Beim digitalen Diskurs oder dem Diskurs unter digitalen Bedingungen, ist es schwer, nicht in diverse Fallstricke zu treten. Manchmal bräuchte es eine Typologie der (gerade noch) erlaubten Kritik, an die man sich heranhangeln kann, damit man möglichst keinen in der Community verletzt. Das ist schade, da so, wie so oft im (politischen) Diskurs die Sache auf der Strecke bleibt. Ein Kommentar zum Lesen und zum Umgang mit Kritik.

1. Teil

Beginnen wir mit meinem persönlichen Umgang. Da lese ich einen in der Sache wichtigen Artikel vom Christian Füller, Berliner Journalist und professioneller Wadenbeißer (ich hoffe, Christian, das ist in Ordnung) gegenüber einem sich gefallenden Diskurs. (Anmerkung: Mein eigenes digitales Blogleben startete erst so richtig, als mir Christian so deftig einen vor den Latz knallte, dass ich gekränkt, wütend und beleidigt nach Verbündeten suchte, die ich in der digitalen Community fand). Ich lese bzw. überfliege also diesen Artikel, der sehr wichtige und, wie ich finde, von der digitalen Community (teilweise) ignorierte Einwände formuliert.

(M)eines Erachtens sind die Folgen des Online-Tsunamis auf das Lebens- und Lernverhalten von Kindern gar nicht hoch genug einzuschätzen. Es wird Zeit, dass wir uns damit in einer problemorientierten öffentlichen Debatte damit befassen, erste Studien gibt es dazu ja schon.

Diese Studien zitierend, die in der Tat ein besorgniserregendes Bild bezüglich der Lesefähigkeit bei gleichzeitigem exponentiellen Ansteigen der Smartphonenutzung zeigen, beschreibt Füller seine Besorgnis. Er schließt mit einer konkreten Forderung:

Wer sich dem digitalen Lernen nicht in den Weg stellen will, und das analoge Lernen nicht vernachlässigen möchte, der könnte folgendes machen: einen Digital- und Analogpakt (Siehe Waldorfschulen).

Ich retweetete den lesenswerten Artikel.

Wo ist nun das Problem? Nun, Füller nimmt einen Tweet des Freiburger Lehrers und SMV-Beauftragten Dejan Mihajlović zum Anlass, seine Ausführungen zu zitieren. Die sich normativen Urteilen entgegenstellende Ansicht, das Leseverhalten habe sich verändert, nennt Füller „ängstlich“, und „unangemessen“. Die Begründung folgt und eben im weiteren Verlauf die Ausführungen, die ich für interessant halte.

Nach einem Sturm der Entrüstung, man können doch keine Tweets dekontextualisieren (Was ich übrigens sehr oft und gerne mache, allerdings im Positiven, weshalb sich keiner beschwert) und denjenigen, der die Tweets schrieb, angreifen sollte, musste ich mich, wie so oft in Zeiten, in denen Menschen und Theorien so oft miteinander eins gesetzt werden, entscheiden. Bleibe ich bei meinem Retweet und unterstütze so das, was andere als verletzende Kritik wahrnehmen? Oder nehme ich ihn zurück?

Mein kindisches Verhalten ist für die Filterblase, in der ich mich bewege, typisch (obwohl ich versuche, „drüber zu stehen“). Ich nahm den Retweet zurück. Nicht, weil ich den Artikel nicht gut finde, sondern aus „Furcht“, als jemand dazustehen, der es hinnimmt, dass Dejan böse kritisiert wird (wobei dieser sich gar nicht dazu äußerte und er durch seinen Anspruch, dem, was Bildung in der heutigen Zeit ist, als „zeitgemäße Bildung“ einen Namen zu geben, eine größere Zielscheibe für Kritik darstellt).

Man könnte auch sagen: Diese erste Hälfte meines Blogartikels ist eine Apologie, warum ich den Artikel von Christian Füller wichtig finde, ohne zwangsläufig mit der Art und Weise einzustimmen, wie diese artikuliert wird (wobei ich dabei bleibe: Wer von Füller kritisiert wird, wird für mich eher geadelt als dass ich glaube, dass ein persönlicher Angriff damit bezweckt wird).

