Im Rahmen des Bildungsgipfels der SPD-Fraktion Baden-Württemberg hatte mich der ehemalige Kultusminister und Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch eingeladen, einen Impuls zur Schule der Zukunft zu halten. Die kurze Rede, die ich daraufhin gehalten habe, möchte ich an dieser Stelle mit allen Interessierten teilen. Die Rede kann auch im Podcast "Netzlehrer" angehört werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, sehr geehrter Herr Stoch
„Schule sollte [allen Schülerinnen und Schülern] die Möglichkeit geben, ihre Potenziale kennenzulernen, diese zu entfalten und so als interessierte und kritische Mitglieder der Gesellschaft Freude am weiteren Lernen zu entwickeln.“
Dies schreibe ich in einem Kapitel meines letzten Buches, und dies ist die Leitlinie für diesen kurzen Impuls.
Als ich gefragt worden bin, ob ich über die Schule der Zukunft sprechen kann, habe ich sofort zugesagt, obwohl ich natürlich wusste, dass ich dafür nicht 10 Minuten, sondern eine Stunde sprechen könnte. Und dann immer noch nicht fertig wäre.
Wenn man über die Schule der Zukunft spricht, könnte man über zahlreiche Bereiche sprechen.
Man könnte darüber sprechen, dass die Kinder und Jugendlichen ins Zentrum gestellt werden sollten. Dass sie gehört werden und partizipieren können.
Und das nicht nur als frommer Wunsch oder falsch verstandene „Kuschelpädagogik.“ Auch im Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts ist es mehr denn je Grundlage, sich einzubringen, Ideen zu äußern und über kreative Problemlösingen nachzudenken. Die Zeit, in der Schule gehorsame Untergebene produzieren sollte, muss vorbei sein.
Man könnte darüber sprechen, ob eine Schule der Zukunft nach denselben Zeiteinheiten funktionieren muss, die aus dem preußischen Schulsystem dafür erstellt wurden, dass Kinder ihren Vätern über den Mittag das Essen aufs Feld bringen.
Man könnte über die sogenannte "Digitalisierung" sprechen und darüber, warum der Begriff in die Irre führt und wir längst darüber hätten sprechen sollen, dass eine digitale Gesellschaft die Digitalität in jedem Fach braucht.
Man könnte man über die modernsten Bauten sprechen, die es in jeder einzelnen Stadt überhaupt gibt. Räume, die zum Lehren und Lernen einladen. Räume, in denen man gerne lernt und Räume, deren lichtdurchflutete Anordnungen nicht aussehen, als hätte sie die preußische Verwaltungsbürokratie gerade erst auf dem Reißbrett geplant. Zugegeben: Man könnte natürlich zunächst auch nur von Fenstern sprechen, die aufgehen, ohne dass sie auf die Person stürzen.
Wenn man über die Schule der Zukunft spricht, könnte man darüber sprechen, warum wir ein System haben, in dem man mutig sein muss, um etwas anders zu machen. Selbst wenn es sich eine veränderte Praxis bewährt.
Wir könnte darüber sprechen, ob eine Schule der Zukunft mehr Verwaltungsvorschriften braucht oder mehr Möglichkeiten für Experimente. Ob wir mehr Beamte brauchen oder mehr Visionäre.
Und natürlich müssen wir darüber sprechen, wie der Beruf der Lehrkraft so attraktiv gemacht werden kann, dass wir genügend Lehrkräfte haben. Lehrkräfte, die ihrer Kernaufgabe nachgehen können und nicht gleichzeitig Psychologen, Sozialarbeiter, Systemadministratoren und Schulentwickler sein müssen.
Man könnte darüber sprechen, welche Fähigkeiten Kinder und Jugendliche brauchen. Darüber, ob die Schule wie wir sie jetzt haben, in der Lage ist, Kinder auf eine Zukunft vorzubereiten, deren Wandel schneller ist als je zuvor. Deren Zusammenhänge komplexer, deren Anforderungen höher. Man könnte darüber sprechen, welche längst überkommenen Inhalte nur noch auf eine Vergangenheit vorbereiten, die längst vorbei ist.
