Vor einiger Zeit bekam ich die Mail einer Schülerin, in der sie mich fragte, inwiefern ich den Vergleichsteil ihres Werkvergleichs anschauen und ihr Feedback geben könnte. Als eine Ausnahme führte ich dies als Youtube-Video durch. Da ich der Meinung bin, dass der Werkvergleich in allen Bereichen gelungen ist, stelle ich ihn auch hier zur Verfügung. Danke also an Mona Landes für die Arbeit. 

Der Kommentar zu diesem Werkvergleich findet sich hier:

Werkvergleich:  ,,Mit dem Wissen wächst der Zweifel.’’

Der Zweifel ist ein Zustand der Unentschiedenheit zwischen mehreren möglichen Positionen. Es gelingt einem nicht ein sicheres Urteil zu fällen oder eine Entscheidung treffen zu können. Mit dem Zweifel werden oft Unsicherheit und Misstrauen assoziiert. Das Zweifeln kann auch das Bedenken sein, ob man jemand anderes Vertrauen schenken kann,  ob die eigene Handlung richtig ist und ob sie einem gelingen mag. Wer zweifelt, der stellt oft etwas in Frage. Das Gefühl des Zweifelns kann in vielen alltäglichen, ganz banalen Situationen auftreten. Schüler geben an, an der Mathematik zu verzweifeln, während Eltern daran verzweifeln den Fernseher an das Internet anzuschließen.

Der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe formulierte die These, dass ,,mit dem Wissen […] der Zweifel [wächst].’’ Goethe geht hier davon aus, dass das Wissen nicht zu einer erhofften Sicherheit und dem Gefühl etwas Erreicht zu haben führt, sondern den Menschen in einen Zustand des Zweifelns führt. Laut Goethe ist das Wissen also nicht immer unbedingt ein Vorteil für den Menschen, sondern kann zu seiner Unsicherheit und Unentschiedenheit beitragen.

Im Folgenden sollen die beiden Protagonisten Faust, aus dem gleichnamigen Drama von Johann Wolfgang von Goethe und Harry Haller aus dem Roman ,,Der Steppenwolf’’ hinsichtlich der These ,,Mit dem Wissen wächst der Zweifel’’ miteinander verglichen werden.

Zu Beginn des Dramas wird ersichtlich, dass Faust mit seinem Leben unzufrieden ist. Obwohl er alle vier Hauptfakultäten studiert hat, verspürt er nicht das Gefühl von Erfüllung (Vgl. ,,Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin […] studiert, […] und bin so klug als wie zuvor.’’  V.354ff). Die Einsicht, dass die Menschen in ihrer Erkenntnisfähigkeit begrenzt sind lösen tiefstes Unglück und Unsicherheit aus (Vgl. ,,Das will mir schier das Herz verbrennen.[…] Dafür ist mir auch alle Freud entrissen.’’ V. 365ff). Faust strebt danach zu erkennen, ,,was die Welt im Innersten zusammenhält.’’ (V.382). Dies bedeutet, dass sich Faust nach transzendenter Erleuchtung bemüht, um seiner Existenz einen Sinn verleiten zu können. Allerdings gelingt ihm das nicht durch sein Gelehrtenwissen, was tiefste Zweifel in ihm hervorrufen lässt (Vgl. ,,Und sehe, dass wir nichts wissen können!’’ V.364). Daraufhin widmet sich Faust der Magie an und erhofft sich durch Entgrenzung doch noch zu seiner erhofften geistigen Erfüllung zu gelangen (,,Drum habe ich mich der Magie erben, Ob mir, durch Geistes Kraft und Mund, Nicht manch Geheimnis würde kund;’’ V.377ff). Weder die Betrachtung des Makrokosmos, noch der Erdgeist können Faust aus seiner Verzweiflung lösen. Notgedrungen sieht Faust den Suizid als letzten Ausweg sein Bedürfnis nach transzendenter Erfüllung stillen zu können, doch auch der Suizidversuch wird letztlich abgebrochen. Somit führen auch die Entgrenzungsversuche nicht zu Fausts ersehnter Erfüllung, sodass der Protagonist schließlich in eine Existenzkrise stürzt.

Die Erkenntnis, dass sein Wissen ihm nicht die erhoffte Erfüllung bieten kann und die Sehnsucht nach Sinn lösen bei Faust eine Verzweiflung aus, die sich bis in eine Existenzkrise steigert. Sein Wissen bedeutet demnach nicht ein Gefühl der Sicherheit und Überlegenheit, sondern löst seine Zweifel erst aus. Ohne die Erkenntnis, dass dem Menschen Grenzen auferlegt sind, wäre Faust niemals ins Zweifeln geraten, weshalb die These ,,Mit dem Wissen wächst der Zweifel’’ hier seine Gültigkeit findet.

