Die momentane Lage ist für viele Bereiche in der Schule nicht einfach. Besonders trifft das auf die Referendarinnen und Referendare zu, die in einer Zeit in die Schulgemeinschaft aufgenommen werden, in der (persönliche) Gespräche nur über Video stattfinden und auch Schüler*innen nur über die Ferne kennengelernt werden können. Einige Anmerkungen zur Hospitation in diesen schwierigen Zeiten. 

Vorbemerkung

Zunächst einmal das Offensichtlichste: Es gibt keine Standardlösung für eine gelungene Hospitation. Dies betrifft sowohl die Seite der Referendar*innen als auch jene der Fachleiter*innen und Mentor*innen, die nach meiner Frage über Instagram, ob ein Artikel wie dieser sinnvoll wäre, auch Fragen zuschickten. Grundsätzlich ist es natürlich mehr denn je wichtig, zu jeder Zeit als Ansprechpartner*in zur Verfügung zu stehen und sehr klar und deutlich zu sagen, wenn einem selbst etwas unklar ist, denn: Wir alle sind in einer Situation, die wir in der Form noch nie erlebt haben. Und das bedeutet, dass wir alle, ähnlich wie die Referendar*innen in einer Lernphase sind.

Anfragen

Vor dem Hintergrund dieser Lernphase ist es wichtig anzumerken, dass Kolleg*innen unterschiedlich mit ihrer eigenen Unsicherheit umgehen. Das sollte Referendar*innen klar sein, wenn sie Hospitationen anfragen. Denn schon in Präsenz ist es nicht jedem gleich lieb, beobachtet zu werden. Das kann man nun nachvollziehbar finden oder eben nicht, aber es führt eben dazu, dass eine Anbahnung einer Hospitation, zumal unter den Umständen, dass man sich noch nicht face-to-face kennenlernen konnte, sehr sensibel und nachsichtig durchgeführt werden sollte. Unter allem Umständen ist es wichtig, keinen Druck auszuüben. Kolleg*innen, die absagen, sagen vielleicht in der Präsenzphase zu, wollen aber nicht in einer Situation beobachtet werden, sie für sie selbst unsicher ist.

Für Mentor*innen bedeutet das aus meiner Sicht eine schonungslose Offenlegung dessen, was klappt und was nicht klappt. Denn die meisten von uns haben schon Dinge erlebt, in denen der digitale Fernunterricht (genau wie Unterricht überhaupt) nicht so funktioniert, wie wir es uns gewünscht haben. Das zu signalisieren und über Lösungen nachzudenken ist deutlich sinnvoller, als ein intransparenter und letztlich nicht aufrechtzuerhaltender Schein von Perfektion.

Leitfragen

Auch wenn es möglicherweise offensichtlich anmutet, möchte ich zunächst für die Hospitation (und deren Begleitung) zwei Leitfragen formulieren und diese dann im Hinblick auf das Geschehen einordnen:

1. Was ist darstellbar?

2. Was ist wahrnehmbar?

Die erste Leitfrage bezieht sich vor allem auf die eigene Erstellung von Unterricht, kann aber andersherum auch als Frage für eine Beobachtung des Unterrichts dienen. Die zweite Frage zielt auf die Beobachtung selbst.

Was ist darstellbar?

Die Frage danach, was darstellbar ist, bezieht sich auf das Verhältnis von Präsenz- und Fernlernunterricht. Damit werden bestimmte Probleme deutlich, die nicht nur vor einer Hospitation, sondern auch mit den Fachleiter*innen geklärt werden sollten. Denn letztlich geht es um die Frage, welche Phasen, Methoden, Interaktionen und Sozialformen überhaupt auf das digitale Fernlernen übertragen werden können.

Dazu zwei Beispiele: Dass das (physische) Herumgehen und die Unterstützung von Schüler*innen während einer Gruppenarbeitsphase nicht möglich ist, liegt auf der Hand. Aber wird erwartet, dass man sich in Break-Out-Räume zuschaltet? Oder wird das Hilfsangebot zuvor formuliert? Dies sind Fragen, die für den eigenen Fernunterricht wichtig werden. Insofern bilden sie wichtige Beobachtungspunkte für die Hospitation.

Andrerseits gibt es bestimmte Phasen, die im digitalen (Fern-)Unterricht in der Art und Weise, wie sie in Präsenz umgesetzt werden, eigentlich redundant werden. Bestes Beispiel ist dafür die Sicherungsphase, die insofern also beobachtet werden sollte. In der Präsenz besteht diese in einem Dreischritt: Die Schüler*innen Antworten auf Fragen, die zu einem Tafelbild führen. Und sie können Antworten, weil sie etwas getan haben, dass die Antwort zulässt. Das Tafelbild wird kopiert. Eine solche Schrittigkeit kann zwar digital abgebildet werden (mit Tablet als Tafel), ist aber unsinnig, weil beispielsweise kollaborative Dokumente, die gemeinsam bearbeitet, dann mit Feedback versehen und kontrolliert werden, genauso gut sind wie eine gemeinsame Sicherung.

Fazit

Ein möglicher Fokus, der bei Hospitationen sowieso immens wichtig ist, sollte darauf liegen, wie bestimmte Strukturen des Präsenzunterrichts online umgesetzt werden.

