UNTERRICHT: Projektunterricht konkret - Forschungsfragen

Bob Blume
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20. Juni 2020
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Der moderne Projektunterricht gilt als besonders gutes Beispiel dafür, wie zeitgemäßes Lernen initiiert werden kann. Zu Recht. Das Problem an solchen offenen, bzw. agilen Formen stellt oftmals die Struktur bzw. der Rahmen da, denn nimmt man Projektunterricht ernst, fällt eine Steuerung wie im traditionellen, geleiteten Unterricht weg. Eine Lösung für das Verständnis der Lehrpersonen und eine Leitlinie für Schüler*innen bieten die Forschungsfragen von Lisa Rosa, einer Vorreiterin in Sachen digitales Lernen und der "Erfinderin" des "Kulturzugangsgeräts". Ganz im Sinne einer digitalen Gemeinschaftlichkeit hat es mir Lisa erlaubt, ihre Forschungsfragen zu kommentieren und zu kontextualisieren. Das Originaldokument kann man hier herunterladen. 

Zur Struktur

In diesem Beitrag soll es zunächst um das generelle Problem des Projektunterrichts gehen und dann den Ansatz der Forschungsfragen als Lösung skizzieren. Im dritten Teil werden dann die Forschungsfragen von Lisa Rosa als Text in den Beitrag eingebunden und vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen in Mittel- und Oberstufe kommentiert.

Probleme des Projektunterrichts

In Bezug auf das, was Projektunterricht genannt wird, gibt es bezüglich der Umsetzung zahlreiche Probleme, die hier kurz skizziert werden sollen.

a) "Projektunterricht oder echtes Lernen"

Projektunterricht wird oft im Rahmen von "Projekttagen" oder "Projektwochen" durchgeführt. Dass für Projekte Raum gegeben wird, ist per se nicht schlimm, aber es führt dazu, dass man in Gesprächen oft hört, dass der Projektunterricht nicht ernst genommen wird. Es wird also eine sehr destruktive Unterscheidung zwischen Projektunterricht und "echtem" Lernen gemacht, in dem der "Stoff" gelernt wird. Mit einem solchen Verständnis nützt der Projektunterricht nicht nur nichts, sondern hebelt sein Anliegen von vorne herein aus: Selbständiges Arbeiten in der Gruppe zu selbst gewählten Themen zu initiieren, die durchaus in Bereiche integriert werden können, die auch traditionell im Unterricht eine Rolle spielen.

b) "Projektunterricht als One-Man-Show"

Ein weiteres Problem des Projektunterrichts bezieht sich auf das, was viele mit Gruppenarbeiten assoziieren: Einer macht, die anderen gucken. Das kann zwar auch an den Teilnehmerinnen liegen und es liegt mit Sicherheit auch an den Themen - die wichtigste Säule von Projekten sind aber das, was man Leitplanken für die Arbeit nennen könnte. Die Frage ist: Wie schafft man es möglichst hohe Freiheit zu schaffen und dennoch möglichst viel Hilfe zu leisten?

c) "Das Paradox der freiheitlichen Arbeit"

Projekte können einen paradoxen Effekt haben - zumindest wenn man nicht daran denkt, wie man Kategorien für die freie und selbstständige Arbeit zur Verfügung stellt. Diesen könnte man so umschreiben, dass eine "zu große" Freiheit zur Willkür führen kann (die dann wiederum den Effekt hat, dass Lehrerinnen und Lehrer die Ergebnisse unzulänglich finden). Ein zu enger Rahmen wiederum führt den Projektcharakter ad absurdum, denn es nützt nichts, dass ein Projekt selbstständiges Arbeiten auf der Fahne hat, wenn es letztlich nur darum geht, vorgegebene Einzelschritte abzuarbeiten.

Die Lösung der Probleme mittels Forschungsfragen

Bevor die Forschungsfragen abgebildet und erläutert werden, zunächst die Kernthese, wie sie auch auf Lisa Rosas Dokument zu finden ist

Das Problem beim Lernen sind die Fragen. Mit den Fragen beginnt das Verstehen.

Und Fragen kann man nicht vermitteln, man kann sie weder lehren noch lernen.

Fragen kann man sich, genau genommen, nicht einmal stellen; sie stellen sich ein.