Faust befindet sich zu dem in einem Zwiespalt. Einerseits sehnt er sich nach transzendenter Erleuchtung. Andererseits verspürt er auch ein Triebverlangen in sich, dass eine Sehnsucht nach den einfachen Genüssen, wie Liebe, in ihm wecken (,,Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust’’ V.1112). Da es Faust nicht gelingt seinen Streben nach Wissen zu stillen, widmet er sich der Triebbefriedigung. Er lässt sich auf einen Pakt mit Mephisto ein, der ihm verspricht einen Moment der Erfüllung bereiten zu können, jedoch im Gegenzug die Seele Fausts einfordert. Faust erhofft sich erneut mit Hilfe des Teufels doch noch seine Erfüllung verwirklichen zu können. Auf seiner Reise mit dem Teufel lernt der Gelehrte Gretchen kennen, in die er sich unsterblich verliebt und welche die Sehnsucht nach körperlicher Nähe in ihm verstärkt. Nach Momenten der Nähe zieht sich Faust in eine Höhle zurück, um über seine Situation reflektieren zu können. Faust zeigt hier seine Dankbarkeit für die Erfüllung seiner Wünsche, allerdings wird er erneut von Selbstzweifeln geplagt (,,O dass dem Menschen nichts Vollkommenes wird, Empfind ich nun.’’ V. 3240). Faust erkennt nun, dass seine Beziehung zu Gretchen zwar sein Triebverlangen befriedigt, jedoch gleichzeitig auch Unglück für Gretchen bedeutet (,,Und sie mit mir untergehen.’’). Diese Erkenntnis rufen Zweifel und Unsicherheit in Faust hervor, der sich nun die Frage stellt, ob er sich weiter auf Gretchen und seine Triebe einlassen soll. Faust Zweifel werden letztlich von Mephistos Einwänden und Einfluss untergraben.

Dieser Moment der Klarheit verdeutlicht, dass die Selbstreflexion Fausts und die Einsicht seines Einflusses auf Gretchen erneut Zweifel und ein Gefühl von Unsicherheit in ihm hervorgerufen haben. Die These Goethes trifft hier also erneut auf Faust zu und zeigt, dass neue Erkenntnisse eben nicht immer zu Sicherheit und Erfolg führen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fausts Zweifel durchweg durch neues Wissen und neue Erkenntnisse hervorgerufen werden. In Momenten der Reflexion kann Faust nicht seine ersehnte Erfüllung erreichen, sondern wird nur mit weiteren Zweifeln und Unsicherheiten konfrontiert. Demnach kann für Faust gesagt werden, dass ,,mit dem Wissen […] der Zweifel [wächst].’’

Auch Harry Haller aus dem 1927 erschienenen Entwicklungsroman ,,Der Steppenwolf’’’ von Hermann Hesse wird von Zweifeln geplagt. Harry Haller ist ein fast fünfzig-jähriger Mann der ein isoliertes Leben führt, da er zwischen seinen Bedürfnissen nach einem bürgerlichen, geselligen Leben und seinen animalischen, steppenwölfischen Trüben hin und hergerissen ist. Als er kurz vor dem Suizid steht begegnet er der Prostituierten Hermine, die ihm die einfachen, oberflächlichen Seiten, wie das Tanzen, den Jazz oder die Liebe, des bürgerlichen Lebens zeigt. Durch ihre Hilfe wird Harry Haller im magischen Theater mit seiner Seelen-Problematik konfrontiert.

