Vorbemerkung: Mit der Angst ist es so eine Sache. Es gibt unzählige Ängste, die Menschen haben können. Gerade im Referendariat werden diese teilweise gebündelt und können dafür sorgen, dass sich der oder die Betroffene in eine „Schockstarre“ zurückzieht, die genau dazu führt, was eigentlich vermieden werden sollte: ein vermeintliches Scheitern innerhalb eines Bereiches, den man besonders wichtig findet. Deshalb gilt als erster wichtiger Schritt anzuerkennen, dass man vor einer Situation Angst hat.
Wegweiser Referendariat
Dieser Beitrag ist Teil des Buches „Wegweiser Referendariat“, in dem alle wichtigen Blogartikel zum Referendariat vollständig überarbeitet, erweitert und angepasst in einem handlichen Buch auf 200 Seiten gesammelt sind.
Der Lehrer und Schulleiter Jan-Martin Klinge urteilt über das Buch: „Es ist ganz einfach: Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie ein besserer Lehrer“.
Ängste und Lösungsansätze
Im Referendariat können diese Ängste auf einigen Ebenen bestehen.
1) Angst vor der Klasse
2) Angst vor den Prüfern
3) Angst vor dem Vergleich
4) Angst vor dem Stoff
5) Unbestimmte Angst vor „dem Ganzen“
Obwohl ich mir sicher bin, dass sich ganze Studiengänge der Psychologie mit diesen Ängsten auseinandersetzten, versuche ich hier aus der Perspektive des Praktikers an diese Ängste heranzutreten.
1) Angst vor der Klasse
Schon in den ersten Sekunden, in denen man eine Klasse betritt, werden sich die meisten SchülerInnen ihre Meinung gebildet haben (freilich, das kann sich im Laufe er Zeit verändern, da es natürlich auf mehr als einer kurzen visuellen Beurteilung beruht). Die Klasse wird ausgemacht haben, ob die Kleindung cool ist, „lehrerhaft“, ob man geduckt in die Klasse geht oder sogar versucht, zwanghaft cool zu sein. SchülerInnen sind keine Bestien. Meistens ist der Unterricht, den die Referendare anbieten eine willkommene Abwechslung vom Alltagstrott. Trotzdem kann es passieren, dass man als Referendar Angst hat. Hat man genügend fachliches Wissen? Reagiert die Klasse auf das, was man sagt? Was ist, wenn nicht? Diese Gedanken sind normal, solange sie nicht dafür sorgen, dass man in der Nacht jede Stunde schweißgebadet aufwacht und es nicht schafft, zur Ruhe zu kommen. Stimmt das Verhältnis zur Klasse nicht, dann wird alles, was folgt schwierig.
Tipp 1: Transparenz
Lustiger Weise findet das, was viele Referendare Angst vor der Klasse haben lässt, in der eigenen Vergangenheit als SchülerIn seinen Ursprung. Hat man beispielsweise oft auf die Kleidung geachtet, fürchtet man, dass dies auch heute so sein wird. War man renitent, fürchtet man einen Schüler, der einen auf die Probe stellt, usw. Vor allem aber kann man sich an diese Lehrer erinnern, die immer alles wussten und scheinbar nie einen Fehler machten. Wahre didaktische Supermänner. Dass diese Lehrer an einigen Stellen vielleicht einfach nur geschickt verschleierten, was sie nicht zu beantworten vermochten, haben wir vergessen. Kurz: Der Anspruch, auch ein Supermann sein zu wollen, führt vor der Angst davor. Ob man es glaubt oder nicht: Schüler wissen, dass auch junge Lehrer Menschen sind. Und genau da kann man die SchülerInnen mit ins Boot holen. Transparenz führt zu gegenseitigem Vertrauen. Gerade als junger Lehrer sollte man sich nicht scheuen, denn Schülern zu erklären, wie man sich fühlt. Natürlich sollte man dabei auch nicht vergessen, ihnen zu zeigen, dass man sich auf die Arbeit mit ihnen freut. Denn wenn das nicht gegeben ist, wird es allemal schwer. Ist aber ein Verhältnis von Vertrauen etabliert, kann auch etwas schief gehen (bei Lehrer und Schüler) und keiner muss davor Angst haben.