Erst wenn sich einem eine Frage wirklich stellt, versteht man sie.“ 

(Peter Gallin, Urs Ruf, Dialogisches Lernen in Sprache und Mathematik, Seelze 1999, S. 37)

Es leuchtet auf Anhieb ein, warum eigene Fragen in traditionellen Setting eine so kleine Rolle spielen: Solange der "Stoff" vorgegeben ist, solange die Inhalte in gleicher Klasse, Geschwindigkeit, dem gleichen Ort und der gleichen Zeit erarbeitet werden müssen, können Fragen allenfalls ein "Abfallprodukt" des Lernens sein.

Kleiner Exkurs zu Fragen

Nur falls hier der große Aufschrei kommen würde: Natürlich gibt es sie, die "echten" Fragen, wenn wir damit Schüleräußerungen meinen, die authentisch wissen wollen, wieso etwas so ist wie es ist. Der obige Hinweis verweist aber darauf, was die Konsequenz solcher Fragen oftmals ist. Sie werden entweder beantwortet (und damit wird suggeriert, dass es sich damit hat) oder jemand wird im besten Fall aufgefordert, dazu ein Referat zu machen. So oder so würden die Schüler aber beim wichtigsten Abschnitt der Erarbeitung alleine gelassen - beim Prozess der Aneignung. Das ist übrigens sogar bei ganz normaler Recherche der Fall, bei der angenommen wird, dass die Schüler*innen diese schon irgendwie wie durch Magie erlernen würden. Das ist eben nicht der Fall.

Unterrichtssetting zu den Forschungsfragen

Aus den Überlegungen von Lisa Rosa ergibt sich eigentlich eine größtmögliche Offenheit. An dieser Stelle möchte ich aber auf ein Projekt hinweisen, bei dem zumindest der Rahmen gegeben war: Filmanalyse. Will sagen: Die thematische Leitlinie (wie sie für das Fach Deutsch auch im Bildungsplan zu finden ist) war bei diesem Projekt gegeben. Der Unterschied ist nun, dass es kein nach Progression gesteuerter Unterricht war, bei dem die Lehrperson jeden Schritt geplant hätte, sondern dass der Unterricht eben an den Forschungsfragen orientiert war.

Der Impuls war also, dass die Schüler*innen eine Frage finden, die sie beantworten wollen. Und können, denn hier stellen die Forschungsfragen die Schüler*innen (weil sie es eben so wenig lernen) vor große Herausforderungen.

Basiswissen und Gegenstand

Sofern ich mich richtig an ein Gespräch zwischen Lisa und mir erinnere, hatten wir bei einem grundlegenden Punkt eine Meinungsverschiedenheit (bitte korrigieren, falls falsch erinnert): Während ich davon ausging, dass eine Art Basiswissen vorhanden sein muss, äußerte Lisa, dass dieses während des Projekts erarbeitet werden würde.

Meiner Meinung nach braucht es zu jeder Form von Projekt eine Art Besprechung dessen, was überhaupt der Gegenstand sein kann, beim Beispiel Film also: Welche Aspekte des Films kann man überhaupt anschauen? Welche Fragen kann man dazu stellen?

Ein Beispiel für eine Forschungsfrage, die nicht funktioniert hat, war diese interessante Frage: Wie hat sich die Darstellungsweise der Filme zwischen 1960 und 2020 geändert. Natürlich könnte man dies überprüfen, der Rahmen ist aber so groß, dass es eher um drei Doktorarbeiten geht. Der springende Punkt ist aber: Hier wird die Lehrperson zum Lernbegleiter. Denn die Rückmeldungen darüber, was geht, was schwierig ist und wo die Schüler*innen weiter machen können, lassen die Lehrperson eben nicht redundant werden.

Was bei dem Projekt rausgekommen ist, kann man hier schauen. 