2. Teil

Foto: Thomas Clemens

Es wäre sehr unglücklich, würde ich nun ausgerechnet Dejans Tweet als die Ausgangslage meiner eigenen Ausführungen zum Lesen von Büchern nehmen. Aus diesem Grund versuche ich allgemein zu bleiben. Der Grund, weshalb viele Mitglieder der digitalen Community reflexartig die Forderung nach Büchern relativieren, ist einfach: Experten der digitalen Sphäre sind immer und immer wieder damit konfrontiert, dass Lehrerinnen und Lehrer klare Grenzen ziehen. Buch: gut! Handy: schlecht! Mit einer solchen Dichotomie lässt sich nichts bewegen.

Also sprechen die Verfechter einer (wieder mal) neuen digitalen Kultur innerhalb und außerhalb der Schule lieber davon, dass nichts schlechter ist, sondern eben nur alles anders. Das ist absolut nachvollziehbar und nicht nur eine Entwicklung der Buchkultur.

Auch die Öffnung innerhalb anderer gesellschaftlich-kultureller Bereiche bietet, wenn man sie ernst nimmt, Chancen für einen Unterricht, der auf die Jetztzeit vorbereitet. Die Analysen von Memes und Selfies, das Lesen von Graphic Novels und Screenplays – all das wird durch einen digitalen Zugriff begünstigt und kann nur Einzug in die schulische Bildung erhalten, wenn man die Höhenkammliteratur nicht für das Maß der Dinge hält.

Ein Aber

Darum, denke ich, geht es aber nicht. Bei einem Diskurs über das Lesen, über Bücher und über Tablets und über das, was man Literalität oder Literacy nennt, geht es nicht um das Medium, welches die Narrative bereithält. Ich kann genauso gut jeden Tag Pfennigromane als analoge Blättchen lesen wie ich die Bildzeitung auf meinem iPad konsumiere. Meine intellektuellen Fähigkeiten oder meine Kompetenz, Zusammenhänge in ihren Nuancen nachzuvollziehen, wächst dadurch nicht (empirisch habe ich das nicht belegt).

Genauso gut kann ich aber auch Thomas Mann, Franz Kafka und Arthur Schnitzler auf meinem iPad lesen. Oder ich habe sie eben im Regal.

Meine eigene Handlungsweise gegenüber Büchern ist relativ streng. Alles, was ich mehr mag als das es einen flüchtigen Moment der emotionalen Berührung überdauern könnte, brauche ich um mich herum. Vielleicht sogar als Bestätigung meiner selbst. Mein Regal bin ich. Alles, was ich lediglich für einen Moment sammle, kann ich digital archivieren. Es bedeutet mir nur für den Zweck etwas. Meine Lieblingsbücher haben keine Zweckmäßigkeit, außer dass sie sind, was ich geworden bin.

Das kann man pathetisch nennen oder sich damit identifizieren: Was bleibt ist, dass es meine eigene Nutzung ist, eine, die ich durch mein Aufwachsen erlernt habe. Ich würde mir nicht anmaßen, sie anderen aufzuzwingen. Aber: Was viele von denen, die wie ich beide Welten kennen und sich in ihnen auskennen, meinen, ist, dass dies Kinder automatisch auch könnten. Und das ist nicht so.

Viele meiner eigenen Schülerinnen und Schüler (nicht empirisch nachgewiesen), klagen darüber, dass sie sich nicht konzentrieren können. Ihnen fällt es schwer, mehr als eine Seite zu lesen. Eine Seite! Dabei ist es relativ egal, ob sie diese Seite oder diese Seiten auf dem Mac, dem iPad oder im Buch lesen. Das zieht sich bis in die Oberstufe! Lesen ist anstrengend.

Und das soll es auch sein. Einen Gedanken nachzuvollziehen, der sich in seiner Tiefe erst nach einigen Seiten entfaltet, sich zurücknimmt, dann wieder vorwärts prescht; einen Gedanken, der schwer zugänglich ist und sich erst nach und nach in seiner ganzen Buntheit offenbart; einen Gedanken, der durch Strichpunkte weitergeführt wird (kleiner Metawitz). Einen solchen Gedanken nachzufühlen oder rational zu ergreifen bedeutet mehr Aufwand als einen kurzen Blogartikel oder eine WhatsApp Nachricht.

