Während ich mit meinem Kurs über Schlüsse bei Interpretationen sprach, fiel mir auf, dass ich dazu noch nichts explizites auf dem Blog habe. Zwei Videos gibt es, die ich am Schluss verlinken werde, aber an dieser Stelle sollen Beispiele nochmals einige der hier ausgeführten Punkte verdeutlichen.
Zunächst einmal kann man festhalten, dass ein guter Schluss durchaus der "Höhepunkt" einer Interpretation - egal zu welcher Textform sein kann. Allgemein bekannt ist, dass hier die wichtigsten Erkenntnisse nochmals zusammengeführt und bewertet werden. Aber ganz so einfach ist das nicht.
Denn Schlüsse verkommen sehr leicht zu bloßen Wiederholungen, wenig ernstgemeinten Allgemeinplätzen ("Das hat mir sehr gefallen!") oder sehr kurzen Fazits. Das alles geschieht aus dem Unwissen, was genau eigentlich zu tun ist.
Für höhere Klassenstufen würde ich so weit gehen und sagen, dass der Schluss eine Art kurze literarische Erörterung darstellt, die die Funde nochmals bewertet und/ oder problematisiert. Aber auch andere Schwerpunkte sind möglich.
Die Schwerpunkte können unterschiedlich sein. Möglich ist:
Zu den einzelnen Teilen bieten sich einige Erklärungen an, weil sie die Ausführungen möglicherweise abstrakt anhören. So ist auf die ersten Beispiele festzuhalten, dass der Schluss in dem Maße besser wird, wie der Aktualitätsbezug a) authentisch ist (auch wenn er den Text kritisch sieht oder ablehnt) und sich tatsächlich auf ein Analyseergebnis bezieht.
Es geht also weniger um eine allgemeine Aussage wie: "Der Text ist aktuell, weil er eine Beziehung thematisiert. Auch heutzutage sind Beziehungen manchmal problematisch."
Sondern - vielleicht sogar mit Bezug zur Deutungshypothese: "Die Kurzgeschichte greift ein Problem von Beziehungen auf, die nach einigen Jahren feste Kommunikationsstrukturen haben, die dann schwer wieder aufbrechen. Gerade hier zeigt die Kurzgeschichte eine Erkenntnis über..."
Dies ist, wie im zweiten Beispiel explizit gemacht, auch schon eine Art Rückgriff auf die Deutungshypothese, die im Schluss auch nochmals geschärft oder verworfen werden kann.
Wenn es um die Problematisierung einer Textart geht, kann es beispielsweise darauf hinauslaufen, bestimmte Merkmale (z.B. einer Parabel) mit dem vorliegenden Text abzugleichen (das zeigt sich schön bei einem textlichen Zwitter wie "Auf dem Balkon").
Sowohl epochale wie biographische oder anderweitige Verweise am Ende der Interpretation sind mit Vorsicht zu genießen, weil hier mehr passieren muss als eine Art schnelle Einordnung. Wenn die Interpreten aber in der Lage sind, den Text als repräsentativ für eine bestimmte Epoche darzustellen und dies vielleicht noch mit Analyseergebnisse zu untermauern, dann kann dies sehr erkenntnisreich sein.
Für ein besseres Verständnis hier noch einige Beispiele von Schlüssen von diesem Blog. Die gesamten Interpretationen kann man lesen, wenn man auf den Titel klickt.
Insofern muss das letzte Wort der Kurzgeschichte auch keinen Stern im Himmel, sondern die Welt selbst sein. Das, was bleibt, ist die Welt als ferner Planet. Die Welt selbst, mit all ihren Unzulänglichkeiten, verschwindet durch ein liebevolles Einvernehmen zwischen zwei Menschen, die Eintönigkeit nicht hinnehmen wollen. Und hier liegt der tiefe Optimismus der Kurzgeschichte. Der Traum vom „Fliegen“ und „Niemals-Zurückkommen“, wie ihn die beiden jungen Menschen „in die Nacht“ träumen, wäre zu einfach und zu schwer. Zu einfach, weil auch dorthin, wo man weggeht, Menschen und Strukturen sind, denen man sich unterwerfen muss. Zu schwer, weil es eben nicht nur 400 Schritte sind, die man machen kann, um weg zu sein.
