DIGITAL: Unterschiedliche Dimensionen der Betrachtung von KI

Bob Blume
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24. Februar 2025
2 Kommentare
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Bei den verschiedenen Diskussionen rund um Bildung kommt es immer wieder zu der Frage, "wie weit" Deutschland bei der Implementierung von KI im Bildungsbereich ist. Die Frage ist nicht nur schwer zu beantworten. Vielmehr zeigt sich, dass die Antwort darauf sehr damit zusammenhängt, von welcher inneren Logik ausgegangen werden muss. In einem ersten Entwurf definiere ich 6 verschiedene Perspektiven auf KI, über die in letzter Zeit gesprochen worden ist. Der Vorteil einer solchen Aufteilung liegt aus meiner Sicht darin, Verständnis dafür zu entwickeln, um welche Fragen es genau geht. Denn die Perspektiven widersprechen sich teilweise, wenngleich sie innerhalb des Zusammenhangs, in dem sie geäußert werden, kohärent erscheinen. Ich unterscheide zwischen einer funktionalistischen, einer holistischen, einer regulativen, einer didaktischen, einer Markt- und einer Verwaltungsperspektive. 

1. Funktionalistische Perspektive (Werkzeug-Ansatz)

Diese Sichtweise betrachtet KI als eine Erweiterung bestehender Methoden und fragt vor allem: Wann und wie kann KI sinnvoll in den Unterricht integriert werden? (Hier ein Beispiel)Dabei bleibt die Grundstruktur des Unterrichts weitgehend unverändert. Lehrkräfte nutzen KI-gestützte Tools für Korrekturen, adaptive Lernplattformen oder als Schreibassistenten, aber die grundsätzlichen pädagogischen Konzepte bleiben bestehen.

Vorteile:

  • Praktisch umsetzbar, da sie bestehende Strukturen nicht infrage stellt
  • Kann Lehrkräfte entlasten und Lernprozesse individualisieren
  • Schnell anwendbar mit überschaubaren Veränderungen

Nachteile:

  • Risiko der oberflächlichen Implementierung
  • Verstärkt bestehende Ungleichheiten, wenn Zugang zu KI-Tools ungleich verteilt ist
  • Ignoriert mögliche tiefgreifende Veränderungen in Lernprozessen

2. Holistische Perspektive (Systemischer Wandel)

Hier geht es um eine grundlegende Transformation des Bildungssystems durch KI. Statt KI nur als Hilfsmittel zu sehen, stellt diese Sichtweise die Frage: Wie müsste Schule und Lernen grundsätzlich anders gedacht werden, wenn KI eine zentrale Rolle spielt? Dies könnte bedeuten, dass Schulen weg von standardisierten Prüfungen und hin zu projektbasiertem, personalisiertem Lernen gehen oder dass Lehrkräfte mehr zu Coaches werden.

Vorteile:

  • Berücksichtigt, dass KI Bildung radikal verändern kann und fragt nach produktivem Umgang damit
  • Könnte Schüler:innen besser auf die Zukunft vorbereiten
  • Könnte Ungleichheiten reduzieren, wenn individualisiertes Lernen besser gefördert wird

Nachteile:

  • Erfordert einen kompletten Systemumbau, der politisch schwer durchsetzbar ist
  • Gefahr, dass Bildung nur noch technokratisch gedacht wird
  • Praktische Umsetzung ist extrem komplex

3. Regulative Perspektive (Politik & Ethik)

Diese Sichtweise fokussiert sich auf die politischen und ethischen Fragen rund um KI in der Bildung: Wer reguliert den Einsatz von KI? Welche Daten werden genutzt? Welche Anbieter dominieren den Markt? Dabei geht es um Datenschutz, Abhängigkeiten von Tech-Konzernen und die Frage, ob KI Bildungsungleichheit verstärkt oder abmildert.

