BILDUNG: Baustellen des Bildungssystems - Notizen

Bob Blume
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15. Juli 2023
1 Kommentar
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Viele werden zustimmen, dass das Bildungssystem kaputt ist. Wenn man über das Bildungssystem in Deutschland liest und schreibt, dann weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Vieles bekomme ich auch deshalb mit, weil mir viele Menschen, die frustrierende Erfahrungen machen, schreiben. Meist kann ich persönlich nicht weiterhelfen, aber ich dachte: Wieso nicht das tun, was tatsächlich in meiner Hand liegt. Und so werde ich - immer in Rücksprache mit den Betroffenen - hier einige Mails veröffentlichen, die mir zugeschickt werden. Es soll eine anekdotische Sammlung über die Probleme des Bildungssystems sein. Ähnlich dem Techniktagebuch, aber eben für Bildung. Immer wenn ein neuer Artikel online ist, werde ich die Follower von Neuem auf den Beitrag hinweisen.

Ich freue mich, wenn ihr mir Rückmeldungen zu den Artikel und der grundsätzlichen Idee gibt. Denkt daran: Was in der Kommentarspalte steht, bleibt auch für die Nachwelt erhalten.

"Ich möchte damit keineswegs Menschen oder deren Abschluss abwerten und finde die Möglichkeit eines Quereinstiegs super. Aber für mich steckt hinter dieser Regelung kein Sinn."

Kein Vorbereitungsdienst mit falschem Abschluss

16.12.2023

"Das ist Deutschland. Ein Land, dass es sich leisten kann, gute Mitarbeiter:innen in regelmäßigen Abständen zu entlassen, den Lehrermangel weg zu definieren."

Erstmal möchte ich mich vorstellen: Mein Name ist XXX, ich bin XXX Jahre alt und arbeite zur Zeit als Lehrkraft an einer Haupt- und Realschule in XXX. Ich liebe meinen Job. Ich gehe — trotz vieler Dinge, die einfach schief laufen — gerne zur Arbeit. 2017 habe ich angefangen, Germanistik und Amerikanistik/Anglistik auf Gymnasiallehramt in Mainz zu studieren und bin nun dabei, meine Masterarbeit zu schreiben. 2019 habe ich das erste Mal angefangen, als TVH Kraft an einer Grundschule zu arbeiten, musste seit dem fast jährlich die Schule wechseln, da meine Verträge aus (sehr sinnfreien) Gründen nicht verlängert werden konnten. Im Endeffekt bin ich aber auch sehr froh darüber, denn sonst wäre ich jetzt nicht da, wo ich gerade bin. Ich arbeite zur Zeit in Vollzeit und habe schon ein Jahr lang eine eigene Klasse geleitet. Und weißt du was? Ich möchte nicht „eingebildet“ oder „abgehoben“ klingen und es hat auch lange Zeit gebraucht, bis ich mir das selbst stolz eingestehen konnte, ohne mich dafür zu schämen, so über mich selbst zu sprechen. Ich mache einen super Job. Ich merke es täglich, bekomme es nicht nur von Kollegen rückgemeldet, sondern von den wichtigsten Akteuren im Kontext Schule: den Schülerinnen und Schülern.

Da ich mich in den letzten Zügen meines Studiums befinde, stellt sich natürlich die Frage: Was ist mit dem Ref? Ich würde das Referendariat liebend gerne an meiner jetzigen Schule starten. Mein Chef würde mich direkt nehmen, ich fühle mich wohl im Kollegium, … ich könnte wirklich sehr viele Dinge nennen, die für diese Entscheidung sprechen. Zusätzlich ist zu sagen: Ich möchte nicht auf‘s Gymnasium. Die Gründe dafür sind vielfältig und ich habe wirklich sehr lange darüber nachgedacht.

