Die Präsidentin der KMK hat gemeinsam mit den beiden Vorsitzenden der Lenkungs- gruppe „Bildung in der digitalen Welt“ die Ständige wissenschaftliche Kommission gebeten, eine Stellungnahme abzugeben, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um das Bildungssystem auf gelingende Lehr-Lern-Prozesse unter Einbeziehung digitaler Hilfsmittel noch besser vorzubereiten.

Diese möchte ich an dieser Stelle kritisch, aber konstruktiv kommentieren und einordnen. 

Anmerkung zum Vorgehen

Die “Stellungnahme zur Weiterentwicklung der KMK-Strategie ‘Bildung in der digitalen Welt’“ ist ein etwa 30 Seiten umfassendes Papier, in dem nach der Bitte der Präsidentin der KMK Empfehlungen für unterschiedliche Bereiche des deutschen Bildungssystems erarbeitet werden sollten. Es geht um die Frage, “welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um das Bildungssystem auf gelingende Lehr-Lern-Prozesse unter Einbeziehung digitaler Hilfsmittel noch besser vorzubereiten”, wie es in dem Papier selbst heißt.

Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, um das Bildungssystem auf gelingende Lehr-Lern-Prozesse unter Einbeziehung digitaler Hilfsmittel noch besser vorzubereiten

Dieser erste Kommentar soll weder eine Nacherzählung des – so viel kann man sagen – spannenden Papiers noch eine detaillierte Analyse sein. Vielmehr ergeben sich Schwerpunkte, die aus meiner Perspektive als seit langem vernetzter Praktiker auf der einen und Fachbuchautor auf der anderen Seite ergeben. Mein fachbezogener Blick führt dazu, dass die Bereiche der wissenschaftlichen Hochschulbildung sowie die Bereiche rund um das Fach Informatik zu kurz kommen (müssen). Um einen Lesefluss zu garantieren, zitiere ich ohne Seitenangabe und Klammern, richte mich aber an die Überschriften des Papiers, so dass die betreffenden Stellen leicht(er) gefunden werden können.

Die Perspektive eines seit langem vernetzten Praktikers

Auch verzichte ich auf die Verweise auf die mehrseitig angegebene Sekundärliteratur, die sicherlich dennoch jedem interessieren einen Blick wert sein dürfte.

Der Ansatz ist jener, dass aus meiner Sicht positive und sowie negative Punkte einander gegenübergestellt und kommentiert werden. Ich sehe diesen ersten Kommentar als ersten Zugang, der sicherlich gerade durch die Kommentierung – auch in den digitalen Medien – weitere Bearbeitungen erfahren wird.

Vorbemerkung (des Papiers)

Schon die Vorbemerkung beinhaltet das beste beider Welten. Auf der einen Seite zeigt sich, dass von Seiten der Autor*innen verstanden worden ist, dass sich das Lernen ändern muss: “Zur Bewältigung dieser Herausforderungen sind Ideen zu entwickeln, wie sich Lehr-Lernprozesse in den unterschiedlichen Bildungsetappen in einer zunehmend digitalen Welt verändern werden.” Neben einem fehlenden Bildungsbegriff, der erst viel später und dann auch ohne eine Definition erwähnt wird, zeigt sich ein für mich problematisches Verständnis der Digitalität, die hier – und im weiteren Verlauf des Papiers – sehr einseitig als “digitale Hilfsmittel” (oder später als “Werkzeuge”) beschrieben und somit auf eine einseitige Funktionalität verengt werden (“Einbeziehung digitaler Hilfsmittel”).

Wie verändern sich Lernprozesse in einer digitalen Welt?

An dieser Stelle sei auf den entsprechenden Artikel von Axel Krommer verwiesen, der die Problematik in einem Blogbeitrag von 2019 auf den Punkt bringt:

“Der Werkzeug-Medienbegriff mag für die Planung der nächsten Doppelstunde gerade noch brauchbar sein. Wenn man die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Bildungssystem beleuchten möchte, bleibt die Werkzeug-Perspektive jedoch blind für den wesentlichen Aspekt: die Tatsache, dass Medien keine neutralen Kanäle, sondern prägende Formen sind, die maßgeblichen Einfluss auf Kultur und Gesellschaft nehmen.”

