REFERENDARIAT: "Nein, heute kann ich leider gar nicht"

Bob Blume
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1. Juli 2012
8 Kommentare
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Es gibt verschiedene Typen von Referendaren – vom gestressten Pessimisten zum legeren Enthusiasten. Nur eines scheint alle zu vereinen: Die fehlende Zeit und das große Laminiergerät. Ein kurzer Überblick über Typen, Konstellationen und Charakteristika einer hektischen Zunft.

Typ: Die Gestresste

Fächer: Alle

Natürlicher Feind: Der Lockere, Der Souveräne

Die Gestresste ist schon von weitem am schnellen, sich vorwärts drängenden Gang zu erkennen. Sie kommt oft zu spät, weil sie noch diverse AGs, die sie in einem halben Jahr geben möchte, vorbesprechen muss. Sie schaut immer wieder panisch auf die Uhr, da heute, und nur heute, die Möglichkeit besteht, im Internet die Prüfungsordnung durchzulesen, damit ja nichts vergessen werden kann. Sie gibt in der Regel 6 Stunden in drei Klassen, die alle total aufmüpfig sind, was aber nicht an ihr, sondern an den Klassen liegt. Die hektischen, nach links und rechts streifenden Blicke, lassen erahnen, dass sie auf Beutezug geht. Und wenn Sie das passende Opfer gefunden hat, dann macht sie es – gleich dem blutrünstigen Vampir – zu ihresgleichen. Am besten klappt dies bei…

Typ: Die Unsichere

Fächer: Naturwissenschaften

Natürlicher Feind: Der Lockere, Die Gestresste

Die Unsichere hat schon irgendwie Spaß, aber nur, wenn auch alles wirklich klappt. Wird ihr eine Information vorenthalten oder einer von dreißig motivierten Schülern schaut in einer unachtsamen Sekunde leicht demotiviert in den Pausenhof, ist ihre Woche gelaufen. Sie plagt sich mit Selbstvorwürfen und erzählt ihren Freunden, dass sie sowieso nie Lehrer werden wollte, aber dass man ja heutzutage abgesichert sein müsse. Trifft die Unsichere auf die Gestresste entwickelt sich eine Schieflage, die nur durch den Souveränen oder den Lockeren eingerenkt werden kann, und auch das nur, wenn der Lockere vor dem Übergriff der Gestressten wieder verschwindet. Oder aber die holt sich Hilfe bei…

Typ: Der Souveräne

Fächer: Geschichte und Theologie

Natürlicher Feind: Keiner

Der Souveräne hat alles schon mal im Studium gemacht, weshalb es ihm auch eine besondere Freude ist, der Gestressten ein paar Tipps zu geben, wie sie auch souveräner werden kann – die diese sich dann allerdings aufschreibt und mit ihren mitgebrachten Markern in verschiedenen Farben hervorhebt und den Zettel einlaminiert. Er lacht nicht, sondern schmunzelt und fragt sich, warum er nicht schon Besuche durchführen kann, da er doch die Grundlagen des guten Unterrichts in allen Facetten im Blute hat. Stürmen im Seminar die Gerüchte durch die Menge, hofft er auf Gottes Hilfe und bereitet in der Mittagspause die 16-stündige Einheit in der 6. Klasse über die Renaissance, die Wiedergeburt des Menschen vor – und nimmt sich beim Einstieg als Beispiel. Er mag ihren Freund, den…

Typ: Der Lockere

Fächer: Geisteswissenschaften

Natürlicher Feind: Die Gestresste, Die Verheirateten

Der Lockere muss sich am Morgen zunächst von einem Saufgelage am vorherigen Abend erholen. Seine herunter hängenden Augenlider zeigen jedem, dass er das Studium noch nicht überwunden hat. Das weiß er zwar auch, aber er nimmt’s leicht. Er ist schon seit dem ersten Treffen mit dem Mentor beim „Du“ und überlegt sich meistens erst zwei Stunden vor der eigentlichen Stunde, was er machen will. So schule man die Flexibilität, meint er. Er mischt gerne mit, aber nicht über Bücher, die sind nämlich – trotz seines Studiums – eher nicht so sein Ding. Kommt die Gestresste ihm in den Weg, schlurft er mit langsamen Schritten von dannen. In seinem Universum ist das schnell. Jetzt bloß nicht zwei Liierte treffen.

Typ: Die Verheirateten

Fächer: Alle

Natürliche Feinde: Singles aller Fächer

Diese Referendare sind nur dann glücklich, wenn sie schmusend auf dem Parkplatz stehen und verliebten Blickes ihren Methodenordner austauschen können. Sie hätten natürlich auch ohne das Referendariat geheiratet, aber als es losging, und gerade jemand zur Hand war, na, ist doch klar... Wenn die beiden sich nicht sehen, schicken sie sich kurze Nachrichten auf ihre Handys – gleiches Modell, andere Farbe. Sie machen zwar auch noch Partys, aber am liebsten laden sie andere Paare ein, um bei einem Glas  Spätburgunder Pläne für einen schnellstmöglichen Häuserbau samt Kinderschar zu besprechen.

