Da kam etwas ins Rollen. Nachdem ich  die Fundamentalkritik am Prüfungssystem im Referendariat von @bildungslücken als Diskussionsansatz auf Facebook gepostet hatte, gab es viel Zustimmung und zahlreiche Reaktionen. Auf den Punkt gebracht stellt @bildungslücken die Behauptung auf, dass die Säulen der Bewertung, die im Referendariat gelehrt werden, bei den Prüfungen der Referendare selbst verletzt werden. Dies zu überprüfen, ist schwierig, weil sich Bundesländer oder sogar Seminare stark unterscheiden. geht man von den Reaktionen aus, ist vielen dieser Gedanke nicht fremd. Was jedoch einen Blick lohnt, ist die Frage danach, inwiefern dieser Unterschied zwischen Theorie und Praxis auch andere Bereiche betrifft. Hierzu ein Kommentar. 

Zunächst die Tweets von @bildungslücken, der das Ganze ins Rollen brachte. 

Schauen wir uns nun eine Reaktion und meine Replik an: 

Lehramtsstudentin: 

Ich frage mich nur ernsthaft WIESO? Ich hatte vor kurzem interessehalber in die große Runde gefragt, ab wann man als Frischlehrer wieder in den Frontal-UG-Modus umschaltet und offenbar geht das direkt nach dem Ref schon los, offenbar vor allem aufgrund der zu starken Belastung bzw. Zeitknappheit. Das spricht nicht sonderlich für die Passung von Ausbildung und Berufsalltag…

Ich:

Das ist aber ein Fehlschluss, wenn ich das sagen darf. Die Orchestrierung, die bei permanenten Frontalunterricht gefordert wird, belastet mehr als gut geplante Freiarbeitsphasen.

Lehramtsstudentin: 

Das verwirrt mich jetzt noch mehr. 

Vielleicht hast du schon einen besseren Einblick in die Wirkmechanismen, die das Methodenfeuerwerk nach den 2. StEx direkt wieder erlischen lassen. 

Im Moment passt in meinem Bild noch kein Teil zum anderen (Uni, Praxissemester, Ref, Schule).

Zunächst einmal ganz grundsätzlich: Selbst wenn Theorie und Praxis nicht 1:1 auf einander passen, bilden beide Teile fundamental wichtige Bestandteile für die Ausübung des Berufs. Konkret: Selbst wenn ich eine Hausarbeit zu einem Thema schreibe, das in dieser Form in der Schule keine Rolle spielt, lerne ich basale Fähigkeiten für meinen Alltag als Lehrer: Recherche, Reduktion, Erstellung einer Fragestellung, Aufzeigen von Zusammenhängen, Archivierung von Information – und vieles mehr. Das systematische Denken, das man so entwickelt, ist für einen Schulalltag mit einer vollen Stelle immens wichtig. Insofern ist es für mich schwer zu verstehen, wie jemand keine Fragestellung entwickeln kann oder gar nicht erst das Interesse hat, eine solche zu finden. 

Wenn jemand also sagt, sein Studium hätte nichts mit dem Beruf zu tun, hat er dies, mit Verlaub, (noch) nicht verstanden. 

Dies gilt auch für theoretische Inhalte. Natürlich denke ich nicht jeden Tag an Piaget, Kounin oder Meyer. Aber den theoretischen Rahmen, innerhalb dem ich mich bei der Erstellung von Lernszenarien bewege, zu kennen, ist eine wichtige Grundvoraussetzung. 

Für diesen Zusammenhang ist das Praxissemester wichtig. Hier geht es darum, die Theorie in die Anwendung zu überführen und das ohne den Druck und die Verantwortung, die später gefordert wird. Das ist ein Sprung ins kalte Wasser, aber anders geht es nicht, den Bildung (Universität) bedeutet eben nicht Ausbildung (Praxissemester, Referendariat). 

Was das Referendariat angeht, unterliegen viele einem Irrtum. Es geht eben nicht um Methodenfeuerwerke, sondern um das Wissen des richtigen Einsatzes einer Methode in den Unterrichtszusammenhang. Erst wenn ich weiß, wie eine Methode, Phase oder Sozialform so eingesetzt werden kann, dass sie das Lernen fördert, kann der Unterricht auch unter Prüfungsvoraussetzungen gelingen. Dafür brauche ich aber die praktischen Einblicke UND die Theorie. 

Aber klar: Wenn ich der Meinung bin, dass es nur um möglichst viele Methoden geht und nicht ums Lernen, dann gehe ich in der Praxis ins frontale Unterrichten über. Aber das ist grundfalsch. 

Nicht, weil frontaler Unterricht schlecht wäre. Solche Phasen der Instruktion sind durchaus wichtig und angebracht. Aber der durchgehende frontale Unterricht ist nicht nur sehr anstrengend, sondern verhindert auch echtes Lernen durch eigenes Tun der Schüler.

Und in der Tat kann man dies einigen Seminaren vorwerfen. Der Kern von Unterricht wird oftmals gar nicht tangiert:

Lernen zu ermöglichen.

Vielmehr geht es um die Struktur und die Einzelteile von Unterricht und wie diese zusammenhängen. Das ist durchaus wichtig, kann aber den Blick auf die falschen Aspekte lenken. 

Das Referendariat und seine zahlreichen Besuchsstunden und Prüfungen verlangen vom Referendar zu zeigen, was möglich wäre. Nicht was immer sein muss. Ich wiederhole mich: Was möglich wäre. Das kann man gut oder schlecht finden, aber letztlich gibt das dieser Ausbildungsphase eine neue Perspektive. Denn es verdeutlicht, dass die Argumentation, ein durchgeplanter Unterricht sei unrealistisch, zu kurz tritt. 

