Innerhalb der letzten 15 Jahre, in denen ich mich mit der Veränderung von Schule befasse, haben sich viele Dinge verändert. Was gleich geblieben ist, ist eine Frage, die viele änderungswillige Lehrkräfte umtreibt: Wie kann man Veränderung beginnen? Und wie geht man mit jenen um, die sich einer Veränderung versperren? Ein Update zu einem Artikel von 2022.
Hinweis: Dieser Artikel basiert auf meinem ursprünglichen Kommentar vom Mai 2022. Ich habe ihn nun erweitert und ergänzt, um aktuelle Entwicklungen und Reaktionen aus der Bildungslandschaft mit einzubeziehen. Meine eigenen Erfahrungen entstammen meiner Tätigkeit als Referent, Autor und vernetzter Lehrer. Mein eigenes Kollegium spielt in diesen Ausführungen weiterhin keine Rolle.
Anlass und Ausgangspunkt
Im Mai 2022 erschien in der ZEIT „Die Position“, in der ich die These vertreten habe, dass Entwicklungsprozesse an Schulen auch daran scheitern können, dass es unwillige Kolleg*innen gibt. Danach habe ich auf Twitter nachgefragt, wie meine Follower dies wahrnehmen. Von den rund 2.000 Stimmen stimmten rund 50% der These zu. Ich habe das Thema damals deshalb so stark in den Fokus gerückt, weil es in nahezu jeder Fortbildung, die ich als Referent halte, immer wieder dieselbe Frage gibt:
„Wie überzeuge ich Kolleg*innen, die beim Thema Schulentwicklung oder Digitalisierung nicht mitziehen wollen?“
Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Barcamps, Tagungen und Workshops, an denen ich teilnehme. Neuere Diskussionen (z. B. in sozialen Netzwerken oder auf Tagungen wie der Didacta 2023) bestätigen weiterhin, dass dieser Punkt aktuell bleibt. Zwar kamen und kommen immer mehr Investitionen (Stichwort DigitalPakt Schule), Fachportale und Fortbildungen auf den Weg – doch nach wie vor scheitern viele Schulentwicklungs- oder Digitalisierungsprozesse daran, dass sich ein Teil des Kollegiums nicht beteiligen möchte oder aktiv blockiert.
Hindernisse
In meinen Beiträgen und auf Social Media prangere ich seit Längerem die teils katastrophalen Rahmenbedingungen an. Das „Ob“ einer sinnvollen digitalen Infrastruktur (WLAN, Geräte, Administration etc.) ist immer noch häufig Zufall oder abhängig vom Engagement Einzelner. Obwohl sich in vielen Schulen seit 2022 vieles bewegt hat – etwa Gelder aus dem DigitalPakt, Tablets für Schüler*innen oder die Einrichtung von IT-Support-Stellen –, entstehen noch immer viele Lücken:
• Unzureichende Infrastruktur: Auch 2023/2024 berichten Schulen, dass Glasfaseranschlüsse und stabiles WLAN erst in einem oder zwei Jahren verlegt werden.
• Lehrkräftemangel und Arbeitsbelastung: Durch den spürbaren Lehrkräftemangel wird die Arbeitslast in vielen Kollegien immer höher. Das erschwert nicht nur die tägliche Unterrichtsarbeit, sondern dämpft auch die Motivation, an Schulentwicklungsprozessen teilzunehmen.
• Fehlende Zeit und Ressourcen: Viele engagierte Kolleg*innen finden keine zeitlichen oder materiellen Ressourcen, um neue Unterrichtskonzepte umzusetzen und weiter zu entwickeln.
• Fehlende Unterstützung durch Schulträger und Politik: Zwar sind Fördermittel vorhanden, doch oft fehlen langfristige Pläne für Wartung und Administration, klare Vorgaben oder Unterstützung für die Fortbildung der Lehrkräfte.
• Kulturelle Barrieren: Schulen sind teilweise stark hierarchisch strukturiert oder von Traditionen geprägt, sodass neue Ideen schwer Fuß fassen.
All diese Gründe führen dazu, dass manche Kolleginnen die Lust auf Veränderung verlieren. Das Verständnis dafür ist groß und absolut nachvollziehbar. Dennoch darf man nicht den Blick dafür verlieren, dass neben diesen Rahmenbedingungen auch die persönliche Einstellung einzelner Kolleginnen eine entscheidende Rolle spielt.
Warum unwillige Kolleg*innen thematisiert werden müssen
Nach wie vor bekomme ich Nachrichten von Kolleg*innen, die fast verzweifeln, weil sie fürchten, in ihrem Kollegium nicht voranzukommen – obwohl Grundbedingungen mittlerweile zumindest teilweise erfüllt wären. In manchen Fällen scheitern Schulentwicklungsprozesse nicht an fehlenden Ressourcen oder einer passiven Schulleitung, sondern daran, dass sich ein Teil des Kollegiums konsequent verweigert und dabei lautstark Gehör findet.
