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KRITIK: Simone Beauvoir und der Homine Faber
Bob Blume
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21. Mai 2017
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6 Kommentare
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Model: Anne Schirmaier/ Fotodesign Peter Kees
Die beiden Romane „Homo Faber“ und „Agnes“ sind im nächsten Jahr das letzte Mal prüfbare Schwerpuktthemen. Glaubt man den Interpreten, die auch für die Lehrbücher als wahrheitsgemäße Ausleger einer zu vermittelten „Interpretationswahrheit“ herangezogen werden, enthüllt sich in den Büchern die Konsequenz von Macht in einer das Individuum auf sich selbst zurückwerfenden Welt. Es verwundert, dass die Bücher diese Macht – diese patriarchale Macht – aus der Perspektive der Männer erzählen. Das Substrat dieser Sicht ist die sich selbst reproduzierende Machterhaltung. Ein kritischer Kommentar.
Literarische Qualität
Die Auswahl der beiden Romane „Homo Faber“ und „Agnes“ zusammen mit dem Drama „Dantons Tod“ scheint hinsichtlich des literarischen Gehalts nachvollziehbar. Sowohl direkte intertextuelle Verweise zwischen Frischs und Stamms Roman als auch werkübergreifende Themenkomplexe ergeben einen fruchtbaren Boden für mehrdeutige Auslegungsversuche und interessante Diskussionen. Wenn man den Bildungsplan hinzuzieht, zeigt sich plausibel, dass die ausgewählten Texte eine Beschäftigung hinsichtlich der dort aufgelisteten Kompetenzen zulassen.
Männer über Frauen
Verwunderlich ist vor diesem Hintergrund also nicht eine Auswahl, die sich durchaus didaktisch als auch inhaltlich plausibel legitimieren lässt, sondern jene Perspektive, die in allen Werken, vor allem aber in beiden Romanen an den Leser herangetragen wird. In beiden Fällen sind es die Männer, die unreflektierte Macht ausüben, die letztlich zur Katastrophe führt. In beiden Fällen ist es die arrogante Ignoranz der beiden Männer, die die Frauen in die Selbstbestimmung zwingt. In beiden Fällen sehen sich die Männer als Opfer einer nicht kontrollierbaren Weiblichkeit. In beiden Fällen werden die Frauen durch die Augen der Männer zu Repräsentanten einer zu bezwingenden Irrationalität. In beiden Fällen scheitern die als rational gedachten Versuche der männlichen Protagonisten, ihre scheinbare Überlegenheit in aktive Handlungskonzepte umzusetzen.
Die erste Deutung
Das, was beim Interpreten hängenbleibt, ist, auf unterkomplexe, aber im schulischen Rahmen durchaus gewollte Handlungsanweisungen heruntergeschraubte Lehrsätze, zunächst nachvollziehbar.
Reflexion ist überlebensnotwending
Machtausübung und Kontrolle sind beziehungsschädigend
Die Ausschließlichkeit eines anthropologischen Menschverständnisses (als rational-technischer Macher) führt ins Unglück
Die Moderne lebt in überwunden geglaubten patriarchalen Machtstrukturen
Oberflächlichkeit führt zu Unglück
Noch schlichter könnte man meinen, dass die analysierte Lehre auf ein gleichberechtigtes Miteinander zielt, die Interpretation der Lektüren also einen Wink in ein innerhalb des Moderne situiertes Leben ist.
Dies, freilich, geht immer davon aus, dass sowohl die aktive Auseinandersetzung als auch das unbewusst Gelernte mehr ist als das heruntergebetene Sprachmaterial zu Interpretationsaufsätzen. Sollte man davon nicht ausgehen, wäre jedoch grundlegender Zweifel an der Auswahl angebracht.
Die zweite Deutung
Nach der eigenen Leseerfahrung schlich sich ein störendes Element in die Betrachtung der oben genannten Themenkomplexe. Dazu lohnt es sich, auf die zusammenfassenden Bemerkungen im Wikipedia-Artikel zu Simone de Beauvoirs weltberühmten Buch „Das andere Geschlecht“ (1951), das als Grundlagenwerk des Feminismus gilt, zu werfen.
Dort heißt es:
Sie sagt in diesem Werk auch, dass Frauen von den Männern zum „Anderen Geschlecht“ gemacht worden seien. Dies bedeutet in der existentialistischen Terminologie Beauvoirs, dass sich der Mann als das Absolute, das Essentielle, das Subjekt setzt, während der Frau die Rolle der Anderen, des Objekts zugewiesen wird. Sie wird immer in Abhängigkeit vom Mann definiert. Deshalb hat sie mit stärkeren Konflikten zu kämpfen als der Mann. Wenn sie ihrer „Weiblichkeit“ gerecht werden will, muss sie sich mit einer passiven Rolle begnügen, dies steht aber ihrem Wunsch entgegen, sich als freies Subjekt durch Aktivität selbst zu entwerfen.
Dieses Zitat wird (auch in "Unterrichtsmodellen") im Zusammenhang mit der Betrachtung von Hanna Piper, Fabers weiblichem „Gegenspieler“ gesehen, da Frisch die Figur der Hanna an der feministischen Intellektuellenfigur Beauvoirs orientierte. Die auch hier vereinfachte Interpretation der ersten Stufe ist, dass Faber die Frauen zu Objekten macht, während er sich als Subjekt setzend und die Macht definierend das Absolute verkörpert, als jenen, der die Welt sieht, wie sie ist (Vgl. Homo Faber).
