Foto: Thomas Clemens

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Philippe Wampflers kurzer Tweet hat eine Diskussion ausgelöst, die absolut verständlich ist. Um meine Position dazu zu erklären, hier ein kurzer Kommentar.

Zunächst eine kleine Anekdote. Als ich vor 6 Jahren mein Staatsexamen machte, war eines der Themen, die ich behandelte der britische (Post-)Kolonialismus. Nachdem ich mich durch Kategorien und Primärliteratur gearbeitet hatte, viel mir etwas auf. Der Roman des Kolonialismus schlechthin “Heart of Darkness” passte nicht in die Kategorien, die die bestehenden Theorien anboten. Da man das Werk Joseph Conrads aber schlecht ignorieren konnte, erklärten die Autoren der Post Colonial Studies einfach, dass der Roman so singulär sei, dass man ihn nicht einordnen könne. Mein Ansatz war ein anderer: Ich überlegte, wie das Modell so zu erweitern sei, dass man den Roman integrieren könne. Das Theoriemodell zeigte ich meiner Professorin. Sie war angetan. Nur: Um dieses erweiterte Modell als Alternative einzuführen, hätte ich schlicht jahrelang prüfen müssen, ob es nicht irgendwo auf der Welt jemanden gäbe, der das Wort, das ich zur Erweiterung der Theorie gebrauchen wollte, schon existiert. Es wäre nah an einer Doktorarbeit gewesen. Das konnte ich nicht leisten. Aber es zeigte mir, dass selbst die Einführung eines einzelnen Wortes, das einen Kontext definiert, innerhalb dessen andere arbeiten, mehr ist als dieses kurz zu definieren. Es sei denn natürlich, man ist schon anerkannter Professor für ein Fachgebiet. In diesem Falle reichte wohl ein Artikel in einer Monatszeitschrift.

In der Welt der Blogger ist das was anderes. Ich erlebte ein kleines Hochgefühl, als ich nach ein, zwei Jahren meine eigene Definition von “Literalität” in einen Blogartikel schrieb und dann von jemand anderem zitiert wurde. Das geht ja einfach, dachte ich. Aber so einfach geht es eben nicht.

Diejenigen, die – und damit komme ich auf den Ausgangstweet von Philippe Wampfler, der sich auf die Definition von Dejan Mihajlović bezieht – in der Welt der Hashtags unterwegs sind, nutzen Hashtags und Definitionen oftmals nicht oder unreflektiert als Theoriekonzepte, sondern als bloße rote Fäden, die themenspezifische Artikel und Meinungen bündeln.

Damit ist nicht gemeint, dass Mihajlovićs Ansatz “nur” ein Hashtag ist. Im Gegenteil: Das Konzept wird von ihm ausgeführt und definiert (was nebenbei großartig für den süddeutschen Bildungsstandort ist, denn dort mangelt es an Konzepten). Aber es ist eben trotzdem für viele nur einer von mehreren roten Fäden, die es gibt, um das Lernen unter den Bedingungen der Digitalisierung zusammenzuhalten.

Und damit kommen wir zur Anekdote zurück. Durch seine Netzpräsenz hat Philippe Wampfler den Status eines Experten erreicht, der die Deutung von Diskussion und Thema mitbestimmt. Ein Tweet wie der, den er hier abgesetzt hat, ist also der “Artikel einer Monatszeitschrift”.

Dabei ist klar: Ich verstehe den Ansatz. Zusammen mit Dejan Mihajlovićs konnte ich auf einer von Saskia Esken veranstalteten Berlin-Reise von einigen mitreisenden Lehrern mitbekommen, was sie unter der “neuen Bildung” verstehen: Möglichst geschlossene Systeme, mit denen man das, was Schule gerade ist, konservieren kann. Mit anderen Worten: Die Wissensfragen können nur einfach schneller abgeprüft werden. Das hat mir aufgestoßen und das stößt mir immer noch auf.

Aber, und das ist mein Punkt, so zu tun, als sei es eine objektive Beobachtung, dass der Hashtag #digitalebildung zwangsläufig traditionelle (und damit abzulehnende) Bildung meint, finde ich nicht richtig. Weil für mich (und Wampfler sagt selbst, dass er es anders versteht) hier eine definitorische rote Linie gezogen wird: Entweder nutzt ihr den richtigen Hashtag oder ihr seid Tradiotionalisten.

Ich habe ein meinen Blogartikel schon oft auf die “zeitgemäße Bildung” hingewiesen, aber ich lasse mich nicht dazu drängen, einen Hashtag zu nutzen.

Und obwohl mir völlig klar ist, dass dies auch nicht Wampflers Absicht ist, ist die Wirkungsmacht eines anerkannten Experten und Buchautors mehr als eine bloße Feststellung oder Beobachtung.

Nebenbei: Ich finde die offene Nutzung der Hashtags auch deshalb so wichtig, damit nicht das passiert, was mit dem #edchatde passiert ist. Nämlich, dass sich einige ausgenutzt fühlten und dass der Hashtag plötzlich für genau das stand.

UPDATE: In einem Artikel über “digitale Bildung und zeitgemäßes Lernen” erklärt Philippe Wampfler, was er meinte, als er den Tweet schrieb. Das Lustige ist: Ich sehe nicht nur seine Beobachtungen zum großen Teil auch so, sondern ich denke auch, dass es die verschiedenen Haltungen gibt, die hier beschrieben werden.

Meiner Ansicht nach entstehen viele Debatten aus dem Konflikt von zwei Haltungen. Diese Haltungen können in unterschiedlichen Formen und Schattierungen auftreten, auch ihre Kraft ist nicht immer vergleichbar. Die Haltungen schließen sich nicht aus, aber sie geben eine Art Ziel vor.

Das sehe ich auch so. Das Problem für mich entstand mit dem ersten Statement.

Die erste Haltung, habe ich mit dem Stichwort »zeitgemäßes Lernen« verbunden (von der Anbindung an Hashtags rücke ich nach dieser Rückmeldung gerne ab, ich will niemandem meine Sicht aufdrängen).

Natürlich kann man eine Auffassung über Bildung mit einem Hashtag versehen. Konsequenter Weise ist dann die andere Auffassung aber eben pejorativ konnotiert.

Insofern muss ich das, was Wampfler über diesen Artikel schreibt, ein wenig ins rechte Licht rücken. Dort heißt es:

Der Ärger besteht darin, dass die Vertreterinnen und Vertreter der ersten Haltung ausstrahlen, sie seien theoretisch geschulter und in ihrer Position konsequenter.

So ist das nicht gemeint. Die Vertreterinnen und Vertreter der ersten Haltung sind auf jeden Fall konsequenter. Ob sie nun alle theoretisch geschulter sind, vermag ich nicht zu beantworten. Darum geht es aber nicht. Es geht darum, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass die in dem Artikel verfochtene Haltung zu einer, ich nenne sie mal, progressiven Lernkultur, unter dem Hashtag #digitalebildung ihre Ideen präsentieren. Und das sollen sie auch weiter tun.

tl;dr 

Es gibt zwei Haltungen, von denen eine konsequenter ist. Die eine sieht eine neue Lernkultur, die andere das alte Lernen in neuem Gewand. Diese Haltungen sind aber unabhängig von Hashtags zu sehen, die vielmehr als rote Fäden in der Online-Diskussion dienen.

P.S. Dieser kurze Artikel hat sehr viele Überschneidungen mit jenem, den ich als Kritik am 4-K-Modell des Lernens schrieb. Vor allem der erste Teil gibt meine generellen Bedenken gut wieder.

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