SERIE: Wie Technologie unseren Geist manipuliert (II)

Bob Blume
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25. November 2017
4 Kommentare
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Dies ist der zweite Teil der Übersetzungsserie zu einem Artikel von Tristan Harris. Diese setze ich um, weil ich der Meinung bin, dass der originale englische Artikel auch in Deutschland eine größere Reichweite erlangen sollte. Es geht darum, die Technologie unseren Geist einnimmt bzw. manipuliert und dies an Stellen, an denen wir es gar nicht merken.

Tristan Harris‘ Arbeit bei den größten Tech-Unternehmen als ethischen Berater für Kommunikationshandlungen basiert auf Technologie (eigene Übersetzung) wurde in zahlreichen Medien besprochen. Unter anderem in The Atlantic, ReCode, TED, the Economist, Wired, the New York Times, Der Spiegel, und das New York Review of Books. 

Er redet über (Kommunikations-)Design von Technologie und wie sich unser Geist daran ausrichtet bzw. manipuliert wird, ohne es zu merken.

Im ersten Teil der Serie ging es um die Macht von Menüs und Menüführung und wie sie uns dazu bringt aus Möglichkeiten auszuwählen, die wir zunächst eigentlich gar nicht wählen wollten.

Eine kleine Anmerkung

Ich kann nicht verhehlen, dass ich ein wenig enttäuscht über die ausbleibende Resonanz war, da mich der Artikel tief beeindruckte. Meine Vermutung ist, dass das Problem darin liegt, aus dem Artikel eine ganz und gar technikkritische Haltung abzuleiten. Dies wurde mir in der Mediengruppe auch vorgeworfen. Dieser Vorwurf ist natürlich nicht haltbar - das weiß jeder, der diesen Blog liest.

Im Gegenteil: Wenn man sich mit Technologie, Medien und Wirkung derselben befasst, sollte man auch die schattigen Ecken kennen, die jede gesellschaftliche Veränderung hat. Das hat nichts mit Absolutsetzung, sondern mit umfassender Bildung darüber zu tun. Viel Spaß beim Lesen des zweiten Teils (von insgesamt 10 immer kürzer werdenden Teilen).

Wie Technologie unseren Geist manipuliert

2. Entführung: Steck einen Glücksspielautomaten in jede Tasche

Von Tristan Harris. Übersetzung von Bob Blume

Wenn du eine App bist, wie sorgst du dafür, dass die Leute dranbleiben? Verwandle dich in einen Glücksspielautomaten.

Die durchschnittliche Person checkt ihr Telefon 150 Mal am Tag. Warum tun wir das? Machen wir 150 bewusste Entscheidungen?

Einer der Hauptgründe, warum wir es tun, ist der hauptsächliche Bestandteil von Glückspielautomaten:

Diskontinuierlich schwankende Belohnungen (intermittent variable rewards).

Wenn man die Abhängigkeit maximieren will, ist alles, das Tech-Designer tun müssen, die Handlungen des Nutzers mit einer schwankenden Belohnung zu verbinden (wie zum Beispiel einen Hebel zu ziehen). Du ziehst am Hebel und bekommst direkt entweder eine verführerische Belohnung (einen Preis) oder eben nichts. Die Abhängigkeit wird maximiert, wenn die Rate der Belohnung am meisten schwankt.

Sind Menschen davon wirklich betroffen? Ja. Glücksmaschinen generieren in den Vereinigten Staaten mehr Geld als Baseball, Kino und Themenparks zusammengenommen. Relativ zu den anderen Arten des Spiels werden Menschen drei bis vier Mal schneller abhängig von Glückspielautomaten, so NYU Professor Natasha Dow Schull, Autorin des Werks „Addiction by Desing“ (Abhängigkeit durch Design).

Aber hier ist die unschöne Wahrheit – ein paar Milliarden Menschen haben einen Glückspielautomaten in ihrer Tasche:

  • Wenn wir das Telefon aus unserer Tasche ziehen, spielen wir den Glückspielautomaten, um zu sehen, welche Notifikationen wir haben.
  • Wenn wir ziehen, um unsere Mails zu aktualisieren, spielen wir den Glückspielautomaten, um zu sehen, ob neue Mails da sind.
  • Wenn wir unseren Finger herunterziehen, um unseren Instagram-Feed zu sehen, spielen wir einen Glückspielautomaten, um zu sehen, welches Foto als nächsten kommt.
  • Wenn wir die Gesichter nach rechts und nach links wischen wie bei Dating-Apps wie Tinder, spielen wir einen Glückspielautomaten, um zu sehen, ob wir ein Match haben.
  • Wenn wir die Nummer der roten Notifikationen drücken, spielen wir einen Glückspielautomaten, um zu sehen, was darunter ist.

Apps und Websites verteilen diskontinuierlich schwankende Belohnungen überall auf ihren Produkten, weil es gut fürs Geschäft ist.

Aber in anderen Fällen kommen die Glückspielautomaten zufällig auf. Zum Beispiel gibt es keine boshafte Firma, die hinter allen E-Mail-Anbietern steht und die dauernd versucht, aus den Mails einen Glückspielautomaten zu machen. Keiner profitiert davon, wenn Millionen ihre Mails checken und es ist nichts da. Genauso wenig wollten Apple- und Google-Designer, dass Telefone wie Glückspielautomaten arbeiten. Es passierte zufällig.

Nun aber haben Firmen wie Google und Apple die Verantwortung dafür, die Wirkung dieser Effekte zu reduzieren, indem sie die diskontinuierlich schwankenden Belohnungen in weniger abhängig machende und besser vorhersehbare Belohnungen verwandeln, die besser designt sind. Zum Beispiel könnten sie Leute dazu befähigen, Zeiten festzulegen, in denen man die Glücksspielautomaten-Apps checkt und eben auch, dass neuankommende Nachrichten sich an diese Zeiten richten.

Zur dritten Folge. 

4 comments on “SERIE: Wie Technologie unseren Geist manipuliert (II)”

  1. Lieber Bob Blume!

    Vielen Dank für Ihre Idee diesen interessanten Aufsatz zu übersetzten! Im Diskurs über digitale Medien / Bildung kommen mir Überlegungen zu relevanten Inhalten und kritische Reflexionen leider oft zu kurz! Das dies nicht mit einer einseitigen Technokratiekritik zu verwechseln ist, sehe ich wie Sie. Für eine notwendige kritische Haltung, beim Umgang mit digitalen Medien und um in Alternativen denken zu können, ist Ihre Idee der Übersetzung dieses Aufsatzes aber sehr wichtig und ich hoffe, zu weiteren Übersetzungen ermuntern zu können.

    Herzlichst,
    Carsten Roeger

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