Mit einem tendenziösen Propaganda[1]-Blatt, das Fakten vertuscht, verfälscht und aus dem Zusammenhang reißt und Asylsuchende diffamiert, versuchen Unterstützer der AfD in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz auf Wählerfang zu gehen. Dabei werden große Widersprüche ersichtlich, die man erkennen sollte.
Die Ereignisse von Köln als Aufmacher: Objektive Berichterstattung?
Ich staunte nicht schlecht, als am heutigen Tage Schülerinnen einer 9. Klasse etwas präsentierten, dass wie eine Zeitung aussieht und sich „Extrablatt für die Landtagswahl“ nennt. Herausgeber ist eine ominöse „Vereinigung zur Erhaltung der Rechtstaatlichkeit und bürgerlicher Freiheiten“. Verteilt wurden diese Blätter in tausenden Briefkästen in Bühl, im Bühlertal und in Achern, wobei anzunehmen ist, dass sie in weiteren Regionen von Baden-Württemberg verteilt wird. Die Schülerinnen erklärten, sie hätten auf den ersten Blick wahrgenommen, „dass da was nicht stimmt“. Ohne die AfD selbst als Partei zu brandmarken, möchte ich hier einige Hinweise über diese Zeitung geben, um der durch sie gewollten Beeinflussung zumindest etwas entgegenzusetzen.
Zunächst einmal fällt die Aufmachung ins Auge. Seit den zweifellos unsagbaren Ereignissen von Köln (von denen nicht klar ist, wie viele Flüchtlinge überhaupt verantwortlich waren) dient Köln als Rechtfertigung für die Ablehnung jeder Form von Asyl. Die „Zeitung“ spielt mit diesen und weiteren Bildern, um diese Stimmung für sich zu nutzen. Schon im ersten Absatz des „Leitartikels“, in dessen Lead „Wir schaffen das“ als „Unwort (!) des Jahres“ gefordert wird, heißt es, von den Flüchtlingen seien „weniger als ein Prozent echte Verfolgte“. Dann: „Ganz zu schweigen vom Millionen-Nachzug der Familien.“ Nur: Die angegebene Statistik unterstützt diese Behauptung nicht. Auch dass der Bundestag den Familiennachzug ausgesetzt hat, wird nicht erwähnt.
"Weniger als ein Prozent echte Verfolgte"? Die Daten belegen diese Aussage nicht.
Das allein wäre in der Form noch zu verschmerzen, wenn nicht auf der vorletzten Seite unter der Überschrift „So werden wir manipuliert...“ folgende Fragen aufgeworfen würden:
„Sind unsere Medien wirklich so gut und seriös? Lassen Sie sich wirklich nicht auf Spekulationen ein, sondern berichten nur, wenn harte Fakten vorliegen?“
Auf die rhetorischen Fragen werden Fälle von Versagen geschildert, die schnell zeigen, in welche politische Richtung es geht.
„2007 erklärte ein Mädchen im sächsischen Mittweida, ihr hätten Neonazis ein Hakenkreuz in die Hüfte geritzt. Die ‚Süddeutsche Zeitung’ beschrieb diesen Vorfall als feststehende Tatsache. Die Nachforschungen ergaben jedoch, dass das Mädchen sich den Falls ausgedacht hatte.“
Die „Message“ ist klar: Man sollte der „Lügenpresse“ nicht glauben. Interessant daran sind jedoch mehrere Dinge:
- Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass im Jahre 2015 insgesamt über 1000 gewalttätige Aktionen gegen Flüchtlinge durchgeführt werden, einen 9 Jahre zurückliegenden Fall zu zitieren, ist mehr als fragwürdig.
- Dass ausgerechnet ein Bericht herausgenommen wird, der Neonazis entlastet, ist interessant. Innerhalb eines solchen Zeitraumes gibt es mit Sicherheit auch andere Beispiele.
- Der Standpunkt der Zeitung selbst.

