Lieber Bob Blume,
Ich will mich auch mal melden und mitmachen!
Meine Geschichte:
Drachensteigen unter dem Vollmond
Ich liebe es nachts im Vollmondlicht in der Natur spazieren zu gehen. Die Welt ist ganz, ganz offen. Der Himmel ist unendlich. Die Luft oft sehr frisch. Und es ist still. Ich kann mich ruhig, abgespannt herumbewegen. So war es auch in dieser Nacht, wo ich mal wieder losgezogen war, während das Haus schlief. Ja, also mein Mann – die Kinder waren ja schon Einwohner ihrer eigenen Häuser geworden. Wie schnell die Zeit geht!
Da sah ich plötzlich, wie auch ein anderer im Vollmondlichte draußen war. Unten auf der Wiese. Ein junges Mädchen. Sie ging ein bisschen hin und her. Stoppte. Wendete sich und hob die Hand in den Luft. War was nicht in Ordnung? Dann plötzlich fing sie zu laufen an – und hielt die Hände so merkwürdig hinter sich her. Da war doch was wirklich nicht in Ordnung!
Neben ihr sah ich dann auch den Schatten einer Katze. Sie lief ihr hinterher, sprang ab und zu in die Luft, lief kreuz und quer über die Wiese.
Mir wurde, als hätte ich das schon mal erlebt. Ich ging ganz langsam Näher, ohne einen Aufruf zu machen. Und wurde offenbar gar nicht bemerkt. Das junge Mädchen stand jetzt, mit den Händen noch gehoben, und guckte in die Luft. Zog irgendwie an eine unsichtbare Leine. Ja. Eben! Die Leine war aus dünner Nähfaden. Und jetzt ahnte ich auch noch den Drachen! Ganz winzigklein. Aus Streichhölzer und Seidenpapir gemacht. Das war doch ich! Mit 17. Ich war vor einigen Monaten ins Studentenwohnheim gezogen, besuchte ein kleines Kolleg, wo ich mein Abitur machen konnte. Und war noch sehr unsicher, hatte langsam ein paar Freunde gefunden – aber brauchte auch schon damals die Stille. Ein Ort, wo ich Platz hatte. Zum Träumen. Zum Spielen. Ja, ich konnte das damals noch sehr gut. Das Spielen.
Ich wurde ganz warm im Herzen. Ließ sie weiter ihren Drachen und ihre Katze und ihren Vollmond und ihre Luft genießen. Ihre Ruhe und Freiheit.
Und jetzt sitze ich hier und bastele mir den kleinen Drachen noch einmal. Ich werde sie mit meinem Enkelkind in die Luft steigen lassen. Es wird spät. Aber das ist ja eben auch schön!
Als Lehrerin war das hier mal ein ganz anderes Erlebnis – ich habe z.B. Geschichten von meinen Schülern gelesen, die ich sonst nie Erlebe. Ich weiß nicht, ob sie es mit einer größeren Gruppe Teilen wollen oder können, einige der Geschichten sind sehr persönlich, und als junger Mensch ist es nicht unbedingt leicht sich zu öffnen. Und nicht immer ohne Gefahr, dass andere sich nicht lustig machen.
Im Zusammenhang mit unserem Thema über Jugend und Identität haben wir auch ein Romanausschnitt von Julie Zeh gelesen, mit dem Titel ” Nichts ist schlimmer als Unversehrtheit“ (aus dem Roman „Spieltrieb“). Da konnten sich auch ein Teil der Schüler sich in den Figuren einleben – und eben dort, wo man mit den Schülern als MENSCH über etwas reden kann, dass persönlich sowie allgemein ist – da finde ich, wird das lernen und das „sich bilden“ wirklich spannend.
Wir haben dann auch Norbert Elias´ „Kinderspiele“ gelesen – ich finde sie so intensiv und spannend. Die Klasse hat es auch einigermaßen überlebt!
Ich habe ja schon vor langem vorgenommen, dass ich dein Text „Das bin doch ich“ in einer Klasse benutzen wollte, ich musste aber schön warten, bis ich eine Klasse hatte, die das auch schaft! Und – ich habe die Geschichte gewählt, weil sie mich eigentlich irgendwie irritierte. Was soll das denn, dachte ich. Ich finde den Faden, verliere ihn wieder, und....der Drachen fliegt mir davon!
Deine Antwort darauf, ob der Drachen etwas symbolisiert fand ich großartig. JA! Wie du schon in der Einleitung schreibst – du glaubst an eine andere Art des Lesens und Lernens. Ich kann dadurch ohne Ängste meine eigenen Wege und Gedanken nachgehen. Der Drachen, das Drachen steigen lassen...das kommt in der Geschichte mit dem Alter. Es war vielleicht auch schon da, als man Kind war. Als junger Mensch kommt man vielleicht nicht ganz dazu – man hat es irgendwie verlernt? Verloren? Aber...man kann es sich offenbar wieder lernen. Es muss aber vielleicht in einer neuen Form geschehen. Und der alte Mann lacht ein bisschen, weiß noch, wie es damals war, weiß aber auch, dass der junge Mann es schafft. Mit der Fantasie, mit der Vorstellungskraft, da fängt es an! Da kann man wieder loslegen. Das ist jedenfalls auch jetzt, mit meinen fast fünfzig Jahren, die Erfahrung.
Meine Schüler aber, fanden es schade. Dass du nicht deine Vorstellungen davon teilst. Als Autor oder Verfasser ist das wohl eine gute Idee – also, es nicht zu tun. Den Leser frei stellen. Auf der anderen Seite braucht man ab und zu Leute, die gerne erklären. Die IHRE Erlebnisse, Gedanken, Beispiele, Interpretationen, Hoffnungen und Ahnungen teilen. Oder nicht? Wie der dänische Zeichner Gantriis sagte, als er über den Briefwechsel mit dem dänischen Verfasser und Philosophen Villy Sørensen erzählte; er hatte den Verfasser angeschrieben, weil er einen brauchte, einer der ein bisschen klüger war, als er selbst. Einer, mit dem er größere und kleinere Sachen im Leben (Alltag und Kunst und, und, und....)teilen und diskutieren konnte. Und sechs Jahre lang, bis Sørensen starb, haben die zwei sich geschrieben. Ein schönes Geschenk zwischen Menschen, meiner Meinung nach.
Ich danke dir sehr, dass du dir Zeit für den Briefwechsel und das bloggen genommen hast! Auch das – ein schönes Geschenk zwischen Menschen 🙂