Was aber möglich ist „bei so vielen Menschen auf der Welt“ ist das Gemeinsame Aufbrechen, die liebevolle Zweisamkeit, die auch Mut und Anstrengung braucht, die aber auch – auf der Welt – die Welt verschwinden lassen kann. Und so kann man weiterleben in einer Parallelwelt des Aufbruchs.
Schluss bezieht sich auf einen bestimmten Aspekt der Kurzgeschichte, öffnet den Deutungsraum aber auch für eine allgemeinere Auslegung.
Abschließend lässt sich sagen, dass jede Bevölkerungsschicht einer Gesellschaft Eigenverantwortung übernehmen sollte. Katastrophen sind oft unumgänglich, doch unsere Reaktion darauf verleiht uns unsere Menschlichkeit.
Meiner Meinung nach verlieren Katastrophen nicht an Bedeutung, wenn wir sie aus der Ferne betrachten. Katastrophen verlieren nur genau dann an Bedeutung, wenn wir uns dafür entscheiden. Wir haben jeder Zeit die Möglichkeit, uns bewusst dafür zu entscheiden, wie viel Raum wir bestimmten Erlebnissen geben möchten. Dabei sollte auch zwischen dem Verdrängen des Leids und der Entscheidung zu einem positiven Lebensstil differenziert werden. Es kann die Entscheidung getroffen worden sein, Optimist zu sein und den Hedonismus zu präferieren, doch Leid und Elend muss deswegen nicht verdrängt werden. Jedem Menschen kann Leid widerfahren, deswegen sollte man nie überheblich werden.
Schluss bezieht sich auf eine allgemeinere Deutung der Figuren aus der Parabel und dem, was diese repräsentieren. Gleichzeitig geht der Schluss ins appellative und regt zum Nachdenken über die in dem Text eruierte Thematik an.
Obgleich viele der dort entworfenen Aspekte („Mein Schreiben handelt von Dir, ich klagte dort ja nur, was ich an deiner Brust nicht klagen konnte“) auf die Szenerie der Parabel übertragbar sind, muss doch betont werden, dass jede rein biografische Lesart von Kafkas Texten gerade das Merkmal zu bannen versucht, das die Faszinationskraft seiner Erzählungen eigentlich ausmacht: Bei der Lektüre Kafkas gilt es die absurde Vieldeutigkeit seiner Werke zu bewahren, die – wie Theodor W. Adorno treffend anmerkte – „wie eine Krankheit alles Bedeuten bei Kafka angefressen hat.“[5] Es tritt hier ein Grundzug von Kafkas Parabeln zutage, jene Abgründigkeit des Sinns, in der sich die parabolische Bild- und Sachebene im Limes so weit voneinander entfernen, dass die Übersetzung der bizarren Szenerie ins Alltagsleben unausweichlich misslingen muss: „Besitzen wir die Lehre aber, die von Kafkas Gleichnissen begleitet und in den […] Gebärden seiner Tiere erläutert wird? Sie ist nicht da“, wie Walter Benjamin treffend bemerkte.[6] Sie ertrinkt zusammen mit dem Geier in den Blutfluten des Erzählers und lässt uns ohnmächtig zurück.
Diese Ohnmacht muss aber nicht in derselben Resignation enden, wie sie dem Erzähler das Leben kostet. Denn die Vieldeutigkeit ist keine Willkür, sondern eine analytische Überwindung der bloßen Übertragbarkeit, wie sie Parabeln oftmals zu eigen ist. Erst in der genauen Beschreibung des einsamen Zweikampfes zeigt sich der Fehler des Interpreten: Nicht die Paradoxie einer selbstzerstörerischen Handlung muss übersetzt werden, sondern die Frage danach, inwiefern diese eine menschliche Ohnmacht zeigt, die sich im steten Versuch einer eindeutigen Auslegung bis in die Verzweiflung wiederholt.
