Dass auf Social-Media immer nur ein Teil von Personen und dem, was sie tun, zu sehen oder zu lesen ist, ist eigentlich trivial. Dennoch sollte der Hinweis darauf gerade hinsichtlich der verschiedenen Themenfelder von Bildung und Lernen nochmals wiederholt und in einen Zusammenhang gebracht werden. Eine (Selbst-)Analyse.
Anlass
Als eine nunmehr ehemalige Schülerin aus meinem Leistungskurs, von der ich weiß, dass sie Lehrerin werden möchte, nach der Abiturparty sagte, dass wir uns auf Instagram sehen, passierte etwas erstmal Merkwürdiges: Ich riet ihr ab! Ich, der Vernetzungs- und Social-Media-Süchtige, rate einer Schülerin, dass sie nicht in Instagram kommen soll? Warum das?
In Telefonaten mit Menschen, die sich häufig auf verschiedenen Social-Media-Netzwerken aufhalten, kommt immer wieder heraus, wie viel Stress dies auslösen kann. Dieser Stress kann aus verschiedenen Richtungen kommen, grundsätzlich aber dafür sorgen, dass man seine Gedanken dort hat, wo sie nichts bringen oder schlimmer: Wo sie einen davon abhalten, was man eigentlich zu tun hat. Dies kann destruktiv sein aber, so paradox es klingen mag, auch in seiner positiven Wirkung Schaden anrichten.
Wirkung und Auswirkung
Sich auf Social-Media zu äußern oder Äußerungen zu lesen, hat eine Wirkung auf einen selbst. Mich persönlich trifft oder betrifft diese Wirkung je nach meiner Verfassung. Wenn es mir grundsätzlich gut geht, dann kann ich Aussagen lesen, mit denen ich nicht konform gehe, ohne dass es mir etwas ausmachen würde. Auch Kritik, selbst wenn sie persönlich oder beleidigend ist, kann mir dann wenig ausmachen.
Anders ist dies, wenn es mir, aus welchen Gründe auch immer, nicht gut geht. Wenn die Schale weich oder der Schutz nicht mehr so stark ist. Dann kann mich die Wirkung treffen. Entweder, weil mich etwas triggert - wie es in Neudeutsch heißt. Eigentlich ist das eine Verniedlichung, denn in bestimmten Phasen "schwillt mir der Kamm". Und das kann zu Dingen sein, die mich gar nicht so sehr betreffen. Aber die Wirkung ist: Es geht mir schlecht. Die Sonne scheint, ich habe die Menschen um mich, die ich liebe, und es geht mir schlecht. Und das, weil irgendein Experte irgendeine Meinung, zu irgendeinem Thema in irgendeinem Netzwerk gepostet hat. Wie doof ist das denn bitte!? Um es deutlich zu machen: Das ist eine Schwäche von mir. In den Phasen, in denen ich mehr bei mir sein sollte, zu weit weg zu sein in dieser Welt voller Meinungen. Und das meistens, weil ich zu wenig in mich reinhöre, um zu beurteilen, dass es gerade nicht so gut wäre, mir von irgendeinem toxischen Horst das Leben erklären zu lassen.
Für irgendwelche Menschen im Netz bin dieser toxische Horst ich. Auch das ist teil der Wahrheit.
Dazu kommt: Auch wenn es mich nicht betrifft, kenne ich genügend Menschen, die unter Druck geraten, wenn sie sehen, welch schöne Arbeitsblätter jemand postet. Oder welch tolle Idee jemand hat, die er oder sie mit seiner Klasse ausgearbeitet hat. Welche inspirierende Arbeitsgemeinschaft, Schule oder Schüler*innen, die selbstverständlich immer genauso enthusiastisch sind die die Lehrpersonen.
Ich stelle mir dann dieses Bild vor von einer heulenden Person, die vor dem Fernseher einen riesigen Eimer Eis isst und vor sich hin wimmert, nicht zu genügen. Und manchmal bin diese Person ich.
Halbwahrheiten
Und da sind wir dann bei dieser trivialen Erkenntnis, dass es sich um Halbwahrheiten handelt, die dort im Netz stehen (wenn man mal jene Menschen ausklammert, die mit einer Kamera an der Stirn ihr gesamtes Leben aufzeichnen oder es in anderer Weise nicht schaffen, auch nur einen Gedanken bei sich und für sich selbst zu behalten; und ja, mir ist klar, dass es Menschen gibt, die auch dies für mich konsternieren würden. Da kommt es immer auf die eigenen Maßstäbe an).
Für jede tolle Idee, die ich schreibe, habe ich neun völlig uninspirierte Standardwege, die ich für mich behalte. Für jedes Mal, in dem ich mich öffentlich darüber freue, dass etwas geklappt hat, haben neun Dinge nicht geklappt. Und so weiter. Ich poste zwar keine wunderschönen Arbeitsblätter und will hier auch nichts mutmaßen, aber dennoch: Meistens ist es nur die halbe Wahrheit. Das ist übrigens auch in Ordnung.
Ich finde es immer amüsant, wenn Menschen anderen Menschen auf Social-Media vorwerfen, dass sie sich in den Mittelpunkt drängen würden. Oder sich profilieren wollten. Ja, was denn sonst!? Dieser Ort des Austausches ist in jeder Form der Äußerung von Personen eine Profilierung. Man gewinnt Profil. Simple as that. Und solange andere davon profitieren, was jemand laut denkt, schreibt oder zeichnet, solange ist das völlig in Ordnung.
Man sollte sich nur gewahr sein, was einem hilft, was einen inspiriert, was einen unterstützt und was eher dafür sorgt, dass man sich schlecht oder ungenügend fühlt. Und man muss darauf achten, dass die "Belohnung", die man für seine nach außen präsentierte Arbeit erhält, nicht den Fokus verschiebt. Denn auch diese - wie gesagt, völlig legitime - Form der Selbstdarstellung kann zu einer Sucht werden, die Zeit dort verschlingt, wo man sie eigentlich für anderes bräuchte.
Das alles sind sehr subjektive Eindrücke und, wie es oben heißt, auch eher eine Selbstanalyse, auch wenn sie sich anhören mögen wie eine Art Plädoyer. Ich schreibe das, weil ich hoffe, dass der eine oder andere vielleicht auf diese Weise den Druck von sich nimmt oder bemerkt, dass es nicht nur ihm oder ihr so geht. Die Vernetzung mit so vielen Menschen, so grandios diese ist, hat auch ihre Schattenseiten, ihre Tiefen und ihre Auswirkungen, mit denen man nicht immer einfach umgehen kann.
Ich bin mittlerweile 10 Jahre aktiv dabei und versuche immer noch, einen guten Weg zu finden. Dieser Artikel soll zeigen, dass das nicht immer einfach ist und auch nicht immer gelingt. Und das ist auch in Ordnung.