2) Die Angst vor den Prüfern
Die Angst vor den Prüfern hängt unmittelbar mit dem ersten Punkt zusammen. Die Angst in Besuchsstunden ist ja vor allem deshalb so groß, weil man meint (und damit womöglich Recht hat) nicht alles kontrollieren zu können. Deshalb hier schon einmal ein vorgezogener Tipp. Lebt damit! Die Klasse besteht aus verschiedensten Charakteren, die einen guten oder schlechten Tag haben können. Es bringt nichts zu glauben, man können durch eine minutengetreue Planung alle Eventualitäten aus der Welt schaffen. Und die meisten guten Prüfer wollen das auch nicht sehen. Sie wollen sehen, dass man sich kümmert, versteht, aufeinander zugeht und dass innerhalb dieser Atmosphäre ein Lernklima entstehen kann, bei der die Schüler inhaltlich und sozial profitieren. Trotzdem ist klar: Die vielen verschiedenen Aspekte auf die man achten muss, die Beobachtungssituation, bei der jeder Schritt den man macht, beobachtet wird, die Fülle von Dingen, an die man denken muss: All das kann zu einer Angst vor den Prüfern oder der Prüfungssituation führen, die einen hemmen kann. Auch hier ist das Problem: Ängste können wie selbsterfüllende Prophezeiungen wirken und das eintreten lassen, wovor man sich fürchtet. Deshalb ist es wichtig, diese ernst zu nehmen und ihnen entgegenzuwirken.
Tipp: Fokus verschieben
Selbst diejenigen, die vor vier verschiedenen Universitätsprüfern saßen und ihr 1. Staatsexamen ablegten, finden teilweise einfache Besuchsstunden schlimmer. Man hat nicht alles im Griff, scheint mitunter hilflos und wird dann auch noch beobachtet. Wer während einer solchen Stunde den Prüfern in die Augen schaut, lächelt und keine Reaktion erhält, kann schon während des Unterrichts panisch werden und seine Ängste erfüllt sehen. Dabei ist die Sache einfach: Man kann sich darauf verlassen, dass man Fehler macht! Immer! Und das ist auch völlig gut so. Man macht ein Lehrerecho, schreibt zu klein, zu groß, ist zu laut, geht zu viel oder zu wenig in der Klasse herum und so weiter und so fort. Dass dies so ist, wissen die Fachleiter und die guten unter ihnen werden euch am Ende nicht nur aufs Brot schmieren, wo ihr „versagt“ habt, sondern auch, wo eure Stärken lagen. Was von Anfang an wichtig ist: Man sollte seinen Fokus verschieden und sich klar machen, für wen man das Ganze macht. Nicht für die Fachleiter, sondern für die Schüler. Die Prüfer oder Fachleiter oder Mentoren wollen sehen, was ihr für eine Stunde mit den Schülern macht und das am besten – so komisch es klingt – als seien sie gar nicht da. Viele Referendare denken dann, sie müssten eine Stunde machen, in der sie den Beobachter ständig beobachten, was dazu führt, dass das Wichtigste aus dem Fokus fällt: Der Unterricht mit und für die Schüler.
Wer es schafft, die Fachleiter so weit auszublenden, dass er sie gar nicht mehr wahrnimmt, der wird sich im Reflexionsgespräch verbessern können. Denn nur so lassen sich die Dinge feststellen, die wirklich von Belang sind. Lasst euch sagen: Man kann dies erlernen. Bei einer Tagung, an der ich teilnahm, als ich schon verbeamtet war, saßen 15 Menschen in meinem Unterricht. Es stört mich nicht mehr, da ich gelernt habe, den Fokus zu verschieben.
