Bianka Blavustyak stellt in einer Blogparade die Frage, wie die Realität in deutschen Schulen im digitalen Zeitalter aussieht
Wenn ich gerade aus dem Auto steige hält sich dunkler Nebel an den Tannen des Schwarzwaldes fest. Es sieht aus, als brenne der Wald. Es ist dunkel und trüb. Ein paar Lichter auf dem Parkplatz zeugen davon, dass die Schülerinnen und Schüler ihre letzten Nachrichten checken. Das Handy müssen sie nicht abgeben, es sei denn, sie nutzen es.
Im Lehrerzimmer stehe ich verschlafen an der Kaffeemaschine. Die Schafe draußen sind immer noch am schlafen. Ich schaue auf Twitter, welche Lehrer schon wach sind und am frühen Morgen über digitale Themen reden. Heute ist einiges Los, da gestern, Dienstag, von 20 bis 21 Uhr der #edchatde war, der Twitterchat, auf dem Lehrer über ihren Schulalltag und ihre Vorstellung von Schule sprechen.
In der Klasse angekommen steht der Medienwagen schon bereit. Ich schließe mein iPad an und beginne mit dem Unterricht. Die Schüler sehen, was sie tun sollen. Es wird über die App Evernote an die Wand projiziert. Die Zeit steht oft dabei. So soll die Struktur deutlich werden.
Während ich – immer noch nicht ganz wach – auf das satte Grün schaue, dass die jungen Ziegen (die sehe ich aus dem Klassenzimmer) langsam bevölkern, ruft es mit leiser Stimme zu mir. Jemand hat die Hausaufgaben vergessen. Ich zücke das Handy. Der Schüler weiß Bescheid. Er muss es mir nachzeigen. Er ärgert sich ein wenig, aber freut sich irgendwie auch darüber, dass ich ihm erlaube, die Aufgabe in sein Handy zu tippen. Oder einen Tafelanschrieb in der nächsten Stunde, bei dem es nicht um das Schreiben, sondern um das Merken ging. Das ganze geht in die WhatsApp-Gruppe und von da in die Welt (ärgerlich für den Schüler, der mir zaghaft erklären will, dass er nicht wusste, was auf war).
Nach dem Austeilen der Klassenarbeiten, bei denen ich mich mal wieder ein paar Mal verrechnet habe und wieder einmal bestätigt bin, dass ich kein Mathematik-Lehrer geworden bin, stehen die Schüler an. Ich erkläre die Noten über mein Programm. Sie wissen Bescheid.
Dass ich das iPad oder das Handy heraushole, um Soundfiles vorzuspielen, Bilder zu zeigen, Google-Earth anzuwenden, eine App zu zeigen, den Unterricht zu strukturieren, die Zeit anzuzeigen, Fehlzeiten einzutragen und Erinnerungen einzutragen, ist für die Schüler mittlerweile eine Selbstverständlichkeit. Sie fragen zwar immer noch, ob sie das Handy herausholen können, um etwas nachzuschauen, aber nach und nach verschwindet die Scheu. Aber ich bin erst am Anfang. Wirkliches digitales Arbeiten geht natürlich über die Arbeit des Lehrers hinaus, der zwar eine wichtig Modelrolle hat, aber allein nicht für einen innovativen Unterricht sorgen kann. Kooperatives Arbeiten mit Wikis und Etherpads werden nach und nach auch von den Schülern in ihren Möglichkeiten erkannt.
So konnte im Deutschkurs jeder nachschauen, welche individualisierte Gruppe gerade an welcher Fragestellung arbeitet. Und zwar immer und von überall mit jedem Gerät.
Oder die Schüler konnten via Twitter dafür sorgen, dass sie die Ganzschrift von einer ganz anderen Seite betrachten und sich zudem gegenseitig in ihren Erkenntnissen bestärken konnten.
Aber ehrlich gesagt: Das sind die rausgepickten Rosinen. So weit, wie ein auch im neuen GEO-Titel vertretener André Spang, der in jeder Stunde digital arbeitet, bin ich lange nicht. Auch wenn es mittlerweile verpönt ist, von einem Paradigmenwechsel oder eine Bildungsrevolution zu reden, so ist es doch so, dass die digitale Infrastruktur und die zur Verfügung stehenden Geräte einfach da sein müssen, um vorgedachte Konzepte zu ermöglichen. Um aber solche Projekte erst einmal zu denken, bedarf es einer der im digitalen Zeitalter für Lehrer, Eltern und auch Schüler wichtigsten Aspekt: Der produktiven Vernetzung (auch mit der Politik).
Deshalb ist mir, trotz all der berechtigten Kritik an der langsamen Umstellung des deutschen Schulsystems nicht Angst und Bange. Weil ich merke, dass Entwicklungen nicht mit dem Vorschlaghammer vollbracht werden müssen, um als Vorteil anerkannt zu werden.
Im Lehrerzimmer bin ich der Geek, aber es gibt immer mehr Kollegen, die zunächst einmal mit dem Pad arbeiten. Und es werden mehr. Mit einer anderen Kollegin kooperiere ich über Evernote. Wir teilen uns ein Notizbuch und bereiten so Teile des Unterrichts zusammen vor. Das ist ein schönes Gefühl.
Ich habe mich gefragt, wie es an unserer Schule wäre, wenn die Schülerin ein Kindle auspacken würde. Ich denke, die Antwort beschreibt gerade die Schulrealität am besten: Es käme auf den Lehrer an.
Und so kann ich abschließend auch nur sagen: Ich weiß nicht, wie es bei anderen Schulen aussieht. Ich höre dieses, ich höre jenes. Letztlich denke ich, dass jeder, der von der digitalen Wandlung überzeugt ist, durch Beiträge, Fortbildungen und ein digitales Netzwerk dafür sorgen kann, dass diese in kleinen Schritten voran geht.
Der Wald dampft immer noch, als ich die Schule verlasse. Ein kurzer Blick zu den Schafen, bei denen ich mittlerweile nicht sicher bin, ob sie sich heute überhaupt bewegt haben. So ein Schaf müsste man manchmal sein. Aber dann tut sich nichts. Deshalb gehe ich nach Hause. Und als ich mit der Arbeit fertig bin, fange ich an, einen Blogartikel zu schreiben. Über eine Realität an deutschen Schulen.