Einleitung

In der Einleitung des Papiers wird auf die verschiedenen Begriffe einer digital geprägten Kultur aufmerksam gemacht. Dies ist insofern sehr positiv, als dass die Funktion digitaler Medien bei der “öffentlichen Meinungsbildung” genauso Beachtung finden wie die “Veränderungen der Arbeitsorganisation”. Andrerseits mag sich der Lesende fragen, warum in dem Papier nur zweiteres eine genauere Ausführung erfährt. Oder anders gesagt: Wenn sich, wie es in dem Papier heißt “aus diesen dynamischen Veränderungsprozessen (…) sich neue Anforderungen an die Gestaltung von Bildungsprozessen […]” ergeben, dann müsste aus meiner Sicht die Betrachtung der medialen Realität stärker in den Blick genommen werden als ein auf Mikroprozesse konzentrierter Lernbegriff.

Eine weitere Passage offenbart den hehren Anspruch an eine tiefgreifende Veränderung: ”

Darauf aufbauend muss es künftig darum gehen, die Potenziale digitaler Technologien für Lehr- und Lernprozesse im Regelbetrieb (Hervorhebung des Autors) aller Bildungseinrichtungen besser als in der Vergangenheit zu nutzen, und zwar für den Erwerb aller Kompetenzen, der neu hinzugekommenen digitalisierungsbezogenen und der weiterhin relevanten fachlichen Kompetenzen.

Das hört sich gut an, wenngleich die (konsequente) Fortführung einer Gegenüberstellung zwischen Fachlichkeit und Digitalität hier ein Problem darstellt, das im Weiteren noch kommentiert wird. Daraus ergibt sich ein, wie ich meine, widersprüchlicher Anspruch an jene neue Bildungsprozesse: “Technologien sollen vielmehr dort zum Einsatz kommen, wo sie fachspezifische und fächerübergreifende Lehr- und Lernprozesse sowie Bildungsprozesse unterstützen und vertiefen. Außerdem müssen sie selbst zum Gegenstand von Lernprozessen bzw. des Kompetenzerwerbs werden.”

Gegenüberstellung zwischen Fachlichkeit und Digitalität ist ein Problem

Ich verstehe den Ansatz des “Unterstützens” genauso wie den des “Vertiefens”. Und auch die daraus resultierende Forderung nach entsprechend wissenschaftlich fundierten Unterrichtskonzepten ist schlüssig. Dennoch ergibt sich die Frage, warum bestehende Konzepte (beispielsweise Symmedialität, Medienverbund, Intermedialität) hier nicht aufgeführt werden, da diese deutlich machen, dass die Perspektive digitaler Medien als bloße Unterstützung bestehender Prozesse eine verkürzte Sicht darstellt, die in Sackgassen führt. Sehr konkret: Ich kann mit digitalen Medien nicht besser schreiben oder schreiben lernen. Sondern ich kann mit digitalen Medien anders schreiben. Und ich kann mit digitalen Medien auf eine Weise schreiben, wie sie zuvor nicht möglich gewesen ist.

Ausgangssituation

Zur Ausgangssituation, die in dem Papier skizziert wird, lässt sich nur sagen, dass ein erfrischend schonungsloses Bild der Defizite des deutschen Bildungssystems in Bezug auf die Digitalisierung und der diese betreffenden Prozesse, der Infrastruktur und der Professionalisierung gezeichnet wird. Es geht um einen “erheblichen Rückstand”, der auch empirisch nachgewiesen wird: “Insgesamt zeigt der Bildungsbericht 2020 (mit dem Schwerpunkt digitale Bildung) allerdings, dass viele Bildungseinrichtungen technisch nicht hinreichend ausgestattet sind und die Digitalisierung in der Aus- und Fortbildung des Personals bis dato von geringer Bedeutung war.”

