Danke für die treffenden Worte und Gedanken.
Es gibt momentan wohl keine öffentliche Diskussion, die mit solcher Härte geführt wird, wie jene zu der Frage, ob die Schulen wieder öffnen sollten. Auf der Grundlage politischer Versäumnisse wird diese Debatte zu den falschen Fragen und Annahmen geführt. Und wird deshalb zunehmend wütender. Ein Kommentar[1].
Zunächst mal zu dem Grundproblem, das alles Weitere – ja, mittlerweile kann man sagen – vergiftet. „Bist du für oder gegen Schulschließungen?“ Und in der Tat: Als ich ein heutiges (Stand 07.02.2021, um 17 Uhr auf Instagram) Gespräch ankündigte, verkürzte ich die Frage auch auf eine ähnliche Frage: „Sollten die Schulen wieder öffnen?“ Die leichte Veränderung der Fragestellung ist dabei allerdings relevant.
Die erste Frage ist nämlich Unfug. Ich mutmaße, dass JEDER FÜR Schulöffnungen ist. Der Unterschied ist der Nachsatz, verkürzt: "...wenn die pandemische Lage dies ohne größere Gefahr erlaubt." Über die Frage nach den Schwierigkeiten, die es dennoch gibt, kann und muss gestritten werden. Was ist mit den in den Medien quasi überhaupt nicht vorkommenden Förder- und Sonderschulen? Ist es gut oder schlecht, wenn diese öffnen können? Wie sehen überregional verbindliche Hygienekonzepte aus? Wie kann man Menschen und Jugendliche unterstützen, für die Schule ein Schutzraum ist? Für die die Schulschließungen Gefahren bedeuten? Die von häuslicher Gewalt betroffen sind? So argumentierte im Übrigen auch der Sonderpädagoge Menno Baumann, die die #NoCovid-Strategie unterstützt, im Deutschlandfunk:
Natürlich müsse für eine gute Infrastruktur für Digitalunterricht, guten Support für Schüler*innen und Eltern gesorgt werden. Das sei über den Sommer und Herbst versäumt worden.
Alles richtige, alles relevante Fragen. Vor allem deshalb, weil sie Handlungen forcieren! Die Frage danach, ob jemand für oder gegen Schulschließung ist, fordert keine Handlung. Im schlimmsten Fall führt sie einfach zu einer Verhärtung.
So ist es wohl leider auch kein Wunder, dass ich nach der Gesprächsankündigung mit einem Befürworter der Öffnungen – einem Deutschkollegen – merkwürdig scharfe Nachrichten in meinem Postfach vorfinde. Ich sei ein schlechter Pädagoge, mir seien die Kinder egal, und überhaupt, wer FÜR Schulschließungen sei, der habe seinen Job verfehlt.
Mal ganz davon abgesehen, dass sich solche Angriffe im ersten Satz nicht gerade als eine Gesprächsgrundlage eignen – und das in einer Zeit, in der wir solche Gespräche dringend brauchen – zeigt sich hier, wohin die falsche Frage führt. Jemandem (wie mir), so die Implikation, der Schulschließungen fordert, sind jene Probleme egal, die Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene haben, wenn sie zu Hause bleiben müssen. Und genau das ist falsch!
Und hier kommt aus meiner Sicht ein massives Versagen der Politik ins Spiel. Winfried Kretschmann hat unlängst zugegeben, dass der „Lockdown light“ im November eine Fehlentscheidung war. Dass Politiker*innen in einer solchen Situation Fehler machen, ist menschlich und es ist nichts, das überraschend wäre. Nein, das Versäumnis ist nicht, dass innerhalb einer Entscheidung Fehler gemacht wurden und aus diesen nicht gelernt wurde. In einem Kommentar zu einem Spiegel-Online-Artikel schrieb ich vor ein paar Monaten:
Wenn man keinen Plan B hat, ist der Plan A alternativlos.
