Seit einiger Zeit stehe ich im Austausch mit der Kollegin Nina Hanelfeld, die Schülerinnen und Schülern dabei hilft, für das Abitur zu lernen. In eine Schule gehen sie nämlich nicht. Weil ich den Gedanken faszinierend finde, dass Schülerinnen und Schüler sich ohne die Schule auf das Abitur vorbereiten, fand ich den Gedanken spannend, die Schüler*innen selbst darüber schreiben zu lassen. Die Erläuterungen finden sich nun in diesem Beitrag, für den ich mich herzlich bedanke. 

Wir sind die zweite Generation einer in Freiburg ansässigen Gruppe von aktuell 12 ehemaligen Schüler*innen zwischen 17 und 22 Jahren, die Lust hatten, sich vom konventionellen Schulsystem zu lösen. Unser Ziel ist es, unser Abitur außerhalb des Schulsystems, also autonom und in Eigeninitiative zu erlangen. Für den rechtlichen Ramen haben unsere Vorgänger den Verein Abinom e.V. gegründet.

Wie lernen wir?

Aktuell bereiten wir uns alle auf die gleichen Hauptfächer vor, in denen wir jeweils eine schriftliche und eine mündliche Prüfung ablegen: Deutsch, Mathe und Geschichte sind für externe Abiturient*innen Pflicht und alle haben sich für Englisch als erste Fremdsprache entschieden.

Als Nebenfächer, in denen wir mündlich geprüft werden, stehen aktuell Französisch, Spanisch, Biologie, Chemie, Ethik, Politik und Kunst auf unserem Stundenplan. Von diesen werden gemäß der Prüfungsverordnung eine zweite Fremdsprache und eine Naturwissenschaft sowie zwei weitere Fächer eigener Wahl gewählt.

In den meisten Fächern haben wir ein Mal pro Woche eineinhalb bis zwei Zeitstunden Unterricht. In Deutsch, Mathe und Englisch sind es zwei Mal pro Woche, um den Fokus sowohl auf die Grundlagen, als auch auf die konkrete Prüfungsvorbereitung legen zu können.

Unsere Lehrer*innen/Mentor*innen sind aktive oder mittlerweile pensionierte Gymnasiallehrer*innen, Studierende oder Freiberufler, die Lust haben, uns zu begleiten.

Unser Unterricht ist genauso vielfältig wie die Themen, die darin behandelt werden. Gemeinsam experimentieren und reflektieren wir, um für jedes Fach einen guten Umgang mit den Prüfungsinhalten zu finden. Dabei bleiben wir sowohl miteinander als auch mit unseren Lehrer*innen im Dialog. Wenn etwas nicht funktioniert, probieren wir beim nächsten Mal etwas anderes aus und schauen, ob wir es dann besser finden. Diese ständige Veränderung und Erneuerung wird durch die jedes Jahr neue Gruppenkonstellation bestärkt.

Neben den Unterrichtsstunden wollen/müssen wir natürlich in Eigenregie lernen und üben. Wie viel das ist, ist individuell sehr unterschiedlich, je nachdem, wie gut wir in den Prüfungen abschneiden wollen und wie viel Vorwissen wir mitbringen. Auch hierbei ist uns der Austausch über relevanten Lernstoff aber auch die gegenseitige Hilfsbereitschaft wichtig.

Welchen Herausforderungen begegnen wir?

Zu dem eigenständig organisierten Lernen gehört natürlich auch einiges dazu. Es erwarten einen bei ABINOM ein paar Herausforderungen, die das Potential haben, einen zu eigenständigen und verantwortungsbewussten Menschen zu machen.

Die wichtigsten Fähigkeiten, die für ein erfolgreiches Abitur nötig sind, ist die Motivation, regelmäßig den Unterricht zu besuchen und selbstständig außerhalb des Unterrichtes zu lernen. Also eigentlich nicht anders als an normalen Schulen, nur dass wir eben nicht die Pflicht haben, in den Unterricht zu gehen und es ganz unsere Entscheidung ist, wie viel wir lernen. Sich selbst zu motivieren, ist eine der größten Herausforderungen, mit denen viele in unserer Gruppe beschäftigt sind. Es kann deswegen (und aus anderen Gründen) auch mal vorkommen, dass einige der Schüler*innen ihr Abi um ein oder zwei Jahre nach hinten verschieben, weil sie sich noch nicht bereit dazu fühlen. Das ist möglich, weil man sich bis zu einem bestimmten Datum auch wieder von der Abiturprüfung abmelden kann.

Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Kommunikation. Es muss zwar niemand zum Unterricht erscheinen, aber das Abmelden – entweder bei anderen Schüler*innen, oder in manchen Fächern auch bei den Lehrer*innen ist uns sehr wichtig.

Wie sind wir organisiert?

ABINOM e.V. ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Freiburg; die Finanzierung erfolgt durch Mitgliedsbeiträge und zu einem kleinen Teil durch Spenden.

Wir „Schüler*innen“ sind die aktiven Mitglieder des Vereins und damit verantwortlich für anfallende Organisations- und Vereinsarbeit. Dazu gehören neben der Planung des Unterrichts die Suche nach (zu uns passenden) Lehrer*innen, Öffentlichkeits- und Sponsorenarbeit, Verwaltung, die Anmietung von Räumlichkeiten und einiges mehr.

Alle Entscheidungen werden demokratisch und wenn möglich in Einstimmigkeit in unseren wöchentlichen Orga-Sitzungen getroffen. Als rechtliche Vertretung bestimmen wir jährlich einen Vorstand, was jedoch nichts an der Hierarchielosigkeit der Gruppe ändert.

Noch mehr Infos gibt es auf unserer Website

Wer an unserem Projekt interessiert ist und in Kontakt mit uns treten möchte, kann uns direkt über abinom@pm.me kontaktieren.

Welche Fragen werden uns oft gestellt?

1. Ist das überhaupt erlaubt?

Ja, man kann jeden Schulabschluss extern absolvieren. Informationen über die Schulfremdenprüfung gibt es beim Kultusministerium und beim für den eigenen Wohnsitz zuständigen Regierungspräsidium (Abteilung Schule und Bildung)

Hier findet ihr ein Infoblatt des Kultusministeriums Baden-Würtemberg.

2. Chillt ihr nicht den ganzen Tag nur rum?

Es ist richtig, dass wir zu nichts gezwungen werden aber wir sind ja bei Abinom, weil wir Abitur machen wollen.

3. Ist das nicht viel stressiger, als einfach auf der Schule zu bleiben?

Es kommt darauf an, was man als stressig empfindet. Es stimmt, dass es anstrengender sein kann, sich in einem höheren Maße, als es in der Schule notwendig ist, selbst zu organisieren; aber zwei Jahre konstant unter (Prüfungs-) Druck zu stehen, ist eventuell mit mehr Stress verbunden, was für einige von uns zutrifft.

Abinom ist nicht für alle das Bessere, aber eine Alternative für diejenigen, die sich aus verschiedenen Gründen im Schulsystem nicht wohlfühlen.

4. Woher wisst ihr, was ihr alles lernen müsst?

Bildungspläne, Schulbücher, Erfahrungen unserer Lehrer*innen und der letzten Jahrgänge, Informationen, die wir von den uns prüfenden Schulen bekommen, etc.

5. Wer kann mitmachen?

Alle, die eine Alternative suchen, sich von unserem Konzept angesprochen fühlen und Lust haben, sich in dieses und in die Gruppe einzubringen, können sich per Mail bei uns bewerben. Wir laden dann zum gegenseitigen Kennenlernen für drei Tage zur Hospitation bei uns ein.

Für ein paar Menschen haben wir noch Platz, also schreib uns einfach, wenn du interessiert bist!

Persönliche Statements von uns und einer unserer Lehrerinnen

„Ich möchte mich frei und freiwillig auf mein Abitur vorbereiten – ein Aspekt, der mir während meiner elf Jahre auf der Schule oft gefehlt hat. Ich genieße es, selbst für meinen Lernprozess verantwortlich zu sein, diesen mit tollen Menschen als Mitlernende und Lehrer*innen zu gestalten und darüber hinaus noch Erfahrungen auf dem Gebiet der Organisierung und Verwaltung eines Vereins sammeln zu können.“ (~Judith)

„Ich bin 20 Jahre alt und seit zwei Jahren bei Abinom und fühle mich hier sehr wohl. Für mich ist die etwas kleinere Gruppe perfekt, da mir große und vor allem laute Klassen viel Energie rauben.