(Wenn ich es mir erlauben kann, an dieser Stelle einen kleinen positiven Seitenhieb zu machen: Hätten wir alle die Standardwerke von Axel Krommer et al. gelesen, z.B. das hier, würden wir nicht so oft denken, dass jede neue Idee von uns selbst ist und hätten eine Grundlage für die Diskussion; aber, und da spreche ich für mich selbst: Es ist sehr anstrengend, Grundlagenwerke zu lesen und zu verstehen, wenn man Vollzeit arbeitet, eine Familie hat und nicht nochmals studieren kann).

Zurück zum Unterschied zwischen einem langen Gedanken und einer Textnachricht. Das also das Ergreifen eines umfassenden Gedanken schwieriger ist, hat auch damit zu tun, dass Lesen als Handlung, die einen selbst berührt und die Perspektiven eröffnet, etwas anderes ist, wenn es ein Mensch macht, der sich Schriftsteller oder Journalist nennen kann. Weil er sein Leben dem widmet, was Worte mit dem Geist machen. Weil er Einblicke in die dunklen Tiefen der Psyche hatte und erlernte, diese so klar zu schleifen, dass sie anderen einen Blick eröffnen.

Können wir dann sagen, dass alles nicht so schlimm ist, weil viel gelesen wird?

Mehr noch: Tun wir unseren Kindern und Schülern einen Gefallen, wenn wir meinen, dass das ständige Lesen von WhatsApp-Nachrichten auch ein solches Lesen ist, dass dem eines Buches gleichzusetzen ist?

Ist also Lesen gleich Lesen?

Ich meine, nicht. So, wie ich (nun, im allerkleinsten Kreis) dafür kämpfe, dass die digitale Kultur, das Wissen um Umgang, Algorithmen und Kommentarkultur, das Netz und soziale Medien Einzug in die Schulen halten, so werde ich darum kämpfen, dass das Buch (egal, ob seine Worte, Sätze und Buchstaben auf Totholz oder auf dem Retina-Display dargestellt werden), die Schule nicht verlässt. Denn dabei geht es um mehr, als darum, ein paar Autoren zu kennen. Es geht darum, denken zu lernen. Denken, das über zwei Zeilen hinausgeht.

Legere aude!

Ihr kennt das.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

9 Kommentare

  1. Lieber Bob, – zunächst: das ist in Ordnung 😉 –
    merci für diesen tollen, ehrlichen Text mit den vielen Referenzen auf mein Gebiss und meine Gedanken. Du hast ein paar bleibende Sätze geschrieben. “Mein Regal bin ich”, da steckt genau die mirakulöse Verbindung zwischen Buch und Bildung drin. Großartig. Den merken wir uns. Und ich frage: “Mein iPhone bin ich”, wie klingt das im Vergleich dazu? Läppisch, äußerlich.
    Mein Regal, das ist Inhalt, Zeit, Auseinandersetzung, Verstehen, deep reading und: Einsamkeit, Langsamkeit.
    Mein Snartphone: das ist Äußeres, Posing, Mikroinfos, Chatten – und: Kontakte, Schnelligkeit.

    Auch interessant Deine Erfahrung, dass Deine Schüler nur noch eine Seite lesen. Eine Seite! Incredibile. (Ich kann das bestätigen mit Erfahrungen, die ich mit Jugendlichen mache.)

    Deswegen stimmt es eben überhaupt nicht, was Dejan twitterte, dass die Kids halt sms, Blogposts, WhatsApp-Nachrichten usw usf “lesen” und das irgendwie das gleiche sei wie Buchlesen. Ich kann nur Sherry Turkle u.a. andere empfehlen, die zeigen, wie zutiefst verstörend die Einflüsse einer zerhackten, in Mikro-Bits gestückelten und dekontextualisierten Kommunikation auf Jugendliche sind. Auf ihr Fühlen, Denken, Wissen, Schreiben und, ja, ihre Pubertät.