Konkret: Obwohl man natürlich sagen muss, dass mittlerweile sehr viele Schulen den digitalen Fernunterricht verbessert haben (und dies übrigens was Konzeptarbeit angeht meist trotz, nicht wegen politischer Rahmenbedingungen), hat das chronische Beharren darauf, dass die Präsenz das wichtigste Gut sei, dazu geführt, dass dennoch nicht genug investiert wurde: An Zeit, an Geld, an Überzeugungsarbeit, an Fortbildungen...
Nochmal: Es geht nicht darum, dass all diese Aspekte nicht in vielen Schulen Berücksichtigung fänden. Es geht darum, dass der fehlende Fokus, dass fehlende Engagement für Alternativlösungen dafür gesorgt hat, dass überhaupt das Argument gebracht werden kann, dass der digitale Fernunterricht nichts bringe (was übrigens auch oftmals eine Mutmaßung derjenigen ist, die nicht nah genug am Geschehen sind).
Und auf der Grundlage dieser Versäumnisse finden die Kämpfe, wie praktisch, nun auf der unteren Ebene statt. Da mutmaßt der junge CDU-Nachwuchs, das Lehrern auch mal was „abverlangt“ werden dürfte, während andere Lehrer*innen darüber sprechen, sich präventiv krank zu melden, bevor sie zusammenbrechen.
Und natürlich gibt es Lehrer*innen, die allen Engagierten einen Bärendienst leisten, indem sie in der Tat abtauchen. Eine absolute Frechheit für alle, die jeden Tag ihr Bestes tun. Der Unterschied liegt allerdings vor allem in der medialen Aufmerksamkeit: Jeder Lehrer und jede Lehrerin, die lustlos eine PDF in ein Lernmanagement-System gerotzt hat, hat ja quasi einen WELT-Artikel sicher. All die anderen nicht. Außer man will zeigen, dass es irgendeine Elite an nerdigen Tech-Lehrer*innen gibt, die sowieso viel geiler sind als alle anderen. So geframed kann man alle paar Monate natürlich dennoch auch „die andere Seite zeigen.“
Und während diese Grabenkämpfe laufen, wird Zeit verspielt, um Lösungsansätze zu diskutieren. Es ist doch überall gleich, nicht? Wieso wird nicht über eine nationale Kraftanstrengung nachgedacht, in der man darüber nachdenkt, welche Inhalte auch gekürzt werden könnten? Lesen, Schreiben und Rechnen – die Grundlagen also, kann man nicht kürzen. Aber wenn meine 7.Klasse die Fabel in der 8.Klasse kennengelernt hätte, wären sie sicherlich keine schlechten Menschen. Mathe baut aufeinander auf? Klar, aber was an der einjährigen Verkürzung zu G8 hat nicht sowieso dafür gesorgt, dass die ohnehin willkürlichen Inhalte angeglichen werden mussten (oder eben nicht, nur dass ich damals wenige Bildungspolitiker gehört habe, die von den verlorenen Bildungsbiographien schwadronierten. Gut für die Schülernachhilfen dieser Republik).
Wieso wird nicht mit den Universitäten gesprochen, die doch sowieso schon Kurse über einen oder mehrere Semester anbieten, in denen Grundlagen wiederholt werden? Das Problem betrifft alle! Wäre es so schwierig für sehr schlaue Leute sich daran zu machen, Lösungen zu finden?
Wenn all dies nicht im Hintergrund läuft, muss man jetzt schon sagen: Selbst nach den Versäumnissen der letzten Monate, nach der kollektiven Überforderung des ersten Lockdowns scheint kein Lerneffekt eingetreten zu sein.
Und deshalb sprechen wir lieber über Fragen, die keiner beantworten kann: Ist eine potenziell tödliche Pandemie schlimmer als eine potenziell tödliche Depression? Wer soll denn solche Fragen beantworten? Aus meiner Sicht wären es einige fundamentale Punkte, die nun beschlossen werden müssten, damit nicht länger über die falschen Fragen diskutiert wird:
Es reicht nicht abzuwarten, zu hoffen und anzugleichen, sobald eine neue Mutante ins Gespräch kommt. Und diese kommt. Obwohl einige Politiker*innen und Zeitungsredakteur*innen immer noch Meinungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen verwechseln, dürfte klar sein, dass die aufkommende Mutante ein ernstzunehmendes Problem darstellen wird, sobald egal was öffnet, bei dem viele Menschen auf einem Haufen anzutreffen sind.