Die Forschungsfragen

Wie bereits erwähnt, kann man die Forschungsfragen hier herunterladen. Sie werden an dieser Stelle in einigen Teilen vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die ich mittlerweile mit ihnen gemacht habe, kommentiert

Zur Unterteilung in Forschungsfragen und Arbeitsvorhaben

Zunächst eine Anmerkung zu der Unterscheidung, die Lisa hier vorgenommen hat. Es geht nicht nur um die Frage, die man selbst und die Gruppe entwickelt. Sondern auch darum, einen Gegenstand zu finden, anhand dem man die Frage beantworten kann. Insofern ist das Beispiel der Filmanalyse eben eigentlich eine Begrenzung: Denn zumindest der Rahmen für den Gegenstand ist in diesem Fall gesetzt. Auf der anderen Seite ist dennoch Offenheit vorhanden, sofern eine Frage gefunden wird, deren Gegenstand ein Teilbereich des Hauptgegenstands ist (Also aus dem Bauch heraus: Welche Rolle spielt die Belichtung in Actionfilmen).

Nun aber zu den Fragen:

Wie kommt man zu einer Forschungsfrage?

  • Die FF soll eine eigene Frage sein. Eine, die man wirklich beantworten will. Sie muss für einen selbst wichtig, vielleicht sogar aufregend sein!

Anmerkung: Schon hier haben viele Schüler*innen deshalb Schwierigkeiten, weil sie es nicht gewöhnt sind, eigene Fragen zu stellen. Meines Erachtens ist dies auch der Kern dafür, dass mittels der Forschungsfragen und dem darauf basierenden Projektunterricht eine Veränderung der Unterrichtskultur einhergehen kann. Das, was normalerweise erst nach der Schule gemacht wird, wird angebahnt: Fragen zu beantworten, die für einen relevant und bedeutsam sind.

  • Die FF soll so formuliert sein, dass sie nicht trivial – also mit ja/nein oder mit einer schnellen Daten-Angabe – zu beantworten ist.
  • Die FF soll so weit sein, dass Spielraum für verschiedene Antwortarten / Methoden gegeben ist.
  • Die FF soll so eng sein, dass man sie in vernünftiger Zeit und mit erreichbarem Material bearbeiten kann.

Anmerkung: An der soll-Formulierung zeigt sich, dass Offenheit eben nicht mit Willkür zu verwechseln ist. Diese Anforderungen sind eben jene Leitgedanken, die oben als grundlegend wichtig für gelungene Projekte definiert worden sind. Das ist obligatorisch, denn die Frage: Ist der Film gut gelungen? kann kein Projekt nach sich ziehen. Auch die Begrenzung der Frage stellt die Schüler*innen vor eine besondere Herausforderung. Das ist nicht verwunderlich, denke man an die Schwierigkeit, Hausarbeiten so zu gestalten, dass sie dem Format entsprechen (auch kein Wunder also, dass die Formulierung "(...) würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen" so häufig ist).

Ein kleiner praktischer Hinweis: Alleine diese drei Fragen können in einer Gruppe, die zunächst offen diskutiert und ihre Themen aushandelt, zwei Stunden einnehmen. Zwei Stunden, die sehr sehr lehrreich sind (ganz ohne das Diktat von Stoff und Inhalt).

  • Die FF kann eine ganz offene Frage sein.
  • Die FF kann eine Vermutung (Hypothese) sein, die man mit dem Arbeitsvorhaben klären (erhärten oder verwerfen) möchte.
  • Die FF kann nach Ursachen fragen („Warum ist …“).
  • Die FF kann nach Fakten und ihren Zusammenhängen fragen („Wie ist das Verhältnis …“).
  • Die FF kann nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten fragen.
  • Die FF kann nach Geltungsgrenzen fragen („Inwiefern ist … und inwiefern ist nicht …“).

Anmerkung: Die kann-Formulierungen sprechen für sich. Sie sind als Alternativen zu sehen. Ein wichtiger Hinweis ist aber sicherlich, dass man die drei Punkte am Ende ernst nehmen sollte. Sie verweisen nochmals besonders auf Bildung als produktive Verwicklung. Sie geben den Schüler*innen Raum für weitere Möglichkeiten, die eben nicht schon vorgegeben sind.