Typ: Der Überenthusiast

Fächer: Alle

Natürliche Feinde: Der Lockere, Die Gestresste, Der Souveräne

Der Überenthusiast nimmt sich aller und allem an. In gewisser Weise vereinigt er die Gestresste und die Unsichere. Der Unterschied ist nur, dass er denkt, er könne mit allem fertig werden, weshalb er weniger gestresst und unsicher erscheint. Kann er bei einer Sache nicht dabei sein, wird er von tiefen Sorgen geplagt, nun nicht mehr als engagiert wahrgenommen zu werden. Er liest mehr als er braucht, redet mehr als er soll und unterrichtet mehr als er kann. Er wäre gerne so souverän wie der Souveräne, weshalb er sich aus Neid von ihm fernhält. Trifft er auf den Lockeren, so kommt es zum Konflikt, da er nicht verstehen kann, wie jemand bei so vielem Möglichkeiten der Betätigung so relaxt bleiben kann. Er hat schon 100 Stunden gegeben, davon 9 Einheiten, und fragt sich, ob das nicht doch zu wenig war.

Typ: Die Warmherzige

Fächer: Alle

Natürliche Feinde: Der Lockere, Der Überenthusiast

Die Warmherzige fühlt sich schon jetzt als echte Lehrerin. Sie möchte gerne ihren gleichaltrigen, jungen Kollegen helfen, sich zurecht zu finden. Sie trägt Perlmutt und kleine Ohrringe, die ihre Großmutter für den richtigen Moment aufgehoben hatte. Auf Partys geht sie nicht, weil sie schon einmal bei einer war – in der 7. Klasse. Jetzt, wo man doch Lehrer ist, sollte man lieber die Zeitung lesen und sich auf den Unterricht vorbereiten. Die Warmherzige ist die beste Freundin der Gestressten, da sie Verständnis für die Drucksituation hat, in der sie ja auch schon mal war – pardon, ist. Sie freut sich schon sehr auf den Winter, weil sie dann endlich beginnen kann, einen Materialbeutel zu stricken, ohne dass sich die Leute über sie lustig machen. Der Überenthusiast macht ihr Angst, weil er so viel tut, aber irgendwann, so denkt sie, wird der auch mal so alt wie ich. Oder so erfahren.

Typ: Der Kopierer

Fächer: Alle

Natürliche Feinde: Menschen, die denken

Der Kopierer (nicht zu vergleichen mit den Geräten, die in der Schule stehen und die mangels eines kognitiven Denkorgans auf die Ausführung der stupiden Kopiertätigkeit angewiesen sind, seitdem sie die Schreib-Mönche in die Arbeitslosigkeit zwangen) ist äußerlich nicht zu beschreiben, da ihn die meisten Leute noch nie zu Gesicht bekommen haben. Dies liegt daran, dass der Kopierer es scheut, mit Leuten außerhalb der Schule in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen. Für ein solches Unterfangen müsste der Kopierer nämlich selbst etwas haben, das er austauschen könnte. Der Kopierer will Lehrer werden, weil Mama und Papa sagten, das sei etwas Solides. Auch wenn er schon seit dem Studium nicht so richtig Bock auf die Fächer hat, machte er sich einen modernen Freund: Das Internet. Hier kann er in diversen Facebook-Gruppen nach Einheiten, Analysen und einer Dropbox fragen und überspringt so die Zeit, in der die Gestresste oder der Enthusiast zu Hause ihren Frontallappen anregen müssen. Der Kopierer schafft es meist gut durch das Referendariat. Erst wenn es in den richtigen Job geht, wird es eng. Dort kann er meist nur einen einzigen Job übernehmen: Richtig, den des Kopierers.

Anmerkung: Fächer sowie Geschlecht ergaben sich durch puren Zufall und ein geheimes Auslosungsverfahren. Der Urheber bittet um Verständnis und dem Absehen von Zivilklagen juristisch interessierter Enthusiasten. Eine schöne Woche.

Anmerkung II: Man sagte mir, es fehlen Typen. Man sagte mir nicht, welche. Kennt ihr noch Typen, die fehlen? Einfach rein in die Kommentare...

Weitere Referendariatsthemen im Blog:

Schizophrenie als Lebensgefühl, Eine sehr lebendige KlasseLehrerklischeesUnterricht: Dichtung und WahrheitTest: welcher Lehrertyp sind Sie?, Rede zum Abschluss des Referendariats

 

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