[…] unterschiedlich sind (um sich das zu vergegenwärtigen, kann man sich vorstellen, wie man einen Kommentar, der sich auf fünf Materialien bezieht, die ja schon da sind und zu dem man sich nicht vorbereiten […]
Im Leistungskurs Deutsch üben wir seit einiger Zeit das materialgestützte Schreiben von argumentierenden Kommentaren. Da ich der Auffassung bin, dass diese Schreibform dazu verleiten kann, lediglich vorhandene Materialien aufzuzählen, ging ich im Unterricht einen anderen Weg: Nach Erarbeitung der Grundlagen des Kommentars war es die Aufgabe der Schüler*innen, ein eigenes domänenspezifisches Materialdossier zu erstellen, auf dessen Grundlage dann ein Kommentar verfasst und als Video aufgenommen werden sollte. An dieser Stelle kann man ein Dossier, die selbst erstellte Aufgabenstellung und den anschließende Kommentar der Schülerin Sophia R. lesen, be der ich mich herzlich für die Bereitstellung bedanke.
Anmerkung: Während des Schreibens bekam die Schülerin einige Impulse und Rückmeldungen. Die Aufgabenstellung, das Material und der Kommentar sind aber nicht von mir verändert, sind also vollständig von der Schülerin kreiert, erstellt und geschrieben.
Die Jugendzeitschrift „fluter.“ veranstaltet einen Schreibwettbewerb zum Thema „Fiktionalität“, der jungen Lesern das Verhältnis von Autor und lyrischem Ich verständlich machen soll. Dabei geht es vor allem um die Frage, inwiefern ein lyrisches Ich den Autor aus der Verantwortung seiner Inhalte nimmt.
Anhand des kontroversen, viel diskutierten Gedicht „Wenn du schläfst“, von Rammstein-Sänger Till Lindemann, das mittlerweile als „Vergewaltigungsgedicht“ populär geworden ist, soll diese Thematik aufgegriffen und kommentiert werden.
Jede Erzählung hat einen Erzähler und dieser ist bei einem fiktionalen Werk fiktiv. Deswegen wird er auch als fiktiver Erzähler Er kann sowohl explizit zutage treten und beispielsweise „ich“ sagen und das Geschehen kommentieren als auch nur implizit, unsichtbar, im Werk enthalten sein, sodass man ihn nur indirekt an Dingen wie der Auswahl der beschriebenen Momente und Details und an der Anordnung der Szenen erkennt. Kurzum: Einen Erzähler erkennt man an der Erzählperspektive. Und von dieser Erzählperspektive her kann man Schlüsse ziehen, was für eine soziale Herkunft er hat, über welchen Bildungsgrad er verfügt, welche Ansichten er vertritt, in welcher Beziehung er zur erzählten Welt und den Figuren steht etc. Wobei ein Erzähler, der sich explizit zeigt, diese Informationen dem Leser gerne auch von sich aus gibt. Dass er dabei weder der Autor noch dessen Bild oder Abbild ist, liegt auf der Hand – vor allem, wenn der Erzähler ein Kind ist und einen Teil von dem, was er beschreibt, vielleicht nicht versteht oder eine sehr eigene Sichtweise darauf hat, oder auch ein Tier oder ein Gegenstand ist oder ein anderes Geschlecht hat als der Autor, eine andere Herkunft … Und selbst wenn der Erzähler dem Autor zu ähneln scheint, ist er immer noch nicht der Autor.
Kunstfreiheit ist wichtig und darf nicht beschnitten werden. Sie existiert, um im künstlerischen Kontext auch hart formulierte Kritik möglich zu machen, um auf Missstände aufmerksam machen zu können. Weil gerade durch krasse Vergleiche und überzogene Formulierungen Aufmerksamkeit auf eine unhaltbare Situation gelenkt werden kann. Drastische Umstände brauchen drastische Worte. (…) Natürlich lässt das Raum für Kunst, die nicht systemkritisch ist, sich nicht gegen widerliche Gesinnungen richtet, sondern die widerliche Gesinnung sogar propagiert. Es sollte aber generell eher über eine bessere Gesetzeslage gegen volksverhetzende, rechtsextremistische und frauenfeindliche Inhalte gesprochen werden, als die Kunstfreiheit in Frage zu stellen.
Auch ein Lyrisches Ich kann die Täterperspektive feiern, Gewalt verharmlosen oder rechtfertigen und mögliche reale Täter animieren – dafür muss es nicht deckungsgleich mit einer realen Person sein. Auch die Gedanken eines Lyrischen Ichs können Betroffene sexualisierter Gewalt triggern.
(https://taz.de/Gedicht-von-Rammsteins-Till-Lindemann/!5676267/)
„Ich schlafe gerne mit dir, wenn du schläfst. (…) Schlaf gerne mit dir, wenn du träumst. (…) Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas). Kannst dich gar nicht mehr bewegen. Und du schläfst, es ist ein Segen.” Es ist eindeutig, worauf mit diesen Zeilen angespielt wird und das ist nicht etwa eine konservative Ansicht oder die Fantasie manch alter weißer Männer. Nein, dieses Gedicht stammt aus dem Jahr 2020, von niemand geringerem als Till Lindemann, dem Sänger der deutschsprachigen Band „Rammstein“ und erscheint nicht als die erste seiner kontroversen Äußerungen.
