Es gibt zahlreiche Gründe, weshalb Schulen bei der Schulentwicklung und damit auch bei der Digitalisierung nicht weiterkommen. Einer davon sind unwillige Lehrer*innen. Dem muss man sich stellen, weil man das Problem sonst nicht lösen kann. Ein Kommentar.
Disclaimer
Ich habe verschiedene Rollen inne und möchte nicht, dass es zu Missverständnissen kommt. Die Erfahrungen, von denen ich hier berichte, beziehen sich auf meine Arbeit als Referent und als vernetzter Lehrer. Mein eigenes Kollegium spielt in diesen Ausführungen keine Rolle!
Anlass
Am Donnerstag, den 20.05.2022 ist in der ZEIT "Die Position" erschienen, in der ich die These vertrete, dass Entwicklungsprozesse an Schulen auch daran scheitern, dass es unwillige Kolleg*innen gibt. Um dies - im Grunde zu spät - nochmals zu prüfen, habe ich auf Twitter nachgefragt, wie es die Follower sehen.
Zunächst mal kann man also festhalten, dass 50% von 2000 Stimmen dieser zugegeben vagen Aussage zustimmen. Bevor es darum geht, warum das aus meiner Sicht thematisiert werden sollte, schauen wir uns aber an, welche weiteren Gründe für die Stagnation mancher Schulen sorgen können.
Hindernisse
Jeder, der meinen Account oder die Blogbeiträge, die ich schreibe, seit einiger Zeit verfolgt, weiß, dass ich mich über die fehlende Unterstützung der Schulen echauffiere. Und zwar laut und deutlich. Schon in dem Heise-Artikel zur Digitalisierung hatte ich sehr deutlich gemacht, was das Problem ist, wenn gefragt wird, warum Schulen eigentlich nicht durchstarten:
"W-Lan? Kommt drauf an. Aber meist Zufall. Eine Anbindung an Glasfaser? Kommt drauf an, aber eher nicht. Zufall. Systemadministration: Zufall. Didaktische Konzepte: Zufall. Eine Schulleitung, die voran geht: Zufall. Kolleginnen und Kollegen, die mitziehen. Zufall, zumindest dann, wenn basale Rahmenbedingungen nicht gegeben sind."
Mit anderen Worten: Ob es weitergeht an den Schulen, war sehr stark abhängig von bestimmten Voraussetzungen, die zutreffen müssen. Und obwohl sich in vielen Schulen etwas getan hat muss man sagen: Das ist immer noch so! Manch eine Schule, mit der ich in Kontakt bin, bekommt W-Lan erst im Jahre 2024!
Insofern ist es nur logisch, dass viele der 100 Kommentatoren etwa schreiben, dass es doch ganz verständlich sei, wenn man die Lust verliere, wenn man keine Zeit und Ressourcen bekommt. Dass es nicht sein könne, dass immer mehr drauf gelegt wird. Dass die Rahmenbedingungen stimmen müssen. Dass endlich die Ausstattung seitens der Träger in Angriff genommen werden muss. Dass es auch Expertise bei der Instandhaltung brauche!
All dem Stimme ich mit einem dreifachen Halleluja zu!
Nun kommt von meiner Seite das Aber, das Antwort auf die Frage der hochgeschätzten Halbblutlehrerin geben soll, warum das relevant sei, denn unwillige gäbe es in jeder Branche. Das stimmt! Für mich ist es deshalb von Relevanz, weil es ein absolutes Dauerthema ist.
Eine ewige Frage
Um das etwas deutlicher zu machen, ein wenig anekdotische Evidenz. Als ich in in Berlin bei einem Barcamp zum Thema "pädagogischer Tag" eine Session hielt, bei der ich den Zusatz "kritische Kolleg*innen überzeugen" hinzufügte, kamen 50 Menschen. Die Diskussion war fruchtbar und gut, aber es zeigte sich: Jeder, derjenigen, der dabei war, kannte das Problem.