    Das ist hier off topic, aber es stellt eben erst einen Kontext von Lesens- und Lebensbedingungen her, den unsere Kids heute zelebrieren und in Wahrheit erleiden. (Jeder Gang zu einer Fete wird doch durch WhatsApp zu einer Art Börsenspiel. Man geht dorthin, wo die coolsten Kumpels, die härtesten Drinks und die heißesten Mädels sind – und das stellt sich eben im Laufe des Abends auf dem WhatsApp-Parkett heraus. Wer eingeladen hat, die soziale Bindung an den Einlader, hat – leider?! – keine so große Bedeutung mehr.)
    Eine – wadenbeißende – Bemerkung zu A.R. Kommers Tweet, es sei unfair zwei Tweets von Dejan zu dekontextualisieren und ihn anzugreifen. Zum einen konkret: Wenn ich zwei Tweets komplett zitiere (und übrigens auch dokumentiere), den Zusammenhang herstelle, über den sich Dejan äußerte, und obendrein eine Quelle dafür liefere. Was ist daran Dekontextualisieren? Im Gegenteil. Ich zitiere komplett und stelle doch gerade einen Zusammenhang her. Zum anderen ganz allgemein: dass ausgerechnet die Groupies der neuen, sozialen, digitalen Medien, also die Claqueure der Mikro-Bits und der Dekontextualisierung, ständig mit diesen Begriff operieren, ist mir ein Rätsel. Nein, es ist kein Rätsel, es ist ein Oxymoron. Es sagt uns etwas. Medienpädagogen verabscheuen es, wenn man ihre sehr zeitabhängigen, sehr eng fokussierten, sehr modischen Analysen in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Weil das ihre Erkenntnisse relativiert, ihre Expertise demaskiert und die wichtigen Fragen aufwirft. Wir sie uns aber nicht stellen sollen – weil wir sonst das Hier und Jetzt so arg infrage stellen würden, dass es unbequem würde. Ich bewundere, dass Du, Bob, einer der ganz wenigen bist, der die operative Praxis digitalen Lernens kann/lehrt/mag und sich trotzdem noch kritische Fragen erlaubt. Auch wenn, wie Dein Beitrag zeigt, Du schon ein bisschen Selbstzensur in Dir verspürst.
    Merci, bis bald,
    Christian

  2. P.S. Mit A.R. Krommer telefoniert, puuuh, das hilft. Ich war gar nicht gemeint 😉 Aber der Gedanke von ihm, Krämer, hat schon auch was. Dass man aus einem eher beiläufigen Twitter-Gespräch nicht ohne weiteres einen tweet heraus nimmt, um ihn dann in einer längeren Abhandlung – auch noch in malignem Zusammenhang – zu zerlegen. Da hat er Recht. Glücklicherweise hatte Dejan ausdrücklich darum gebeten (!), dass die Antwort auf seine Tweets Teil eines Posts werden soll.

  3. Ich bin eher zufällig auf den Post und die Kommentare hier gestoßen. Wenn ich auch mit vielem übereinstimme (vor allem der Empfehlung, Sherry Turkles Bücher zu lesen), muss ich doch eigene, andere Erfahrungen anführen.

    “Mein Regal bin ich” ist eine im besten Sinne des Wortes “catchy phrase”, aber nicht unbedingt auf jeden zutreffend. Natürlich prägen Bücher, Inhalte aus anderen Medien prägen allerdings auch. Um Christian Füller zu zitieren:

    Mein Regal, das ist Inhalt, Zeit, Auseinandersetzung, Verstehen, deep reading und: Einsamkeit, Langsamkeit.
    Mein Snartphone: das ist Äußeres, Posing, Mikroinfos, Chatten – und: Kontakte, Schnelligkeit.

