LITERATUR: Das bin doch ich

Bob Blume
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13. Dezember 2013
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Also, ich muss erst einmal festhalten. Das ist auch für mich eine komische Situation. Ich sitze hier am Strand, die Sonne scheint und ich kann die Möwen genau über mir hören. Aber gleichzeitig ist das alles nur der Gedanke desjenigen, der mich hier in diesen Text schreibt. Da ich zwar nicht ohne ihn leben kann, er aber ja auch irgendwie nicht ohne mich, weiß ich, dass es eine Parabel sein soll. Diese Texte, bei denen am Ende eine Moral rauskommt. Nicht die mit Tieren, das wäre ja eine Fabel. Und ich bin ein Mensch, soweit ich weiß.

Ja, jetzt bin ich sicher. Ich habe einen schwarzen Hut auf und ein weißes Hemd an, was an den Seiten hoch gekrempelt ist. Ansonsten noch eine Jeans und schwarze Lederschuhe, die jedoch ein wenig abgetragen sind. Wie es scheint, ist mein Erschaffer nicht gerade Modedesigner. Ich fühle mich zwar in den Sachen wohl, aber das hat wohl eher mit ihm zu tun.

Na jedenfalls war ich mir von dem ersten Moment unsicher, was ich hier am Strand soll. Es gehen nur ein paar Menschen vorbei, die alle gehetzt aussehen. An der Strandpromenade sind einige damit beschäftigt, Drachen steigen zu lassen.

Das ist so ein typisches Zeichen dafür, dass die Parabel irgendwas bestimmtes sagen will. Aber wenn man sich meinen Kleidungsstil in Erinnerung ruft, kann so eine Andeutung auch wieder ein Fehlgriff des Autors sein. Ich frage mich ernsthaft, warum ich in der Feder eines Stümpers das Licht der Welt erblicke.

Jetzt kommt jemand auf mich zu. Es ist ein älterer Herr, der aber einen sehr schnellen vorwärtsdrängenden Gang hat. Ich denke mal, der Autor lässt sich jetzt selbst erscheinen, um eine komische Situation für den Leser zu schaffen. An mich denkt er dabei wahrscheinlich nicht.

Am meisten fürchte ich mich gar nicht vor den altklugen Sprüchen, die ja zwangsläufig mal langsam kommen sollten, wenn es noch eine einigermaßen literarische Tiefe geben soll. Am meisten fürchte ich mich vor dem, was ich zwangsläufig sagen muss. Ich habe sowieso manchmal das Gefühl, dass sich Worte, die ich sage, wiederholen. Es kann aber auch ein Gefühl sein, weil ich ja nicht wieder nachschauen kann. Das ist der Vorteil, wenn man außerhalb des Blattes lebt. Da kommt er.

„Erkennst du mich?“, fragt er und schaut, als ob er meine Gedanken kennt. Also doch der Autor.

„Du kommst mir wirklich bekannt vor“, höre ich mich sagen, was auch stimmt. Vor allem die schrumpeligen Gesichtszüge sind mir bekannt. „Wer bist du? Bist du es, der mich schreibt?“

Der Alte lacht nur und schüttelt mit dem Kopf. „Daran erinnere ich mich genau. Es ist schon verrückt, was das alles mit deinem Leben gemacht hat.“

Langsam dämmert es mir. „Du bist gar nicht der Autor. Du bist mein altes Ich, das der Autor hier an diesem Strand kommen lässt. Alter Trick, aber trotzdem interessant. Hast du einen Auftrag.“

„Die Antwort weißt du doch schon", sagt der Alte verschmitzt und will schon fast wieder gehen. „Du weißt doch, dass es eine Parabel ist, in der wir uns hier befinden.“ Der Autor will die Moral unterbringen. Das ist klar. Aber mir ist in dem Moment, als der Alte in Richtung Promenade geht, nicht bewusst, was sie sein soll. Ihm wird ein Drache übergeben und der Alte steuert, als wenn er den ganzen Tag nichts anderes machen würde.

Ich versuche mich zu erinnern, ob ich auch schon einmal einen Drachen steigen lassen habe und da wird mir plötzlich alles klar. Ein wenig muss ich nun doch den Zorn zurücknehmen, den ich gegenüber meinem Erschaffer hatte. Es ist ziemlich trickreich gewesen, dass alles so einzufädeln.

Ich gehe also über den Sand und merke, wie Körnchen für Körnchen in meine Schuhe läuft. Nach einer Weile bin ich bei einem kleinen Kaffee, aus dessen Fenstern Leute schauen. Ich denke, dass sie die Drachen steigen sehen wollen.

Doch die Leute und die Drachen sind verschwunden. Ich bin verärgert und habe keine Lust mehr, in einer Parabel zu sein, in der ich von einem wohl unentschlossenen Autor stecke, der jede Situation nutzt, um mich hinters Licht zu führen.

Ich gehe zurück an den Strand und wie nicht anders vermutet, kann ich, sobald ich mich gesetzt habe, die Drachen wieder sehen. Sogar den alten Mann erkenne ich. Er scheint zu lachen.

Ich lege mich hin und stelle mir so intensiv wie es nur geht vor, dass ich es wäre, der den Drachen in der Hand hält.

Und dann muss auch ich lachen, als ich erkenne, was die Moral der Parabel ist. Und ein wenig stolz bin ich auch und freue mich darauf, dass ich irgendwann der alte Mann sein werde.

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