Sie sind für viele Lehramtsanwärter die Ursache für Alpträume, Nervenzusammenbrüche, Heulattacken und sogar Beziehungsabbrüche. Sie sorgen für so viel Stress, dass Referendarinnen und Referendare ihre Praxisphase abbrechen müssen. Sie sind einer der Hauptgründe dafür, dass so ziemlich jeder, der schon durch das Referendariat musste, dies um nichts in der Welt wieder tun würde. Deshalb ist es Zeit zu sagen:

Schafft die Lehrproben endlich ab! 

Schwenken wir zunächst einmal in die entgegengesetzte Richtung. Es gibt tatsächlich einige Gründe dafür, warum es Lehrproben gibt. Neben dem Scheinargument, dass man nur so an Zensuren kommt, ist dies die Überlegung, dass jeder zukünftige Lehrer so zeigen kann, dass er in Perfektion mit den einzelnen Bestandteilen des Unterrichts umgehen kann. Das war es dann aber auch schon. Und das birgt eine ungeheure Gefahr.

Denn oftmals kommt es vor, dass diese einzelnen Bestandteile sehr stark vom Fachleiter oder Mentor abhängen. Oder schlimmer noch: Die beiden unterscheiden sich fundamental. Während also der eine darauf besteht, guter Unterricht würde dies vor das stellen, besteht der andere auf dem Gegenteil. Und was tun, wenn ein Fremdprüfer kommt? Und was, wenn dieser die dritte Möglichkeit am besten findet, die der Referendar gar nicht erst gewählt hat? Und was, wenn der Referendar sie nicht gewählt haben hätte können, weil sein Fachleiter ihm etwas anderes beigebracht hat?

Was kann man gegen dieses “Hätten Sie nicht lieber…?” tun? Nichts.

Alles Einzelfälle? In der Zeit im Freiburger APR (Ausbildungspersonalrat) hatten wir mit verschiedensten Problemen und Konflikten zu tun. Da gab es eine Zensur, die einen Referendar gerade noch so bestehen ließ, weil dieser zwei Betonungsfehler (!) in einer Fremdsprache machte. Oder zwei Noten weniger, weil sich jemand verschrieben hatte. Seien wir ehrlich: Als Lehrer sollte man die Sprache beherrschen und korrekt schreiben können, aber ist das vor dem Hintergrund der zwölftausend anderen Aspekte, die man beherrschen und kontrollieren muss noch vertretbar?

Das Problem ist auch hier, dass man nicht weiß, an wen man gerät. Der eine sagt, dass die “Persönlichkeit” wichtig ist, der andere will Perfektion der Abläufe. Der dritte will alles anders. Nur: Man weiß es nicht. Und es gibt genug Fälle, in denen die Fachleiter die Referendare in der Unterricht bitten und zeigen, dass sie das, was sie einfordern, selbst nicht beherrschen.

Wie oft das so ist, ist eine schwierige Frage. Natürlich gibt es auch die Guten. Natürlich gibt es auch jene, die nicht nur guten Unterricht machen, sondern auch sagen, dass etwas nicht so geklappt hat, wie sie es wollten. Jene also, die zeigen, wie wichtig Reflexion ist.

Aber soll das die Leitlinie für einen kommenden Lehrer sein? Soll “Ich hatte mit dem Fachleiter Glück” die Formel dafür sein, dass man einen Beruf bekommt? Oder sogar einen guten, einen gut bezahlten, verbeamteten?

Und das Glück als wackliges Fundament der Referendarsausbildung hört da nicht auf. Mehr noch: Diejenigen, die sagen, dass sie das Referendariat gut überstanden haben, sagen oft auch, dass sie einfach Glück hatten, weil sie Prüfungssituationen nicht so belasten wie andere. Stressresistenz ist für den Lehrberuf wichtig, aber was wollen wir eigentlich für Lehrer haben? Jene, die gegenüber ihren Schülern zugewandt sind, sich für sie engagieren, ihre Probleme hören oder jene, die in Prüfungssituationen stressresistent sind?