Was ist wahrnehmbar?

Diese Formen der Umsetzung können nur vor dem Hintergrund betrachtet werden, was überhaupt wahrnehmbar ist. Will sagen: Dass überhaupt viele Dinge nicht wahrnehmbar sind (z.B. weil aufgrund der technischen Situation keine Kameras an sind), zeigt den großen Unterschied zwischen Online-Unterricht und Präsenz.

Das wiederum bedeutet für Referendar*innen in besonderem Maße auf jene Dinge zu achten, die wahrnehmbar sind. Aus meiner Sicht sind dies insbesondere folgende Aspekte:

  1. Struktur: Wie ist der Unterricht digital strukturiert?
  2. Durchführung: Wie verhält sich die Durchführung zur Struktur?
  3. Umsetzung: Wie ist die Durchführung medial/ sozial umgesetzt?
  4. Zeitplanung: Wie lange wird für verschiedene Phasen gebraucht?
  5. Interaktion: Wie funktioniert die Interaktion in Videokonferenzen?
  6. Streuung: Wie viele Schüler*innen nehmen aktiv teil (sowohl mündlich als auch über fertiggestellte Produkte)?
  7. Synchrones und diachrones Lernen: Wie verhält sich das Verhältnis von synchronen Phasen (also in Anwesenheit aller) und diachronen Phasen (also beispielsweise selbstständigen Phasen der Arbeit)?
  8. Meta-Kommunikation: Wie viel Gespräche werden über das (Nicht-)Funktionieren und über Abläufe geführt?

All diese Fragestellungen sind weder in einem Bündel Zeichen für den “perfekten” Online-Unterricht. Noch bedeuten sie, dass die Nicht-Erfüllung auf ein Scheitern verweist. Vielmehr sollen dieses Aspekte eine Orientierung bieten, worauf sich zu schauen lohnt.

Fazit

Den Fokus darauf zu legen, was überhaupt wahrnehmbar ist – egal ob es sich um gelingende oder nicht gelingende Phasen handelt – bietet für die unterrichtliche Hospitation einen entscheidenden Vorteil: Erkenntnisse über den digitalen Unterricht, aber eben auch über den Unterricht als solchen. Will sagen: Wer bei Hospitationen nichts lernt, der hospitiert noch nicht richtig. Die Konzentration auf eben jene wahrnehmbare Aspekte bedeutet auch für die weitere Arbeit als Referendar*in ein Fundament zu bauen, das die eigene Arbeit unterstützt.

Und die Medien?

Es mag den einen oder anderen gewundert haben, dass der Medieneinsatz bisher noch nicht angesprochen worden ist. Das liegt daran, dass ich vermeiden wollte, dass die Beurteilung von gelingendem Unterricht darauf fokussiert, ob eine bestimmte App eingesetzt wird oder nicht.

Sicher: Digitaler Fernunterricht kann durch den funktionalen Einsatz verschiedener Medien aufgewertet und sogar auf eine ganz neue Ebene gehoben werden. Nebenbei: Das kann sogar bedeuten, dass man später im eigenen Unterricht scheinbar Nebensächliches in seine Stunde einbaut: Wie ist es beispielsweise mit dem produktiven Einsatz des Videochats?

Dennoch hängt in der Hospitation nicht alles daran zu betrachten, ob ein Kollege nun besonders neuartige Plattformen und Apps anwendet oder nicht. Auch hier gilt natürlich: Zielsicheren Medieneinsatz zu beobachten, ist sicherlich sinnvoll. Der Artikel sollte allerdings zeigen, dass viele weitere Aspekte der Betrachtung sehr sinnvoll sein können.

Gesamtfazit

Hospitationen bleiben sinnvoll. Und das, obwohl schon in den Phasen “normalen” Unterrichts viele Hospitationen über langweilig und überbewertet halten. Dies liegt oftmals daran, dass man als junge/r Referendar*in in die inhaltliche Ebene rutscht und eben dem Unterricht lauscht, anstatt ihn aus einer analytischen Metaebene zu beobachten.

Das genau ist es aber, das zweifach sinnvoll ist: Die Betrachtung von (digitalem) Unterricht auf der Metaebene ergibt zum einen, wie bereits angedeutet, ein Fundament für das spätere eigene Arbeiten. Zum anderen ist diese Betrachtung wichtig, um die eigene Reflexionsfähigkeit zu professionalisieren. Denn die Reflexion des eigenen Ge- oder Misslingens bleibt im Referendariat ein fundamentaler Bestandteil.

Ich hoffe, dass diese Ausführungen einigen helfen können und freue mich über Ergänzungen, Anmerkungen und Rückmeldungen. Viel Erfolg und Freude beim Referendariat – auch unter erschwerten Bedingungen.

Literaturhinweis

Mehr zu diesem Thema gibt es in dem Buch zum Blog, dem „Wegweiser Referendariat“, in dem alle wichtigen Blogartikel zum Referendariat vollständig überarbeitet, erweitert und angepasst in einem handlichen Buch auf 200 Seiten gesammelt sind.

Der Lehrer und Schulleiter Jan-Martin Klinge urteilt über das Buch: „Es ist ganz einfach: Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie ein besserer Lehrer“.

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