PERSÖNLICH: Was ich aus meinem Digital Detox gelernt habe

Bob Blume
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31. August 2019
5 Kommentare
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Irgendwann hat irgendwo irgendjemand im Internet gesagt, ein Digital Detox, also der Verzicht auf Social-Media, sei nicht gut oder unnötig. Ich alter Revoluzzer habe mich nicht daran gehalten und all meine Social-Media -Kanäle für gut einen Monat lahmgelegt. Also nicht so ganz, aber dazu später mehr. Ein kurzer Lernbericht.

Zunächst einmal müssen wir hier was klarstellen: Dass Blogleser, die keine Social-Media-Kanäle bedienen, wissentlich schmunzelnd mit dem Kopf schütteln, wenn sie von Digital Detox lesen, zählt nicht. Eine Entgiftung oder ein Fasten ist ja nur dann eines, wenn davor etwas da war, was nun weggelassen wird. Der Begriff selbst mag problematisch sein, weil Entgiftung ja nur möglich ist, wenn man zuvor vergiftet war. Und fragen Sie mal auf den bekannten Plattformen, wer da gezwungen wird. Sogar „Sog“ ist mitunter ein, ja, toxischer Begriff. Andrerseits ist es nicht sehr kompliziert, etwas, das wunderbare Wirkungen hat auch mal wegzulassen. Während ich also dabei bin, wieder einzusteigen, hier ein paar Dinge, die ich bei der Entgiftung gelernt habe (Nebenbei: Der Grund für das Detox war sehr konservativ. Ich wollte meine Zeit ausschließlich meinen Liebsten widmen und der Umgebung, in der wir uns befanden).

  • Wenn Detox bedeutet, ganz zu verzichten, habe ich es nicht geschafft. Ich schaute ab und an rein, und beantwortete persönliche Nachrichten; freilich mit dem Verweis auf den Detox.
  • Ich hatte geradezu Phantombewegungen, die ich abstellen musste. Aus diesem Grund habe ich sogar den Startbildschirm meines Handys so verändert, dass die Social-Media-Apps nicht mehr verführerisch grinsten.
  • Am meisten genoss ich es, Diskussionen fernzubleiben.
  • Am schwierigsten fand ich es, auf den witzigen Tweet zwischendurch zu verzichten. Ein lustiges Poster, eine Überschrift, all das, was ich sonst sofort „verarbeitet“ hätte.
  • Vor allem Twitter lässt einen fühlen, im Auge des Sturms zu sein. Das Gefühl der Distanz war geradezu entschlackend. Plötzlich spielte der Aufschlag keine Rolle mehr.
  • Die Einordung politischer Dynamik war aus der so erlangten „Ferne“ deutlich einfacher.
  • Dennoch vermisste ich das Gefühl, dabei zu sein. Oder durch eine Ergänzung, einen Kommentar oder eine Aussage mitzumischen.

Insgesamt hatte ich weniger die Angst, etwas zu verpassen (FOMO = Fear of Missing Out) als ich dachte. Und auch der Relevanzverlust, wenn man es so nennen mag, war vollkommen in Ordnung. Andrerseits gab es viele kleine Momente, in denen ich in der Tat dachte: So schlimm wäre ein Tweet, ein Post, was auch immer, nicht.

Es fühlt sich so an, als habe ich ein wenig Gelassenheit gewonnen. Aber ob das in der Tat so ist, wird die Zeit zeigen. Jetzt freue ich mich erst einmal doppelt. Darüber, dass ich meine Abstinenz (fast) geschafft habe. Und darüber, dass der Austausch bald wieder weitergeht.

P.S. Um zu schauen, ob Digital Detox tatsächlich so geschrieben wurde, googelte ich es. Dabei fand ich den sehr schlauen Artikel von Jürgen Geuter, der Digital-Asketen als Reaktionär beschreibt. Irgendwie fühle ich mich erwischt. Ich fand meinen Detox dennoch sehr erholsam.

5 comments on “PERSÖNLICH: Was ich aus meinem Digital Detox gelernt habe”

  1. Danke für deinen „Detox-Bericht“! Für mich war dein Ergahrungsbericht mehr als hilfreich. Die Grenzen zwischen ‚digital‘ und ‚analog‘ befinden sich in einem Auflösungsprozess!

  2. Ich habe ja in Bezug auf Twitter digitalen Selbstmord begangen und einen Account mit 2000 Followern einfach gelöscht.

    Die erste Woche war schon hart. Ich schaue heute ab und zu von Google aus noch auf einige Hashtags und Accounts. Passiv. Im Wesentlichen betreibe ich jetzt dabei Mustererkennung aus dem Arroganzmodus heraus. Naja - und mein Buchprojekt kommt voran, hier vor Ort kann ich viel mehr reißen, was direkten Benefit bietet. Und ja: Ein Retweet und ein Herzchen sind einfach für mich relativ(!) wertlos im Vergleich zu einem Schulterklopfen beim Handballspiel oder einem ausgegebenen Bierchen auf dem Stadtfest.

    Ich kann mir das aber leisten, das so zu sehen, weil ich in meinen Wirken und den Gedanken rund um z.B. Digitalität in meinen Systemen kein Sonderling, sondern im Rahmen eines persönlichen Netzwerkes absolut etabliert bin. Das ist purer Luxus und maximal privilegiert. Wenn halt mal wieder nicht geht, nimmt man den Hörer jetzt öfter in die Hand.

    Analog und digital verschwimmen - ja. Digital ist eine Netzwerkkultur und eine Kultur des Teilens. Und die hat persönliche und digitale vermittelte Nuancen. Die digital vermittelten sind so viel bequemer, weil man sich um sie viel weniger kümmern muss. Ich ich glaube nicht, dass sie letztlich die persönlich erfüllenden sind, wenn das Verhältnis nicht stimmt.

    Und ja: Für mich war dieser toxische Sog durchaus real. Aber ich bin ja vielleicht auch nicht reflektiert genug.

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