Mit den methodischen Werkzeugen, der Theorie und ersten praktischen Einblicken soll man seine didaktischen Erkenntnisse ausprobieren und erproben und hinterher zeigen, dass man dies so intensiv beherrscht, dass man Entscheidungen über gelingenden Unterricht fällen kann. Und dass man reflektieren kann, warum eine Entscheidung vielleicht dennoch nicht die richtige war. 

Dies würde dann aber bedeuten, dass man, wenn man fertiger Lehrer ist, eben nicht alles, was nicht frontal ist, als Feuerwerk abtut. 

Sondern dass man erkennen kann, welche Gegenstände (die man zuvor aufgrund seiner theoretischen Kompetenzen systematisiert hat) sich für eine bestimmte Phase anbieten. Das KANN frontal sein. Das ist oftmals aber eher eine Partnerarbeit, das kann freies Arbeiten sein, das kann ein Gruppenpuzzle sein. 

Ergo: Die Perspektive darauf, was man tut, sollte immer jene danach sein, was es in Bezug auf diese spätere Arbeit bringt. Meine Behauptung ist, dass dies mehr ist, als man denkt. Dass dies nicht allgemeingültig ist und nicht auf jedes Seminar anwendbar ist, ist klar. Dennoch sollte man sich nicht in den Reigen derer gesellen, deren ablehnende Haltung den Zusammenhang der langen Bildung und Ausbildung verhindert. Denn mit einer solchen Haltung verhindert man überall dort selbst zu lernen, wo die Erkenntnis über den Nutzen sich vielleicht erst später einstellt. Und das wäre schade – für einen selbst und für die Schüler. 

Wegweiser

Dieser Beitrag ist Teil des Buches „Wegweiser Referendariat“, in dem alle wichtigen Blogartikel zum Referendariat vollständig überarbeitet, erweitert und angepasst in einem handlichen Buch auf 200 Seiten gesammelt sind.

Der Lehrer und Schulleiter Jan-Martin Klinge urteilt über das Buch: „Es ist ganz einfach: Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie ein besserer Lehrer“.

2 Kommentare

  1. Ich stimme dir komplett zu. Was ich aber auch immer wieder erlebe sind Aussagen von Seminarlehrern, die schulterzuckend konstatieren: “Wir müssen den Refs halt erstmal “richtigen” Unterricht beibringen” (ergo: Fokus auf Frontales, fragend-entwickelnden Unterricht und die Motivationsphase als Unterrichtseinstieg) … Das impliziert, dass die Gestaltung von Lernumgebungen, in denen jeder möglichst nahe am eigenen Lerntempo arbeiten und lernen kann, zu trivial ist um sie tatsächlich zu schulen. Dass gerade die Gestaltung einer Lernumgebung, die systematisch und durchdacht zwischen kollektiven und individuellen Lernphasen wechselt und dann auch noch die Gelenkstellen lernwirksam gestaltet, hohe Kunst ist, fällt dabei unter den Tisch. Insofern kann man den Refs wohl gar keinen Vorwurf machen – ich glaube, Partnerpuzzle, Lerntempoduett und Co werden ihnen einfach als “nette Abwechslung” verkauft (oft genug sicher im reinen Frontalunterricht). Die Folge ist leider außerdem, dass viele Methoden statt eingeübt und mit den Schülern reflektiert und weiterentwickelt, nur einmal probiert werden, um dann mit “funktioniert nicht” im Methodenmüll zu landen. —

  2. Ich finde den Kommentar des/der Referendar/en/in, der/die ein Thema für seine/ihre Examensarbeit sucht, sehr sehr traurig. Er ist fast schon symptomatisch für diejenigen Studis und Reffis, die nur sehr wenig echtes Interesse an den Inhalten ihres Fachs und der theoretischen Durchdringung von Didaktik, Methodik, Lerngegenständen etc. haben. Jemand, der solch eine Suchanfrage schreibt, wird seinen späteren Schüler/innen wohl kaum Neugierde sowie differenziertes und tiefenscharfes Denken vermitteln, sondern immer schön brav nur das Nötigste machen und tendenziell eher oberflächlich arbeiten.
    Nun glaube ich nicht, dass jede/r ständig “wissenschaftlich denken” muss, aber es sollte zumindest ein Funken Bereitschaft dafür erkennbar sein.

    Was den Rest des Artikels angeht: Ich teile deine Ansichten und glaube auch, dass das Studium und alles was damit einhergeht, mehr “bringt”, als es viele Reffis und Lehrer/innen glauben. Nur sind eben die Effekte nicht ganz so direkt sichtbar.
    Allerdings scheinst du mir mit den Berufsanfängern etwas zu hart ins Gericht zu gehen. In meinem Ref-Durchgang hat kaum jemand angekündigt, nach dem Ref endlich ständig Frontalunterricht machen zu dürfen und alles andere nur als methodisches Feuerwerk abzutun. Die Bereitschaft, lernwirksamen, abwechslungsreichen und kooperativen Unterricht zu gestalten, ist durchaus vorhanden. Natürlich ist (auch bei mir) nach dem Ref die Erleichterung, nicht mehr ständig etwas “Besonderes” (und dazu unter Bewertungsdruck) machen zu müssen, groß. Auch wenn dieser Anspruch sicherlich zum Teil eingebildet ist, ist er vielen Refis in ihrem Ref sehr präsent. Das sollte aber nicht damit verwechselt werden, dass alle Refis den Frontalunterricht als das Maß aller Dinge abtun.

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