    Es geht nicht um Regal oder Smartphone: ich habe die Kommentare zur Lex Gabinia auch als eBook auf dem Smartphone (und ja, der Weg, auf dem Pompeius sein Kommando erhielt, hat hochgradige tagespolitische Relevanz). Es gibt Texte und Bilder (vor allem digitale Bilder, keine sinnentleerten Selfies), die ich seit dem Ende der 80er(!), also seit mehr als einem Vierteljahrhundert digital vorliegen habe. Aus der Art des Speichermediums die Qualität und Tiefe der Beschäftigung mit einem Thema herleiten zu wollen, finde ich zumindest “ambitioniert”.
    Mikroinfos, Äußeres und Schnelllebigkeit finde ich von der Zeitung mit en vier Buchstaben bis zu jedem Boulevardblatt auch als “ink on dead trees”, da brauche ich wahrlich kein WhatsApp. Aus rein persönlichen Vorlieben die eine oder andere Art der Persistenz von Ideen zu bevorzugen, ist völlig in Ordnung. Daraus aber wieder den alten Schlager der durch das Smartphone zerhackten Konzentration zu basteln ist für mich persönlich zu einfach. Viel intreessanter ist die Frage (und der geht gerade auch Sherry Turkle nach), was dekontextualisierte Kommunikation mit Kindern macht. Und die Frage, warum wir das als Eltern und Lehrer zulassen? Warum zücken denn Schüler lieber das Mobiltelefon als dem Unterricht zu lauschen? Provokante Frage: lieber 10 Minuten Fussball gucken oder 10 Minuten Wurzelbehandlung? Wenn es so ist, dass Unterricht heute schon nicht mehr gegen die Verlockungen von “Äußerem, Posing, Mikroinfos und Chatten” ankommt, dann ist die Sache schon entschieden.

    Medienkompetenz ist ein mittlerweile abgedroschenes Wort, aber gerade die Erkenntnis, dass nicht darauf ankommt, Hesse auf Papier oder aud eInk oder auf einem Display zu lesen, gehört auch dazu. Wichtiger wäre es IMHO, den Schülern beizubringen, wann welche Persistenzform Vorteile hat.
    Bestimmte Informationen gibt es nicht (oder nicht mehr) als Buch. Der Tanz um das goldene Kalb “pyhsikalisch vorhandenes Buch” führt an der Anforderung vorbei. Das digitale Zeug geht nicht mehr weg und es wird immer mehr. Geräte wie ein Smartphone (und das ist erst zahn Jahre alt, warten Sie mal ab, was da in 25 noch alles kommt!) sind erst der Anfang und müssen “gelernt” werden (zum Lernen wäre Schule eigentlich ein guter Ort?). Das System Schule kann Mauer oder Hecke sein: sich dem Sturm der Entwicklung entgegen stemmen und Gefahrt laufen, auf großer Breite umgeworfen zu werden oder Hecke sein, den Wind abzufangen, zu lenken und sich flexibel zu zeigen, aber dafür Windschutz vor den Stürmen der Veränderung zu sein.

    • Danke für den umfangreichen Kommentar. Ich muss zugeben, dass ich um ein Haar polemisch geantwortet hätte, besinne mich aber eines besseren, da Sie den Blog ja zum ersten Mal besuchen. Deshalb sei Ihnen gesagt, dass ich doch zumindest seid 5 Jahren genau die Klaviatur bespiele, auf deren Tasten Sie hier schlagen. Einige Links, die ich in den Artikel gebaut habe, führen Sie eben auf jene Diskussionen, an denen ich mich beteilige, uns zwar jenen, die in genau die Stoßrichtung haben, von der Sie sprechen. Dennoch als Replik ein paar Antworten, da ich davon ausgehe, dass ich mich leider nicht so ausgedrückt zu haben scheine, wie ich es gewollt habe.

      „Mein Regal bin ich“ ist eine im besten Sinne des Wortes „catchy phrase“, aber nicht unbedingt auf jeden zutreffend. Das stimmt. Deshalb schreibe ich in dem Artikel: Ich würde mir nicht anmaßen, sie anderen aufzuzwingen. Aber: Was viele von denen, die wie ich beide Welten kennen und sich in ihnen auskennen, meinen, ist, dass dies Kinder automatisch auch könnten.

      Aus rein persönlichen Vorlieben die eine oder andere Art der Persistenz von Ideen zu bevorzugen, ist völlig in Ordnung. Ich verweise auf oben. Ich will aus meiner Vorliebe keine bevorzugte Idee machen, sondern ich will, dass wahrgenommen wird, dass ein subjektives Empfinden nicht bedeutet, dass andere (Kinder und Jugendliche) auch in der Lage wären, zwischen den Welten zu hüpfen und zu entscheiden, wie sie was wann lesen wollen.