Schonungsloses Bild der Defizite des deutschen Bildungssystems

Auch wird ein “erheblicher Nachholbedarf bei der Schaffung einer stabil funktionierenden Infrastruktur” und die “forschungsbasierte[] Entwicklung digitaler Lernprogramme und Werkzeuge und bei zielgerichteten Forschungsangeboten” gefordert. Die aus der Ausgangssituation abgeleiteten Forderungen strukturieren den dann folgenden Teil des Papiers.

Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung einer Strategie zur Bildung in der digitalen Welt

Die Ansatzpunkte, die als Fragen formuliert werden, betreffen die verschiedenen Fehler, die mit einer Digitalisierung zu tun haben, wie sie hier definiert wird. Eine Kritik dieses Verständnisses würde weit führen, weil dieses sich auf eine schon angedeutete Reduzierung der Digitalität stützt. Was genau “Bildung in einer digitalen Welt”, wie sie auch im KMK-Papier erwähnt wird, sein soll, wird nicht besprochen. Mit anderen Worten:

Der Bildung fehlt ein Bildungsbegriff.

Allerdings ergeben sich aus den Fragen, dieses lernzentrierten Verständnisses nachvollziehbar definierte Arbeitsbereiche. Diese sollen an dieser Stelle nicht aufgelistet werden, weil schon die kommenden Unterüberschriften die Bereiche abgrenzen. Als Beispiel sei die erste Frage erwähnt:

“Wie müssen fachbezogene und überfachliche Bildungsziele angesichts der Herausforderungen der Digitalität weiterentwickelt werden.”

Was unter dem hier zum ersten Mal erwähnten Begriff der “Digitalität” verstanden wird, bleibt unerwähnt.

1. Bildungsziele und Kompetenzen unter Bedingungen der Digitalität definieren, operationalisieren und überprüfen

1.1 Fachliche und überfachliche Bildungsziele und Kompetenzen

Die unter dieser Überschrift gefassten Ziele sind zunächst einmal plausibel. Sie werden auf unterschiedliche Schulformen bezogen und fokussieren sich auf essentielle Kompetenzen wie die der “Fähigkeit zur Selbststeuerung”, der “Abstraktionsfähigkeit” und der prozessorientierten “kooperative[n] und kommunikative[n] Kompetenzen. Insbesondere, dass der Punkt “Wirkmacht von Technologien” aufgenommen worden ist und Kompetenzen zur “kritisch-reflexiven Auseinandersetzung” nach sich zieht, ist aus meiner Sicht als extrem positiv hervorzuheben.

4Ks, die 21st Century Skills, das OECD-Framework

Die Grundlage dieser Ziele sind eben jene Modelle, die auch im digitalen Diskurs seit Jahren diskutiert werden: Die 4Ks, die 21st Century Skills, das OECD-Framework. Und auch die Beschaffenheit einer VUCA-Welt werden einbezogen. Gerade vor dem Hintergrund der schon erwähnten geforderten Implementierung dieser – man muss es so formulieren – neuen Kompetenzen in den “Regelbetrieb” war die erfreuliche Lektüre dieser Referenzen jedoch geprägt von der Frage, wie dies zusätzlich zu den schon bestehenden Inhalten gemeistert werden kann. Zumal an anderer Stelle (wahrscheinlich im Sinne politischer Zugeständnisse davon gesprochen wird, dass nichts (!) dafür weichen muss). Dennoch: Die Dimensionierung dieses Kapitels außerhalb eines prozessbezogenen und bloßen “unterstützenden” Lernverständnisses lässt ein äußerst positives Bild des Kapitels zurück:

“Fachspezifische digitale Kompetenzen und Reflexionshorizonte, die in der fachimmanenten Nutzung digitaler Medien bestehen, u. a. zur fachspezifischen Reflexion und Gestaltung digitaler Teilhabe.”

Eine praktische Umsetzung dieser Forderung ist überfällig.

