Momentan arbeite ich in Deutsch mit meinem Leistungskurs an der Textanalyse, die im Abitur in Baden-Württemberg Teil einer zweigeteilten Aufgabenstellung ist, in der der Schwerpunkt entweder auf der Textanalyse oder auf der Texterörterung liegen kann (Diese Zweiteilung endet übrigens im Abitur ab 2023, dann wird die Analyse eine Option sein. Die andere ist dann die separate Texterörterung). Den vorliegenden Text finde ich sehr gelungen, weshalb ich die Schülerin gefragt habe, ob ich ihn auf dem Blog veröffentlichen kann. 

Hinweis für Lehrkräfte

Aufbauend auf diesem Artikel gibt es nun ein Materialpaket zur Textanalyse auf Eduki. Hier werden Texte nach dem hier dargestellten Muster analysiert, didaktisch aufbereitet und im Sinne eines zeitgemäßen Unterrichts aufbereitet.

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Zum Hintergrund

Die Schwierigkeit an einer Textanalyse ist es, “hinter” den Text zu schauen und nicht nachzuerzählen. Auch geht es nicht darum, möglichst viele sprachliche Besonderheiten zu sammeln und aufzuzählen, sondern die Grundstruktur des Textes zu erfassen, die inhaltlichen Schwerpunkte herauszuarbeiten und zu prüfen, inwiefern die sprachlichen Besonderheiten eben jene herausgearbeitete Argumentationsstruktur betonen, verdeutlichen und/ oder diese verstärken. Mehr dazu gibt es im folgenden Video:

All das macht die Schülerin in ihrem nachvollziehbaren, stringenten und strukturierten Aufsatz. Natürlich sind Kommentare willkommen. Ich bedanke mich an dieser Stelle herzlich dafür, dass Nelly mir die Arbeit zur Verfügung gestellt hat.

Die Analyse bezieht sich auf den Text “Im Basar der Meinungen”, der als Gastbeitrag von Eduard Kaeser in der NZZ veröffentlicht worden ist.

Analyse und Erörterung:

“Im Basar der Meinungen”

Von Nelly Kekk

In seinem Gastkommentar vom 8. Januar bezieht Eduard Kaeser Stellung zu Meinungsbildung und Meinungsäußerung. Meinungen sollen geprägt von Wissen, antastbar und beeinflussbar sein, so dass man sie durch Austausch ändern und verbessern kann.

In der Unterüberschrift wird bereits das Hauptproblem angesprochen (Z.1-5): Die Hinleitung verdeutlicht die Bedeutung der Meinung in Zeiten der Pandemie (Z.6-18). Der Autor beschreibt den Unterschied zwischen dem subjektiven Meinen und objektivem Wissen (Z.19-35) und leitet daraus einen Rang ab: Das Wissen steht über dem Meinen. In der griechischen Antike seien die Philosophen die Wissenden gewesen (Z.35-48). In der Moderne gelte dieselbe Rangfolge, wobei nun die Wissenschaften das Wissen bestimmen würden (Z.49-59). Darauf folgend geht der Autor auf die These eines französischen Philosophen ein, nach dessen Ansicht das Wissen ebenfalls nur Meinung sei (Z.60-68). Es wird die Notwendigkeit eines Schiedsgerichts beleuchtet, das über die Richtigkeit der Meinungen urteilen soll (Z.69-80). Ohne ein solches entwickle sich ein Menschentypus, der auf begründete Meinungen verzichten könne (Z.80-91). Gleichzeitig seien aber begründete, richtige Meinungen nötig, um ein alternatives Framing zu finden (Z.92-97). Die Hauptthese, zu der der Text  führt, ist jene, dass die Meinung antastbar sein soll, sodass sie im Austausch geformt und in der Politik eingesetzt werden kann (Z.98-126).

