Wenn ich an nächstes Schuljahr denke, wird mir merkwürdig zumute. Manchmal krampft mein Bauch regelrecht zusammen. Und ich denke, es geht nicht nur mir so. Meine Befürchtung ist, dass der Kontrast zu dem, was getan werden müsste und dem, was passieren wird, noch größer werden wird als das in der Schule sowieso schon der Fall ist. Ein nachdenklicher Kommentar.
Machen wir uns nichts vor: Wie viel Kinder und Jugendliche in der Corona-Zeit gelernt haben, wie sie durch diese Zeit gekommen sind, lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Es mag diejenigen geben, die nicht nur selbstständig lernen konnten, sondern sogar mehr mitgenommen haben, als sie es normalerweise haben. Engagierte Lehrkräfte haben dafür gesorgt, dass digitales Arbeiten zur Normalität wurde. Schüler*innen haben Möglichkeiten bekommen, sich auszuprobieren. Aber es gibt auch die anderen. Die vielen anderen. Diejenigen, die verloren gegangen sind. Die sich nicht mehr kontaktieren ließen. Oder die Lehrerinnen und Lehrer hatten, die sich nicht kontaktieren ließen.
Und selbst diese Perspektive auf diese unfassbar herausfordernde Zeit greift natürlich zu kurz, weil sie so tut, als können die letzten eineinhalb Jahre auf Wissen, Kompetenzen oder Lernen reduziert werden. Wenngleich ich mich über jene geärgert habe, die die psychischen Belastungen von jungen (und alten) Menschen als Argument für Schulöffnungen genutzt haben, ohne die gesundheitlichen Gefahren zu beachten oder eben, indem diese relativiert wurden, so sind diese Schäden zweifelsohne vorhanden: "Essstörungen, Selbstverletzungen, Suizidgedanken: Fast jedes dritte Kind leidet infolge der Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten", heißt es im Spiegel.
Kein Wunder: Lernen und auch aktives Nicht-Lernen geschieht in der Schule miteinander. Dass Beziehungen das Fundament einer gesunden Entwicklung darstellen, muss hier nicht erläutert werden. Dies sollte der Fokus im kommenden Schuljahr sein. Sollte.
In diesem idealistischen Szenario bräuchte es zunächst Zeiten, in denen Kollegien sich besprechen würden, welche Prioritäten gesetzt werden. Eine Welle wird über alle einbrechen, die nicht einfach weggewischt werden kann: Was tut man mit denen, die große Defizite haben? In allen Bereichen. Was tut man mit denen, die sozial den Anschluss verloren haben?
Das ist nicht einfach eine Frage, die nach dem fragt, was sein könnte: Entfernte Freunde von mir berichten, dass schon jetzt Freundschaften auseinander gegangen sind, weil in der Pandemie die Peergroups nicht zusammenbleiben konnten. Weil vielleicht jemand weniger seine Freunde sehen können, weil die Eltern strikter waren als andere. Kein Urteil darüber, darum geht es nicht. Das Problem, mit dem Schulen konfrontiert werden, wird keines sein, in dem es um eine Beurteilung der Einzelnen oder von Familien im Nachhinein geht. Sondern es geht, so wie auch sonst, darum, wie mit der Situation umgegangen wird, vor der alle stehen werden. Schulen werden mehr als alle anderen Bereiche der Gesellschaft mit den Folgen der Pandemie konfrontiert. Wie sonst als auch, was gesellschaftliche Probleme angeht, nur mit dem riesigen Unterschied, dass diese sozial, emotional, persönlich und professionell verschärft sein werden.
In dem idealistischen Szenario wissen die Kultusministerien das. Neben Zeiten, in denen die Kollegien sich besprechen, würde dies eine Aussetzung von Noten und Prüfungen bedeuten und eine massive Stärkung von außenunterrichtlichen Tätigkeiten. Über mindestens das erste Halbjahr! AGs sind sowieso schon die Orte, an denen der Zusammenhalt gestärkt, der Menschen im Mittelpunkt steht und ohne Druck gelernt werden kann. Nach der Pandemie sind sie die Grundlage für alles weitere.
Das bedeutet keine "Kuschelpädagogik". Wer das meint, versteht die Forderung nach der Verschiebung des Fokus falsch. Wir müssen, das ist ganz klar und deutlich, über die vielfach thematisierten "Lernlücken" sprechen. Ja, auch ich finde, wir müssten mehr über die Kompetenzen reden, die erworben worden sind, nur: "Lücken" äußern sich ja sehr unterschiedlich. Wenn sich herausstellen sollte, dass meine Deutschklasse eine literarische Form weniger beherrscht, als ich es gerne hätte, ist das schade, aber kein Beinbruch. Wenn allerdings basale Fähigkeiten gelitten haben, die als Grundlage für alles weitere dienen - Grundrechenarten, das Schreiben von verständlichen Sätzen - dann haben wir ein Problem, wenn wir so tun, als könnte sich dies einfach so und nebenher ausgleichen lassen - oder ignoriert werden.
In einem idealistischen Szenario bekämen die Schulen genug Zeit für beides: Ausgedehnte, ich wiederhole, ausgedehnte, zuvor geplante soziale Zeiten, in denen gesprochen, sich bewegt und getanzt wird (bitte verkneifen Sie sich Anmerkungen zu meiner Waldorf-Vergangenheit). Aber auch Zeiten der Diagnose, nicht der Testung. Wir werden das nicht in zwei Wochen lösen können. Und nicht in 6.