      Viel intreessanter ist die Frage (und der geht gerade auch Sherry Turkle nach), was dekontextualisierte Kommunikation mit Kindern macht. Und die Frage, warum wir das als Eltern und Lehrer zulassen? Warum zücken denn Schüler lieber das Mobiltelefon als dem Unterricht zu lauschen? Das sind richtige und wichtige Fragen, weshalb ich die Artikel verlinkt habe, in denen ich über den Unterricht rede, in denen ich Smartphones, Bücher und PCs einsetze.

      Wenn es so ist, dass Unterricht heute schon nicht mehr gegen die Verlockungen von „Äußerem, Posing, Mikroinfos und Chatten“ ankommt, dann ist die Sache schon entschieden. Und wer sagt, dass das so ist? Das ist der Kampf, um den es geht. Das ist der Grund, warum ich für einen Unterricht kämpfe, der die Digitalisierung anerkennt. Das bedeutet für mich aber eben nicht, dass ich den Verlust des “Alten” hinnehme. Aber als Lehrer mache ich, und viele meiner Kollegen, schon genau das: Arbeiten mit OER, mit FlippedClassroom, über YouTube etc.

      Wichtiger wäre es IMHO, den Schülern beizubringen, wann welche Persistenzform Vorteile hat. Ja, definitiv. Bin ich bei.

      Bestimmte Informationen gibt es nicht (oder nicht mehr) als Buch. Der Tanz um das goldene Kalb „pyhsikalisch vorhandenes Buch“ führt an der Anforderung vorbei. Ja, das stimmt. Aber warum schreiben Sie das denn als Kommentar. Das ist doch genau der Grund, den ich NICHT ins Feld führe. Ich schreibe nirgendwo, an keiner Stelle, dass für alle die eine oder andere Form der Konkretisierung besser wäre. Von mir aus können Schüler Thomas Mann über ihr Smartphone lesen. Aber das tun sie nicht. Das ist das Problem – zumindest, wenn man meint, dass Literatur, die länger als eine Seite ist, eine Rolle spielen soll, um den Intellekt zu beflügeln.

      Das System Schule kann Mauer oder Hecke sein: sich dem Sturm der Entwicklung entgegen stemmen und Gefahrt laufen, auf großer Breite umgeworfen zu werden oder Hecke sein, den Wind abzufangen, zu lenken und sich flexibel zu zeigen, aber dafür Windschutz vor den Stürmen der Veränderung zu sein. Ja, deshalb schreibe ich diesen Blog, auf dem Schüler, Lehrer und Eltern, aber auch Kolleginnen und Kollegen wöchentlich meine Arbeit sehen, kritisieren und anmerken können. Es gibt viel zu tun in dieser Hinsicht. Aber eines kann ich mir nicht vorwerfen: Dass ich in diese Richtung nichts unternehme.

      Im Prinzip, und ich hoffe, das kam heraus, schreiben Sie genau das, was ich auf etwa 500 Blogartikeln auch propagiere. Der einzige Unterschied ist, dass Sie gerade auf einem gelandet sind, in dem ich anmerke, dass es nicht schlecht wäre, wenn die kommende Generation der Demokraten in der Lage wäre, eine Textnachricht zu entschlüsseln, die über ein paar Hundert Seiten geht – egal, auf welcher Darbietungsform diese zu finden ist. Liebe Grüße und bis hoffentlich bald. Bob Blume

      • Vorab: ich bin für die Antwort auf etwas mit einer anständigen Tastatur gewechselt. Der größte Nachteil der Smartphones ist IMHO, dass Texte grundsätzlich in einem orthographischen Massaker enden. Ich gelobe Besserung. 🙂

        > Ich muss zugeben, dass ich um ein Haar polemisch geantwortet hätte,
        > besinne mich aber eines besseren, da Sie den Blog ja zum ersten Mal besuchen.

        Danke. Mea culpa, wie gesagt bin ich aus einem anderen Thread-Universum hier herein gestolpert. Habe aber beim Durchlesen und nicht erst durch Ihre Antwort gemerkt, dass hier Lesestoff wartet.
        Ich werde also die Klaviatur mal genauer unter die Lupe nehmen.

