In der Diskussion ums Bloggen, guten Unterricht und Lehrer, reißerische Fragen und empirische Beweisbarkeit überlagerten sich die Ebenen. Nichtsdestotrotz kann dies zu einer Reflexion über den Lehrerberuf führen.

Vor allem die von dem nun auch über den wissenschaftlichen Diskurs bekannten Australischen Bildungswissenschaftler John Hattie herausgegebene Metastudie hat erneut bewiesen: Auf den Lehrer kommt es an. Dabei geht es nicht so sehr um einen bestimmten, positiv bewerteten Stereotypen, sondern um reflexive und selbstkritische Lehrerpersönlichkeiten, deren persönliche Beziehung zu den Lernenden vor allem von der Offenheit geprägt ist, die eigenen Lehr- und Lernerfolge zu hinterfragen und stetig zu verbessern.

Dies spielt in einer Zeit, in der das Schlagwort “Inklusion” zunehmend die Beherrschung von heterogenen Klassen und unterschiedlichen Lernniveaus gefordert wird, eine umso größere Rolle.

Konzentrieren wir uns auf die Möglichkeiten der Reflexion, die sich aus der Diskussion und der anschließenden Blogparade ergaben. Sie lassen sich vor allem darin finden, dass eine Diskussion auch immer neue Anregungen für die Beschäftigung mit weiterführenden Fragestellungen in der neuen Literatur bietet. Dennoch kam es bei der Diskussion auch zur Ablehnung – vor allem des reißerischen Titels und der teilweise suggestiven Fragestellungen.

Dies liegt besonders daran, dass viele, die das Referendariat überstanden haben, unermesslichen Anforderungen zur Selbstreflexion gegenüber standen, die sie ungern kritisiert wissen wollen. Ein solcher Vorwurf kann also zur Gegenkritik führen. “Außenstehenden” ist es wahrscheinlich fremd, inwiefern eine gute Note von der Funktionalität der Überleitung zwischen kooperativer Erarbeitungsphase[2] und individuellem Transfer abhängen kann.

Als  ehemaliges Mitglied des Ausbildungspersonalrates des Seminars Freiburg, das gerade was die Evaluation der Lehrerausbildung angeht, neue Wege beschritten und die durch den alten APR initiierten Messungsinstrumente der Lehre zusätzlich und gegen starke Gegenkräfte ausgebaut hat, ist eine persönliche Erfahrung, dass an vielen Dingen, die auch neue, empirisch belegte Studien fordern, schon gearbeitet wird.

Die vermeintliche Stagnation der Lehrerausbildung und der medial aufgeputschte Wahn, durch externe Vermutungen als Versager stigmatisierte Lehrer entlassen zu können, beruft sich seinerseits auf eine belegte Überprüfbarkeit von Extremfällen.

Was jedoch lässt sich aus diesen Daten für die Fragestellung entnehmen? So liest man von der “ausgewiesenen Erkenntnis”, dass Studienanfängerinnen, die sich für das Lehramtsstudium entscheiden, weniger gute Noten haben als jene, die sich z.B. für ein Diplomstudiengang entscheiden[3]. Dabei geht diese Deutung davon aus, das gute Lehrer oder Spitzenkräfte sich allein über die Abiturnote für einen Beruf qualifizieren, dessen Ausübung zwar unter anderem, aber keineswegs ausschließlich auf der fachlichen Kompetenz der Ausübenden hängt[4]. Mehr noch: Diese singuläre Lesart einer vermeintlich empirischen (und so unwiderlegbaren) These geht zunächst davon aus, dass eine Entwicklung und Verbesserung der Fähigkeiten innerhalb einer Zeitspanne von mehreren Jahren unmöglich ist.

Auch die angeprangerte Praxisferne ist zwar partiell vorhanden, lässt sich aber vor dem Hintergrund föderaler Bildungsstrukturen weder verallgemeinern noch belegen. Ganz im Gegenteil: Obwohl der deutsche Bildungsdiskurs durch die unterschiedlichen Ebenen institutionelle Rahmenbedingungen heterogen und mitunter schwer zu durchschauen ist, sind die Axiome von grundlegenden Bildungszielen durchaus bekannt.

Die Kritiker einer scheinbaren inhaltlichen Willkür schulischen Denkens sollten nur die einleitenden Sätze der verschiedenen Fachrichtungen lesen, wie die im Bildungsplan von 2004[5] implementiert sind. Dem großen Aufschrei nach faktenunabhängigem Handeln auf der Basis von reflektierten und bewussten Lernprozessen[6] wurde schon seit Jahren beantwortet. Natürlich bedeutet dies kein Ende eines kritischen Diskurses, der sich schon seit einiger Zeit um die Überprüfbarkeit und den Nutzen der Kompetenzorientierung dreht. Aber zu behaupten, eine solche Diskussion finde nicht statt und die Bildungseinrichtungen verschlössen sich innovativen Erkenntnissen, ist schlichtweg falsch. Falsch ist auch die Annahme, dass Kriterien für den “guten Lehrer” und “guten Unterricht” willkürlich oder unbekannt seien.