Insofern wäre es zu begrüßen gewesen, wenn man in diesem Schuljahr nicht sitzenbleiben können würde. Wie man unter den momentanen Bedingungen zu einer Beschlussfassung über die Wiederholung eines Jahres kommen kann, bleibt ein Rätsel. Vor allem aber: Das Problem wird nächstes Schuljahr nicht einfach verschwinden. Im Gegenteil: Es akkumuliert sich. Und währenddessen läuft die Maschine weiter.
Denn das ist leider der titelgebende Teufel an der Wand. Nichts von dem wird in der Form geschehen. Denn alles, was hier holzschnittartig angedeutet wird, würde einen Kontrollverlust bedeuten für die Bürokratie, die den Schulen nicht gewährt werden wird. Immer dann, wenn es um eine tatsächliche Umsetzung geht, wurden die Schulen in die Pflicht genommen. Testungen, Umsetzungen von nicht vorhandenen Konzepten, Hygienemaßnahmen - alles das konnten die Schulleitungen zwischen Freitagabends und Montagmorgens aus dem Ärmel schütteln. Und ja, es ist besser geworden. Aber dort, wo die Freiheit der individuellen Umsetzung wirklich zentral gewesen wäre, dort durften sie nicht. Wir alle kennen die Beispiele.
Das idealistische Szenario bleibt für mich insofern ein idealistisches. Meine Befürchtungen sind tatsächlich sehr viel größer.
Meine Befürchtungen sind, dass alles so läuft, wie es bisher immer gelaufen ist. Das nämlich unter dem Deckmantel der individuellen Freiheit bei gleichbleibenden Strukturen alles in die Hände der Schulen fällt, ohne dass eine Entlastung zu erwarten wäre.
Selbst wenn die Milliarden für Nachhilfe genutzt würden und nicht hinter bürokratischen Riesen verschwinden, die hinterher dafür sorgen, dass alle sich naiv-dümmlich fragen, warum denn das Geld nicht abgerufen wurde (siehe Digitalpakt), selbst wenn also individuell nachgesteuert würde - zumindest was den "Stoff" angeht. Selbst dann, stehen wir vor einer Situation, die ganz konkret so sein wird, wie wir es bei Klassenarbeiten sehen, die ja grundsätzlich auch an den falschen Stellen im Unterricht angesetzt sind. Diese sagen dann ungefähr das aus:
"Du kannst es nicht. Es wäre schön, wenn du dir das selbst beibringst, denn wir machen jetzt mit Neuem weiter."
Ein Teufelskreis, klar. Denn wir soll jemand, der etwas nicht beherrscht, sich selbst beibringen, es zu beherrschen, wenn währenddessen einfach mit Dingen weitergemacht wird, die dann auch noch darauf aufbauen.
Willkommen in dem Szenario, dass ich auf uns zukommen sehe. Ein netter Brief wird uns allen sagen, dass wir - nehmen wir luxuriöse 2 Wochen - Zeit haben, den "Stoff" zu konsolidieren. Wie wird das gehen?
"So, liebe Klasse, was aus den letzten fast zwei Jahren würdet ihr denn gerne nochmal machen? Wer hat was nicht verstanden?"
Geht natürlich nicht. Jeder wird das alleine probieren, aber dann, na dann folgt die wichtigste politische Forderung. Die wird ungefähr so lauten: "Nach dieser schwierigen Zeit ist es nun unser oberstes Ziel, dass wir zur Normalität zurückkehren". Manche Vergleiche sind echt schwierig, ich weiß, aber das ist ungefähr so, als würde ich jemandem mit einer Traumaerfahrung sagen, dass jetzt aber auch mal gut ist.
Und so wird sich das einschwenken. Die Arbeiten und Klassenarbeiten werden angesetzt werden. Das Digitale wird zurückgehen, weil "wie soll ich sonst durchkommen? Die sind doch sowieso schon alle nicht auf einem Stand". Der Druck wird zunehmen. Für die Lehrer, die versuchen, den Stoff durchzubringen. Und natürlich für die Schüler, die mal wieder zermalmt werden zwischen den Ansprüchen. Die Gespräche werden sich darauf konzentrieren, wie weit man denn nun ist. "Und ja, die Lisa hat immer noch wahnsinnige Schwierigkeiten, weil sie ja eineinhalb Jahre niemanden sehen durfte. Aber da kann ich nicht auch drum kümmern, weil jetzt kommen die Brüche, und die haben wir letztes Jahr so gut wie gar nicht gemacht."
Wir werden das Scheitern auf uns nehmen und nur noch ab und zu daran denken, dass es ein anderes Szenario gegeben hätte, in dem wir uns darauf konzentriert hätten, was wirklich wichtig ist. Und dann werden wir so lange weiterarbeiten, wie wir können. Und dann entweder irgendwann nicht mehr können. Oder den Frust runterschlucken und jeden Tag so tun, als gäbe es keine Alternative.
Nie hätte ich mir mehr gewünscht, falsch zu liegen. Und vielleicht male ich den Teufel auch nur an die Wand. Das ist meine Hoffnung für die nächsten Monate.
In einer früheren Fassung des Artikels wurde fälschlicherweise behauptet, man könne momentan in Baden-Württemberg nicht sitzenbleiben. Dem ist nicht so. Die betreffende Stelle wurde korrigiert.