Eine Schülerin einer Förderschule beleidigt einen Lehrer, der zeigt diese an und sie wird daraufhin vom Gericht dazu verurteilt, 20 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Ein Bild und die Unterschrift „Behinderter Lehrer ever“ reichte aus, damit der 64-jährige Pädagoge den Strafantrag stellte. Diese simple Eskalation zeigt weit mehr über die Defizite des Bildungssystems, als man meinen könnte. Es fehlt an der Reflexion über die Mechanismen der digitalen Sphäre.
Eines sollte klar sein: Der Begriff „behindert“ steht in der Jugendsprache für eine Abwertung der Person und ist sicherlich eine abzulehnende Beleidigung. Ferner hätte die 14-jährige Schülerin, die angab, nicht damit einverstanden gewesen zu sein, dass der Lehrer die Schüler seinerseits fotografiert hatte, dies auch anders kundtun können, als mit einem solchen Facebook-Posting.
Ich darf sagen, dass ich mich ein wenig mit virtuellen Beleidigungen auskenne. Meine sehr lieb gewonnene erste Klasse lud mich eines Tages in eine ihrer Facebook-Gruppen ein, als ich von der Schule ging. Was ich da über die Zeit las, bevor wir uns kennen und schätzen lernten, war mehr als beleidigend. Davon abgesehen, dass dies auf meiner Neugierde beruhte, hätte ich selbst im akuten Fall eines nicht gemacht: Strafanzeige gestellt. Es zeugt von einem zumindest fragwürdigen Verständnis von pädagogischer Arbeit (oder eben deren Unterlassung), eine solche Entgleisung eines pubertären Mädchens nicht in einem persönlichen Gespräch zu klären.
Es zeigt aber auch die großen Defizite und Versäumnisse deutscher Bildungsinstitutionen hinsichtlich der Reflexion medialer Nutzung. Normen des tradierten Lebens werden wie selbstverständlich auf das virtuelle Leben übertragen. Die Deutungshoheit haben meist jene, die sich mit dieser Sphäre wenig oder nicht beschäftigt haben.
Dies führt dazu, dass eine zweifellos nicht gut zu heißende Unmutsäußerung eines jungen Mädchens zu einer sofortigen Anklage führt, als sei es ihr Wunsch gewesen, den Lehrer an den öffentlichen Pranger zu stellen. Die wichtige Frage, wie privat soziale Netzwerke sind, wird so einfach umschifft; es wird als erwiesen angesehen, dass eine solche Äußerung persönlichkeitsschädigend ist. Dann kann man nur hoffen, dass die Fenster der eigenen vier Wände ab jetzt immer geschlossen bleiben.
Zweifellos könnte nun der Einwand kommen, dass dies trotzdem nicht das Recht am eigenen Bild und die Schmähung entschuldigt. Das soll auch nicht so sein. Der simple Punkt ist, dass man in dieser Schule nachfragen könnte, inwiefern obige Punkte in dem Unterricht integriert sind. Inwiefern die Nutzung von sozialen Netzwerken reflektiert wird. Inwiefern Schülerinnen und Schüler auf solche oder ähnliche Fragen stoßen, weil sie mit Computern auch über Word und Excel hinaus arbeiten.
Ohne mich weit aus dem Fenster zu lehnen, glaube ich die Antwort zu kennen. Da aber versäumt wird, hier nachzulegen, klagt man lieber eine Schülerin an, anstatt sich mit der Materie zu befassen.
Ich glaube, ich spreche da für einige aus der Community, wenn ich sage, dass das Ausbleiben digitaler Themen die Lehrer in der Tat behindert.
In diesem Sinne bin ich ein behinderter Lehrer. Ever.