ESSAY: Digitaler Müßiggang

Bob Blume
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28. Juni 2018
3 Kommentare
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Während aus einigen Kilometern Entfernung die jauchzenden Glücksrufe feiernder Schüler erklingen und die Sonne Licht und Wärme in einen wohligen Einklang bringt, tue ich: Nichts. Gut, ich frühstücke, aber selbst dieser Vorgang erstreckt sich ins lächerlich Langsame. Der Termin, wegen dem ich hier bin, ist erst später und die Lust, produktiv zu sein, hält sich in sonnigen Grenzen. Da ist er, dieser schöne, umarmende, leichte und glückbringende Müßiggang. Und während die Gedanken schweifen, kulminieren sie in einer Frage: Gibt es digitalen Müßiggang? 

Hesse beschreibt in seinem Essay über das Glück den Moment des Erwachens in den Ferien. Zu wissen, nichts tun zu müssen, aus dem Fenster schauen und die Konturen der Häuser und der Natur mit den Augen nachzeichnen. Atmen. Erscheint es nur so oder sind diese Momente rar geworden? 

Der Müßiggang ist der freie Raum, der die Möglichkeit lässt, etwas zu bilden - eine Idee, einen Gedanken, Reflexion. Oder nichts davon. Das Subjekt ist aber nicht gehetzt vom Nichtstun, nicht gepeinigt von der Tatenlosigkeit. Müßiggang ist keine Langeweile. 

Langeweile bezieht sich nicht einmal auf Nichtstun. Im Gegenteil: Menschen verzweifeln an Langeweile, wenn sie etwas tun, das sie nicht erfüllt, ihnen keine Bedeutung gibt. Langeweile ist der hässliche kleine Bruder des Müßiggangs. 

Aber die Familie ist groß: Die arrogante Schwester ist die Prokrastination. Sie ist der Versuch, begrifflich zu machen, dass man nicht tut, was zu tun man genötigt wäre. Die Prokrastination kann mit Langeweile einher gehen, aber niemals mit Müßiggang. 

Während bei der Langeweile also etwas getan wird, obwohl es keine lustvolle Wirkung hat und bei der Prokrastination nichts getan wird, obwohl es getan werden müsste, ist der Müßiggang das lustvolle Nichtstun. 

Das lustvolle Nichtstun eröffnet den Raum für das Außen und das Innen. Die Geräusche von Blättern, die vom Wind hin und her geblasen werden. Miteinander lachende Menschen. Der Kaffeeschaum, der an der Lippe kitzelt, bevor das warme Getränk den Körper von innen erwärmt. Kann dies im digitalen Raum stattfinden?

Zunächst einmal: Sowohl die betriebsmäßige Langeweile ist digital nicht nur möglich, sondern wird geradezu herausgefordert. Das pausenlose Springen von A nach B, ohne sich dem Sprung bewusst zu werden (oder nur bei wirklich Geübten). Über Prokrastination muss der geübte Nichtstuer eigentlich kein Wort verlieren. Das Herumschwadern im Äther frisst die Zeit, insofern man ein anderes Ziel hätte. Aber was, wenn man dies nicht hat? 

Die Mediatisierung, die Medien, indem sie den “farbigen Abglanz”, wie es Faust in dem zweiten Teil der Tragödie formuliert, bieten, spricht gegen einen Müßiggang, der sich aus der primären Wahrnehmung speist. Die Gedanken werden am Objekt festgehalten und können nur schweifen, wenn der Gegenstand wechselt. Aber auch das könnte der eine oder der andere als lustvolles Wandeln betrachten. 

Vielleicht kann die Frage nur in dem Moment beantwortet werden, von dem man aus auf eine vergangene Phase des Nichtstuns schaut. Der Müßiggang bewirkt Zufriedenheit, zumindest aber keine schlechte Laune, denn weder hat man etwas verpasst, noch hat man etwas getan, was einen davon abhielt, das Eigentliche zu tun. 

Kann es diesen Moment der Zufriedenheit geben, so dass man vom gelungenen digitalen Müßiggang sprechen kann? Ich weiß es nicht. Aber ein Gefühl sagt mir, dass wir öfter aus dem Fenster schauen sollten. 

3 comments on “ESSAY: Digitaler Müßiggang”

  1. Wenn Müßiggang die ziellose Öffnung des Geistes für Eindrücke, das Ausblenden des Notwendigen ist, entspräche digitaler Müßiggang dann dem Stöbern im Antiquariat, bei dem man den Titeln, einzelnen Klappentexten oder kurzem Schwelgen in bekannten und unbekannten Texten folgt? Dann wäre die Kletterpartie über die Hyperlinks das Äquivalent der sich bewegenden Wolken oder Schatten im Geäst, das unbewusste Spiel mit den Mustern und die unwillkürliche Verknüpfung zu Bildern?

    1. Ich frage mich halt, ob so eine Übertragung überhaupt geht. Oder es nicht vielmehr eine Art physisch-ganzheitliche Umgebung geben muss.

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