3) Angst vor dem Vergleich
„Bei mir ist alles so gut gelaufen, ich könnte jetzt schon meine Lehrproben ablegen, meint der Fachleiter.“ Solche Sätze kann man vor allem hören, wenn man im Seminarkurz sitzt und gerade versucht, mit den eigenen Erfahrungen klar zu kommen (Es kann natürlich auch anders laufen, mit gegenseitiger Hilfe, Kooperation und Freundschaft, das ist sehr verschieden). Es geht soweit, dass Referendare schier verzweifeln, überhaupt ans Seminar zu gehen, weil sie sich nach einem Tag mit den anderen Referendaren schlicht zu schlecht, fehl am Platze oder einfach nicht gut genug fühlen. Zusammen mit den anderen Gefühlen des Überfordertseins kann dies dazu führen, dass man Angst davor hat, sich überhaupt mit den anderen zu vergleichen.
Tipp: Relativieren
Auch später fällt es Kolleginnen und Kollegen noch schwer, über ihren Schatten zu springen und anzuerkennen, dass jemand ein Talent hat, das man selbst womöglich nicht oder nicht in der Ausprägung hat. Wenn dies jedoch passiert, kann die gegenseitige Anerkennung in wunderbaren Kooperationsprojekten münden, bei denen jeder von den anderen profitieren kann. Als junger Lehrer oder Referendar ist das jedoch zu Beginn schwierig. Oftmals hilft nur die Flucht oder die Erkenntnis, das andere auch nur mit Wasser kochen. Denn: Von was erzählen die meisten wohl am ehesten, von ihrem grandiosen Scheitern oder einem tollen Versuch? Das kann zu der dramatischen Ironie führen, dass alle von ihrem besten Unterricht erzählen und sich gleichzeitig von den anderen unter Druck gesetzt fühlen. Versuche es relativ zu sehen. An dieser Stelle muss ich zugeben: Manchmal hilft es auch, einfach an einen anderen Ort zu gehen. Man muss nicht jede schöne und schreckliche Geschichte hören. Wenn aber, und das kommt auch vor, sowohl mit Stärken als auch mit Schwächen Transparenz und vertrauensvoll umgegangen wird, kann es zu einem schönen Effekt kommen, der ganz und gar wider die Angst ist. Nämlich dem, das man sieht, nicht der einzige zu sein, dem etwas schwer fällt. Aber dafür muss man entweder einen guten Kurs haben oder sich einen Herzensmenschen suchen, mit dem man sich über alles austauschen kann.
4) Angst vor dem Stoff
Im Referendariat müssen viele erkennen, dass sie an der Universität oder der PH alle möglichen Themen gemacht haben, nur nicht die, die an der Schule relevant oder vom Bildungsplan ausgezeichnet sind. Das führt auch immer wieder zur Kritik am System insgesamt, weil bemängelt wird, dass Redundantes gelernt wird, was man sowieso nicht mehr braucht. Das führt dazu, dass einige sich davor fürchten, den „Stoff“ nicht schnell genug zu beherrschen. Da kann ich nur sagen: Gebt es auf! Am Anfang geht es nicht, zu jedem einzelnen Thema, das man unterrichtet, drei Sekundärbücher zu lesen, die einen womöglich auf den neuesten Forschungsstand bringen. Und selbst wenn es so wäre, hat man „Pech“ und einen Siebtklässler vor sich sitzen, der trotzdem mehr aztekische Götter kennt als man selbst. Davor kann man schon Angst bekommen, wenn man nicht einem Denkfehler anheimfallen würde, nämlich 1) man kann durch das universitäre oder Fachschulstudium auch Texte über Themen, die man noch nie behandelt hat, schnell aufnehmen, systematisieren und strukturieren als die Schüler/Innen. 2) Wenn man Experten zu einem Thema in der Klasse hat, ist es das Beste, was einem passieren kann. Folgt man dem Tipp der Transparenz ist es sogar möglich, einem Schüler, die vielleicht in anderen Gebieten nicht so bewandert ist, die Chance zu geben, sich und seine Fähigkeiten zu zeigen.