1.2 Überprüfung der Zielbereiche digitaler Bildung im Bildungsmonitoring

Das darauffolgende Kapitel reißt die positiven Ansätze insofern ein, als dass die Forderung nach Operationalisierbarkeit im Rahmen einer wissenschaftlichen Erarbeitung zwar nachvollziehbar ist, aber schon in der Forderung in künstlichen Aufteilungen mündet, die der Komplexität digitaler Prozesse nicht gerecht wird:

“Für den allgemeinbildenden Bereich eine bessere Abgrenzung von fachspezifischen, informatischen und informationsbezogenen Zielen, so dass drei unterscheidbare Kompetenzbereiche definiert und adressiert werden.”

Nur weil man die Bestandteile einer Suppe definiert, schmeckt sie nicht besser. Vor allem wird sich dadurch weniger als Suppe wahrnehmbar. Dennoch: Die darauf folgenden Forderungen sind in dem Sinne nachvollziehbar, dass digitale Lernprozesse fassbar werden sollen.

2. Kompetenzentwicklung von Lernenden durch digital gestützte Prozesse des Lehrens und Lernens fördern

Auch wenn in diesem Kapitel Forderungen gestellt werden, die begrüßenswert sind, finden sich hier problematische Ausführungen, die auf dem schon besprochenen, reduzierten Verständnis “digital gestützter” Prozesse basieren. So heißt es beispielsweise:

“Mittlerweile zeigen viele empirische Studien, dass weder der bloße Zugang zur Technologie (z. B. Tablets im Unterricht) noch deren Nutzungshäufigkeit („je mehr, desto besser“) einen substanziellen Einfluss auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler hat.”

Das erscheint nicht nur trivial, sondern darauf folgt die Forderung nach “Potenziale[n] zur Steigerung der Qualität von Lehr-Lernprozessen”. Meine große Furcht ist an dieser Stelle, dass die Suche nach dem Mehrwert den Fokus auf jene wichtigen Schwerpunkte verwehrt, die in den Ausführungen zum reflexivem Umgang eigentlich enthalten waren. Nicht dass die zusätzlich erwähnten Ausführungen zur Motivation und verschiedenen Methoden nicht wichtig wären; das Grundverständnis, das nach einem Potenzial fragt, dass ein “Mehr” ergibt, reduziert den Blick auf die Möglichkeiten erheblich.

Suche nach Mehrwert verwehrt Fokus auf wichtige Schwerpunkte

Es ist kein Wunder, dass auch die Schlussfolgerung aus den erwähnten Ausführungen dann eher banal ist: “Die neue Technik muss sinnvoll in den Unterricht integriert werden, damit ihr Potenzial ausgeschöpft werden kann.” Wer würde etwas anderes behaupten wollen? Der Punkt ist, dass sinnvolles arbeiten eben nicht am Mehrwert orientiert werden kann, es sei denn man meint den ohnehin bestehenden Mehrwert, den die Reflexion des digitalen Arbeiten bietet.

Ein “Primat der Didaktik” hingegen, wie es hier formuliert wird, halte ich für sinnvoll:

“Alle Lehrmethoden- und Medienentscheidungen – ob analog oder digital – sind im Sinne eines Primats der Didaktik immer in Abhängigkeit von Ziel- und Inhaltsfragen zu treffen.”

Positiv ist zudem, dass “zentrale Prüfungsprozesse” Eingang in das Papier gefunden haben, die die “eingeführte Nutzung digitaler Werkzeuge mitberücksichtigen”. Ohne an dieser Stelle näher auf jene Gebiete einzugehen, die außerhalb meiner Expertise liegen, erscheint es dennoch sinnvoll darauf hinzuweisen, dass auch die “Bereitstellung qualitätsgesicherten Unterrichtsmaterials” erwähnt wird.

2.1 Empfehlungen

Es wäre sicherlich nicht sinnvoll, alle aus dem Kapitel abgeleiteten Erwähnung zu paraphrasieren. Dennoch sei stellvertretend auf die erste hingewiesen, da sie zentrale Punkte beinhaltet:

„Die Entwicklung und Evaluation didaktischer Konzepte für die Einbettung digitaler Medien im Unterricht unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der allgemeindidaktischen, lernpsychologischen, medienpädagogischen und fachdidaktischen Forschung zu lernwirksamen Merkmalen des Unterrichts.“

So wichtig die Forschung in diesem Zusammenhang ist, hoffe ich, dass auch die Erfahrungen von vernetzten Praktikern hinzugezogen werden.