Nun stand ich vor zwei Wochen in Kontakt mit der Hessischen Lehrkräfteakademie um abzuklären, ob ich mein Ref nächstes Jahr, trotz meines Abschlusses, in Hessen machen kann. Die Antwort war schockierend. Ich habe sie immer noch nicht verdauen können. Sie ist der Grund für diese Mail. Es hieß, dass der Eintritt in den Vorbereitungsdienst auf einer Haupt- und Realschule mit meinem Abschluss nicht möglich sei. Ich solle mich auf der Website über den Quereinstieg informieren. Ich habe dir einen aktuellen Screenshot von der Seite angehängt. Auf der Seite steht, ein Quereinstieg könne mit den folgenden Mangelfächern erfolgen: bla, bla, bla, Englisch, Deutsch. Voraussetzung ist der Nachweis eines abgeschlossenen Studiums (z.B. Master), aus dem mindestens eins dieser Fächer hervorgeht. Ich habe diesen Screenshot also an den Herrn, mit dem ich in Kontakt stand, weitergeleitet. Ich habe ihm gesagt, dass das bei mir alles zutreffend ist. Seine Antwort? Ja, das stimme wohl, aber ich habe ja einen „Education“ - Abschluss. Hätte ich nur Germanistik studiert, dann würde das ja gehen. Wenn ich möchte, könnte ich ja mein Studium anrechnen lassen, die ein oder anderen CP‘s nachholen und das Ref dann starten.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin bis heute sprachlos. In solchen Zeiten, solch eine Antwort? Jemand, der also absolut nichts mit Pädagogik am Hut hat, darf — aber ich nicht? Ich möchte damit keineswegs Menschen oder deren Abschluss abwerten und finde die Möglichkeit eines Quereinstiegs super. Aber für mich steckt hinter dieser Regelung kein Sinn. Wenn ich also nochmal in die Uni gehe, mich in ein Seminar setze und dann  drei Punkte mehr auf meinem DINA4 Blatt, called Leistungsübersicht, nachweisen kann, bin ich plötzlich befähigt? Achso, und der Titel „Education“ müsste noch aus meinem Abschluss gestrichen werden.

Ich bin verzweifelt und weiß nicht, was ich tun soll. Warum ich mich an dich wende? Ich weiß es nicht genau. Ich folge dir seit langer Zeit und schätze deine Arbeit sehr. Du hast mich in vielerlei Hinsicht inspiriert und zum Nachdenken angeregt. Ich wünsche mir, dass das in Zeiten des Lehrermangels an die Öffentlichkeit gerät und sich etwas tut.

Verweigerung der Arbeit

9.7.2023

Heute sende ich Ihnen die Kurzfassung meiner sehr traurigen, menschenverachtenden Geschichte.
Fünf Jahre war ich an einer Gesamtschule in Rheinland Pfalz tätig. Stetig steigendes Deputat mit immer anspruchsvolleren Aufgaben inkl. Klassenleitung. Die Schulgemeinschaft war mit meiner Arbeit, dem zusätzlichen Engagement vollumfänglich zufrieden. Ich habe meine Arbeit, diese Lebensaufgabe geliebt. Da ich von Hause aus kein Lehramtstudium inne habe, wurde mir die Wandlung der unzähligen PES Verträge in Aussicht gestellt, wenn ich mich dienstlichen Überprüfungen unterziehe.
Diese Herausforderungen habe ich gerne angenommen, mit Bestnote bestanden, ein wunderbares Gutachten erhalten.
Das Ministerium hat in den darauffolgenden Wochen festgestellt, dass ich entlassen werde. Kein Bedarf, kein Lehrermangel, anfangs urplötzlich nicht die ausreichende Qualifikation. Meine Qualifikation wurde im Laufe der Gerichtsverfahren vollumfänglich anerkannt.
In der Fachschaft Ernährung, Sozialwesen, Wirtschaft war ich lange Zeit die einzige Lehrkraft, musste Lehrpläne mehrfach überarbeiten, …
Alles wurde von den Behörden genehmigt.
Der dauerhafte Bedarf an der Schule wurde schriftlich festgehalten, da ich unter anderem ein Mangelfach unterrichtete.
Ein langer, intensiver, zweijähriger Kampf, began. Die komplette Schulgemeinschaft inkl. der Landeselternvertretung, der Landespersonalräte stand hinter mir. Die Gewerkschaft und ein Vertreter der Politik haben sich zusätzlich eingeschaltet. Alles verlief in Sande.
Es kam zu einem juristischen Verfahren, einer teils menschenunwürdigen Veranstaltung von Seiten der Behörden. Die erste Instanz endete zu meinen Gunsten, die zweite zu Gunsten des Ministeriums, da die „Vertragsampel“ noch ok war. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Um eine Perspektive zu haben, bewarb ich mich an einer Waldorfschule und an einer Förderschule. Beide hätten mir, aufgrund meiner Arbeitszeugnisse, dem Gutachten sofort einen Vertrag angeboten. Leider verweigert mir die ADD / das Ministerium die Arbeitsaufnahme.
Das ist Deutschland. Ein Land, dass es sich leisten kann, gute Mitarbeiter:innen in regelmäßigen Abständen zu entlassen, den Lehrermangel weg zu definieren, über PES Kräfte, die anteilig unqualifiziert sind. So schönt man Statistiken. Lehrkräfte werden weiter beschäftigt, die aufgrund von grobem Fehlverhalten, in jedem anderen Arbeitsbereich schon gekündigt worden wären.

