Anscheinend brauchen die Lehrer das neue Buch von Sigrid Wagner nach dem Interview mit Armin Himmelrath gar nicht erst lesen, um es zu verdammen: Pauschal, einseitig, dumm - so nur einige Vorwürfe aus der Twittercommunity. Dabei lohnt es sich über einige Thesen nachzudenken. Ein Kommentar.
Anmerkung
Ja, Armin Himmelrath ist als Spiegel-Journalist nach seinem einseitigen Artikel zur "digitalen Bildung" nicht sonderlich beliebt. Ja, der Titel "Das Problem steht vor der Klasse" ist reißerisch. Ja, die in dem Interview aufgestellten Thesen ecken an. Ja, nicht alle Lehrer sind falsch in ihrem Job. Wenn wir uns darüber einig sind, dann ist es dennoch erstaunlich, wie die Reaktionen auf das Interview ausfallen, in dem eine ehemalige Lehrer ein - sagen wir - schwieriges Bild von unserer Zunft zeichnet. Aber anstelle von Abwehreflexen sollten man sich überlegen, warum eine ehemalige Kollegin sagt, was sie sagt. Man könnte die nicht besonders steile These aufstellen, dass sie nicht einfach ein schlechter Mensch ist.
Was das Thema schlechte Lehrer angeht, bin ich ein gebranntes Kind. So war es nahezu einer meiner ersten Blogartikel, die überhaupt wahrgenommen worden sind, der sich mit einem ähnlichen Themenfeld befasste. Die "Versager im Staatsdienst", wie es in einer weiteren Zuspitzung der Zuschreibung hieß, müssen entlassen werden. Ich war außer mir, schrieb den Artikel, wurde angegangen und bis hinein in die Tiefen der Blogosphäre gespült. Es entstand eine gewinnbringende Blogparade und die Diskussion verlief im Sande.
Als ehemaliger Lehrer über schlechte Lehrer zu schreiben, ist ein heißes Eisen. Als praktizierender Lehrer über schlechte Lehrer zu schreiben, eine Gratwanderung. Der Vorwurf des Nestbeschmutzers steht im Raum - oder jener, sich selbst als das Maß aller Dinge zu sehen. Dennoch und wiederholt: Wir sollten uns mit einigen Thesen auseinander setzen. Und zwar ohne Schaum vorm Mund. Vielleicht helfen einige Fragen und Anmerkungen weiter.
Thesen
Nun zu einigen Thesen, die in dem Interview geäußert werden.
"Die Kinder werden in der Schule oft kleingemacht, Lehrer lassen ihren Frust an ihnen aus."
Man möge mir sagen, dass dies ein Strohmann-Argument sei und dass es nicht zutreffe. Ich freue mich auf Kommentare, in denen mitgeteilt wird, dass dies nicht (mehr) der Fall ist.
"Das Problem steht vor der Klasse."
Zugespitzt, ja. Aber sind wir, die Lehrercommunity, die sich für ihre Erfolge feiern lässt, nicht diejenigen, die auf Hattie verweisen, sobald es um innovativen Unterricht geht? Wir können nicht sagen, auf den Lehrer kommt es an und hoffen, dass jeder Lehrer automatisch gut ist.
"Bis heute fällt es vielen Lehrern schwer, mit den Kindern gemeinschaftlich zu arbeiten. Denn dafür müsste man ja akzeptieren, dass es Situationen geben kann, in denen die Schüler auch mal mehr wissen als die Lehrer. Stattdessen habe ich als Lehrerin und als Mutter flächendeckend immer wieder Machtmissbrauch und Notenspielchen erlebt."
Kommt uns allen, die wir so gerne über "zeitgemäße Bildung" sprechen, dies nicht bekannt vor? Ist es denn nicht der Wunsch so vieler, dass man "auf Augenhöhe", als "Lerncoach" arbeitet? Und wer oder was in den Schulen verhindert diese Art der Arbeit? Ist diese These so falsch?
"Die gehen tagtäglich zur Schule, weil man da eben hingehen muss - und nicht, weil sie lehren und selbst auch noch lernen wollen."
Muss ich da überhaupt noch was zu sagen? Lehrer als Lerner?
"Wie viele gute Lehrer hattest du? Dann kommen die allermeisten nur auf zwei oder drei während der gesamten Schulzeit. Das ist doch eine beschämend niedrige Quote! Natürlich gibt es richtig tolle und engagierte Kollegen, sogar ganze Schulen, in denen sich die Guten sammeln. Aber das ist leider immer noch die Ausnahme. Das System zieht die Falschen an: verunsicherte junge Menschen, die nach der eigenen Schulzeit am liebsten da bleiben wollen, wo sie sich auskennen - in der Schule. Und die studieren dann Lehramt."
Mir fällt keine Frage ein.
Bei dem nun folgenden Absatz stimme ich in der Tat nicht zu. Ich glaube nicht, dass die Quereinsteiger eine andere Kultur in die Schulen bringen, jedenfalls nicht, wenn man die Schulen vom System her denkt. Klar kann der eine oder andere einen Anstoß bringen, aber das können jene Lehrerinnen und Lehrer, die auf andere Art und Weise neue Impulse bringen auch. Bei dem nächsten Absatz bin ich wieder dabei.
"Wünschenswert wäre natürlich, sie durch eine neue Schulkultur und durch motivierende Fortbildungen mitzunehmen. Ich würde niemandem von vorneherein absprechen, dass er seine Arbeit als Lehrer nicht noch ändern und verbessern kann. Aber klar ist auch: So wie bisher kann es nicht weitergehen."
Auch hier: Werden hier nicht genau jene Forderungen gestellt, die im #twitterlehrerzimmer immer wieder zu hören sind? Ja, sie sind auf die Spitze getrieben, aber es erscheint mir jedenfalls nicht als die teuflische Art der bösen Pauschalisieren, die ich in den Kommentaren öfter als Vorwurf gehört habe.
Fazit
Wenn man sich die hier geäußerten Thesen genau durchliest, ist mir schleierhaft, wieso die Reaktion vieler so grundlegend negativ ist. Ich verstehe, dass man, zumal wenn man sich als engagierter Lehrer oder engagierte Lehrerin wahrnimmt, nicht in den Topf geschmissen werden will, der hier geköchelt wird. Aber eine Art von Generalzurückweisung finde ich dennoch unangemessen. Was wir nun damit machen? Ich weiß es nicht. Aber eine schmerzhafte, sachliche Diskussion der Thesen ist jedenfalls gewinnbringender als Polemik. Denn auch im Lehrerzimmer gibt es nicht nur schwarz und weiß. Was meint ihr?