Die Möglichkeit, meine eigenen individuellen Bedürfnisse zu beachten, ist ein weiterer Vorteil. Zum Beispiel hatte ich im ersten Jahr Probleme, mich zu motivieren und hatte mit anderen Bereichen meines Lebens zu kämpfen. Deswegen habe ich mein Abi um ein Jahr nach hinten verschoben und gehe 2019 mit mehr Sicherheit in meine Abi Prüfungen.“ (~ Erik)

„Ich mache seit einem Jahr bei Abinom mit und fühle mich genau am richtigen Platz, da ich ein freiheits- und gemeinschaftsliebender Mensch bin. Ich wollte schon immer die Welt verstehen und zum Glück blieb mir meine Lust am Ergründen und mein Interesse während meiner 12 normalen Schuljahre erhalten.

Ich habe gemerkt, dass Abinom mir die Möglichkeit gibt, eine von innen kommende Motivation entstehen zu lassen. Es war während meiner ersten Wochen bei Abinom eine unglaublich befreiende und beflügelnde Erfahrung, wie groß mein „ich will“ wurde, als mir endlich niemand mehr gesagt hat, was ich alles machen muss. Das Abitur mit Abinom zu machen, ist durchaus eine Herausforderung für mich, nicht nur im Bezug auf die oben angesprochene Motivationsfrage sondern auch bezogen auf das nötige Maß an Selbstorganisation und Strukturierung. Wir können uns nur sehr begrenzt aussuchen, was wir lernen, aber wir haben die Freiheit zu entscheiden, wie wir es lernen.

Das Verhältnis zu unseren Lehrenden empfinde ich als ein Miteinander auf Augenhöhe. Weil wir Lehrer*innen suchen, die zu uns passen und da sie nicht gleichzeitig unsere Prüfenden sind, entsteht kein Autoritätsgefälle.“ (~ Johannes)

„Nach dem Referendariat entschied ich mich, nicht an einer Schule zu unterrichten. Neben vielen wunderbaren anderen Tätigkeiten unterrichte ich nun aber doch – bei Abinom!

An dieser Form von Unterricht genieße ich, dass für mich als Lehrerin vieles wegfällt, was ich in der Schule als anstrengend empfunden habe: Die endlosen Konferenzen, die Bürokratie, nie enden wollende Korrekturen, Elterngespräche, überfüllte Klassen… Stattdessen kann ich mich mehr auf das Vermitteln von Wissen konzentrieren und mich im Unterricht auch mal mit verrückten Ideen und Ausrichtungen ausprobieren.

Bei Abinom ist es außerdem immer möglich eigene Unsicherheiten offen ansprechen. Denn ich weiß, dass ich immer ehrliches und respektvolles Feedback bekomme, wenn etwas nicht so klappt, wie es sinnvoll ist oder ich mir mal zu viel vorgenommen habe.

Der Blog von Bob Blume ist dabei ein regelmäßiger Begleiter in unserem Unterricht und ich bin dankbar, hier so viel Inspiration und Wissen entdeckt zu haben. Nachdem ich mich bei Bob für seine unermüdliche Bereitstellung von Material bedankte, entstand ein kleiner Austausch und schließlich kam ich auf die Idee zu fragen, ob Abinom vielleicht einen Gastbeitrag für diesen Blog schreiben könnte. Und der Rest ist Geschichte, denn genau diesen Gastbeitrag hast du gerade gelesen!“ (~Nina)

 

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3 Kommentare

  1. Was mir noch an Fragen einfällt, bei Lesen:
    Kann man eigentlich die “Lernzeit” für das Abitur beliebig lang verlängern? In RLP mit G9 Gymnasium sind das maximal 4 Jahre.
    Grüße, Birgit

  2. Hallo Birgit,
    ich sehe deinen Kommentar gerade erst. Theoretisch kann die Lernzeit immer wieder verlängert werden, aber ich habe noch nicht erlebt, dass öfter als drei Mal “geschoben” wurde. Die meisten machen das Abitur nach einer Vorbereitung von 2-3 Jahren.

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