Eine Anmerkung zu digitaler Technik

Dem einen oder anderen mag auffallen, dass es bei diesen Forschungsprojekten nicht um digitale Technik geht. Dennoch würde ich sagen, dass diese Art von Projektunterricht in hohem Maße mit der Kultur der Digitalität verbunden ist. Dies insofern, als dass eben bei den entscheidenden Fragen des methodischen Vorgehens und der Zusammenarbeit digitale Technik und Techniken eine Rolle spielen. Aber quasi erst danach und/ oder dabei. Es geht also nicht darum, wie man digitale Technik in den Unterricht einbringt, sondern darum, wie man das Projekt am besten managen und weiterführen kann.

Die Antwort kann eben digitale Technik sein. Näheres dazu wird unter dem nächsten Punkt ausgeführt.

Wie findet man ein Arbeitsvorhaben, um die Forschungsfrage zu untersuchen?

  • Das Arbeitsvorhaben muss zur Forschungsfrage passen.

Anmerkung: Was vielleicht trivial anmutet, ist es ganz und gar nicht. Schüler*innen sind es gewohnt, dass sie das Arbeitsvorhaben bzw. den Gegenstand vorgesetzt bekommen. Dass sie es oder ihn selbst finden müssen, ist zunächst eine Neuheit, die eine große Herausforderung darstellt.

  • Das AV braucht Material, eine Methode, Arbeitsmittel, Medien und Instrumente.

Anmerkung: Hier sind wir bei den digitalen Medien. Aber natürlich auch bei anderen Möglichkeiten. Für alles, was hier steht, gilt natürlich: Ein bereits vorhandenes Repertoire vereinfacht das Vorgehen enorm. Gerade deshalb sollte es in der Schule so relevant sein, dass die Methoden immer wieder reflektiert werden, damit den Schüler*innen bewusst wird, dass es sich im Kompetenzen handelt, die abgerufen werden können.

  • Das AV muss mit gegebenen oder erreichbaren Mitteln, Medien, Methoden, Instrumenten auszuführen sein. Aber Vorsicht: Manche Dinge, die nicht sofort in unmittelbarer Reichweite scheinen, kann man sich verschaffen mit etwas kreativer Fantasie (z.B. von einem Bekannten leihen, oder durch eine Eigenkonstruktion ersetzen …) – also nicht gleich gute Ideen verwerfen.
  • Material kann man sammeln (fertige Quellen und Dokumente vor Ort oder im Internet) oder selbst herstellen (z.B. ein Interview mit vielen Menschen oder mit einem Experten durchführen).
  • Material muss mit passenden Methoden bearbeitet werden, z.B. einen Text dekonstruieren („Was hat wer, wann, wie und unter welchen Bedingungen gesagt?“) oder Interviewfragen aufstellen und ein Audio- Interview zu einem Podcast schneiden oder transkribieren und zu einem Text kürzen …
  • Das ausgewählte oder hergestellte Material muss ausgewertet werden.

Anmerkung: Dies ist wichtig. Es geht nicht um die Akkumulation von Informationen, wie man sie häufig in Referaten vorfindet. Kein Wikipedia-Karaoke also, sondern eine Bearbeitung im Sinne der Forschungsfrage, übrigens auch im Hinblick darauf festzustellen, dass etwas nicht nützlich ist.

  • „Wie antwortet das Material auf meine Frage? Was ist offengeblieben?"

Anmerkung: Auch dieser Punkt ist alles andere als einfach. Denn herauszufinden, was man nicht herausgefunden hat, kann einen enormen Zuwachs an Orientierung bedeuten.

Fazit

Die hier vorgestellten Forschungsfragen sind die Grundlage für eine gelungene Projektarbeit, wie sie in der Kultur der Digitalität ausgeführt werden kann. Gleichzeitig sollen die Anmerkungen zeigen, dass es nicht um eine Offenheit geht, die in Willkür mündet, sondern um einen Initiationsprozess zu einer produktiven Verwicklung mit dem Thema.

Über Rückfragen, Kommentare und Anregungen freue ich mich.

Und so schnell geht es: Jan-Martin Klinge hat die Forschungsfragen in einem ganz anderen Kontext genutzt. Seinen lesenswerten Beitrag findet man hier.

Nachtrag

Lisa Rosa hat in einigen Tweets darauf hingewiesen, dass es Ungenauigkeiten gibt. Bevor ich dazu komme, diese einzuarbeiten, mache ich hier die Tweets sichtbar. Danke an dieser Stelle für die kritische Betrachtung.

 

 

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