Ein weinendes Mädchen soll an die Übergriffe erinnern und an die Emotionen appellieren.
Zum letzten Punkt schauen wir auf das Impressum der „Zeitung“, deren Chefredakteur Josef Konrad die Seite politfakt.de betreibt. Vom Impressum dieser Seite heißt es von der in Leipzig ansässigen „Politfakt Medien GmbH“, sie sei „parteiunabhängig“. Dies ist insofern interessant, als dass in der „Zeitung“ eine einzige Anzeige geschaltet ist: Die der AfD.
Dass Parteien Flyer verteilen, um auf ihr Programm aufmerksam zu machen, ist nicht ungewöhnlich. Interessant hierbei ist jedoch, dass der Chefredakteur des „parteiunabhängigen“ Blattes Josef Konrad stellvertretender Schatzmeister der AfD Oberfranken ist. Auf dem Blog freiewelt.net (einem der AfD nahem Blog) heißt es, Politfakt richte sich „sowohl an AfD-Mitglieder als auch an Wähler.“ Weiter heißt es:
„Politfakt unternimmt den Versuch, sich innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD) als inhaltlich fundierte Alternative zum organisatorisch formierten „Weckruf 2015“ zu positionieren.“
Dieser Verein wurde von Bernd Lucke gegründet.
Man könnte das gesamte Blatt nach solcherlei Widersprüchen, wenn nicht gar Unwahrheiten auseinander nehmen. Weitere Themen sind das „Euro-Rettungs-Desaster“, die „geschlechtergerechte Sprachverhunzung“ und „Frühsexualisierung? Nein danke!“ Dort heißt es unter anderem:
„Baden-Württemberg hat sich im „Bildungsplan 2015“ (sic) von den Lobbyverbänden die ’Akzeptanz sexueller Vielfalt’“ als durchgängiges Leitthema für alle Schulen in die Feder Leitthema für alle Schulen in die Feder diktieren lassen. ‚Akzeptanz’ heißt ‚Gut-finden-Müssen’ und hat mit geistigem Zwang zu tun.“
Man traut sich kaum, dies zu kommentieren. Es gibt kein solches Leitthema. Und wer sind Lobbyverbände? Und wie kann man auf diese wirre Definition von Akzeptanz kommen? Ich denke, die Argumentation ist deutlich.
Wäre diese „Zeitung“ als politisches Blatt der AfD deutlich gekennzeichnet, wäre es nicht ganz so schlimm. So aber versucht man die eigene Propaganda unter dem Deckmantel von Fakten, herausgerissenen Zitaten und angeblich sicheren Zahlen zu verstecken.
An Unredlichkeit kaum zu überbieten sind die „Karikaturen“, die hier für sich sprechen. Die Stereotypen, die hier ausgegraben werden, sind nah Bildern, die man aus dem Geschichtsbuch bei der antisemitischen Propaganda über die Juden kennt. Nachweisen lässt sich das nicht.

Sexualkunde am Kölner Hauptbahnhof. Verängstigte Kinder an dem Ort der Belästigung als witzige Kritik?

Eine grölende Masse von dreckigen Menschen mit überzeichneten Gesichtern, auf der Suche nach sexueller Befriedigung. Ist das das Flüchtlingsbild der AfD?

Bewusst gewähltes Bild: Der Flüchtling als "Ali", der ein Mobiltelefon und eine Goldkette besitzt. Die Militärhose und die Utensilien (Dynamikstangen) sollen ihn als Terroristen anzeigen.
Aber dass eine, wie wir nun sagen können, Parteizeitung es zulässt, solche Andeutungen zuzulassen, sagt doch einiges aus. Dass meine Schülerinnen schon in der 9. Klasse hinter die Fassade eines solchen Blattes schauen, erfüllt mich mit Stolz.
tl;dr
In Baden-Württemberg werden Propaganda-Zeitungen der AfD verteilt, die von einem AfD-Mitglied herausgegeben wird, sich fälschlicherweise als „unabhängig“ sieht und die Menschen mit stereotyper Propaganda, Halbwahrheiten und falschen Informationen zu täuschen versucht.
Mehr zum Thema Schule, Medien und Politik gibt es auf der Facebook-Seite des Autors.
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Anmerkung I: Hier wurden nur einige wenige Passagen besprochen. Die ganze Zeitung ist voll von Unstimmigkeiten und Halbwahrheiten. Ein wahrer Fundus für eine genaue Beschäftigung, z.B. mit einer Geschichts- oder Gemeinschaftskundeklasse.
Anmerkung II: Um dem Vorwurf der Einflussnahme vorzugreifen: Hier geht es nicht um die AfD als Partei, sondern um die Zeitung, die sich auf diese bezieht. Auch argumentiere ich nicht für eine Institution oder Schule, sondern ausdrücklich als Privatperson. Mein Anliegen ist eine kritische Auseinandersetzung.
[1] Ich verstehe Propaganda hier ausdrücklich als „Form der Werbung, bestimmt für bestimmte (...) politische Ziele; allgemein die publizistische Beeinflussung. (Aus: dtv Brockhaus Lexikon in 20 Bänden, Mannheim 1986.