Zwischenanmerkung

Die nun folgenden Kapitel verlassen den Bereich meiner professionellen Expertise, so dass ich an dieser Stelle nur kurze Anmerkungen zu einigen ausgewählten Punkten vornehmen möchte. Die Struktur bleibt dennoch an den jeweiligen Überschriften orientiert, die Inhalte werden jedoch deutlich verkürzt.

3. Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte für eine lernwirksame Nutzung digitaler Technologien professionalisieren

Es erscheint zunächst einmal erwähnenswert, dass der Punkt der Professionalisierung als Einzelpunkt in dieser Form berücksichtigt wurde. Auch hier muss jedoch ein Verweis auf das wiederholt problematische Verständnis angebracht werden. Denn wenngleich nichts gegen einen zu erlangenden “fachkompetenten Umgang” zu sagen ist, ist das Potenzial “digitaler Medien zur Verbesserung von Lehr-Lernprozessen” schlicht der falsche Weg.

Wer nach einer Verbesserung schaut, versperrt den Blick für das Potenzial einer didaktisch sinnvollen Erweiterung der Gegenstände und fachbezogenen Methoden. An dieser Stelle wieder eine für mich dennoch plausible und zentrale Forderung:

3.1 Empfehlungen

Die flächendeckende und systematische Verankerung des Themas Digitalisierung in allen drei Phasen der Lehrkräftebildung für allgemeinbildende und berufliche Schulen sowie in der Ausbildung pädagogischer Fachkräfte.

4 Technologiegestütztes Lehren und Lernen durch eine datenbasierte Schulentwicklung unterstützen

Die Problematik der Überschrift brauche ich nicht ein weiteres Mal zu erläutern. Interessant für Lehrende ist ein Passus, dem man inhaltlich eigentlich nicht widersprechen möchte:

“Schulen sind aufgefordert, ein Medienbildungskonzept im Einklang mit dem schuleigenen Curriculum und dem Schulprogramm zu entwickeln, das anknüpfend an den Kompetenzstand der Schülerinnen und Schüler und bezogen auf standortspezifischen Gegebenheiten konkrete Ziele, Maßnahmen und Überprüfungszeiträume zur abgestimmten Nutzung digitaler Technologien und digitaler Werkzeuge formuliert.”

Spannend ist an dieser Stelle eher die Frage nach dem Personal, die nicht ausgespart, aber in einer Weise formuliert wird, die mich fragend zurücklässt. So werden zwar in den Empfehlungen “Funktionsstellen im Schnittfeld von mediendidaktischen, fachdidaktischen und informationstechnischen Kompetenzen” gefordert, aber später wird von einer Stelle “pro 2000 Endgeräte” gesprochen”. Manch einer mag sich ein “Immerhin” entlocken lassen; insgesamt erscheint das aber inadäquat.

5 Leistungsfähige technische Infrastruktur und zuverlässigen Support sicherstellen

Das gesamte Kapitel ist zitierfähig und unterstützenswert, da hier die IT-Infrastruktur als notwendige Grundvoraussetzung betont wird. Vor allem aber wird der “dauerhafte Betrieb” erwähnt. Eine, wie ich meine, der zentralsten Stellen überhaupt, da, soweit ich dies absehen kann, auch der Digitalpakt nur eine Art Startpunkt für eine Entwicklung angesehen werden kann, die ja auch dann weiter virulent wird, wenn die ersten durch die Gelder angeschafften Geräte nicht mehr funktionieren.

Dennoch auch hier nur eine kurze Erwähnung der für mich zentralen Empfehlung:

“Den raschen flächendeckenden Ausbau einer stabilen IT-Infrastruktur, insbesondere hinsichtlich der Gewährleistung einer durchgehenden Vernetzung mit ausreichender Bandbreite, die Bereitstellung von Lernplattformen sowie die Ausstattung der Schulen und Kitas mit ausreichenden Serverkapazitäten und Endgeräten.”

