In den Kursen in Baden-Württemberg (und auch in anderen Bundesländern) ist das materialgestützte Schreiben von argumentierenden Kommentaren. Teil des Abiturs und dessen Vorbereitung. Ein weiteres Beispiel kann man hier nachlesen. An dieser Stelle kann man ein Dossier, die selbst erstellte Aufgabenstellung und den anschließende Kommentar der Schülerin Lea Bohmüller lesen, bei der ich mich herzlich für die Bereitstellung bedanke. 

Material

Material 1 Anetta Kahane: »Der Kulturkampf der Gegenwart«.(Vorwort zu einer Broschüre gegen Hate Speech)

Quelle: »Geh sterben!« Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet. Hg. v. Amadeu Antonio Stiftung, abrufbar unter: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/hatespeech.pdf (4.1.2022, 21:50).

Material 2 Mathias Hong: Meinungsfreiheit auch für Feinde der Freiheit

Veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE. Autor: Mathias Hong, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 12-13/2020). Freie Rede, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/306444/meinungsfreiheit-und-ihre-grenzen/

zuletzt abgerufen: 4.1.2022

Material 4 Julya Rabinowich Sprache: Hass im Netz

Quelle: https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2F2019%2F16%2Fsprache-internet-social-media-hass-anonymitaet (letzter Zugriff am 22.11.2021, 22:49)

Kommentar

Thema: Hate Speech

Hass: der schwarze Hund des Menschen

Was haben wir alle gemeinsam? Einfache Frage. Wir sind Menschen. Der Mensch hat manche schönen, aber auch so manche unschönen Eigenschaften. Musterbeispiel: Wer kennt ihn nicht, den inneren Schweinhund? Das ist aber nicht der einzige Begleiter des Menschen. Jeder Mensch besitzt auch einen schwarzen Hund namens Hass. Bei manchen hat dieser schwarze Hund nur die Größe eines Chihuahuas, bei anderen hingegen handelt es sich eher um einen schwarzen Bernhardiner. Aber auch der ist noch nicht gefährlich, solange man ihn kontrolliert an der Leine hält. Aber was passiert, wenn man seinen schwarzen Hund nicht kontrollieren kann? Was kann es für Folgen haben, wenn man den Hass von der Leine lässt?

Menschen äußern ihren Hass mithilfe von Worten. Verleumdungen, bösartige Unterstellungen und Lügen werden verbreitet. Der Begriff Hate speech bezeichnet sprachliche Ausdrucksweisen von Hass mit dem Ziel der Herabsetzung und Verunglimpfung bestimmter Personen oder Personengruppen. Julya Rabinowich wirft zurecht die Behauptung ein, es seien ja nur Worte. Harmlos – könnte man meinen. Das ist jedoch ein Irrtum. Worte sind Waffen. Das hat sich sogar schon im natürlichen Sprachgebrauch verankert. Wir haben sicherlich alle schon einmal jemandem zum Reden aufgefordert, indem wir gesagt haben: „Schießen Sie los!“ Man spricht davon mit Bemerkungen auf etwas abzuzielen. Mit Worten kann man andere Menschen treffen und verletzen. Worte können töten. Freilich wird jetzt gleich argumentiert, das sei doch maßlos übertrieben, aber haben Sie schonmal einen Blick in die Geschichtsbücher geworfen? Stichwort: Nationalsozialismus. Anetta Kahane berichtet über die Erkenntnisse, die Victor Klemperer während der NS-Zeit in seinem Tagebuch zu Papier gebracht hat. Er habe beobachtet, wie die ersten sprachlichen Verunglimpfungen der Juden bis zum Massenmord führten. Er vertrat die Ansicht, Sprache sei eine Waffe zur Vernichtung. Auch Julya Rabinowich erkannte die zerstörerische Fähigkeit der Sprache. Sie weist die Behauptung, es seien ja nur Worte, gekonnt zurück, indem sie darlegt, dass diese Worte Realitäten schaffen. Ob Sie dieser These folgen, Sei Ihnen überlassen, aber man sollte sich bewusst machen, dass es nichts anderes ist, was Politiker Tag täglich machen. Sie schaffen mit ihren Worten in den Köpfen der Bevölkerung Realitäten. Sie reden von Flüchtlingsstrom und Einwanderungswellen und wiederholen diese metaphorischen Begriffe so oft, bis sie den Wählern förmlich ins Gehirn eingebrannt sind. Sie wiederholen sie so oft, bis diese Bilderwelten für die Menschen zur Realität wurden. Sowohl Anetta Kahane als auch Julya Rabinowich stellen fest, dass nicht nur unser Denken beeinflusst wird. Nein! Die Folgen sind so viel weitreichender. Die Veränderung des Denkens führt zwangsläufig auch immer zu einer Veränderung des Handelns. Nun kommt noch erschwerend hinzu, dass wir nicht mehr in einer Welt leben, in der Worte nur kommuniziert werden können, wenn der Empfänger ein paar Meter von einem entfernt steht. Wir leben in einer digitalen Welt. Soziale Netzwerke – eine Erfindung, die der Verbreitung von Hass in der Welt den Weg geebnet hat. Sie hat den schwarzen Hund endgültig von der Leine gelassen. Julya Rabinowich legt dar, dass der Mensch durch soziale Netzwerke nicht nur die Möglichkeit bekommen hat, Worte in einem Bruchteil von Sekunden im Netz zu verbreiten – wohlbemerkt anonym zu verbreiten – vor allem aber kann der Mensch auf diese Weise Worte verbreiten, die für die Unendlichkeit sind. Unendliche Bösartigkeit. Unendlichen Hass. Denn das Internet vergisst nicht. Die Lösung müsste doch jetzt ganz klar sein: Die Hassrede muss gesetzlich verboten werden. Schön wär’s. Das würde jedoch die Grenzen der heiligen Meinungsfreiheit überschreiten. Man sollte sich aber fragen: Werden mit Hassrede nicht auch sprachliche Grenzen überschritten? Das Strafgesetzbuch zwingt einen Tag täglich mit anzusehen, wie die Sprache in den monströsen Würgegriff des Hasses gerät. Tag täglich werden Menschen im Netz mit Hasskommentaren wie „Halt die Fresse, du gerissene RUMPELWICHT-Sau!“ gedemütigt und verletzt.

Die Menschheit sollte nie vergessen, dass dem Nationalsozialismus, einer der schrecklichsten aller Menschheitskatastrophen, eine Deformation der Sprache zu hassverzerrtem, rassistischem Wortgut voranging. Die Menschheit sollte nie vergessen, wie viel Leid Sprache vor allem in der NS-Zeit verursacht hat. Darum müssen die Menschen dringend handeln. Nicht irgendwann. Nicht morgen. Heute! Hass darf weder im Netz noch in der realen Welt für Leid sorgen. Es ist die Verantwortung des Menschen selbst kein Hass zu verbreiten und es ist die Verantwortung des Menschen gegen Hass einzutreten. Man darf den schwarzen Hund nicht von der Leine lassen!

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