Prof. Dr. Lipowsky, seit 2006  Professor für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt empirische Schul- und Unterrichtsforschung an der Universität Kassel spricht in diesem Zusammenhang von drei Basiskompetenzen[7]: “effektive Klassenführung, (…) unterstützenden Lernklima und kognitive Aktivierung (…) die auf Arbeiten von Baumert[8], Klieme und Kollegen zurückgehen.”

Diese Basiskompetenzen, deren Fehlen im Umkehrschluss also einen weniger begabten Lehrer auszeichnen würden, sind als solche durch die größte Metastudie bisher des neuseeländischen Bildungsforschers Hattie belegt. Da es sich hierbei um einen Zusammenschluss und die Überprüfung von mehr als 5000 empirischen Studien handelt, dürften diese Erkenntnisse trotz einiger Möglichkeiten zur methodischen Kritik kaum übersehen werden.

Ohne auf die genauen Erkenntnisse dieser grundlegenden und neue Perspektiven eröffnenden Studie einzugehen, lässt sich doch die schiere Anzahl von 138 relevanten Faktoren für den Unterricht, die auf der Grundlage von insgesamt 50.000 teilnehmenden Schülern erstellt wurde, als Beweis dafür heranziehen, dass eine einfach Definition des guten oder schlechten Lehrers auch den Rahmen einer vereinfachten Diskussion sprengt. Und selbst die idealtypische Vorstellung des idealen Pädagogen wird sich in den unterschiedlichen Perspektivierungen innerhalb des Rahmens jeweiliger didaktischer Theorien unterscheiden.[9] Wer also würde derjenige sein, der zu entscheiden hat, ob ein Lehrer seinen Beruf innerhalb eines persönlichen, kommunikativen, institutionellen, theoretischen oder föderalen System nicht gerecht wird? Singuläre Monoperspektivität, die den Anspruch erhebt, zu wissen, wann ein Berufstätiger gleich welcher Gruppe seinen Job verfehlt hat, ist nicht nur schädlich, sondern erkennt nicht das eigentliche Problem. Oder aber es führt zu einer tatsächlichen Abschirmung der vermeintlich betroffenen Gruppe, die als Antwort auf Pauschalurteile mit pauschaler Ablehnung reagiert.

Führen diese Punkte nun dazu, dass sich die Lehrer der Kritik verschließen sollten? Natürlich nicht. Eine Diskussion mit Teilnehmern, die ihre subjektive Meinungen innerhalb des Mediums Blogs vertreten, kann vielleicht die Probleme der Zunft nicht beheben. Aber zumindest zeigt sie, dass eine große Reflexionsbasis vorhanden ist, wie sie nicht in allen Berufsgruppen zu Tage tritt.

Die unterschiedlichen Beiträge zum Blog zeigen auf, wie sehr die Lehrpersonen gewillt und in der Lage sind, ihre eigene Profession und die ihrer Kolleginnen und Kollegen zu hinterfragen.

Wer nun noch Kraft und Lust hat, kann sich die nachfolgenden Standpunkte zu den Fragen der Blogparade durchlesen. Es lohnt sich:

1. Christian Füller (@ciffi): Lehrer entlassen? Jedenfalls die failed teachers.

Füller argumentiert, dass schon die falschen Leute ausgewählt werden (Sicherheitsgedanken, Beamtenapparat), dass es nicht sein könnte, dass Lehrer 30 Jahrgänge an Schülern “unglücklich” machen und das es zynisch sei, diese Lehrer an andere Schulen weiterzuleiten oder aus dem System zu mobben. Streitbare, durch Zitate belegte Thesen zum Thema.

2. Thomas Rau (@herr_rau): Versager im Staatsdienst

Herr Rau schreibt zunächst über seine persönlichen Ansichten über das (bayerische) Schulsystem, in dem er viele Lehrer im Mittelfeld wähnt. Bei der Beurteilung der Eignung geht es vornehmlich um das, was die Kollegen selber sagen. Auch Herr Rau sieht den Beamtenstatus als Hemmnis bei Problemfällen. Das Hauptproblem liege in der Lehre und dem Verschleiß von Referendaren. 

3. Maik Rieken (@mccab99)Blogparade: Versager im Staatsdienst

Maik Rieken äußert sich aus Sicht eines Vaters, ehemaligen Personalrats und medienpädagogischem Berater, der zusätzlich als Blogger mehr Vernetzung fordert. Vor einer Verurteilung fordert er Kriterien zur Qualitätssicherung. Neben all denen, die es schon gibt, fordert er, den Schwerpunkt auf die Persönlichkeit zu setzen – die auch definiert wird. Weitergehend geht es um Praxisnähe, Supervisionsangebote. Die Abschaffung des Beamtenstatus sieht er nicht als das Hauptproblem.