Wir könnten darüber sprechen, ob die Lehramtsausbildung darauf vorbereitet, Kinder und Jugendliche auf eine solche Zeit vorzubereiten. Auf das Lernen in einer solchen Zeit. Und wenn wir der Meinung sind, dass sie es nicht tut, die Frage stellen, wie das möglich wäre.
Sie merken: Wenn man über die Schule der Zukunft spricht, könnte man die verschiedensten Bereiche angehen, denn, und das werden wohl alle wissen, es gibt in jedem Bereich etwas zu tun.
Da ich aber keine Stunde habe. Da dies alles zu weit führt und zu tief. Da wir Menschen meist sowieso nur einen Gedanken fassen und mitnehmen können, möchte ich bescheiden sein.
Ich spreche viel mit Kindern und Jugendlichen über die Schule. Und mit Erwachsenen über ihre Schulzeit. Mit Lehrerinnen und Lehrern über ihre Schule. Und ich lese Statistiken, die das, was dort beschrieben wird, bestätigen: Dass es nämlich vom Zufall abhängt, ob man eine gute Schulzeit hat.
Vom Zufall, in welche Familie man hereingeboren wird.
Vom Zufall, ob die Eltern auf eine Schulform bestehen.
Vom Zufall, in welchem Bundesland man wohnt.
Vom Zufall, in welche Schule man kommt.
Vom Zufall, welche Lehrkräfte man hat.
Vom Zufall, ob man dort den Abschluss schafft.
Vom Zufall, ob dieser Abschluss etwas wert ist.
Vom Zufall, ob man schon zum Beginn der eigenen Zukunft überhaupt noch eine Zukunft hat.
Meine Forderung an eine Schule der Zukunft ist es, eine einzige Frage zu beantworten. Und jede mögliche Konsequenz zu ziehen, die die Antwort auf die Frage nach sich zieht:
Wie sorgen wir dafür, dass kein Kind zurückbleibt?
Wie sorgen wir dafür, dass Kinder in der Schule nicht überfordert sind? Und dass sie nicht unterfordert sind? Dass sie gerne lernen und wissen, wie es geht. Dass jedem Bildung in einem Maße zukommt, das es zulässt, nach der Schule weiterzulernen oder eine Ausbildung zu machen.
Oder anders ausgedrückt: Meine Forderung an die Schule der Zukunft ist es, dass kein Kind zurückbleibt.
Kein behindertes Kind.
Kein medienaffines Kind.
Kein kunstinteressiertes Kind.
Kein Kind mit Migrationshintergrund.
Kein Kind mit ADHS.
Kein neurodivergentes Kind.
Und auch kein Kind mit außergewöhnlichem Potenzial und herausragenden Fähigkeiten.
Die Antwort kann die Veränderung der Zeiteinheiten beinhalten oder Digitalisierung - und die dadurch entstehenden Möglichkeiten der Individualisierung. Kann bedeuten, Räume zu schaffen, in denen man mutig experimentiert. Kann bedeuten, das Lehramtsstudium so zu verändern, dass Lehrerinnen und Lehrer auf die Realität vorbereitet werden, in der mit unterschiedlichster junger Menschen gearbeitet wird. Kann und muss bedeuten, die Kinder und Jugendlichen ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören. Und sie und ihr Lernen ins Zentrum der Schule zu stellen.
Und ihnen die Möglichkeiten zu geben, ihre eigenen Schwerpunkte zu setzen. Zu zeigen, was sie können und was sie brauchen. Ihnen Raum zu geben, sich selbst kennenzulernen. Sie zu unterstützen bei den Ideen, die sie haben.
Die Antwort kann vielfältig sein. Aber wir müssen sie geben.
Ich wiederhole mich: Meine Forderung an die Schule der Zukunft ist es, dass kein Kind zurückbleibt.
Denn:
„Schule sollte [allen Schülerinnen und Schülern] die Möglichkeit geben, ihre Potenziale kennenzulernen, diese zu entfalten und so als interessierte und kritische Mitglieder der Gesellschaft Freude am weiteren Lernen zu entwickeln.“
Herzlichen Dank!