Vorteile:

  • Setzt sich mit den langfristigen Auswirkungen von KI auf Bildung auseinander
  • Berücksichtigt gesellschaftliche und ethische Fragen, die den Mensch in den Mittelpunkt stellen
  • Kann vor Missbrauch und ungewollten Nebenwirkungen schützen

Nachteile:

  • Oft langsame Umsetzung, während KI sich rasant weiterentwickelt
  • Gefahr einer Überregulierung, die Innovationen behindert
  • Problem, dass Entscheidungen oft von Nicht-Pädagogen getroffen werden

4. Verwaltungsperspektive (Effizienz & Bürokratie)

Hier wird KI als Mittel zur Optimierung von Schulverwaltung, Lehrkräfteeinsatz und Bildungsmanagement gesehen. Anstatt KI nur im Klassenzimmer zu nutzen, könnte sie Verwaltungsaufgaben automatisieren, um Lehrkräfte zu entlasten: Wie kann KI das System effizienter gestalten?

Vorteile:

  • Könnte Bürokratie abbauen und Schulen effizienter machen
  • Reduziert Arbeitsbelastung für Lehrkräfte
  • Bessere Datenanalyse könnte helfen, Ressourcen gezielter einzusetzen

Nachteile:

  • Gefahr, dass Verwaltung digitalisiert wird, ohne echte Reformen
  • Mögliche Überwachung und Kontrolle von Lehrkräften und Schüler:innen
  • Wenn schlecht umgesetzt, könnte Bürokratie sogar noch komplizierter werden

5. Markt-Perspektive (Ökonomisierung der Bildung)

Hier wird KI als wirtschaftliche Ressource betrachtet: Wer profitiert von KI in der Bildung? Welche Unternehmen setzen sich durch? Diese Sichtweise erkennt an, dass Bildung zunehmend von Technologieunternehmen geprägt wird und fragt, ob Bildung eine öffentliche Aufgabe bleibt oder immer stärker privatisiert wird.

Vorteile:

  • Fördert Innovation und Entwicklung neuer Technologien für Bildung
  • Kann neue Geschäftsmodelle und Investitionen in Bildung anregen
  • Könnte helfen, Schulen schneller mit modernen Technologien auszustatten

Nachteile:

  • Gefahr, dass Bildung von Profitinteressen dominiert wird
  • Unregulierte Märkte könnten Ungleichheiten verstärken
  • Bildungsinhalte könnten zunehmend von Unternehmen statt von Pädagogen bestimmt werden

6. Didaktische Perspektive (Lehr-Lern-Theorie)

Diese Sichtweise fragt: Wie verändert KI das Lernen selbst? Hier geht es um die Rolle der Lehrkraft, neue didaktische Modelle und die Frage, ob traditionelle Lehrmethoden mit KI noch sinnvoll sind.

Vorteile:

  • Entwickelt Konzepte, die KI wirklich sinnvoll in den Unterricht integrieren
  • Könnte neue, effektivere Lernmethoden ermöglichen
  • Fördert eine bewusste Auseinandersetzung mit Technologie

Nachteile:

  • Theoretische Diskussionen bleiben oft ohne praktische Umsetzung
  • Gefahr, dass die Didaktik sich zu stark an Technologie anpasst, statt umgekehrt

Fazit

Jede dieser Perspektiven hat ihre Berechtigung, und es ist wahrscheinlich, dass sie parallel existieren – teilweise sich ergänzend, teilweise in Konflikt. Während der funktionalistische Ansatz für den kurzfristigen Einsatz relevant ist, zeigt die holistische Perspektive, dass Bildung durch KI grundlegend transformiert werden könnte. Gleichzeitig sind die regulative, verwaltungsbezogene, marktwirtschaftliche und didaktische Perspektive entscheidend, um zu verstehen, wie KI langfristig Bildung beeinflussen wird.

Aus meiner Perspektive ist der Schwerpunkt in der momentanen Situation - verständlicher Weise - stark auf dem funktionalistischen Ansatz. Dieser kann und wird Teilprozesse des Lernens verändern. Die ungleich komplexere holistische Perspektive darf aber nicht aus den Augen verloren werden, wenn es darum geht, was KI mit dem Lernen und damit mit Schulen macht, deren Aufgaben sich dramatisch verändern.