Ich bin sehr dankbar, dass Sie sich den Problematiken im Bildungswesen angenommen haben.

Meine Kinder werden keine Verbesserungen in dieser Schullandschaft mehr erleben.

Sie, einige andere und ich kämpfen für die künftigen Generationen für bessere Bildung, der Einbringung von Inhalten der lebensnahen Bereiche, mehr Respekt und Toleranz, einen menschenwürdigen Umgang von allen, dem Erkennen von Potential, den Schwachstellen und der gezielten Förderung. Danke!

Falls Sie mehr über meinen Arbeitskampf wissen möchten, stelle ich Ihnen gerne die Unterlagen zur Verfügung.

 

"Das bedeutet, dass durch die Ausstattung mit anderen Systemen die 14-jährige pädagogische Arbeit einer kompletten Schule zunichte gemacht wird."

Wenn der Schulträger die Schule nicht versteht

9.7.2023

Lieber Bob Blume,
erst einmal möchte ich Sie für Ihre großartige, kritische Arbeit loben. Sie zeigt uns Lehrenden, dass wir mit unseren Problemen nicht alleine sind und dass es so etwas wie ein Sprachrohr für uns gibt. 
Der Grund meiner Mail ist sagen wir mal eine Verzweiflung, die mir seit ein paar Tagen den Schlaf raubt. Ich bin seit 25 Jahren Grundschullehrer mit Klassenführung und habe mich recht früh mit Digitalisierung befasst und digitale Endgeräte im Unterricht und zur Vorbereitung eingesetzt, weswegen ich auch 8 Jahre lang kommunaler Medienberater war. Wir waren eine der ersten Schulen, die mit digitalen Tafeln voll ausgestattet war, nachdem ich mich intensiv im Vorfeld über geeignete System informiert hatte. Deswegen bilde ich auch regelmäßig Studierende im Zentrum für Lehrerbildung an der Universität fort. Jetzt werden in unserer Kommune alle Schulen nach und nach mit neuen digitalen Displays ausgestattet, die im Vergabeverfahren angeschafft werden. Aufgrund meiner Erfahrung habe ich mich schon sehr früh mit den Zuständigen in Verbindung gesetzt, meine Hilfe bei der Beschaffung angeboten und auf die Notwendigkeit der Verzahnung von Soft- und Hardware hingewiesen, die dem Leitsatz Technik vor Pädagogik gerecht wird. Dazu habe ich mich in Eigenregie um einen Vergleich der gängigen Systeme vor Ort bei Händlern gekümmert und für eine Leihstellung eines aktuellen Gerätes unserer Wahl gesorgt. 
 
