. 1113.).

“strikte Neutralität” einer Lehrperson [ist] im Sinne von gesellschaftspolitischer Indifferenz im Gegenteil ein fatales Signal an die Schüler*innen

In der politikdidaktischen Diskussion wird darauf hingewiesen, dass die “strikte Neutralität” einer Lehrperson im Sinne von gesellschaftspolitischer Indifferenz im Gegenteil ein fatales Signal an die Schüler*innen in Form eines “Sich-Heraushaltens” und des “Nicht-Flagge-Zeigens” senden könnte (Bernd Overwien, Politische Bildung ist nicht neutral, in: Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit 1/2019, S. 26–38, hier S. 29.).

Halten muss man sich dabei als Lehrkraft an den Beutelsbacher Konsens, der einige Rahmenbedingungen festhält:

I. Überwältigungsverbot.

In sehr kurz: Man darf nicht sagen: “Wähl diese Partei!”

2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.

In sehr kurz: Man darf durchaus sagen: “Die AfD ist eine in Teilen gesichert rechtsextremistische Partei.”

3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren,

In sehr kurz: Es ist durchaus geboten, Aussagen von Politiker*innen zu thematisieren und die Schüler*innen zu einem Urteil kommen zu lassen.

Als Beispiel könnten folgende Zitate dienen:

Kai Borrmann, AfD:

„Daß [der Neonazi-Terrorist Breivik] ein Mörder war, beweist ja nicht, dass er politisch falsch lag.“ [sic]

Jens Maier, AfD: 

„Viele haben die NPD deshalb gewählt, weil dies die einzige Partei war, die immer entschlossen, zu Deutschland gestanden hat.“

Und viele weitere.

Außerhalb des Klassenzimmers

Außerhalb des Klassenzimmers gilt zunächst einmal auch das Grundgesetz, wobei dieses durch die Lehrkräfte sogar aktiv verteidigt werden muss.

“Sie sind zur Verfassungstreue verpflichtet, müssen sich also aktiv für die Verfassung und deren Werte einsetzen. Die Pflicht erstreckt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die gesamte geltende Verfassungsordnung, auch soweit Bestimmungen des Grundgesetzes im Wege der Verfassungsänderung umgestaltet werden können” (Bundeszentrale für politische Bildung).

Allerdings: “Betätigen sich Lehrerinnen und Lehrer politisch, müssen sie die Mäßigung und Zurückhaltung wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt (§ 33 Beamtenstatusgesetz).”

Mit anderen Worten: Auch und gerade Lehrkräfte dürfen sich in ihren Äußerungen nicht außerhalb des Grundgesetzes bewegen.

Fazit

Als Fazit eignet sich jenes Fazit, das am Ende einer Analyse von Hendrik Cremer steht, der beim Deutschen Institut für Menschenrechte arbeitet.

“Lehrer_innen wie auch Akteure im Bereich der außerschulischen Bildung müssen daher auch rassistische und rechtsextreme Positionen von politischen Parteien kritisch thematisieren. Dem stehen für den Bereich der schulischen Bildungweder Regelungen des Beamten­ oder des Schulrechts noch der Beutelsbacher Konsens entgegen,
der im schulischen und außerschulischen Bereich von politischer Bildung als Leitfaden dient.

Dies gilt gleichermaßen für die schulische und außerschulische Bildung. Wird der Grundsatz der gleichen Menschenwürde und der Rechtsgleichheit eines jeden
Individuums in Frage gestellt, haben Lehrer_innen sowie Akteure im Rahmen staatlich geförderter Bildungsarbeit dem zu widersprechen, auch wenn es sich um Positionen politischer Parteien handelt. Wesentlich ist allein, dass die Auseinandersetzung sachlich erfolgt.”

Video

Hier noch ein Video, das für ein jüngeres Publikum ausgerichtet ist und sich möglicherweise für die Diskussion in der Klasse eignet.

 

Literatur

Beutelsbacher Konsens

Hans-Georg Wehling (1977): Konsens à la Beutelsbach? Nachlese zu einem Expertengespräch. In: Siegfried Schiele / Herbert Schneider (Hrsg.): Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart, S. 173 – 184, hier S. 179f.

Was man sagen darf: Mythos Neutralität in Schule und Unterricht, aufgerufen am 21.01.2024.

10 RECHTSEXTREME ZITATE DER AFD, aufgerufen am 21.01.2024.

Wie politisch dürfen Lehrkräfte sein?
Rechtliche Rahmenbedingungen und Perspektiven, aufgerufen am 21.01.2024.

Das Neutralitätsgebot in der Bildung, aufgerufen am 21.01.2024.

 

2 Kommentare

  1. Eine sehr gute Zusammenfassung! Ich werde darauf verweisen.
    Was es nicht einfacher macht: So deutlich man als Lehrer darauf hinzuweisen hat, dass Rassismus dem Artikel 1 GG widerspricht, so strittig ist natürlich, was als Rassismus einzuordnen ist. Etwa “Remigration” großer Bevölkerungsteile, insbesondere auch AfD-kritischer Bundesbürger ist aus AfD-Sicht schon deshalb nicht rassistisch, weil sie für ja Menschen aller “Rassen” gelten soll. Insofern kann das Eintreten für Menschenwürde – aus AfD-Sicht – den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft rechtfertigen.
    D.h. :Dass die Menschenwürde zu achten ist, ist durch die Verfassung geboten. Ob eine bestimmte Maßnahme die Menschenwürde missachtet, wird immer neu zu diskutieren sein. Und die AfD ist gegenwärtig recht geschickt darin, den Spielraum des in diesem Sinne Erlaubten auszudehnen.

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