Seitdem die politischen Entscheidungen im Bildungsbereich immer weniger nachvollziehbar geworden sind, versuche ich über den Blog und meine Social-Media-Kanäle jenen Problemen, Herausforderungen und Zustandsbeschreibungen Reichweite zu geben. Insofern war es für mich klar, dass ich der Bitte von Referendar*innen, die mich angeschrieben haben, nachkomme, ihre Sicht auf das Referendariat öffentlich zu machen. Die Schreiber*innen möchten anonym bleiben.
Die Vergessenen
Als wir das Referendariat angefangen haben, wussten wir bereits, dass das nicht einfach wird, denn nicht umsonst heißt es immer, dass diese Zeit die schlimmste des Berufslebens sei. Aber auf das, was uns erwarten sollte, waren wir nicht vorbereitet und es hat unsere schlimmsten Erwartungen um ein Vielfaches übertroffen. Zwischen Lehrerbashing und der Realität, dass die meisten nicht mehr wissen, wie sie den Belastungen und dem gestiegenen Arbeitspensum noch Herr werden sollen, vergisst man leider gerne, dass junge, angehende Lehrkräfte, die eigentlich noch motiviert waren, nicht weniger unter der ganzen Situation ächzen, aber von allen Seiten vergessen werden.
Wie alles begann… die Verlängerung
Als die Schulen im März das erste Mal geschlossen wurden, haben die meisten von uns gerade mal angefangen, überhaupt zu unterrichten. Lange war nicht klar, wann wir wieder an die Schule zurückkehren könnten, um praktische Erfahrung zu sammeln. Und damit entstand auch schon das erste Problem: die Entscheidung darüber, ob wir aufgrund der mangelnden Praxiserfahrung in die Verlängerung gehen wollten, wurde uns übertragen, obwohl diese normalerweise von Fachleitern nach mehreren Besuchen (natürlich nicht nur aufgrund ihrer eigenen Präferenzen) getroffen wird. Nun könnte man meinen, dass dies ein Vorteil sei und wir somit alle durchgewunken wurden, aber auf welcher Grundlage sollten wir das denn entscheiden? Denn zu diesem Zeitpunkt dachten wir noch, dass wir am Ende der Ausbildung in normalen Lehrproben geprüft werden… und sind wir doch mal ehrlich: schon damals war klar, dass auf die Umstände bei der Bewertung sicherlich keinerlei Rücksicht genommen wird. Viele haben sich daher um ein Feedback seitens der Schule oder des Seminars bemüht, um diese Entscheidung treffen zu können. Bei dem Versuch ist es jedoch geblieben, denn die Antworten waren nur oberflächlich und nichtssagend. Es ging allen Beteiligten dank den Vorgaben des KM nur darum, sich rechtlich nicht angreifbar zu machen, anstatt uns wirklich zu helfen und ihrer beratenden Funktion nachzukommen.
Apropos Beratung: die Unterrichtsbesuche
Vorab: natürlich sind wir auch der Meinung, dass die beratenden Unterrichtsbesuche wichtig und sinnvoll sind. Wie sinnvoll diese aber in einer Pandemiesituation mit stetig steigenden Fallzahlen und Abstandsgebot, das dann nicht mehr eingehalten werden konnte, sind, bleibt fraglich. Auch hier wurde keine Sekunde über Alternativen oder digitale Lösungen, wie das Streamen aus dem Klassenzimmer, nachgedacht und an starren Konzepten festgehalten, was nicht nur Schüler, Kollegen sowie die Fachleiter selbst gefährdet hat, sondern auch eine unnötige zusätzliche Belastung für alle Beteiligten in einer sowieso schon unvorhersehbaren Zeit dargestellt hat. Wir können nicht auf jahrelange Erfahrung zurückgreifen und jonglierten zwischen Material für Schüler in Quarantäne, geteilten Klassen, Präsenzunterricht, den Seminarveranstaltungen. Dazu dann noch die Unterrichtsbesuche unter Pandemiebedingungen, bei denen wir aber perfekte Lehrprobenstunden nach Vorgaben, die aufgrund der Hygienevorschriften nicht einzuhalten waren, zeigen sollten. Selbst in Situationen, in denen eine mögliche Infektion von Fachleitern im Raum stand, weshalb Schulen den Zutritt ohne negativen Test nicht erlauben wollten, echauffierten sich die Seminare nur über vereinzelte Zutrittsverweigerungen. Wir lassen das jetzt einfach mal so stehen.