Es geht sogar so weit, dass ich sagen kann, dass die Frage danach "wie man unwillige Kolleg*innen" ins Boot holt, in nahezu jeder einzelnen Fortbildung gestellt wurde, die ich jemals gehalten habe. Sie steht und stand in jedem Chat, ist Thema bei jeder Diskussion nach einer Fortbildung. Es ist der absolute Dauerbrenner! (An dieser Stelle würden mich die Erfahrungen anderer Referenten interessieren. Einer schrieb mir schon, dass dem so sei, er möchte aber, was nicht überraschend ist, lieber anonym bleiben).
Auf Instagram schreiben mich regelmäßig Kolleg*innen an, die regelrecht verzweifelt sind, weil sie gerne machen möchten, aber nicht können, weil sie ausgebremst werden. Erst kürzlich sagte mir jemand (den ich hier natürlich wieder aus Gründen nicht nennen kann), dass ein Schulentwicklungsprozess komplett gescheitert ist.
Nicht, weil es keine Ressourcen gab. Nicht, weil es keine Verantwortlichen gab. Nicht, weil es kein W-Lan gab. Nicht, weil es keine engagierten Kolleg*innen gab.
Sondern weil sich die durchgesetzt haben, die nicht wollten.
Es geht um die Willigen
Aus meiner Sicht zeigt das, dass wir uns mit dem Problem auseinandersetzen können, dass ich in meinem Buch so beschreibe:
"Oftmals sind die Aufgaben sehr ungleich verteilt. Diejenigen, die sich engagieren, laden sich verstärkt welche auf. Und diejenigen, die sich entziehen, werden ausgespart."
Und das ist vor allem deshalb ein Problem, weil es gerade diejenigen betrifft, die wollen. Die machen! Die sich aufopfern! Die versuchen, alles zu schaffen. Und die am Ende nicht mehr können, weil in so manchem Kollegium die Arbeitslast sehr ungleich verteilt ist. Natürlich ist das auch in anderen Berufen möglich. Aber aus meiner Sicht ist es nirgendwo so einfach, sich Entwicklungen zu entziehen wie im Lehrerberuf.
Um diesen Punkt nochmals sehr deutlich zu machen: Ich prangere unwillige Kolleg*innen nicht an, weil es mir so einen Spaß macht, möglicherweise als Netzbeschmutzer zu gelten. Sondern um derer Willen, die Schulen verändern wollen, aber nicht können. Dass dazu grundsätzliche Dinge verändert werden müssen, zum Beispiel bei der gerechteren Verteilung von Lasten, schreibt Dominik Schöneberg in einem lesenswerten Artikel.
Fazit
Das alles so kein pauschales Urteil sein. Ich meine beispielsweise einen sehr starken Unterschied zwischen Berufsschulen und anderen weiterführenden Schulen auszumachen. Erstere erlebe ich als sehr viel pragmatischer. Nach dem Motto: "Die Arbeitswelt ändert sich, also müssen wir auch. Los geht's!" Aber das ist vielleicht auch nur ein positives Vorurteil. Viele werden sich erinnern, wie ich auf ein allzu pauschales Lehrerbashing reagiert habe.
Und zur Wahrheit gehört auch, dass es etliche Schulen gibt, die sich nicht nur auf den Weg gemacht haben, sondern die auch ein großartiges Vorbild dafür sind, was man in gemeinsamer Arbeit schaffen kann. Und ich wiederhole mich, wenn ich sage: Natürlich verstehe ich, dass es zahlreiche Gründe dafür gibt, nicht mehr zu können oder zu wollen, auch und gerade dann, wenn die Situation so ist wie momentan, dass nämlich immer mehr Aufgaben draufkommen, während nichts weggenommen wird.
Aber zur Wahrheit gehört auch, dass Veränderungen dann nicht möglich sind, wenn sich Lehrer*innen diesen Veränderungen versperren und sich damit durchsetzen können. Aus dem, was ich mitbekomme (ich erwähnte es), kann ich nur schließen, dass dies nicht nur Einzelfälle sind.
Gerade bei diesem Thema freue ich mich sehr über Erfahrungen und Ergänzungen, gerne hier oder auf Social-Media.