        > …ich will, dass wahrgenommen wird, dass ein subjektives Empfinden nicht bedeutet,
        > dass andere (Kinder und Jugendliche) auch in der Lage wären,
        > zwischen den Welten zu hüpfen und zu entscheiden, wie sie was wann lesen wollen.

        Da sind wir offenbar einer Meinung. Ich denke schon, dass Sie sich gut ausgedrückt haben,
        möglicherweise sollte ich solche Kommentare mit mehr Kaffe lesen. 🙂 Ja, ich stimme völlig überein, dass die Extrapolation der eigenen Empfindungen und Kompetenzen auf die Welt der Kinder und Jugendlichen ungünstig ist. Dieser Umgang und diese Fähigkeit will (möglichst anhand von Beispielen des eigenen Handelns)
        gezeigt und erklärt werden.

        > Das sind richtige und wichtige Fragen, weshalb ich die Artikel verlinkt habe,
        > in denen ich über den Unterricht rede, in denen ich Smartphones, Bücher und PCs einsetze.

        Sind schon in der Lese-Pipeline. Ich wollte auch nicht den Einsatz bzw. Ihren Unterricht angreifen (wie käme ich mangels Kenntnis dazu?), aber mir stieß nur die Betonung des, ich nenne das mal “physikalischen Aspekts” auf.

        > Das ist der Grund, warum ich für einen Unterricht kämpfe, der die Digitalisierung anerkennt.
        > Das bedeutet für mich aber eben nicht, dass ich den Verlust des „Alten“ hinnehme.
        > Aber als Lehrer mache ich, und viele meiner Kollegen, schon genau das: Arbeiten mit OER, mit FlippedClassroom, über YouTube etc.

        Das “Alte” muss nicht unbedingt das “Alte” sein. Was ich mit diesem kruden Satz ausdrücken möchte, ist die Erfahrung aus meiner persönlichen Umwelt, dass es für vieles keine Unterscheidung mehr zwischen “analog” und “digital” gibt, die Schule (und viele Bereiche aus Politik und Wirtschaft) jetzt aber erst erkennen, was da auf sie zukommt. Es ist unerheblich, ob ich eines meiner Bücher analog oder digital gestalte, schlechte Typographie ist schlechte Typografie. Ich habe/hatte eine andere Zielgruppe (war mal in einem früheren Leben Trainer im Bereich der Softwareentwicklung), aber FlippedClassroom ist dort anerkanntermaßen seit Jahren die Methode der Wahl. Einfach, weil die Vorteile überwiegen und wir haben damals auch nicht erst Jahre romanalysiert, sondern ums am Interesse der Lernenden orientiert. OER ist nichts anderes als Open Source, mit allen Aspekten (auch dort teilen aktiv ca. 10%, der Rest hortet und nutzt). Aber der Einsatz von Kahoot, Padlets oder Zumpad ist keine digitale Bildung, sondern nur ein Wechsel des Werkzeugs. Als Anmerkung dazu der Hinweis, dass viele Software-Teams wieder zu “analogen” Whiteboards und Flipcharts für ihre Arbeit gewechselt sind und die Nutzung von Instant Messaging/Chats mittlerweile skeptisch gesehen wird.

        Ich finde den Kampf ebenfalls (noch) nicht entscheiden (man will ja in einem Kommentar auch etwas polarisieren und zuspitzen) und bin der Meinung, dass alle Pädagogen, die hier diskutieren und sich Gedanken machen, Methoden und Werkzeuge suchen, eigentlich alle Respekt verdienen. Denn Sie sind der Teil der Gaußkurve, der aktiv an der Zukunftsorientierung arbeitet. Probleme wird es immer mit dem “long tail” geben, den laggards, den “Ich geh dahin, wenn ich geschickt werde”.

        > Das ist doch genau der Grund, den ich NICHT ins Feld führe. Ich schreibe nirgendwo, an keiner Stelle,
        > dass für alle die eine oder andere Form der Konkretisierung besser wäre. 