In England waren die Schulen verantwortlich für rieseigen Ausbruch der B117-Mutante, und zwar nicht, weil sie (fälschlicherweise, wie in letzten NDR-Podcast zu hören ist) „Treiber der Pandemie“ waren, sondern einfach, weil es dem Virus und auch seiner nun noch infektiöseren Mutante völlig egal ist, wer als Überträger in Frage kommt.
„Bist du für oder gegen Schulöffnungen?“ Ich bin für Schulöffnungen. Und zwar ab dem Zeitpunkt, ab dem die Schulen ohne Gefahr für Leib und Leben geöffnet werden können. Bis dahin bin ich dafür, über Lösungen zu sprechen, wie Bildung in dieser Zeit gewährleistet werden kann, ohne einem Prüfungsfetisch anzuhängen, ohne schwarz-weiße Strohmann-Diskussionen zu führen und ohne den jeweiligen Diskussionspartner*innen vorzuwerfen, er oder sie würden die Leben der Schüler*innen egal sein.
Es ist, wieder mal, Zeit, über diese Lösungen zu sprechen.
[1] Ich habe mich entschlossen, in diesem Kommentar keine Fußnoten und auch nur wenige Links zu setzen. Alle hier angegebenen Fakten können aber sehr einfach gegoogelt werden.
Danke für die treffenden Worte und Gedanken.
Danke dir für die Rückmeldung!
Hallo Bob - Du schreibst: (1) "---das chronische Beharren darauf, dass die Präsenz das wichtigste Gut sei, dazu geführt, dass dennoch nicht genug investiert wurde: An Zeit, an Geld, an Überzeugungsarbeit, an Fortbildungen..."
(2) "Abwarten, hoffen, angleichen"
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Der harte Kern, aus dem Beides erwächst, ist die Budgetverteilung in den Landesregierungen - Dir bestimmt schmerzhaft klar. Ich bennene es nur, weil das Zitat (1) ja genau so auch für den Präsenzbetrieb unter Pandemiebedingungen gilt = Zitat (2).
Die Hoffnung der Abwarter war und ist - die Impfung wird es richten, und ENDE. Die Hoffnung der engagierten Schulpäd., Soz.A und SozPäd. samt den Kolleg*innen in Versorgung und Haustechnik war: MEHRAUFWAND finanzieren - für eine pandemiefeste Schule (=Geglliedertes Branchenkonzept) samt Schülertransport UND Distanz-Unterricht zuhause oder IN der Schule.
Die Falschfragen lenken nur ab davon, dass selbst für eine befristete Dauer des Pandemie-Status die erforderlichen Mehrausgaben für ALLE Schulen derart hohe Summen ergeben, dass sämtliche andere Budget-Abhängigen anteilig Verzicht üben müssten....Und dies mit der größtmöglichen Angst, die Nothilfe würde unversehens zum Dauerzustand werden!
Deine genannten Punkte ergänze ich um den Forschungsbedarf zum Konzept >Pandemiefeste Schule< - und sehe für deren (nennenswerte) Umsetzung einen Zeithorizont von mindestens 5 Jahren, dazu harte politische Arbeit auf allen Ebenen.
Die Punkte sollten in ein Gesamtkonzept eingehen, das allen Parteien als Prüfstein vorgelegt wird, die (noch dieses Jahr) im Landtagswahlkampf mitmischen - und auch denen, die vor Kommunalwahlen stehen.
Ich habe einen solchen Entwurf zur Begleitung von Kindern und Jugendlichen in Familie und familienergänzenden EInrichtungen unter Pandemiebedingungen formuliert. Deine Punkte sind eingearbeitet. Bei Interesse bitte anfragen per eMail didih432@gmail.com