Middle age man over blue background clueless and confused expression with arms raised, close up

Das Baden-Württembergische Kultusministerium hat eine Kampagne zur Einstellung von Lehrkräften gestartet, die sehr schnell für Aufregung gesorgt hat. Eines der Plakate, das riesengroß die Fluggäste am Stuttgarter Flughafen in Empfang nahm, erzeugte den Eindruck, dass der Beruf im Grunde keine richtige Arbeit ist. Die Verantwortlichen ruderten zurück. Nur um jetzt zu sagen, dass die Kampagne “die richtigen erreicht habe.” Zunächst erschien ein Teil der Kampagne naiv, mittlerweile muss man von Ahnungslosigkeit sprechen. Ein Kommentar. 

Eigentlich könnte man annehmen, dass zu der Kampagne des Kultusministeriums (eigentlicher Auftraggeber ist das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst) nichts mehr gesagt werden müsste. Eigentlich. Denn über den eigentlichen Skandal ist bisher gar nicht geschrieben worden.

Zur Erinnerung: Die Worte, mit denen man auf dem Plakat den Lehrer*innenberuf bewarb – und immer noch bewirbt – lesen sich wie folgt:

“Gelandet und gar keinen Bock auf Arbeit morgen? HURRAAA! Mach was die Spaß macht. Werde Lehrer*in.”

Unabhängig davon, dass in dem vorletzten Satz ein Komma fehlt, das einen zumindest dann rasend machen kann, wenn man im Hinterkopf hat, um welchen Beruf es hier geht, ist die Botschaft doch relativ klar. Oder das Missverständnis ist eingeplant. Man stelle sich dieselbe Kampagne bei jedem anderen Beruf vor:

“Keinen Bock auf Arbeit? Werde Pflegerin.” “Keinen Bock auf Arbeit? Werde Erzieherin.” “Keinen Bock auf Arbeit? Werde Politiker*in.”

Man kann mutmaßen, dass es keine Berufsgruppe gibt, die das auf sich sitzen lassen würde.

Insofern erfolgte die nachvollziehbare Reaktion, die eine Erweiterung des Plakats nach sich zog. Theresa Schopper (GRÜNE) erklärte dazu, dass es nie das Ansinnen der Aktion war, Lehrkräfte als faul hinzustellen.

Gleichzeitig erklärte das Ministerium die Kampagne zum Erfolg: “Seit dem Kampagnenstart Mitte Juli sei die entsprechende Internetseite mehr als 60.000 mal besucht worden. Dabei habe es 32.000 Weiterleitungen auf die Lehramts-Einstellungsseiten gegeben, teilte das Kultusministerium auf SWR-Anfrage mit.”

Eine kleine Pointe ist, dass die Erfolgsmeldung aus dem Ministerium schon kam, als sage und schreibe 8000 Klicks zu verzeichnen waren. Und dabei wurde keine einzige Aussage über die Qualität der Klicks gemacht. Ob also 8 oder 60 Tausend Menschen nur nachsehen wollten, wie misslungen eine Kampagne sein kann, weiß man nicht.

Dem Ministerium macht das aber nichts, denn nach der neuesten Meldung heißt es ja: »Wie es aussieht, haben wir trotz allem die Richtigen erreicht«. Die naheliegende Frage, wer genau die Richtigen sind, ist im entsprechenden Artikel nicht enthalten.

Und damit kommen wir zur Naivität und Ahnungslosigkeit zurück. Naiv sind diese Aussagen, weil sie in einem Moment, in dem die Wogen sich langsam zu glätten begannen, erklärt, dass man “die Richtigen” erreicht habe, damit aber gleichzeitig völlig übersieht, wen das Ganze noch erreicht hat: Diejenigen im Beruf nämlich! Man könnte polemisch sagen: Ja, es hat die “Richtigen” erreicht. Diejenigen nämlich, die noch (!) im Beruf sind. Wie sehr kann man seine eigenen Aussagen, das alles war nicht so gemeint, unterlaufen?

Sehr, wie wir sehen.

Aber die Ahnungslosigkeit, der Skandal, liegt woanders. Nicht etwa in dem Kampagnenspruch: “Warum lange nachdenken, wenn du Lehrer*in werden kannst.” Auch wenn man sich als erfahrene Lehrkraft und als jemand, der die Statistiken zu Aussteigern anschaut, durchaus Menschen wünschen würde, die etwas länger darüber nachdenken, ob der Beruf etwas für sie ist.

Geworben wird mit Flexibilität, Spaß, Freizeit und rockigen Sprüchen in allen möglichen Farben. Ich bin kein Werber und in keiner Agentur tätig, aber ich weiß, was diesen Beruf ausmacht: Die Sinnhaftigkeit, die Selbstwirksamkeit, die Möglichkeiten, jungen Menschen die Welt zu eröffnen, mit ihnen die Welt zu erkunden, sie zu unterstützen, zu fördern, herauszufordern, sie zu beschützen, mit ihnen zu diskutieren, ihnen Mut zuzusprechen, miteinander ins Gespräch zu kommen, innovativ zu sein und zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen Neues auszuprobieren. Und vieles mehr!

Darauf hätte man auch kommen können.

Aber klar, “Flexibilität” im Sinnes eines Vormittagsjobs, bei dem noch ein wenig Vorurteil mitschwingt, ist natürlich auch attraktiv – gerade vor dem Hintergrund, dass die SWK gerade erst vorgeschlagen hat, die Teilzeitmöglichkeiten für Lehrkräfte zu beschränken.

Der eigentliche Skandal ist, dass man jene Aspekte, die den Beruf tatsächlich so sinnvoll machen, einfach ausgespart hat.

Dass dies möglich ist, zeigt ein Video, das verschiedene Lehrkräfte auf Instagram zusammen gedreht haben. Hier geht es weder um wenig Arbeit noch um bunte Sprüche. Sondern um das, was diesen Beruf so ausmacht. Ich nehme an, man hätte mit entsprechender Landingpage durchaus ein paar mehr Klicks bekommen. Dann hätte man von einer erfolgreichen Kampagne sprechen können. Und das ganz ohne allen Lehrkräften, die schon seit Jahren in dem Beruf arbeiten oder auf dem Weg dahin sind, vor den Kopf zu stoßen.

Das entsprechende Video wurde übrigens bisher auf Instagram 380.000 mal angesehen.

Transparenz: Für zwei Jahre durfte ich als Botschafter für die Kampagne “Lieber-Lehramt” arbeiten. Teil der Kampagne war es, Einblicke ins Studium, den Beruf und die Lebensrealität zu geben.

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