All diese Interpretationsansätze haben jedoch gemeinsam, dass sie, ganz der textimmanenten Interpretation verpflichtet, von dem ausgehen, was ist, ohne zu betrachten, was hätte sein können. Normalerweise ist dies auch durchaus gegeben, da eine Weiterführung vom Text ins Substanzlose gehen würde, da nicht mehr beleg- oder verifizierbar.
Wenn wir jedoch davon ausgehen sollten, dass die Buchauswahl tatsächlich auf der Grundlage der oben gegebenen Annahmen erscheint, ist dies doch sehr erstaunlich.
Denn trotz dem Fokus auf dem Problem des Mannes als sich selbst überschätzender Homo Faber, der sich als Repräsentant, mehr noch, als „Ingenieur der Weltgeschichte“ (Horkheimer/ Adorno, Dialektik der Aufklärung, S.44) sieht, ist der Fokus selbst der dieser Perspektive. Der Mann bleibt das Subjekt, das in seiner verqueren Sicht auf die Dinge die Selbstkontrolle verliert und sich als fehlbar zu erkennen gibt. Aber die Sicht des Lesers bleibt dennoch gelenkt von der Figur. Die Oberflächlichkeit des Blicks auf die Frauen wurde schon Anfang der 90er Jahre von Helmut Karasek kritisiert.
Es geht aber um mehr: Der Mann als sich selbst überschätzender Macher wird zum Opfer seines eigenen Bewusstseins stilisiert, dessen Leidensweg erst durch die Weibliche Emotionalisierung in die richtige Bahn gelenkt wird.
Die Frau hat ausschließlich dienende Funktion.
Die Rationalität des Männerblicks ist totalitär. Sie erlaubt zwar die mitfühlende Beschreibung der Frau als vermeintlich überlegen, offenbart jedoch in der Absolutsetzung der eigenen Perspektive auf das Versagen die radikale Umkehrung des eigentlich kritisierten.
Es ist nicht verwunderlich, dass so Hanna nicht übrigbleibt, als von Frisch in die Mutterrolle gedrängt zu werden, die sich um den armen Walter Faber kümmert, der nichts von seinem durch das Schicksal verursachten Inzest und die Tötung seiner Tochter durch sein zur Schau gestelltes Geschlecht zu wissen glaubte (Dass es Hannas Beruf ist, die Vergangenheit wiederherzustellen, ist vor dem Hintergrund ihrer eigenen Aussage, dass sie ihr Leben verpfuscht hat, nur eine Randnotiz).
Der Mann hat selbst als Opfer die Kontrolle über die „Funktion“ der Frau.
Auch in „Agnes“ bleibt der Mann in der Opferrolle, die es ihm ermöglicht, seine Verantwortung auf die eine oder die andere Frau zu übertragen. Der Geschädigten (das Kind wird erst verleugnet und dann stirbt es) verbleibt nicht mal mehr der selbstständige Widerstand. Sie muss gehen, damit der Mann über sein Fehlverhalten trauern kann (dieser Trauer widmet Stamm ein ganzes Buch, in dem der Mann seine Familie verlässt und in die Natur geht, um zurück zu seinen Wurzeln zu gelangen).
In Wirklichkeit reproduziert sich die patriarchale Sicht dadurch, dass sie genutzt wird, um durch die Federn ihrer Mitglieder ihre Macht zu kritisieren.
Wenn es wirklich darum geht, die moderne, westliche Gesellschaft in einer Ganzheit zu betrachten, die mehr zulässt als sich in der Opferrolle gefallene Männer, die Frauen oder junge Mädchen als bloße Projektionsflächen der eigenen Unzulänglichkeit vergöttern, in Wahrheit aber diejenigen bleiben, die ihren Subjektstatus reproduzieren, sollte man darüber nachdenken, Autorinnen zu Wort kommen zu lassen. Oder zumindest weibliche Figuren als Ich-Erzählerinnen. Die nächsten Schwerpunktthemen wären eine Chance gewesen.
6 comments on “KRITIK: Simone Beauvoir und der Homine Faber”
[…] Generell kann man sagen, dass Hanna Fabers weibliche Gegenspielerin ist; wenn man die verschiedenen Textstellen betrachtet, in denen sie sich begegnen und die Faber tatsächlich aus seiner erlebten Rede beschreibt, ist sie ihm grundsätzlich überlegen in dem, wie sie die Welt sieht und was sie über sich und die Welt weiß. Im Gegensatz zu Faber reflektiert sie ihr Verhalten und kommt sogar darauf, dass ihr Leben verpfuscht ist, weil sie so naiv war, auf die verschiedenen Männer in ihrem Leben hereinzufallen. Am Ende des Romans bleibt sie aber eine starke Frau, die sich trotz der kaum zu verkraftenden Ereignisse um Faber kümmert, obwohl das Verhältnis der beiden immer doppelbödig bleibt (mehr zu Frischs Frauengestalten und dem Männerblick kann man hier lesen). […]
[…] tut es kaum Wunder, dass sowohl die kanonischen Texte an Waldorfschulen als auch etwa die staatlichen Abitur-Lektüren von grübelnden, privilegierten, weißen Männern handeln und anders gestaltete Figuren oftmals […]
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