Kaeser beginnt seinen Kommentar mit einem Gegenwartsbezug zur Pandemie, indem er durch gezielte Falschaussagen zu dem hyperbolischen Schluss kommt, auch Experten würden Meinungen vertreten, und würden somit zur Uneinigkeit der Menschen beitragen (vgl. Z.11ff.). Der Schluss, der daraus gezogen wird, ist jener, dass sich dadurch jeder eine lapidare Meinung bilde, was der Autor kritisch anmerkt (vgl. Z.16ff.).

Im Folgenden wird die klassische Bedeutung von “Meinung” erklärt. Dazu wird sie zuerst in einen Kontrast zu Wissen gesetzt. Durch diese Antithese betont durch eine figura etymologica führt er den Unterschied zwischen den beiden Begriffen durch verschiedene Beispiele weiter aus. Durch die ständige Wiederholung von “Für mich”, als kennzeichnendes Merkmal der Meinung, wird diese von Wissen abgesetzt. Dadurch wird insbesondere die Grundlage für das Verständnis eines später folgenden Absatzes gelegt, in dem Tatsachen beruhend auf harten Wissenschaften von Meinungen abgegrenzt werden. So zumindest ab der Moderne (vgl. Z.52ff.).

Im selben Absatz wird auf einen “höchst einprägsame[n] Vergleich” (Z.50) Bezug genommen: Hier wird behauptet, verbreitete Meinungen seien nicht beständig. Wissen, auch als Meinung gekennzeichnet, hingegen werde beibehalten. Diese paradoxe Aussage findet Bezug nicht nur in der Moderne, sondern auch in der griechischen Antike (vgl.Z.36f.): Damals waren Philosophen diejenigen, die am meisten wussten, denn sie konnten ihre Meinung anbinden (vgl. Z.45ff.), heute seien es Wissenschaftler (der harten Wissenschaften), die wissen würden (vgl.Z.54ff.).

Der nächste Abschnitt ist eine informierenden Beschreibung der These eines französischen Philosophen, der mit dazu beitrug, dass sich ein Zeitalter entwickelte, indem der Zusammenhang von Wissen und Meinung hinfällig geworden sei. Alles sei Meinung (gewesen), wodurch keiner ganz Recht haben könne (vgl.Z.60ff.).

Es wird die Notwendigkeit eines Schiedsgerichts erarbeitet, das über die Richtigkeit einer Meinung bestimmt, denn nur weil eine Meinung geäußert werden kann, so der Autor, bedeutet das nicht, dass diese wahr ist. Diese Abgrenzung führt zum Schiedsgericht (vgl.Z.70ff.). Dieses werde aber vom “Basar der Meinungen negiert” (Z.77), was sich darin äußere, dass es einen Menschentypus gebe, der seine Meinung durchsetze ohne jegliche Begründungen (vgl.Z.81ff.).

Gäbe es ein solches anerkanntes Schiedsgericht, so könnte man der Meinung eine zentrale Rolle zuweisen, sodass diese zusammen mit den Prinzipien der Postmoderne (d.h. Wissen, Wahrheit usw.) ein alternatives Framing bilden könnten, so der der Autor. Er distanziert sich von der postmodernen Idee, gibt ihr aber gleichzeitig Recht in der Überbewertung von Tatsachen (vgl. Z.93ff.). Mit anderen Worten ist der Autor für die Anerkennung von richtigen Meinungen.

Die Aussage, digitale Medien würden das Verklumpfen von Meinungen fördern, stellt der Autor als These auf (vgl.Z.99). Durch eine weitere Akkumulation beschreibt er, inwiefern das der Fall sei (vgl.Z.99ff.) und verweist auf die archaische Ursprungsbedeutung des Wortes “meinen”, was als Signal zur Einwilligung zum Beitrag an einer gemeinsamen Sache gewesen ist (vgl.Z.101ff.).

