Obwohl ich an anderer Stelle schon geschrieben habe, dass sich wirklich “neue” Erkenntnisse über Goethes epochenübergreifendes und epochales Werk Faust nicht mehr schreiben lassen, werde ich an dieser Stelle zu einigen Szenen des ersten Teils schreiben, um die häusliche Arbeit des Kurses zu unterstützen und meine eigene Freude zu befriedigen.  Es sei angemerkt, dass viele der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Werk des Germanisten Jochen Schmidt und dem Faust-Kommentar Albrecht Schönes stammen, die mit ihren Werken Goethes Klassiker in vielerlei Hinsicht beleuchten. 

Weitere Artikel zum Faust

Auf diesem Blog gibt es weitere Artikel zum Faust, die hier aufgerufen werden können:

Zusammenfassung des gesamten Dramas “Faust. Der Tragödie erster Teil”.
Faust I: Vorspiel auf dem Theater (V.33-242)
Faust I: Prolog im Himmel (V.243-353)
Faust I: Nacht (V. 354-417)
Faust I: Vor dem Tor (V. 808-1177)
Beispiel einer Interpretation zum Faust
Anmerkungen zu Goethes Faust 
Fragen und Antworten zum Faust

Kommentar zur Zueignung

Als Goethe 1808 den Faust, der Tragödie erster Teil veröffentlicht, hat er umfangreiche Änderungen an dem übernommen, was zunächst als Urfaust (1772-1775) im Sturm und Drang veröffentlicht und dann als Faust, ein Fragment (1788-90) erneut nur als Teil erschienen ist.

Diese Änderungen sind nicht nur insofern gravierend, dass ganze Textpassagen umgeschrieben wurden – nun von einem Goethe, der sich von seiner Sturm und Drang-Phase entfernt hat und klassisch-formalistisch schreibt und umschreibt. Sondern auch, weil ganze Passagen neu dazu kommen. Darunter auch jene Texte, die vor dem Beginn des eigentlichen Dramas, aber dennoch gleichsam als Teil desselben aufgeschrieben worden sind: Die Zueignung (V.1-32), das Vorspiel auf dem Theater (V.33-242) und der Prolog im Himmel (V.243-353).

Etwas vereinfacht könnte man sagen, dass hier – in der oben beschriebenen Reihenfolge – eine Kontextuierung des Werkes stattfindet: Individuell, ökonomisch-gesellschaftlich und universell.

DieZueignungist (glaubt man den Tagebuchaufzeichnungen[1]Goethes) Ende der 90er Jahre entstanden, also zehn Jahre bevor der Faust erschien. Diverse Faust-Kommentatoren haben nachgewiesen, dass sich Goethe in diesem in feierlicher Stanzenform geschriebenen Gedicht auf seine Faust-Vorträge (u.a. des Fragments) bezieht[2]. Eine wichtige Frage bleibt jedoch kontrovers: Wenn Zueignung so viel heißt wie “Widmung” – wer widmet hier wem etwas?

Glaubt man einem der neuesten Faust-Kommentare Albrecht Schöne, ist die Zueignung die 1. Potenz, also Ebene des Dramas[3]. Hier schreibt also ein fiktiver Schriftsteller über sein Werk, oder wie Jochen Schmidt sagt: Die Zueignung sei eine „lebensgeschichtliche und poetologische Selbstreflexion“[4].  Aber was genau sagt er?

Zueignung

Schauen wir auf die ersten Verse:

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?
Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?

Hier bezieht sich jemand auf einen Arbeitsprozess: Die schwankenden Gestalten beschreiben jene Figuren, die der Dichter durch sein Schreiben zum Leben erweckt. Interessant ist die Bezeichnung “Wahn”. Einige Passagen des Faust – so die Hexenküche, die Walpurgisnacht oder der Walpurgisnachttraum – sind in der Tat wie ein Wahn, also wie eine phantastische Episode, die die Realität durchbricht.

Gleichzeitig hat die Zueignung auch eine melancholische Dimension: Der Dichter, der hier schreibt, versucht jene Gestalten wieder zu fassen, die er schon lange nicht mehr zum Leben erweckte.

Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.

Gleichzeitig zeigt sich hier eine tiefe Angst, die sich im Vorspiel auf dem Theater in der Gespaltenheit der Personen zeigt, ein Stück auf die Bühne zu bringen, das die Menschen bewegt.

Die Zueignung endet mit dem nochmaligen Verweis darauf, dass die Gestalten des Stücks nun erneut vom Dichter ergriffen werden.

Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.

Der poetische Schaffensprozess wird hier zum Ergreifen einer neuen “Wirklichkeit”; es erscheint wie ein Zurückholen einer poetischen Erinnerung.

Fazit

Was soll also die Zueignung? Sie ist zwar nicht Teil der dramatischen Handlung, doch aber des Dramas, indem sie drei Funktionen erfüllt:

1) Sie durchbricht die dramatische Illusion, indem sie auf das Erschaffen des Werkes selbst verweist.

Bei Albrecht Schöne heißt es da: „Über seinen Widmungscharakter hinaus übernimmt das Gedicht […] eine dramaturgische Funktion: Es bricht die unmittelbare theatralische Illusion, indem es alles Folgende als dichterische Hervorbringung, als Spiel der poetischen Imagination zu verstehen gibt.“[5]

2) Sie ist die erste Potenz der poetischen Ebene des Faust, schiebt somit also alles, was folgt, in eine weitere Dimension der poetischen Imagination.

3) Sie verweist auf den Schaffensprozess des Dramas, indem es auf die Herausforderungen des (fiktiven) Schriftstellers zeigt.

Die Zueignung ist somit eine kunstvoll erarbeitete Vorrede zu einem der wichtigsten Werke der deutschen Literatur.

 

 

[1]So der Tagebucheintrag vom 27.6.1797, zitiert nach Schöne.

[2]Vgl. Schöne, Albrecht: Johann Wolfgang Goethe. Faust. Kommentare. Frankfurt am Main 2003. S.150.

[3]Schöne, Albrecht: Johann Wolfgang Goethe. Faust. Kommentare. Frankfurt am Main 2003. S.151.

[4]Schmidt, Jochen: Goethes Faust. Erster und Zweiter Teil. Grundlagen – Werk – Wirkung. 2., durchgesehene Auflage. Nördlingen 2001. S.47.

[5]Schöne, Albrecht: Johann Wolfgang Goethe. Faust. Kommentare. Frankfurt am Main 2003. S.151.

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