6 Strukturen für eine forschungsbasierte Entwicklung und Implementation digitaler Unterrichtstechnologien aufbauen

Über die Ausführungen, die unter dem 6. Punkt folgen, kann ich wohl am wenigsten anmerken. Aber wer hofft, dass wenigstens an dieser Stelle die problematische Grundannahme keinen Eingang gefunden hat, muss enttäuscht werden:

“Die Entwicklung digitaler Werkzeuge wird nur dann einen Mehrwert gegenüber analogen Werkzeugen haben, wenn sie einerseits auf der Grundlage lernpsychologischer und fachdidaktischer Erkenntnisse erfolgt und anderseits die Eigenschaften des Computers (z. B. dreidimensionale Animationen, Simulationen) oder künstliche Intelligenz (z. B. automatische Bewertung sprachproduktiver Leistungen) gezielt nutzt, um Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler zu unterstützen.”

Wie, vor allem vor dem Hintergrund eines, wie erwähnt, sehr umfassenden Verständnisses der Digitalität, wie es in der Einleitung zumindest angedeutet wird, weiter von einem solchen Verständnis ausgegangen werden kann, bleibt mir schleierhaft.

Der aus dem Kapitel abgeleitete Empfehlung kann nicht widersprochen werden. Dem Grundverständnis allerdings umso mehr.

Fazit

Die grundlegende Frage, die sich für mich aus dem Papier ergibt, ist jene danach, ob weniger nicht mehr gewesen wäre. Viele Empfehlungen und Ausführungen ergeben Sinn, sind nachvollziehbar und würden der Weiterentwicklung der Bildung unter den Bedingungen der Digitalität sicherlich nützen. Sie basieren aber auf einem reduzierten Verständnis dessen, was Lernen in der Kultur der Digitalität ist, sein kann und sein sollte.

Insofern fehlt mir ein Verständnis dafür, was Bildung unter den Bedingungen der Digitalität eigentlich ist und leisten soll. Dies ist aber umso zentraler, als dass sich erst aus einem solchen Verständnis ein Lehr-Lernkonzept ableiten kann, das nicht auf eine willkürliche Prozesshaftigkeit verkürzt wird. Oder mit anderen Worten: Wenn das Papier sagt, wie das neue Lernen aussehen kann, reicht es nicht, ein paar Sätze in der Einleitung zu formulieren, warum das Lernen so aussehen soll.

Die Frage nach dem Warum wird aus meiner Sicht also nicht nur zu wenig gestellt, sondern führt auch zu der Reduzierung digitaler Medien als “Unterstützung” und als “Werkzeug”, die einen Lernprozess “verbessern” sollen. Wenn die Forschungsfrage sich aber auf eine Prämisse gründet, die zumindest fraglich ist, erscheinen die zu ergangenen Antworten wenig ergiebig. Oder anders ausgedrückt: Wenn der Mehrwert nicht gefunden wird, wenn das Lernen nicht “besser” wird, wenn es nicht “zusätzlich unterstützt wird”, rudern wir dann zurück und kloppen alles in die Tonne? Wohl kaum.

Ohne die Frage danach, was Lernen im digitalen Wandel, unter den Bedingungen der Kultur der Digitalität oder wie man es auch immer nennen soll, eigentlich spezifisch bedeutet und ohne ein Bildungsverständnis, dass auch das Individuum fernab einer technokratischen Kompetenzorientierung ernst nimmt, bleiben die Forderungen an der Oberfläche.

Ich freue mich über Anmerkungen, Kritik, Widerspruch und weiterführende Anmerkungen.

 

3 Kommentare

  1. Ein interessanter Ansatz, doch gleichzeitig nur wieder ein Baustein, um Bildung und vor allem Schule noch mehr zu verkopfen, Schüler und Lehrer noch stärker systemischer zu organisieren, also das „Altbewährte“ noch ein bisschen länger zu erhalten.