Und für welchen Unterricht wird hier eigentlich gelehrt? Zweifellos ist der nach einer definierten Dramaturgie durchgetaktete Unterricht mit all seinen Gelenkstellen und dem tollen funktionalen Einstieg, der schülerorientierten Erarbeitungsphase und all dem vorbereiteten Drumherum eine Kunstform. Aber ist es jene Kunstform, die den zeitgemäßen Unterricht widerspiegelt?

Bekommt man den momentanen Diskurs um zeitgemäße Bildung mit, all die Diskussionen um Gemeinschaftsschulen, agilen Unterricht, digitale Erweiterung und so weiter, so ist fast allen dort geäußerten Meinungen gleich, dass der Unterricht hier etwas anderes meint. Nämlich Zeit und Raum für eigenständiges Lernen. Lernen, bei dem der Schüler die Verantwortung für Entscheidungen trägt und der Lehrer ihm hilft, sobald er oder sie Hilfe braucht. Für einen solchen Unterricht trägt die jetzige Form der Lehrprobe null und nichts bei.

Auch wenn klar sein dürfte, dass Kritik auch dann möglich sein muss, wenn kein Verbesserungsvorschlag besteht, hier doch eine Anregung.

Zunächst einmal: Das ewige Reflektieren, das im Referendariat gefordert wird, muss weiterhin zentral bleiben (oder müsste, denn dass ein einzelner Artikel wie dieser nicht mehr sein kann als ein Anlass für den einen oder anderen, mit dem Kopf zu nicken, dürfte klar sein). Aber es müsste sich auf jene Gebiete ausweiten, die momentan noch überhaupt keine (oder eine sehr kleine) Rolle im Referendariat spielen.

Wie organisiere ich mich? Wie vernetze ich mich? Wie begegne ich Schülern (auf längere Sicht)? Wie tausche ich mich mit Kollegen aus? Wie sorge ich für eine konstruktive Lernatmosphäre?

Man könnte hier noch tausend weitere Aspekte nennen, die für Lehrer jeden einzelnen Tag zentral sind. Und die in einer Lehrprobe keine Rolle spielen. Also jener Prüfungsinstanz, die letztlich dafür sorgt, ob ein Lehrer überhaupt die Chance bekommt, sich im Alltag zu beweisen.

Anders gesagt: Wenn die Ressourcen bestehen würden (was nicht der Fall ist), könnte jemand sich ein viel besseres Bild machen, wenn er einem jungen Lehrer einen Tag lang folgen würde. Was macht er zuerst? Was zuletzt? Mit wem wird gesprochen? Wie ist er oder sie organisiert? Wie geht er mit den Schülern um? Auf der Schwelle zur Klasse? Auf dem Flur? Wo sind die neuralgischen Punkte im Tagesablauf?

All das sind nämlich jene Dinge, die jeden Tag eine Rolle spielen.

Was keine Rolle (mehr) spielt, ist, ob ich eine Gelenkstelle funktional gesetzt habe (und ja, ich gebe mir Mühe, dass das oft der Fall ist. Wenn aber nicht, werden die Schüler dadurch keine schlechteren Menschen).

Es wird Zeit, dass die Lehrerausbildung Lehrer ausbildet, die in der Lage sind, mit den Rahmenbedingungen einer veränderten Zeit klar zu kommen. Einige wenige sind schon auf diesem Weg. Aber wenn man hört, was Referendare teilweise durchstehen müssen, sind es noch nicht genug. Deshalb:

Schafft die Lehrproben ab! Das wäre jedenfalls ein Anfang. 

Wegweiser

Dieser Beitrag ist Teil des Buches „Wegweiser Referendariat“, in dem alle wichtigen Blogartikel zum Referendariat vollständig überarbeitet, erweitert und angepasst in einem handlichen Buch auf 200 Seiten gesammelt sind.

Der Lehrer und Schulleiter Jan-Martin Klinge urteilt über das Buch: „Es ist ganz einfach: Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie ein besserer Lehrer“.

2 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein