Wie so oft im Leben könnte man auch das Ende des Referendariats an so vielen Stellen für beendet erklären.

Vielleicht der Tag der letzten Lehrprobe, als man das letzte Mal den bitteren Kaffee trank, den die Sekretarin mit Mühe, Anmut und den richtigen Zeitpunkt des Aufbrühens verpassend in das Zimmer brachte, in der noch der Angstschweiß der letzten Referendare von den Decken tropfte. Angstschweiß, der sich einer Pfütze gleich unter dem T-Shirt entwickelt und die Stirn wie in Zeitlupe heruntertropft, während die geschundene Seele darüber philosophiert, ob das, was der Fachleiter gerade kritisiert ein kleiner Fauxpas war oder das ewige Ende der Lehrerlaufbahn sein könnte, noch bevor sie begann.

Oder der Tag der Kolloquien, an dem man gebetsmühlenartig die so wichtigen Begriffe der pädagogischen Psychologie herunterbete, in dem festen Glauben daran, den kleinen Max an seinen Entwicklungsstand zu erinnern, wenn man gekonnt den Steinen ausweicht, die aufgrund einer Meinungsverschiedenheit an Tafel und Pult knallen.

Vielleicht ist es der Tag, an dem die Kollegin, deren zynische Kommentare die Pausen in toddepressiven Zukunftsvisionen verdunkelten und deren enormer Humor verbunden mit der Tragik der Erfahrung Hoffnung schürte, wenn also jene Kollegin mit schwarzen Rüschen aber verschwörerischem Grinsen das Du unter einem tiefen Zug blauer Gauloises anbot.

Oder ist es etwa der Tag, an dem man nach Hause fährt und weiß, dass diese Zeit nun für immer vorbei ist. Die Zeit des Buckelns und Schuftens und des ewigen Springens über mehr und mehr Hindernisse? Ältere Kollegen werden sich hier ein zufriedenes Grinsen des Wissens nicht verkneifen können.

Ganz Phantasielose halten vielleicht den Tag der Übergabe des Zeugnisses als denjenigen, an dem man sich endlich freuen kann. Endlich hat man dokumentarisch belegt, wer oder was man ist. Die deutsche Bürokratie geht in die Beuge und überreicht steif und mit einem unechten Lächeln den Schriftsatz, der das nächste halbe Jahrhundert prägen wird.

Aber nein. Das ist kein Tag der Freude. Eine Formsache. Vielleicht ein Grinse-Tag, an dem man kriegt, was man meist schon wusste und an dem die Mama oder der Papa oder beide, sofern sie denn dabei sind, einem auf die Schulter klopfen können uns sagen: „Hast du es ja doch noch geschafft.“ Der Tag, an dem man endlich wieder einen Sekt trinken kann. Mal so ganz jugendlich kichernd. Den Pullunder an den Ärmeln nach oben ziehend. Nein. Das ist nicht der Tag der Freude.

Der Tag der Freude ist ein ganz anderer.

Der Tag der Freude ist die Entdeckung der Einsamkeit. Die Entdeckung der weiten Ebene hinter dem eigene Rücken. Den wenn zuvor noch ein jeder jeden Schritt, den der Referendar machte, jede noch so unwichtige Nuance seines kleinen Lebens beobachtete und man mit Sicherheit sagen konnte, niemals sicher zu sein vor dem allüberblickenden Auge des „Big Brother“, der in allen Augen der Kollegen aufflackern konnte, wenn man wieder einmal eine Stunde oder den Kopf in den Sand setzte. Wenn zuvor jeder noch so kleine Fingerzeig auf die Goldwaage gelegt werden konnte, mit dem Vermerk, dass die gesamte Laufbahn von dem einzelnen Wörtchen abhinge und man sich bloß nichts einbilden solle auf die positive Wertschätzung der Schüler, die nur aufgrund des Alters herrühre.

Wenn also dies alles hinter dem Rücken und schon in aufgeregter Haltung vor dem morgendlichen Spiegel, die unausgeschlafen-quellenden Augen in ein tiefes, schwarzes Loch starrend jeden Tag auf einen wartete.

Dann, ja dann ist die Einsamkeit der eigenen Person wie ein Höhenflug über den warmen weiten einer sommerlichen Ebene. Ein Dahintreiben in dem tiefen Gefühl, nun das tun zu können, was man möchte. Und schon schauen einen die Schüler, die dich ja kennen, misstrauisch an. Kein ängstlicher Blick, keine 12 Arbeitsblätter am Stück für die erste Viertelstunde. Und die Frage: „Worauf habt ihr Lust?“

Der Tag der Freude, an dem man wie nach einem langen Tag im Auto bei 37 Grad Hitze mit voller Montur zum Meer rennt und in die blauen Fluten springt. Abtaucht. Auftaucht und das salzige Nass in Zeitlupe vom Kopfe schüttelt. Ein Tag wie warmes Nutella. Wie der Ritt auf dem letzten Einhorn. Wie Chuck Norris beim Armdrücken zu schlagen. Zwei Mal.

Der Tag, an dem man weiß, dass man es überlebt hat und dass man sich freut, das Richtige zu tun. Und an dem man in die Gesichter der Schülerinnen und Schüler schaut und glaubt, dass auch die dies so sehen.

Ein Tag der puren Freude.

Und ein Tag, an dem man nicht weiß, dass nach dem Ende des Referendariats etwas ganz anderes folgt:

Die erste richtige Stelle. Aber das ist etwas für die nächste Folge.

Wer noch mehr erfahren möchte, kann das Buch “Das Abc der gelassenen Referendare” käuflich erwerben. Es richtet sich an Lehramststudentinnen und Studenten sowie an Referendarinnen und Referendare, die schon vor oder beim Beginn ein paar hilfreiche Tipps gebrauchen können.

Man kann es hier über Amazon oder auf der Seite des Verlags kaufen.

Weitere Folgen:

Referendars-Gedanken, Folge 1: Tage des Zorns 

Referendars-Gedanken, Folge 2: Tage der Demut 

Referendars-Gedanken, Folge 3: Tage der Erschöpfung

Weitere Referendariatsthemen im Blog:

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