    Lehren ist eine Dienstleistung, ein Dienst, der in und für die Gesellschaft geleistet werden muss und soll, damit diese sich weiter entwickeln kann. Doch mit Mitteln von vorgestern und Kollegen, die im Durchschnitt älter als 47 Jahre und ausgebrannt sind, können wir diesen Dienst nicht mehr leisten.
    Die Vorzeichen müssen sich ändern. Der wahre Wert meiner Arbeit kann ich nur an dem festmachen, was ich mehr gebe, als ich an Bezahlung einnehme. Lehrer sein ist nicht nur ein Job. Es ist eine Berufung. Dies bedeutet, dass ich auch mit 60 noch diesen Beruf lieben kann, Kindern das Gefühl schenken kann, dass sie es mehr als Wert sind, dass ich mich um sie kümmere.
    Mein Einfluss kann dann auch nur dann größer werden, wenn ich es verstehe den Interessen dieser Kinder den Vorrang zu geben und mich nicht gleichzeitig aufgeben muss. Ich sollte nicht mehr Lehrer sein, sondern Mentor und Mentee zugleich. Reverse-Mentoring muss an die Stelle von Bildung vermitteln, gestellt werden.
    Ich habe mit meinem 60 Jahren zwar viel Lebenserfahrung, jedoch keine Erfahrung mehr in der Wunderwelt der Kinder von Heute. Ich darf und soll wieder eintauchen in diese Welt, um die Kinder von heute zu verstehen und ihnen ein Mentor zu sein für das, was sie brauche, um stärker und klüger zu werden, Hindernisse überstehen und Herausforderungen meistern zu können. Und ich habe die Möglichkeit, das Heute zu verstehen mit Hilfe der Kinder, die aus dem Heute das Morgen kreieren. Und dazu zählt in jeden Fall auch alles, was mit technischen Entwicklungen, mit veränderter Ernährung, neuen Hobbies und neuen Massenmedien zu tun hat. Nur dann wenn ich offen bin für das, was Kinder mir an Wissen, Kompetenz und Weisheit anbieten, kann ich selbst ihnen etwas geben.
    Wertschätzung nicht Mehrwert ist die Grundidee, die einem neuen System von lebenslangem Lernen zu Grunde liegen sollte.

    Dies ist meine Meinung. Ich bin Ria Nolte, 60, Lehrerin seit 38 Jahren und sehe mich als Mutmacherin. Herzlich RiNo

  2. Vielen Dank für diese Anmerkungen. Bleibt zu hoffen, dass sie Gehör finden, weil deine Anmerkungen genau die Lücken des Papiers zeigen (und die Stärken, die ich vor Ärger fast übersehen hätte). Wenn die Stellungnahme, so wie sie ist, DAS Papier ist, an dem sich die Kultusministerkonferenz orientiert, dann wird sich in der durchschnittlichen deutschen Schule wenig ändern, befürchte ich.

  3. Lieber Bob Blume, danke für die Analyse. Ich habe einfach die Befürchtung, dass die veränderte Welt und die damit einhergegenden sich verändernden Lehr-Lernprozesse nicht angenommen werden wollen, weil sie dem elitären Bildungsverständnis diametral gegenüberstehen. Aus dem selben Grund hinken wir ja auch dermaßen mit der Digitalisierung hinterher. Das neue Zeitalter wird als etwas gesehen, vor dem wir uns und unser herkömmliches Verständnis von Bildung (einige wenige vermitteln Wissen – Kanon vorgegeben – für viele, die angeblich nichts wissen) schützen müssen. In ihm verschwimmen Grenzen, die wir uns fein säuberlich zurechtgelegt haben und eben auch die Grenzen zwischen Lehren und Lernen. Das ist für viele konservative Kräfte in der Bildungslandschaft ein rotes Tuch. Diesen unaufhaltsamen Prozess möchte man aufhalten. Das kostet die ganze Energie, die wir bräuchten, um die dem neuen Zeitalter inhärenten Chancen wirklich zu nutzen. Es ist ein Trauerspiel, welches von einer bewertenden Haltung getriggert wird und nur durch eine wertschätzende aufgelöst werden kann (siehe @Ria).

    Liebe Grüße
    Andrea

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