4. Annas Blog (@herrmanova): Blogparade: Versager im Staatsdienst

Mit Anna haben wir jemanden, der noch in der Lehre ist und die Fragen ersteinmal ignorieren möchte (was völlig in Ordnung ist). Sie plädiert dafür, die Probleme der Lehrer als “Multiplikatoren der Gesellschaft” nicht zu verallgemeinern. Vieler ihrer Kommilitonen haben sich ganz bewusst für das Lehramt entschieden. In einer generellen Kündbarkeit sieht sie das Problem nicht behoben.Ein Plädoyer für Zusammenarbeit.

5. Teacheridoo (@teacheridoo): Blogparade: Versager im Staatsdienst

Ein weiterer Artikel aus studentischer Sicht. Mit der Kritik an der Wortwahl der Versager werden die absichtlichen “low performer” abgewatscht. Bei der Frage danach, was ein schlechter Lehrer überhaupt ist, werden neue, weiterführende Fragen aufgegriffen. Auch hier scheint sich die Kompetenz in einer undefinierbaren “Magie” zu zeigen. Sehr ausführlich werden die Probleme von Eingangstest bis Praxisbezug erörtert. Am Ende zeigt sich jedoch auch an einer empfindlichen Stelle leichte Ratlosigkeit: Wie kann es verbessert werden?

6. Hauptschulblues : Schule entwickeln statt Versager abstempeln

Der Titel ist Programm. Es geht insbesondere um die Verantwortung der Schulleitungen. Erinnert wird an die vielen verschiedenen Anforderungen, denen Lehrer gerade ausgesetzt sind und die es aus dieser Sicht falsch erscheinen lassen, Kollegen einfach zu Versagern abzustempeln.

7. Fontanefan: Blogparade: Versager im Staatsdienst

Hier werden vor allem Beispiele beschrieben, in denen gezeigt wird, wie gute Lehrer durch Anforderungen z.B. von der eigenen Schulleitung heruntergezogen werden. Ein sehr lesenswerter Beitrag.

8. Kubiwahn: Versager im Staatsdienst

Der wohl kürzeste und kritischste Beitrag. Lasst euch überraschen.

9. Frau Lehrerin (@LeAuLei): Eine schwammige Diskussion um subjektive Einschätzungen

Auch hier sagt der Titel schon einiges über die Ansicht der Verfasserin. Es geht zunächst einmal über die teilweise schwammigen Fragestellungen des Autors dieser Parade. Was macht, zum Beispiel, ein Lehrer überhaupt zu einem “schlechten” Lehrer? Außerdem wird darauf verwiesen, dass es nicht darum gehen sollte, Kollegen einfach “loszuwerden”, sondern zu ergründen, wo denn die Probleme liegen. Ein Plädoyer für mehr Offenheit, Evaluation und Unterstützung.

10. Frau Henner: Problemlehrer: Eine Studie

Mit viel Witz und genauen Beobachtungen, aber auch den Rückmeldungen der Schüler, nähert sich Frau Henner in ihrer eigenen kleinen “Studie” einzig und allein dem Problem des schlechten Lehrers. Ein sehr gutes Beispiel dafür, dass man die Dinge nicht verkomplizieren muss und ein Plädoyer für Spaß am Fach und Einfühlungsvermögen.

Noch was zu sagen, aber nicht dabei gewesen? Nicht schlimm. Einfach den Artikel in den Kommentar posten, dann lässt sich sicher noch etwas machen.

 


[1] Beispielsweise spezifisch für das Fach Geschichte: Vgl. Einführung in den Bildungsplan. In Bildungsplan 2004. Allgemein bildendes Gymnasium, S.216f.

[2] Vgl. Philip Westermann (Hrsg.): Kooperation in Schule und Unterricht. Münster 2010.

[3] Neugebauer, Martin (2013): Wer entscheidet sich für ein Lehramtsstudium – und warum? Eine empirische Überprüfung der These von der Negativselektion in den Lehrerberuf. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16, Heft 1, S. 157-184.

[4] Vgl. Einführung in den Bildungsplan. In Bildungsplan 2004. Allgemein bildendes Gymnasium, S.15ff.

[4] Investitionen in die Fortbildung sind Investitionen in die Zukunft. In: Bildung bewegt. Nr. 13. Jun/ 2011. S.11.

[5] Einführung in den Bildungsplan. In Bildungsplan 2004. Allgemein bildendes Gymnasium.

[6] Vgl. Einführung in den Bildungsplan. In Bildungsplan 2004. Allgemein bildendes Gymnasium, S.15ff.

[7] Investitionen in die Fortbildung sind Investitionen in die Zukunft. In: Bildung bewegt. Nr. 13. Jun/ 2011.

[8] Vgl. Baumert et al. (2003). Disparitäten der Bildungsbeteiligung und des Kompetenzerwerbs. Ein institutionelles und individuelles Mediationsmodell. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 6, 46-72.

[9] Vgl. Wilfried Plöger: Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik. München, 1999.Siehe insbesondere S.43-100.

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