Daraus folgt eine Frage, auf die er bereits eine paradoxe Antwort bietet: Meinungen werden gefestigt, indem sie nicht zu fest gemacht werden würden (vgl.Z.110f.). Durch die Gegenüberstellung davon, “was man nicht tun soll”, nämlich “auf die Gegner ein[…]prügeln” (Z.111) mit einer festen Meinung, und dem, “was man tun soll”, nämlich die eigene “Meinung auf den Prüfstand” (…) stellen” (Z.118), kommt der Autor zu der Schlussfolgerung, dass die Meinung antastbar sein soll, auch wenn diese Auffassung immer mehr in Vergessenheit gerate (vgl. Z.123ff.). Ohne dieses vergessene Prinzip könne es zu keiner Meinungsübereinstimmung kommen, woran auch die Politik scheitern würde (vgl. Z.124f.). Mit einer dysphemistischen Gegenwartsbeschreibung (“manisch überzeugte allenthalben”, Z.126) schließt Kaeser mit einem kritischen Fazit.

Dieser letzte Satz ist sehr schwer belegbar. Es ist klar, dass es sich um eine Überspitzung der Realität handelt, doch diese wirft dennoch die Frage danach auf, ob das möglich ist. Dass Meinungsaustausch und -einfluss für die Demokratie notwendig sind, darüber braucht man nicht zu reden und dafür braucht es keine Belege. Denn nur durch Austausch und Zustimmung können Kompromisse geschlossen werden. Würden alle manisch auf ihrer Meinung beharren, wäre das nicht möglich. Ein genaueres Beispiel: Glaubt seinem letzten Satz, so ist es nutzlos, Impfgegner, -verweigerer und -kritiker dazu aufzufordern, sich zu impfen, denn ihre Meinung steht schon fest. Und dennoch haben sich viele derer, sie sich unschlüssig waren, durch einen Austausch letztlich doch dazu entschieden, sich impfen zu lassen. Soweit ist die These, dass überall manisch überzeugte seien, zu weit hergeholt.

Eine Meinung soll antastbar sein. Das schließt aus, dass diese fest verankert sein darf. Aber gleichzeitig darf sie nicht leicht “biegbar” sein. Man muss seine Meinugn vertreten, aber gleichzeitig dafür offen sein, dass andere mittels Belegen und Begründungen auf diese einwirken können. Würde aber eine Meinung zu leicht beeinflussbar sein, so würde auch das den “Boden der res publica” (Z.125) stören. Es gebe kein “selektieren” von überzeugenden und nicht-überzeugenden Argumenten. Eine starke Meinung würde alle anderen in den Schatten stellen.

In der griechische Antike war wissen die Art von Meinung, die gut mit Argumenten begründet werden konnte. In der Moderne ist es ähnlich: Wissen ist die Art von Meinung, die mit anerkannten, logischen Argumenten belegt werden kann und keinen Spielraum für Widerspruch lässt, d.h. auf harten Wissenschaften beruht (vgl.Z.55f.).  Somit hat sich nur der Grad der Argumente und deren Belegbarkeit verändert bzw. erhöht.

Dass man nur eine Meinung zu einem Thema wie z.B. dem Impfen besitzen muss und kein Wissen, wie es Kaeser formuliert, stimmt nur bedingt. Zwar ist es nicht nötig, aber wünschenswert, ein breites Wissen zu einem Thema zu haben, aber ein gewisses Grundverständnis muss schon erwartet werden, um in einen Austausch gehen zu können. Denn um eine Meinung zu haben, muss man auch etwas wissen. Seien es falsche Fakten oder wahre, so sind sie nötig, um mit anderen Menschen überhaupt darüber zu sprechen und es zuzulassen, dass sich Meinungen ändern können. Es ist nutzlos und sinnlos, eine Meinung ohne Begründung zu haben. Dann ist es nämlich keine Meinung mehr, sondern ein Bauchgefühl.

Allgemein kann mal also sagen, dass Eduard Kaesers Gastkommentar Kritik am momentanen Zustand des Meinungsaustausches übt. Er ist der Ansicht, Menschen sollten ihre Meinungsfestigkeit lockern und ihre Meinungen auf den Prüfstand stellen, anstatt manisch an ihrer z.T. falschen Meinung festzuhalten. Auf diese Weise würde das “fragile ‘Wir'” (Z.99f.) unserer Gesellschaft gestärkt und die Verbreitung von nachvollziehbaren und belegbaren Meinungen würde gefördert.

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