[…] Bob Blume macht sich Gedanken zu «Hausarbeiten in Zeiten von ChatGPT». […]
Wie sollen Schulen damit umgehen, dass jede schriftliche Aufgabe mittlerweile mit ChatGPT erledigt werden kann - oder werden wird? An anderer Stelle habe ich formuliert, dass Hausaufgaben unter bestimmten Bedingungen nicht mehr funktionieren. Gleichzeitig formulierte ich damit die Forderung, dass das Lernen selbst stärker in den Fokus schulischer Bildung rücken muss. Dort, wo das nicht möglich ist, habe ich von einer kommenden "Renaissance des Mündlichen" gesprochen. Mit anderen Worten: Wenn nicht zu überprüfen ist, woher etwas stammt, geht es mehr darum, dass man selbst das Konzept verstanden hat - und erklären kann. Was aber, wenn es nicht anders geht? Ein Vorschlag für den Umgang mit ChatGPT bei unterschiedlichen Formen von Hausarbeiten.
Es gibt momentan (noch) schulischer Formate, bei der eine Ausarbeitung eine große Rolle für die Gesamtbewertung spielt. So beispielsweise die GFS in Baden-Württemberg, die "Gleichwertige Feststellung von Schülerleistungen". Gleichwertig wird sie genannt, weil sie eine Klassenarbeit ersetzt. Dabei soll es sich um eine individuelle Leistung handeln. Die humoristische Metapher "Ganze Familie Schafft", die vielen Lehrerinnen und Lehrern bekannt ist, zeigt aber schon, dass eine solche Arbeit so individuell nicht ist. Immer wieder wird von Eltern berichtet, die sich bei Lehrkräften über die Noten der Präsentation beschweren, denn sie wissen, dass sie sie selbst erstellt haben. Mit anderen Worten: Schon vor der künstlichen Intelligenz konnte man sich nicht sicher sein, dass die Schülerin oder der Schüler die Arbeit selbst erstellt hat. Nun wird es zunächst einmal ein wenig fairer. Ein wenig, weil die Bezahlversion von ChatGPT (und jene, die noch kommen werden) jenen einen qualitativen Vorteil geben (werden), die dafür bezahlen.
Was bedeutet das nun? In einem langen Podcast-Gespräch mit dem Mathematik-Professor Christian Spannagel, in dem viele Thesen besprochen werden, werden im Bezug auf Arbeit, die zuhause gemacht wird, zwei zentrale Aspekte herausgearbeitet: 1. Die schon geäußerte Hypothese, dass das Lernen grundsätzlich in die Schule gehört. 2. Dass die Verwendung von KI eine konkrete Reflexion beinhalten muss. Gerade der zweite Punkt ist meines Erachtens einer, um den sich Schulen kümmern müssen.
Zwar gibt es auf den Seiten der Kultusministerien mittlerweile Informationsmaterial zu KI und Unterricht, konkrete, rechtlich verbindliche Erlasse sind mir aber nicht bekannt. Das bedeutet Unsicherheit für alle Arbeiten, die von Schülern zuhause erstellt werden. Und zwar spätestens ab dem nächsten Schuljahr.
Auf der Grundlage einiger Experimente mit KI innerhalb und außerhalb der Schule und vor dem Hintergrund meiner Erfahrung in Bezug auf digitale Didaktik werde ich in meinem Kollegium einige grundsätzliche Vorschläge machen, die ich nun auch hier teilen möchte. Dabei geht es weniger darum, wie Schülerinnen und Schüler KI fürs Lernen verwenden können (siehe Video), sondern konkret um die Arbeit zuhause.
Zunächst zum Problem: Ob eine Schülerin oder ein Schüler eine Arbeit selbst verfasst hat, ist schlicht nicht zu ermitteln. Zwar erkennt ChatGPT manchmal seine eigene Arbeit, manchmal aber auch nicht. Noch schlimmer: Manchmal erkennt es einen Text als vermeintliche Arbeit, obwohl sie es nicht ist (geschehen bei einer Mail, die ein Kollege geschrieben und danach eingespeist hat).
Ein Lösungsansatz wäre nun ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Schüler:innen versuchen zu verschleiern, woher die die Informationen haben (man kann mit ChatGPT auch das Niveau ändern oder gleich andere Tools nutzen, die die Aussagen so verändern, dass man den Ursprung nicht mehr nachweisen kann). Und die Lehrkräfte wiederum versuchen herauszufinden, was von den Schüler:innen stammt. Dabei entstehen zwei Probleme: Zum einen ist eine solche Detektivarbeit nicht zu leisten. Es fehlen die Ressourcen. Zum anderen ist das Ganze für das Lernklima schädlich, weil immer der unausgesprochene Vorwurf im Raum steht, dass jemand getäuscht haben könnte. Das gab es zwar vorher auch, aber nun ist es eben sehr viel leichter und effizienter. Wer sich einem solchen Spiel öffnet, eröffnet einen unnötigen Technologiewettkampf.
