In einem bemerkenswerten Blogartikel fragt Andreas Hofmann nach der Motivation von Schulen und Lehrkräften, den digitalen Wandel zu gestalten. Man kann sagen, dass Andreas deshalb ein "Insider" ist, da er große Events plant und so oft mit den Vorzeigeschulen und diversen Referenten in Kontakt kommt. Ein Erklärungsversuch.
In dem Text geht es um die Motivation von Institutionen und Akteuren, im digitalen "Spiel" dabei zu sein. Dabei geht es um eine zentrale Frage:
Ist es der Wunsch nach Anerkennung oder nach wirklicher Veränderung?
Hofmanns Text lässt sich grob in drei Abschnitte teilen. Über den ersten kann ich nichts sagen. In diesem geht es, verkürzt, darum, inwiefern Schulen von jenen herausragenden Schulen profitieren, die (wieder einmal) einen Preis gewonnen haben. Im zweiten Teil wird nach der Motivation der Einzelpersonen gefragt, um dann das Problem aufzuzeigen: Wenn jeder es sich in seiner (Fame-)Nische bequem macht, in der es mehr um die Person geht als um die Sache, stockt die Entwicklung, da keine Kritik mehr erwünscht ist, sondern es nur nur um das gegenseitige Hochhypen geht.
Andreas stellt folgende interessante Fragen: "Wofür erbaut man eine Marke? Warum bewegen sich dermaßen viele Digi- Menschen in bewusste Nischen, die vermeintlich unbesetzt sind? Ist es der Wunsch nach Anerkennung oder nach wirklicher Veränderung?"
Selbst kommt er auf folgende Schlussfolgerung:
Schaue ich mir dieses „Spiel“ nun an, kommt mir mehr und mehr der Verdacht, dass es oftmals tatsächlich gar nicht darum geht, sich oder seinen Unterricht zu verändern, sondern eine Rolle in diesem Spiel zu spielen. Sonst wären Kritik und der Austausch doch erwünscht.
Zunächst einmal einige Beobachtungen. Auf Konferenzen, auf denen man mit Referentinnen und Referenten spricht, kommen verschiedene Aspekte zum Ausdruck, die sich zwischen die beiden Pfeiler "Wunsch nach Veränderung" und "Wunsch nach Anerkennung" platzieren lassen.
Die meisten derer, die Workshops und Talks geben (da schließe ich mich ein) genießen es, ihre lehrende Tätigkeit dort durchzuführen, wo sie explizit erwünscht ist (anders als [oftmals] in der Schule sitzen dort Menschen, die zuhören, mitschreiben und mitdenken wollen). Dadurch, dass die Rahmenbedingungen nicht so festgezurrt sind wie im Curriculum, können die Referenten (die ja meistens auch bloggen und/ oder andere schreibende Tätigkeiten durchführen) gleichzeitig in hohem Maße freiheitlich kreativ sein. Und zwar, vielleicht auch mehr als in der Schule, in hohem Maße individuell. In gewisser Weise arbeiten viele "Digitallehrer" nach Prinzipien, die sie beispielsweise mit den 4K mehr an die Schulen bringen wollen.
Neben diesen Faktoren ist es in der momentanen Situation (relativ wenige Angebote, immer mehr Nachfrage) so, dass es als gebildeter Akademiker relativ einfach ist, neben dem Beruf als Lehrer eine Nische zu besetzen und dort zum (unzertifizierten) Experten zu werden. Das soll nicht negativ gemeint sein. Wenn ich beispielsweise "Kahoot-Spezialist" bin, kann ich mich auf den verschiedenen Weisen neu ausleben und dennoch meinen Job ausüben. Ich kann mit einem guten Begriff oder einer interessanten Metapher Teil eines Diskurses werden, ohne dafür jahrelang in der Universität verbracht zu haben.
All dies verdeutlicht, dass es um mehr geht als um bloße Anerkennung. Anders als im hohem Maße standardisierten Schulsystem ist die "freie" Digi-Szene ein Spielplatz experimentellen Ausprobierens und individueller Selbstverwirklichung. Der Soziologe Andreas Reckwitz schreibt in seiner Bestandsaufnahme unserer Zeit ("Die Gesellschaft der Singularitäten") von einer "Selbstsingularisierung", und zwar "Jenseits der Formalisierung der Arbeit". In der hochqualifizierten Arbeit der Kreativbranche gehe es um den "Anspruch des kreativen Arbeitens" und einen "intrinsischen Wert" eben dieser Arbeit.
Anders als in einer marktökonomischen Situation sind Lehrerinnen und Lehrer, die in der Digitalszene dabei sind, nicht auf eine solche Profilierung angewiesen. Aber dennoch bietet sie die oben genannten (Ersatz-)Befriedigungen, was an einem weiteren Charakteristikum des informellen Rahmens liegt:
Eigene Hobbys, die vielleicht über Jahre brach lagen, können in den Kontext des semi-professionellen Spiels eingebettet werden. Wer gut zeichnet, erstellt Sketchnotes oder Deckblätter, wer gut musiziert, erstellt Hintergrundmusik, wer gut fotografiert, erstellt interessante Arbeitsblätter etc. In diesem Sinne hat der digitalaffine Lehrer eine Art Rundumpacket der (neben-)beruflichen Selbstverwirklichung.
Es ist eine reine Vermutung, aber genau hier kann der Grund für die Probleme liegen, die die Kritik an der Arbeit innerhalb der Community hat. Denn diese Kritik mag für den Kritiker auf die Sache zielen; für den Kritisierten zielt sie (vielleicht) auf jenen Teil der Selbstverwirklichung, die dieser endlich ins Spiel zu bringen vermochte.
Zu guter Letzt spielt Anerkennung natürlich dennoch eine Rolle. Einige Kommentatoren von Andreas' Beitrag merkten schon an, dass gerade die Schule nicht der Ort ist, an dem gute Leistungen goutiert werden - im Gegenteil. Dies mag der Grund dafür sein, dass die Person und der Gegenstand immer mitgedacht wird. Es wäre spannend zu sehen, wie viele OER-Materialien in einer Cloud zusammenkämen, in der kein Name genannt würde.
Viele in der Digitalcommunity sind, so paradox es klingt, egozentrische Altruisten. Man darf ihnen glauben, dass es bei der Erstellung von Material nicht um den Namen geht und dass die einzelnen Mitspieler in der Tat froh sind, wenn sie mit den Produkten andere erfreuen können. Aber es bleibt bei einem CC-BY, denn die Sichtbarkeit ist es erst, die den oben genannten Aspekten einen (vermeintlichen) Wirkungsgrad gibt.
Es versteht sich von selbst, dass dies ein Erklärungsversuch ist, der mich einschließt und der auf Vermutungen basiert, die nicht zutreffen können. An dieser Stelle bin ich sehr an Kommentaren interessiert.
tl;dr
In der Digi-Szene geht es nicht nur um Anerkennung. Die einzelnen Akteure können individuell, frei und kreativ an eigenen Wunschprojekten arbeiten, die sie mit niedrigschwelligen digitalen Projekten verbinden und sich so selbst verwirklichen können. Das macht Kritik an der Sache oft schwierig.