Der Schluss ist ein Beispiel für einen biographischen und intertextuellen Bezug. Es muss nicht erwähnt werden, dass dieser von einem professionellen Literaturwissenschaftler verfasst worden ist.
Hesse bezieht sich im Steppenwolf explizit auf Goethe und den Faust. Zum einen als Ideal, als Unsterblichen, der es schafft, aus dem Gram des Intellektuellen aufzuerstehen und dem Protagonisten erklärt, dass es den Humor über sich selbst braucht, um sich weiterzuentwickeln. Zum anderen, indem die „Zwei-Seelen-Problematik“ sogar im Traktat direkt angesprochen wird. Harry Haller löst das Problem aber in einer anderen Art und Weise. Während bei Faust die Lust so weit geht, dass er gesellschaftliche Normen sprengt, indem er Gretchen nicht nur schwängert, sondern auch ihren Bruder umbringt, tötet Haller im magischen Theater nur einen Teil von sich selbst. Es bleibt eine abstrakte Handlung, die es erst ermöglicht, dass Haller sich selbst finden kann.
Inwiefern ist ein solcher Widerstreit heute noch relevant? Man könnte sagen, dass sich in ihm die zahlreichen Konflikte des Menschen symbolisch aufgeladen zeigen. Ob diese immer dieselben sind, ist dabei weniger wichtig als die Tatsache, dass es im Leben immer wieder zu einem Widerstreit zwischen verschiedenen Polen kommt, die miteinander verbunden werden müssen, wenn es nicht zum größeren Konflikt kommen soll. Die vergleichende Analyse verdeutlicht, dass diese Konflikte literarische gelöst werden können oder ungelöst bleiben.
Der Schluss hat sowohl intertextuelle Elemente als auch einen Ausblick auf Aspekte, die in der Interpretation eben nicht erfüllt werden konnten.
Die Frage danach, was Heimat ist, wird in diesem Gedicht vor dem Hintergrund des Kontrasts von Gegenstand und erinnerndem Subjekt deutlich gemacht. Heimat erscheint als ein Ort, dessen Zauber nicht gebrochen werden kann, selbst wenn er durch und durch als lebensfeindlich dargestellt ist.
Darin liegt die Aktualität des Gedichts. In einer Zeit, in der die Reise und der Wechsel des Ortes als Axiom für ein gelingendes Leben dargestellt wird, verweist das Gedicht auf die emotionale Bindung zu Räumen, die erst im Rückblick als wertvoll erfahren werden. Solche Räume finden sich oftmals in der Heimat, also dort, wo man die ersten Erfahrungen des Lebens macht.
Das, was wirklich wichtig ist, bleibt für andere vielleicht verschlossen. Für den Menschen, der es kennt, ist es immer etwas Besonderes. Vielleicht könnte man auch so Strumbels Frage beantworten: „What the fuck is heimat?“ Es ist der Ort, auf dem der Jugend Zauber ruht.
Dieser Schluss beinhaltet sowohl den schon angesprochenen Aktualitätsbezug als auch den Verweis auf eine größere Betrachtung des Gedichts. Wenn die gesamte Interpretation gelesen wird, zeigt sich hier zusätzlich die Rückkehr zu Hinleitung und Deutungshypothese.
Man sollte den Schluss lieben. Anders als im Hauptteil, in dem man immer sehr nah am Text bleiben sollte, kann man hier auf der Grundlage seiner Arbeit frei argumentieren und sogar schreibend neue Erkenntnisse entdecken. Der Schluss sollte also nicht als hässliches Anhängsel, sondern als Möglichkeit gesehen werden, nochmals zu zeigen, welche Welten in dem Text schlummern, mit dem man sich so lange befasst hat.