Harry Haller leidet unter seiner zwei Seelen Problematik. Der Protagonist ist nämlich der Auffassung, dass zwei Seelen in ihm wohnen. Einerseits fühlt er sich der Ordnung, Ruhe und den Regeln des bürgerlichen Lebens hingezogen (,, und da sitze ich denn hie und da, sehe in die stillen kleinen Garten der Ordnung und freue mich, daß es das noch gibt.’’ S.23, Z.1ff). Andererseits wird er von Schmerzen geplagt, ist launisch, isst tagelang nichts, geht keiner geregelten Arbeit nach und lebt völlig alleine in einer Mansarde (,,Wie mit Schlaf und Arbeit, so lebte der Fremde auch in bezug auf Essen und Rinken sehr ungleichmäßig und launisch.’’ S. 20, Z.14ff). Diese Isolation und Vereinsamung ist eine Folge seiner steppenwölfischen, animalischen Seite, welche die Ordnung des Bürgertums verabscheut und Harry Haller somit zum Außenseiter macht (,,denn gesellig war dieser Mann nicht […] ein Steppenwolf, ein fremdes, wildes und auch scheues […] Wesen.’’S.7, Z. 32ff; ,,In wie tiefe Vereinsamung er sich auf Grund seiner Anlage und seines Schicksals hineingelebt hatte und wie bewußt er diese Vereinsamung als sein Schicksal erkannte […] erfuhr ich […] aus den von ihm hier zurückgelassenen Aufzeichnungen.’’ S.8, Z.4ff). Harry Haller ist nicht im Stande diese zwei Seelen miteinander zu vereinen, weshalb sich die zwei Seiten im Widerstreit gegenüberstehen und ein Gefühl des Selbsthasses und der eigenen Verachtung bei Harry Haller hinterlassen (,,Zugleich erkannte ich, daß nicht Weltverachtung, sondern Selbstverachtung die Basis seines Pessimismus sei.’’ S. 17, Z,3ff). Dieser Widerstreit der Seelen bringen Harry Haller so stark ins Verzweifeln, dass er Suizidgedanken bekommt und sich sogar entschließt sich an seinem fünfzigsten Geburtstag umbringen zu wollen (,,sobald es mit mir wieder dahin kommen würde, daß ich zu jenem Opiat greifen mußte, sollte es mir erlaubt sein, statt dieser kurzen Erlösung die große zu schlürfen, den Tod.’’ S.93, Z. 14ff).

Harry Haller ist nicht nur durch seinen Dualismus von der Gesellschaft isoliert. Aufgrund von politischen Haltungen und seiner kulturellen Haltung grenzt sich der Protagonist von seiner bürgerlichen Umwelt ab. Harry Haller ist ein Pazifist, was in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg von der Gesellschaft verpönt wurde. So wird Harry Haller bei einem Besuch seines Professor Kollegen auf ein Zeitung Inserat hingewiesen, in dem ein gewisser Namensvetter sich als Pazifist äußert. Die kritischen Bemerkungen des Professor führen dazu, dass die innere Zerrissenheit in Harry Haller aufgewühlt wird und der Protagonist sich zunehmend unwohl bei dem Professor fühlt (,,Laut heulte in meiner Seele der schadenfrohe Wolf, ein gewaltiges Theater fand zwischen beiden Harrys statt.’’ S. 109, Z. 2ff). Harry Haller geht sogar so weit, dass er die Frau des Professors für ihre Goethe Bild offen kritisiert und ihre Ideale degradiert, da sie nicht mit seinen übereinstimmen (Vgl. S. ,,Ich war wie besessen von dem Gefühl, daß die Situation unerträglich sei […] ,,Hoffen wir’’, sagte ich, ,,daß Goethe nicht wirlich so ausgesehen hat!’’’’ S. 107, Z.4ff).

Harry Haller idealisiert Goethe, Mozart und die Klassik und hegt eine Abneigung gegen die Moderne, wie Jazz und Tanzkneipen (,,Wie das Grammophon die Luft von asketischer Geistigkeit in meinem Studierzimmer verdarb, wie die amerikanischen Tänze fremd und störend, ja vernichtend in meine gepflegte Musikwelt drangen’’ S.165, Z.29ff).

Harry Haller verzweifelt damit an der Gesellschaft, weil es ihm nicht gelingt sich der Moderne zu öffnen. Der Protagonist isoliert sich zunehmend, meidet gesellschaftlichen Kontakt, was seine Verzweiflung nur noch mehr steigert.

Somit kann gesagt werden, dass das Wissen um seinen Dualismus Harry Haller verzweifeln lässt und ihn sogar in eine Existenzkrise treibt, die er auch bereit ist zu beenden, sollte sich seine Lage nicht verbessern. Darüber hinaus führt seine isolierte Lebensweise und seine persönliche politische sowie kulturelle Haltung dazu, dass er an der Gesellschaft verzweifelt, keinen Anschluss findet und sich in seine Isolation, Zweifel und den Hass auf das Bürgertum flüchtet. Die These, dass Wissen zu Zweifel führe, kann also auch auf Harry Haller übertragen werden.