Übersicht

2 comments on “DIGITAL: Unterschiedliche Dimensionen der Betrachtung von KI”

  1. Sehr interessante Kategorisierung, die sicherlich dabei hilft, die aufgeregten Diskussionen zu ordnen und analytisch greifbar zu machen!
    Interessant wäre noch die Frage, ob man die Perspektive von Lernenden (oder allgemein Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen) auch im Rahmen dieser Liste erfassen kann, oder ob man da über eine weitere Kategorie reden müsste, z. B. so was wie "explorativer Ansatz".
    Eine Perspektive, die mir persönlich sehr weiterhilft, ist zudem eine diagnostische: Wo begegnet uns KI schon lange, vielleicht sogar ohne dass wir davon wissen, und über welche Kompetenzen verfügen wir eigentlich schon im Umgang mit KI? Eine gute Gelegenheit, um auch nochmal darüber nachzudenken, wie Algorithmen eigentlich funktionieren...

  2. Ich habe mal 6 Dimensionen von KI in der Bildung von claude 3.5 sonnet auflisten lassen. Der Algorythmus hat die Kategorisierung etwas anders vorgenommen. Die Übersicht war für mich aber genauso überzeugend. Solche “Schubladen“ überhaupt im Kopf zu haben, ist dabei wichtiger, als die individuelle Wahl der Inhalte dieser Schubladen. Essenziell ist allerdings auch meiner Meinung nach, eine “Supervision“ der Ganzheit zu behalten.
    Erstaunlicherweise haben beide Ansätze die kreative Perspektive von KI in der Bildung nicht berücksichtigt. Das kam erst auf weitere Nachfrage und ich füge die Antwort von claude 3.5 sonnet hier unfrisiert ein, weil ich die kreative Perspektive in der funktionalistischen Dimension für wichtig halte:
    1. Kreative Unterrichtsgestaltung
    - Interaktive Lernszenarien** erstellen
    - Simulationen und virtuelle Experimente** durchführen
    - Entwicklung von **personalisierten Lerngeschichten**
    - Gamification-Elemente** intelligent einbinden

    2. Unterstützung kreativer Prozesse
    - KI als **Ideengenerator** für Projektarbeiten
    - Brainstorming-Partner** für Schüler und Lehrer
    - Entwicklung von **kreativen Schreibaufgaben**
    - Visualisierungshilfen** für komplexe Konzepte

    3. Kollaboratives Lernen
    - KI-gestützte Gruppenarbeit**
    - Kreative **Peer-Learning-Formate**
    - Internationale Vernetzung** von Lerngruppen
    - Gemeinsame Projektentwicklung** mit KI-Unterstützung

    4. Individualisierung des Lernens
    - Adaptive Lernpfade** gestalten
    - Interessenbasierte Aufgabenstellung**
    - Kreative Förderung** verschiedener Lerntypen
    - Personalisierte Feedback-Systeme**

    5. Neue Ausdrucksformen
    - Multimediale Präsentationen** mit KI-Unterstützung
    - Digitale Kunstprojekte**
    - Musik- und Sounddesign**
    - 3D-Modellierung** und virtuelle Welten

    6. Herausforderungen und Grenzen
    - Balance zwischen **KI-Unterstützung und Eigenkreativität**
    - Ethische Aspekte** beim KI-Einsatz
    - Datenschutz** und Privatsphäre
    - Technische Voraussetzungen** und Zugangsgerechtigkeit

    Die kreativen Einsatzmöglichkeiten von KI in der Bildung sind vielfältig und vielversprechend. Wichtig ist dabei:
    - Ein **ausgewogener Ansatz**
    - Pädagogisch sinnvolle** Integration
    - Förderung** statt Ersatz menschlicher Kreativität
    - Kritische Reflexion** der Möglichkeiten und Grenzen

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