Dass unwillige Kolleg*innen nicht mitziehen (oder Fortschritte blockieren), ist in erster Linie für diejenigen problematisch, die etwas verändern möchten und sich stark engagieren. Sie bleiben auf hohem Mehraufwand sitzen: Sie organisieren, sie gehen zu Fortbildungen, sie erstellen Konzepte, sie kümmern sich um technische Probleme. All das passiert häufig zusätzlich zum Regelbetrieb, was zu Unmut, Erschöpfung und manchmal sogar zum Ausbrennen führt.

Die sogenannte Bleistift-Metapher bezieht sich auf die Offenheit (bzw. Verschlossenheit) von Kolleginnen und Kollegen gegenüber Technologie. Sie kann aus meiner Sicht aber auch auf andere Veränderungen beziehen, also die Frage nach dem Umgang mit offenen Umgangsformen, KI oder anderen, institutionell entwickelten (didaktischen oder pädagogischen) Veränderungen.
Dabei gilt weiterhin, was ich schon 2022 schrieb:
„Oftmals sind die Aufgaben sehr ungleich verteilt. Diejenigen, die sich engagieren, laden sich verstärkt zusätzliche Arbeit auf. Und diejenigen, die sich entziehen, werden ausgespart.“
Zwar ist dies auch in anderen Berufen zu beobachten, doch im Lehrerberuf ist es durch die relativ hohe Autonomie im Unterricht besonders einfach, sich Entwicklungsprozessen zu entziehen. Erst recht, wenn die Aufgabenverteilung innerhalb des Kollegiums nicht transparent geregelt ist.
Banden bilden: Gleichgesinnte finden, prototypisch handeln, dann erst sprechen
Ein zentrales Update, das in den Diskussionen seit 2022 immer deutlicher geworden ist, betrifft die Strategie für diejenigen, die sich auf den Weg machen wollen. Viele Kolleg*innen haben berichtet, wie wichtig es ist, nicht alleine in die Offensive zu gehen. Vielmehr lohnt es sich, kleine Allianzen (Banden) zu bilden, in denen man sich austauscht, gemeinsam Ideen entwickelt und sie zunächst prototypisch ausprobiert.
Warum ist das wichtig?
1. Sichtbare Erfolgserlebnisse: Wenn man erst einmal kleine Projekte erfolgreich umgesetzt hat (z. B. ein Mini-Projekt mit Tablets, eine Projektwoche zur digitalen Zusammenarbeit oder eine neue Form der Leistungsbewertung), hat man Beispiele, die man im Kollegium präsentieren kann.
2. Verringertes Risiko für Ablehnung: Wer nur über Ideen redet, läuft oft Gefahr, von kritischen Kolleg*innen schnell abgewimmelt zu werden („Das funktioniert doch eh nicht“, „Wer soll das machen?“). Wenn man jedoch Ergebnisse vorweisen kann, ist es deutlich schwieriger, Neuerungen mit Allgemeinplätzen zu diskreditieren.
3. Gemeinsame Motivation und Rückhalt: Die gegenseitige Unterstützung in einer kleinen Gruppe schützt vor Frust und hilft, Hürden zu überwinden. Gerade bei technischen Fragen (z. B. Lernplattformen, Apps, Methoden) kann man sich gegenseitig schulen und ermutigen.
4. Stärkere Stimme: Eine Gruppe von Kolleg*innen, die sich geschlossen für ein Konzept einsetzt, hat meist mehr Gewicht als Einzelpersonen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Schulleitung und Kollegium Veränderungen akzeptieren oder zumindest offen prüfen.
In der Praxis berichten Kolleginnen davon, dass sich durch dieses Vorgehen oft ein positiver Sog entwickelt: Andere sehen, dass etwas konkret funktioniert, die Schülerinnen motiviert sind und die Unterrichtspraxis profitiert. So lässt sich die Zahl der Mitstreiter*innen erhöhen, ohne dass jeder Skeptiker sofort an Bord sein muss.
Zwei Anmerkungen zu diesem Vorgehen: Ich möchte nicht verschweigen, dass es Stimmen gibt, die meinen, dass Veränderungen disruptiv und nicht Schritt für Schritt erfolgen müssen (wie ich es beispielsweise genau in meinem Buch beschreibe). Zum anderen bleibt es dabei, dass wirkliche Veränderung ohne Schulleitung nicht möglich ist. Oder wenn, in einem Umfang, der das Klassenzimmer nicht verlässt. Das bedeutet, dass nach einer Experimentierphase immer eine Mandatierung der „Veränderer“ erfolgen muss, so dass aus einer eher individuellen Entscheidung eine wird, die formal in die Schulentwicklung implementiert wird.