Daraufhin habe ich die Zuständigen des Medienzentrums an unsere Schule geladen, um Ihnen noch einmal die Wichtigkeit eines „Walk up and use“-Ansatzes erklären und die Ausstattung unserer Schule zu besprechen. Bei dem Termin vor Ort haben sich die Zuständigen das Display nicht genauer angeschaut und darauf verwiesen, dass unserer Ausstattung ja noch ein Jahr Zeit hätte und für uns eine zufriedenstellend Lösung gefunden würde. Die Ausschreibung ist recht problematisch und es gibt einige rechtliche Fallstricke (Rechtsabteilungen der Hersteller suchen nach Formfehlern in den Ausschreibungen und klagen, um die Zuschläge zu manipulieren). In den Ausschreibungen werden unterschiedliche Faktoren wie Technik, Preis und Bereitstellung einer pädagogischen Software in Prozenträngen gewichtet, worauf die Händler ihre Angebote machen können. Wir wurden nun zu einer Präsentation der in der aktuell ausgeschriebenen angeschafften Geräte eingeladen. In der Präsentation zeigten sich gravierende Mängel in der Handhabung (die Präsentation musste dreimal unterbrochen werden, weil aufgrund der browserbasiertes Software und einer schlechten Internetverbindung das Gerät mehrere Minuten nicht nutzbar war). Außerdem zeigte sich das Bedienkonzept so sperrig, dass sich der Moderator, ein Mann mit langjähriger Erfahrung in der Präsentationstechnik, mehrere Male „verklickte“. Auf meine Nachfrage, wer für die  pädagogische Beurteilung der Hard- und Software in der Software zuständig gewesen sei, wurde ich auf die Medienberater verwiesen. In einem anschließenden Telefonat mit einer aktuellen Medienberaterin und einem ehemaligen Medienberater stellte sich heraus, dass diese in keiner Weise in die Beurteilung eingebunden wurden. Auch die Aussage, dass in einer Versammlung der Schulleiter*innen pädagogische Vor- und Nachteile erörtert wurde, entspricht nicht der Wahrheit. Darauf angesprochen wurde mir von der Verwaltung erklärt, dass aufgrund der komplizierten Ausschreibung auf eine pädagogische Bewertung gänzlich verzichtet wurde. Es wurde keine Unterscheidung bei der Ausstattung im Bezug auf unterschiedliche Altersgruppen gemacht, Grundschüler brauchen zur Arbeit am Display eine wesentlich niedrig schwelligere Bedienung , als z.B. Oberstufenschüler*innen. Die einzige Vorgabe sei, dass die Lehrenden einfach auf dem Display schreiben könnten. Diese Funktion haben Kreidetafeln natürlich auch. Das Potenzial der Geräte bleibt ungenutzt.
 
Die pädagogische Software unseres Systems, mit der wir in den letzten 14 Jahren unseren kompletten Tafelbilder zur Unterrichtsvorbereitung erstellt haben, läuft auf den Systemen nicht umfänglich und schließt wichtige Funktionen für unseren Unterricht aus. Nur noch einmal zur Erklärung: wir sprechen hier von Unterrichtsreihen, mit bis zu 50 einzelnen Tafelbindern, in welche Links, interaktive Übungen, Tests, Bilder geschnittene Video- und Audiodateien eingebunden sind. Mitunter habe ich an die 2 Stunden an einer Einzelseite gesessen. Das bedeutet, dass durch die Ausstattung mit anderen Systemen die 14-jährige pädagogische Arbeit einer kompletten Schule zunichte gemacht wird. Letztendlich bekommen wir eine Displaytechnik, mit der wir so gut wie nichts anfangen können. Ich sehe hier natürlich nicht nur die Schuld der Verwaltung, die sich natürlich mit den nicht praktikablen Ausschreibungen herumplagen muss. Aus meiner langjährige Erfahrung in der Fortbildung und Anwendung der interaktiven Tafeln weiß ich, dass eine einfach funktionierende, niedrig schwellige Technik Grundvoraussetzung dafür ist, Lehrenden Lust anstatt Frust in der Anwendung zu verschaffen. Wäre es da nicht sinnvoll, sich im Sinne der Lehrenden für eine funktionierenden Lösungen einzusetzen? Dazu kommt noch, dass es noch kein stimmiges Konzept. Für die Fortbildung an den Displays gibt. Es werden Lehrende aus dem Kompetenzteam dafür zuständig sein. Leider gibt es im KT niemanden mit Unterrichtserfahrung an den Displays. Es ist das Frustrierendste, was ich in meiner gesamten Lehrerlaufbahn erlebt habe. Die Verwaltung verschenkt bei der Ausstattung Potenzial und fährt wissentlich Digitalisierung vor die Wand. Schulen, die bereits gute Erfahrung mit der Technik gesammelt haben, werden übergangen, und sie bekommen signalisiert, dass dem Dienstherren die Arbeit engagierter Lehrerrinnen und Lehrer, die in Eigenregie über die Maßen Einsatz bei der Digitalisierung gezeigt haben, egal ist. 

 

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