Der Gipfel des Wahnsinns: Die Dokumentation
Man möchte meinen, dass das KM sich wenigstens in sieben Monaten überlegen hätte können, wie alternative Prüfungsformate für uns aussehen könnten. Und zu unserer Überraschung haben sie das auch. Das Konzept lässt sich mit einem Wort beschreiben: Flexibilität. Allerdings nur unsererseits. Besagtes Konzept bestand nämlich darin, dass wir drei verschiedene Dokumentation planen sollten, die je nach Pandemielage durchgeführt werden können: online, in geteilten Klassen oder präsent. Spoiler: Das Konzept geht nicht auf. Völlig unvorhersehbar stehen wir nun vor einigen Problemen. Denn sowohl das Problem, dass Teile der Klassen, ganze Klassen oder wir selbst in Quarantäne mussten, macht eine vernünftige wissenschaftliche Arbeit unmöglich. Man werde dies „mit Augenmaß betrachten“, was übersetzt bedeutet, dass „das eben Pech ist“ und keinerlei Berücksichtigung finden wird. Da uns das KM aber natürlich entgegenkommen wollte, um sich gegen eventuelle Klagen abzusichern, hat man sich dann überlegt, dass man uns nicht nur die Möglichkeit bietet, die Doku auf sechs Stunden zu beschränken, in denen man natürlich super viel Kompetenzentwicklung und höchst innovative Konzepte zeigen kann, nein, in absoluten Ausnahmefällen, von denen uns bis heute keine bekannt sind, konnten wir die Doku nun sogar theoretisch schreiben. Und ein weiteres Geschenk wurde uns sogar passend zu Weihnachten auch noch gemacht: Die Abgabefrist wurde um zwei Tage, ZWEI TAGE, verlängert. Da stellt sich uns nun eine Frage: Wieso konnte niemand die Entscheidung treffen, dass die Doku von allen nur theoretisch durchzuführen und damit die tatsächlich so forcierte Chancengleichheit – das Argument für alles - zu schaffen? Ihr denkt, damit wäre der Gipfel schon erreicht? Oh nein. Aufgrund des neuen Lockdowns weiß jetzt leider keiner, wie wir die Dokumentation drucken und binden lassen sollen, Copyshops sind schließlich geschlossen. Aber die Seminare haben eine super Lösung für uns parat: Wir dürfen die Doku nun PRIVAT drucken und an unserer Schule als Ringbuch binden. Wer kennt sie nicht, die Schulen an denen man zwar kein W-Lan oder technische Ausstattung hat, aber natürlich die Möglichkeit, Ringbücher zu binden. Digital Einreichen? No way. Fairerweise müssen wir hier aber sagen, dass der Entscheidungsprozess noch weiter im Gange ist, denn es ist doch wie immer noch genug Zeit. Abgabe ist schließlich erst Anfang Januar. Das ist eben das Konzept: wir sind flexibel, alle anderen nicht.
Kommunikation is key – nur nicht im Bildungswesen
Die Kommunikation mit dem Seminar und den zuständigen Stellen des KM ist, sagen wir es diplomatisch, ausbaufähig. Wenn ihr eine Frage habt - kleiner Tipp von uns an alle weiteren Jahrgänge – nicht an das Seminar schreiben. Ihr werdet dann namentlich in allen weitere E-Mails, die an den gesamten Jahrgang gehen, erwähnt, damit auch jedem deutlich wird, wie unnötig eure Frage war. Wenn ihr beispielsweise nachfragen wollt, wie es mit eurer Zusatzausbildung weitergeht, dürft ihr nicht auf Verständnis oder Hilfe hoffen, sondern müsst euch mit einem „Das ist dann halt Pech“ zufrieden geben. Immerhin haben wir aber schon zwei Monate vorher erfahren, dass unsere Prüfungslehrproben im Präsentationsformat stattfinden. Wie das aber aufgrund der aktuellen Entwicklung nun genau aussehen soll, erfahren wir dann vermutlich drei Tage vorher, denn man hatte natürlich nicht genug Zeit, sich für alle Eventualitäten schon einmal Konzepte zu überlegen. Bitte immer daran denken: das Stichwort ist Flexibilität unsererseits. Ach, und noch zum Thema Flexibilität: natürlich sind wir dankbar, dass die Entscheidung für Präsentationsprüfungen frühzeitig getroffen wurde, aber uns dann seitens einiger Fachleiter vorwerfen lassen zu müssen, dass diese Prüfung so viel einfacher sei, wir das Format „sowieso schon so viel an der Uni“ geübt hätten und deshalb von einigen keine Auskunft dazu zu erhalten, während andere ganze Prüfungen üben, hat nun wirklich wenig mit Chancengleichheit zu tun. Und warum bei einigen Fächern nun auch die fachliche Kompetenz, die bereits eigentlich mit dem ersten Staatsexamen nachgewiesen wurde, unter Beweis gestellt werden muss, während dies für andere nicht der Fall ist, konnte uns dann leider keiner sagen, denn diese Anliegen wurden ignoriert. Das ist eben Chancengleichheit à la KM und Seminar.
Ein letztes Wort dazu
All das führt dazu, dass wir zwar erst am Anfang unseres Berufslebens stehen, aber dennoch einige schon fast ausgebrannt sind. Jede Entscheidung wurde unter dem Deckmantel der Chancengleichheit für uns getroffen, obwohl doch allen klar war, dass es nur um die Bequemlichkeit und Unanfechtbarkeit des KM sowie der Seminare ging. Für unsere Ausbildung kommt das alles zu spät, aber wir hoffen, dass vor allem für den nächsten Jahrgang die Dinge besser geregelt werden. So verheizt man nur eine ganze Generation Lehrer und braucht sich über den Lehrermangel nicht mehr wundern.