Neue Entwicklungen und Perspektiven
1. Lehrkräftemangel als Brandbeschleuniger: Ironischerweise kann der Lehrkräftemangel die Debatte um Schulentwicklung befeuern. Wo Personal knapp ist, entstehen zwangsläufig neue digitale oder organisatorische Lösungen (z. B. hybride Lernangebote, vermehrte Teamarbeit, Online-Betreuung). Diese Neuerungen können zu einer Dynamik führen, in der unwillige Kolleg*innen zumindest pragmatisch mitziehen (müssen).
2. KI-Tools und neue Herausforderungen: Seit Ende 2022 und verstärkt 2023 ist das Thema Künstliche Intelligenz (z. B. ChatGPT) in den Schulen angekommen. Der Umgang damit macht deutlich, wie wichtig digitale und didaktische Kompetenzen sind. Wer in diesem Bereich gänzlich unwillig bleibt, gerät zunehmend in Erklärungsnot – und zwar gegenüber den Schüler*innen, die KI-Tools längst kennen und nutzen.
3. Politische Unterstützung und Druck: Einige Bundesländer haben ihre Digitalstrategien aktualisiert, und es gibt neue Richtlinien und Erlasse, die digitale Kompetenz verbindlicher machen. Je nachdem, wie diese Vorgaben vor Ort umgesetzt werden, kann das den Handlungsspielraum der „Unwilligen“ einengen und gleichzeitig engagierten Kolleg*innen den Rücken stärken.
4. Professionelle Lerngemeinschaften (PLG): In vielen Schulen bilden sich immer häufiger Fachgruppen, AGs oder Jahrgangsteams, die sich als professionelle Lerngemeinschaften verstehen. Hier teilen Kolleg*innen in regelmäßigen Sitzungen Unterrichtsmaterialien, Feedback und Ideen. Diese Teams können ein wichtiger Gegenpol zu Einzelkämpfern sein – und zwar sowohl auf der Seite der Engagierten als auch der Skeptiker.
Fazit und Ausblick
Mein Appell von 2022 ist weiterhin aktuell: Veränderungen an Schulen sind nur möglich, wenn alle Beteiligten – also Schulleitung, Kolleg*innen, Schulträger, Politik – an einem Strang ziehen. Doch wir sollten uns auch eingestehen, dass es Lehrkräfte gibt, die Prozesse blockieren oder ihnen aus persönlichen Gründen ablehnend gegenüberstehen (siehe Bleistift-Metapher. Es gibt auch solche Kolleginnen und Kollegen, die sich jeder Form der Veränderung stellen. So bitter dies ist: Hier gibt es keinerlei Handhabe. Es geht dabei darum, dass sie nicht die Mehrheit ausmachen, da ansonsten eine Veränderung unmöglich ist). Solche Haltungen kann (und sollte) man nicht tabuisieren.
Es bringt aber wenig, hier das große Lehrerbashing auszupacken. Stattdessen braucht es klare Strukturen, Ressourcen und Mut für neue Ideen. Zugleich ist es essenziell, dass sich Kolleginnen, die dieselbe Vision für zukunftsfähige Bildung teilen, vernetzen, kleine Prototypen entwickeln und Erfolge sichtbar machen. In diesem Sinne ist das Bild der „Bande“ treffend: Wenn man nicht allein vorprescht, sondern mit anderen handelt, sinkt das Risiko, sich an unwilligen Kolleginnen zu reiben und in Frust zu enden.
Aus zahlreichen Rückmeldungen in 2023/2024 lässt sich erkennen: Dort, wo Kolleg*innen gemeinsam an Verbesserungen arbeiten, von der Schulleitung unterstützt werden und sich nicht durch Skepsis Einzelner aufhalten lassen, entstehen zukunftsweisende Modelle. Und nicht selten verändert sich dadurch auch die Haltung derer, die zuvor mit verschränkten Armen in der letzten Reihe saßen.
In diesem Sinne: Bildet Banden, experimentiert mutig und redet erst dann darüber, wenn ihr konkrete Erfahrungen und Erfolge habt, die ihr im Kollegium teilen könnt.
Ich freue mich auch weiterhin über eure Rückmeldungen, Berichte und Erfahrungen – sei es hier im Kommentarbereich oder auf den Social-Media-Kanälen, auf denen ich aktiv bin.
Quellen & Links
• DigitalPakt Schule (BMBF)
• Position „Wie gelingt schulische Transformation?“ – ZEIT Online (2022)
• Artikel von Dominik Schöneberg zum Thema Arbeitsbelastung
• Erfahrungsberichte und Diskussionen im #twitterlehrerzimmer (Twitter/X) und auf Instagram
(Stand: 2025, vorbehaltlich weiterer Entwicklungen in der Bildungslandschaft.)