        Welche wunderbares Beispiel, warum man solche Diskussion nicht per Twitter & Blog, sondern zusammen bei einem Glas Wein führen sollte! Der *ganze Grund*, warum ich den Kommentar überhaupt geschrieben habe, war Ihr Satz

        ” Alles, was ich mehr mag als das es einen flüchtigen Moment der emotionalen Berührung überdauern könnte, brauche ich um mich herum. Vielleicht sogar als Bestätigung meiner selbst. Mein Regal bin ich. Alles, was ich lediglich für einen Moment sammle, kann ich digital archivieren. Es bedeutet mir nur für den Zweck etwas. ”

        Also genau der Grund, den Sie geschrieben hatten, dass hier das Nicht-Digitale besser ist. Es sieht so aus, als würden wir wirklich die gleiche Klaviatur bedienen. 🙂 Ich bin aufgrund mehr als 25 Jahren täglicher Umgang mit der sog.”Digitalität” vielleicht einfach empfindlicher geworden bei solchen Themen.

        Ich kann natürlich auch nur für die völlig repräsentative Gruppe 🙂 von n=1 für ein eigenes Kind sprechen, aber es wird durchaus mehr als eine Seite gelesen (Papier als auch eBook-Reader) und voll-analog gebastelt, aber auch digital per Minecraft Dinge entworfen (die man übrigens mittlerweile problemlos als 3d-Print “konkretisieren” kann).

        > mir nicht vorwerfen: Dass ich in diese Richtung nichts unternehme.

        Ganz im Gegenteil: wie oben geschrieben, denke ich, dass Sie zur der Gruppe gehören, die aktiv etwas unternimmt. Und wie Sie geschrieben habe, bin ich aufgrund der einen Phrase in einen von 500 Blogartikeln gestolpert. Die ich jetzt mehr oder weniger lesen muss, um das nächste Mal mit mehr Verständnis zu kommentieren.

        > dass es nicht schlecht wäre, wenn die kommende Generation der Demokraten in der Lage wäre,
        > eine Textnachricht zu entschlüsseln, die über ein paar Hundert Seiten geht –
        > egal, auf welcher Darbietungsform diese zu finden ist.

        Perfekter Schluss, dem kann ich wirklich nichts hinzufügen. Doch, eines: danke für die verständnisvolle, aber nachdrückliche Art des Empfangs hier! Ein schönes Beispiel, dass Diskussionskultur auch digital funktioniert kann. Und das sowas auf Twitter nie möglich gewesen wäre. 🙂

        • Hallo, ich habe in letzter Zeit vor allem beim digitalen Zusammenarbeiten mit Kollegen, die in anderen Bundesländern wohnen, immer wieder Momente des kurzen Glücks, weil sich einfach zeigt, was miteinander reden bewirken kann. Solch einen Moment hatte ich gerade auch beim Lesen Ihres zweiten Kommentars, wobei mir meine eigenen Worte etwas hart vorkamen (wohl auch dem geschuldet, dass ich sozusagen in 9/10 Fällen über das schreibe, auf das Sie zeigten, und das “irgendwie unfair” fand). Kurz: Ich denke, wir sind sehr nah beieinander. Die Reibungspunkte, die es gibt, lohnen sich sicherlich für zukünftige Gespräche. Das nächste Mal werde ich jedoch die Waagschale mit etwas weniger Nachdruck befüllen. Ich muss zugeben, dass ich da noch ein Aufgabenfeld habe: Arbeiten an meiner eigenen Sachlichkeit (schwierig, denn die Leidenschaft für die Sache ist es auch, die mir den Schwung gibt, weiterzuarbeiten, selbst wenn die Umstände wider sind). Liebe Grüße

  4. Ihr kennt doch diesen Trick, wie man sich Dinge merken kann: Man stellt sich einen Raum vor, in dem man sie verteilt. Wenn ich ein Buch gelesen habe, dann stelle ich das zum Beispiel links oben in das eine Regal, und wenn ich ein anderes gelesen habe, kommt das in das Regal rechts unten. Und wenn ich mich an Autor oder Titel oder Inhalt erinnern will, gehe ich an dieses Regal. – Bei digitalen Büchern, die ich viel lese, mache ich das nur in Gedanken, also eher: gar nicht; bei Papierbüchern mache ich das mit einem echten Zimmer statt einem vorgestellten. Das funktioniert bei mir sogar noch besser!

    (Wollte mich melden, habe aber sonst nichts beizutragen zum Thema.)

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