Eine naheliegende Lösung wäre es, die schriftliche Ausarbeitung abzuschaffen. Aus dem Dreiklang zwischen Ausarbeitung, Präsentation und Kolloquium würde dann ein Zweiklang. Neben dem ersichtlichen Problem, dass dies nichtmehr Sinn einer Aufgabe ist, deren schriftlicher Teil dafür sorgen soll, dass auch diese Arbeitsform abgedeckt ist, ergibt sich daraus aber ein weiteres Problem: Es gibt weder für die Zuhörenden noch für die Lehrkräfte eine nachvollziehbare Struktur.
Die für mich plausibelste Lösung besteht darin, die Ausarbeitung zu verlangen und als Voraussetzung der Bewertung zu sehen, diese aber nicht in die Bewertung einfließen zu lassen. Stattdessen wird eine Reflexion gefordert, die aus verschiedenen Teilen bestehen kann.
Oder ausgewählter Teile.
Mit anderen Worten: Nicht das Ergebnis wird bewertet, sondern die Reflexion des Prozesses. Selbst ohne die KI ein sinnvolles Vorgehen.
Gleichzeitig bedeutet ein solches Vorgehen aber, dass die Lehrkräfte jene Prozesse einüben, die dann reflektiert werden sollen. Und natürlich die Reflexion selbst. Das also heißt, dass klar sein muss, was ein Auswahlkriterium ist (das außerhalb von "Ich wusste nichts anderes" liegt), wie eine Arbeit bewertet werden kann, worauf man bei der Recherche achten sollte, wie man Probleme löst und diesen Lösungsweg erklärt und wie die Struktur einer Ausarbeitung zustande kommt.
Zum letzten Punkt: Schon vor ChatGPT werden die meisten Schüler:innen eine Struktur von einer Seite oder Wikipedia übernommen haben. Die Reflexion, dass etwas auf eine bestimmte Art und Weise ausgearbeitet ist, ist aber wichtig, um zu verstehen, welche Funktion die Chronologie eines Themas hat oder haben kann.
Um es kurz zu machen: Sofern schriftliche Ausarbeitungen sich nicht an regionale Besonderheiten ausrichten können, sollte die kritische Reflexion des eigenen Arbeitsprozesses obligatorischer Bestandteil jeder Ausarbeitung sein.
Wie das Ganze dann in die Bewertung eingeht, welche Schwerpunkte es gibt und welche Kriterien, das wäre eine weitere, sinnvolle Diskussion.
Ich habe in einer 10. Klasse nach einem solchen System eine schriftliche Ausarbeitung erstellen lassen. An anderer Stelle erkläre ich den Ansatz so:
"Mit anderen Worten: Sie wählen die Art und Weise des Zugangs zu dem Buch selbst, wählen die Mittel und die Art und Weise der Aufgabe. Teil dieser Aufgabe ist es zu reflektieren, wie sie auf die Aufgabe gekommen sind und wie sie sie durchgeführt haben. Außerdem sollen sie angeben, welche Note sie mit der Aufgabe erreichen wollen. Zuletzt geben sie die Quellen und eine Erklärung zur Selbstständigkeit an. Auf diese Weise erlernen die Schülerinnen und Schüler nicht nur, ein Ziel für sich zu definieren, es ist gleichsam Teil des Zugangs, darüber nachzudenken, in welche Aufgabe man mit seiner Zeit und seinem Können investieren möchte."
Das Special Task kann man sich hier herunterladen.
Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Schülerinnen und Schüler nicht nur fantastische Arbeit geleitet haben, sondern dass ihre Reflexionen auch zu den sinnvollsten Dingen zählt, die ich in der Schule gelesen habe. Einige Schülerarbeiten können hier eingesehen werden.
ChatGPT und andere KI-Programme gehen nicht mehr weg. Da Lehrkräfte sie nicht verhindern oder verbieten können, müssen Ansätze her, wie man mit der Situation umgeht. Die Einforderung von prozessbegleitenden Reflexionen ist ein Weg, wie das Lernen, sofern es zuhause stattfinden muss, sinnvoll gestaltet werden kann.
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Wir leben in einer spannenden Zeit, ich bin so gespannt wo die künstliche Intelligenz uns Menschheit hin führen wird.
Grüße Alisa
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