Quelle: Anonym (mit freundlicher Genehmigung)

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„Sei spontan!“ Mit diesem Beispiel wird in vielen Deutschbüchern das Paradoxon als rhetorisches Mittel erläutert. Zu Recht! Der kurze Imperativ fordert zu einer Handlung auf, die nur unaufgefordert ausgeführt werden kann. Paradox eben.

So weit, so gut.

Eine solche syntaktisch-semantische Spaltung kommt auch in der Psychologie vor. Sie wird, im engsten Sinne, Schizophrenie genannt. Man könnte sagen: das eigene Selbst oder das Außen fordert zu einer Handlung auf, deren Ausführung dem wankenden Selbstverständnis zuwider läuft.

Im Bereich des Lehrberufs hat diese psychologische Diskrepanz einen Namen: Referendariat.

Aus den zahlreichen Beispielen für diese professionelle Schizophrenie seien an dieser Stelle nur drei genannt.

 

  1. „Entwickeln Sie ihre eigene Persönlichkeit, und zwar so, dass sie uns gefällt.“
  2. „Tun Sie alles, was es gibt, und vermeiden Sie Stress.“
  3. „Entwickeln Sie ihren eigenen Stil und halten Sie sich an alle Regeln.“

 

Wie in solchen Fällen notwendig, bedarf es auch hier einiger therapeutischer Erklärungen.

Zu 1.: Die geforderte Paradoxie ist so augenfällig, dass eine weitere Ausführung sich an dieser Stelle eigentlich verbietet. Nur so viel: Wer eine Persönlichkeitsspaltung fordert, sollte sich nicht wundern, nur einen Teil zu bekommen.

Zu 2.: Stress vermeiden ist prima, vor allem wenn man Zeit für die tägliche Thai-Massage hat. Sich engagieren ist auch prima, vor allem, wenn man Zeit hat, dies auch in größerem Rahmen zu tun. Sobald die fordernden Förderer also die Zeit Eimerweise auf die Referendare schütten, werden sie beides tun können. Bis dahin bleibt nichts anderes übrig als zu schwimmen.

Zu 3.: Natürlich kann man seinen eigenen Stil entwickeln. Man muss dann halt nur aufpassen, dass es keiner merkt. Andrerseits: Sich an alle Regeln zu halten hieße irgendwie auch, sich zu vierteilen. Nicht nur verbal.

Und so changieren die Referendare zwischen Tun und Lassen, zwischen Ausprobieren und Beibehalten und zwischen angeleiteten Selbstgebilden, die sich je nach Tagesform innerhalb von Sekunden aufbauen oder selbst zerstören.

Dies ist natürlich kein Jammern, sondern nur eine Feststellung.

Und so treiben die Vielbeschäftigten hin und her zwischen Schnitzlerscher Paranoia und Winckelmannscher Erhabenheit und hoffen, dass die „Flucht in die Finsternis“ nur auf die nächtliche Arbeit bezogen bleiben möge.

Aber man kann es natürlich auch anders sehen. So könnte man all dies sammeln, sich zu eigen machen, aufschreiben und posaunen: Das ist der neue Stil“ Das ist Schizophrenie als Lebensgefühl.

Anmerkung: Der Text ist schon ein wenig älter und ist während des Referendariats 2012 entstanden. Auf Bitte eines ehemaligen Kollegen, habe ich ihn nochmals abgetippt und neu aufgelegt. 

Wer noch mehr erfahren möchte, kann das Buch “Das Abc der gelassenen Referendare” käuflich erwerben. Es richtet sich an Lehramststudentinnen und Studenten sowie an Referendarinnen und Referendare, die schon vor oder beim Beginn ein paar hilfreiche Tipps gebrauchen können.

Man kann es hier über Amazon oder auf der Seite des Verlags kaufen.

12 Kommentare

  1. […] Montags, während der Fahrt in die Schule, überlegt man sich dann, was man unterrichten könnte, was kein Problem ist, weil das Lehrerstudium so ungemein praxisnah ist, dass sowohl das Methoden- als auch das Wissensrepertoire quasi nicht mehr genährt werden muss. Und das Referendariat ist so locker, dass eigentlich nichts mehr Neues dazu kommt. Endlich kann man mal sein, wie man ist. […]

  2. […] Ich selbst bin Gymnasiallehrer für die Fächer Englisch, Geschichte und Deutsch. In meinem Referendariat traute ich mich das erste Mal, das, was ich schrieb (denn das tat ich schon zuvor), der Öffentlichkeit zu präsentieren. Allerdings nicht auf einem Blog, sondern anonym, an die Tür des Seminars. Der erste abgetippte Text bezog sich also schon auf das Referendariat und trug den Titel „Schizophrenie als Lebensgefühl.“ […]

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