Tipp: Auf eigene Stärken bauen und Reduzieren
Themen zu reduzieren ist ein Thema für sich und wurde in einem Artikel über die Sachanalyse detailliert besprochen. Es sei aber gesagt, dass es besonders wichtig ist, ein konkretes Ziel zu haben, da dadurch die Stofffülle beschränkt und die Angst vor dem Kontrollverlust vermindert werden kann. Der zweite Punkt scheint so klar, dass man ihn nicht mehr auszusprechen braucht, aber er bleibt wichtig. Wenn man es bis zum Referendariat geschafft hat, hat man schon enorm viel geleistet. Darauf kann man stolz sein und diesen Stolz gegen die Angst richten, nicht zu genügen.
5) Unbestimmte Angst vor dem Ganzen
Menschen mit Depression sprechen oftmals davon, von etwas überfordert zu sein, dass sie nicht definieren oder festhalten können. Die Angst überträgt sich auf alles Mögliche und betrifft alle Bereiche. Auch wenn ich den Teufel nicht an die Wand malen will: Wenn es so sein sollte, dass die Angst völlig diffus ist und sich nicht festmachen lässt, ja, dazu führt, dass man nicht oder sehr schwer arbeiten kann und nicht in die Schule möchte, sollte man sich auf jeden Fall professionelle Hilfe holen. Wichtig ist: Dass dies so ist, muss nicht bedeuten, dass man ungeeignet für den Lehrerberuf ist, sondern kann zunächst Gründe haben, die mit den unterschiedlichsten Lebensumständen zu tun haben. Man sollte sich aber eingestehen, wenn man es alleine nicht mehr schafft.
Tipp: Reden
Es ist ja nicht so, dass Referendare nicht sowieso schon pausenlos über ihren Beruf und ihre Situation sprechen würden. So viel sogar – diese ironische Fußnote sei erlaubt –, dass sie ihre Menschen in die Angst davor treiben, dass sie nur ein Wort weiterreden. Trotzdem kann man gar nicht oft genug wiederholen, wie wichtig es ist, sich über seine Angst oder seine Ängste auszutauschen, vor allem, weil man feststellt, dass man nicht alleine ist oder dass es Menschen gibt, denen es auch so geht oder – noch besser – ging – und die es geschafft haben, die Hürden zu meistern. Meistens ist es sogar so, dass man über Situationen herzhaft lachen und sie so entschärfen kann. Eine gute Medizin.
Und am Ende:
Wie zuvor erwähnt. Angst, Hoffnung und die Realität von Menschen unterscheidet sich von Situation zu Situation. Was gut für den einen ist, muss nicht gut für den anderen sein (Was zum Beispiel für so einen generellen Tipp wie den Sport gilt, der mit Sicherheit für einige ein unerlässliches Mittel ist, Ängste und Stress abzubauen). Ich denke jedoch, dass jeder das Recht hat, in einer für jeden neuen und nicht immer schwierigen Situation ernst genommen zu werden und sich über seine Probleme auszutauschen. Dieser kleine Artikel soll ein Teil dieser Diskussion sein.
Wer noch mehr erfahren möchte, kann das Buch "Das Abc der gelassenen Referendare" käuflich erwerben. Es richtet sich an Lehramststudentinnen und Studenten sowie an Referendarinnen und Referendare, die schon vor oder beim Beginn ein paar hilfreiche Tipps gebrauchen können.
Man kann es hier über Amazon oder auf der Seite des Verlags kaufen.
Habt ihr Anmerkungen oder Ergänzungen? Ich freue mich über Kommentare
[1] Wie so oft in diesem Blog gilt, dass die Erfahrungen nur auf subjektiven Eindrücken beruhen, die ich als Teilnehmer des Freiburger Ausbildungspersonalrats, als Betreuungslehrer für zwei Praktikanten und eine Referendarin gemacht habe. Sie sind weder empirisch noch psychologisch belegt und können selbstverständlich für unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Relevanz haben.