Allerdings muss angemerkt werden, dass Harry Haller im Verlauf des Romans eine Entwicklung durchläuft. Eines Abends trifft die Figur auf die Prostituierte Hermine, die ihn von seinem Suizid abwendet und sich liebevoll um ihn kümmert. Harry Haller verabredet sich daraufhin erneut mit ihr und es kommt zu mehreren Begegnungen zwischen den Figuren. Hermine ist ein sogenanntes Alter Ego Harry Hallers, das heißt sie ist eine Spiegelfigur zu ihm, die all diejenigen Seiten verkörpert, die Harry Haller verdrängt und der steppenwölfischen Seite unterordnet. Hermine bewegt Harry Haller dazu das Tanzen zu lernen, sich in Tanzbars zu begeben und seine Sexualität auszuleben (,,Ich mußte zwei-, dreimal mit ihr tanzen […] Lieber Gott, dachte ich, nun soll ich also hier eingeführt und heimisch werden, in dieser mir so fremden und widerwärtigen […] Welt.’’ S.156, Z.27ff). Durch die Hilfe von Hermine, Maria und Pablo und des Traktats gelingt es Harry Haller zu erkennen, dass er all die negativen Seiten in sich unter der steppenwölfischen Seite verdrängt hat und er keine zwei, sondern ,,tausend Seelen’’ in sich trägt (,,den ganzen Rest meiner Person, das ganze übrige Chaos von Fähigkeiten, Trieben, Strebung hatte ich als lästig empfunden und mit dem Namen Steppenwolf belegt.’’ S. 166, Z.14ff). Harry Haller erlebt letztendlich im magischen Theater eine Konfrontation mit seiner Seele und lernt, dass er seine Vielfältigkeit akzeptieren muss, um in der bürgerlichen Welt leben zu können.

Dieser Prozess der Individuation, der Weg zu seiner Ich-Findung zeigen auf, dass Harry Haller sich entwickelt von einem zerrissen, isolierten Gelehrten zu einer Figur, die in permanenter Selbstreflektion zu sich selbst steht. Die ,,Lehre der tausend Seelen’’, sowie die Hilfe von Hermine, Pablo und Maria, als auch die Konfrontation im magischen Theater führen zu einer Einsicht und Bekehrung Harry Hallers.

Der Wandel Harry Hallers steht also konträr zur These Goethes, denn Harry Haller beweist, dass neues Wissen, Einsicht und Erkenntnisse auch zu einer Verbesserung führen können. Harry Haller gelingt es zwar nicht ganz sich von seiner dualistischen Krise zu lösen, was die Tötung Hermines im magischen Theater aufzeigt, jedoch kann gesagt werden, dass durch das Wissen nicht die Zweifel Harry Hallers gestärkt werden. Harry Haller befindet sich einen Schritt näher zur Akzeptanz seiner Seelenvielfalt und somit bewegt er sich weg von seinen Zweifeln und der inneren Zerrissenheit.

Stellt man nun beide Figuren gegenüber, wird deutlich, dass beide Protagonisten sich in einer Existenzkrise befinden, die ihre Zweifel und innere Zerrissenheit bedingt. Faust verfällt in diese Krise, da er sich die menschliche Begrenztheit bewusst wird. Somit ist Fausts Wissendrang definitiv der Auslöser für seine Zweifel und Unsicherheiten. Bei Harry Haller sind seine Zweifel eine Folge seiner negativen Einstellung gegenüber dem Bürgertum und somit eine Folge seines Dualismus. Das Wissen um seinen Dualismus und seine Vereinsamung in der Gesellschaft ist somit ebenfalls der Auslöser für seine Zweifel und seine innere Zerrissenheit. Ebenso kann festgestellt werden, dass sich beide Protagonisten in Phasen der Besserung befinden, die ihnen erlauben über ihre Lebenssituation zu reflektieren. Faust Wissen um seinen negativen Einfluss auf Gretchen führt zu einer immer größer werdenden Verzweiflung. Dahingegen kann Harry Haller durch die Hilfe des Traktat und Hermine erkennen, dass sein Dualismus lediglich eine Illusion ist und er eigentlich aus vielen Facetten besteht. Die Konfrontation im magischen Theater führt so weit, dass Harry Haller bereit ist, das ,,Lachen zu Lernen’’ und somit eine Wandlung zum Positiven durchleben will. Der größte Unterscheid ist also, dass Faust durch sein Wissen immer verzweifelter wird, wohingegen Harry Haller aus dem Wissen wichtige Rückschlüsse ziehen kann, die ihn zu einer Genesung seiner zwei  Seelen Problematik verhelfen. Somit hat die These ,,Mit dem Wissen wächst der Zweifel’’ nur für Faust ihre völlige Gültigkeit. Bei Harry Haller trifft sich anfangs zu, jedoch sobald er sich wandelt und seine Probleme erkennt und annimmt trifft die These nicht mehr zu.

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