Es ist klar, dass derartige Vergewaltigungsfantasien nicht mehr unter Kunstfreiheit fallen dürfen. Viele Künstler, unter anderem auch Frontsänger Lindemann, missbrauchen den Begriff der Kunstfreiheit als Tarnumhang für ihre mitunter gewaltverherrlichenden und diskriminierenden Texte, die sie dann als „Lyrik-Provokation“ verteidigen und verkaufen.
Kunstfreiheit ist gut und wichtig und sollte unbedingt geschützt werden, doch vielleicht sollten wir zuerst über unsere Gesetzeslage gegenüber solchen sensiblen Inhalten sprechen, als den Tarnumhang Kunstfreiheit grundsätzlich in Frage zu stellen, denn mit Provokation haben solche Texte nichts mehr zu tun.
Zu sagen, man dürfe das alles nicht in Frage stellen und es sei ja nur eine fiktive Vorstellung, die nichts mit der Realität zu tun habe, gilt nur, wenn das Vorstellungen sind, die beide Seiten der Medaille beleuchten. Fiktionalität charakterisiert zwar einen realen Text, der fiktive Inhalte darstellt, allerdings basieren auch fiktive Texte durchaus auf realen Vorstellungen und Inhalten. Sie erzählen nicht selbst, sondern stellen dar, wie etwas erzählt wird. Im Gegensatz dazu sind auch Biographien oder historiographische Texte durchaus von Fiktionalität geprägt, da so gut wie alles von Subjektivität gezeichnet ist, egal wie sehr man sich bemüht, objektiv zu bleiben. Ein Amerikaner würde die deutsche Kriegsgeschichte beispielsweise deutlich anders überliefern als ein Deutscher. Aus diesem Grund fällt es schwer die Grenze zwischen Fiktionalität und Faktualität klar und deutlich zu ziehen. (M3)
Bezogen auf Till Lindemann und sein „Vergewaltigungsgedicht“ heißt das also, dass das Gedicht auf absurde -und absolut widerliche- Weise einen fiktiven Text aufzeigt, der aber reale Inhalte enthält. Klar, Vergewaltigungen sind absolut real- leider. Und davon zu reden, in Gedichten, Romanen oder Filmen, eben auch. Es geht aber nicht nur darum, dass solche Themen behandelt werden, sondern auch auf welche Art, wie es beim Leser ankommt und ganz wichtig was es für ein Licht -oder eher einen Schatten?- auf den Autor wirft.
Dabei stößt man auf Kommunikation und Kommunikationsmodelle. Betrachtet man ein solches von Wolf Schmid (M1), erkennt man verschiedene Ebenen einen Text zu kommunizieren und zu verstehen. Logisch ist, dass jeder Text einen Erzähler hat, auch lyrisches Ich genannt, und sicherlich von jedem Abiturienten verhasst. Auch logisch: Bei einem fiktiven Werk ist dieser Erzähler fiktiv. Hinter diesem Erzähler steht ein abstrakter Autor, also der Autor den sich der Leser beim Lesen vorstellt, obwohl er ihn höchstwahrscheinlich nicht kennt. Wenn ich also das Gedicht von Lindemann lese, bildet sich in meinem Kopf ein klares Bild vom Autor, wie ich ihn mir vorstelle. Ob das jetzt als Vergewaltiger oder nicht ist, sei mal so dahingestellt. Allerdings ist dieses Bild nur ein Bild, der abstrakte Autor eben und hinter diesem steht dann der konkrete Autor, also Till Lindemann höchstpersönlich. Beachtet man aber, dass auch fiktive Texte auf Realität basieren, kommt man zum Schluss dass auch die Grenze zwischen abstraktem und konkretem Autor ziemlich schwammig ist. Natürlich heißt das nicht automatisch, dass Till Lindemann Frauen vergewaltigt, aber sein kreiertes lyrisches Ich tut dies nunmal und das hat dann Auswirkungen auf das Bild, das der Leser von ihm hat. In anderen Worten: „Jede Äußerung in einem Text enthält ein implizites Bild des Urhebers.“(M1)
Es geht aber nicht nur darum, ob der Autor und sein lyrisches Ich gleichzusetzen sind. Wie jeder Abiturient weiß: Lyrisches Ich ist nicht gleich Autor. Das wird wie ein Mantra gepredigt, immer und immer wieder. Was dabei nicht gesagt wird ist, dass die Inhalte, die ein lyrisches Ich von sich gibt und auch das lyrische Ich selbst, trotzdem vom konkreten Autor erfunden und aufgeschrieben worden sind. Ist Till Lindemann also doch ein Vergewaltiger beziehungsweise hat Vergewaltigungsfantasien? Muss man ihn zur Rechenschaft ziehen wegen seiner Inhalte? Ob er derartige Fantasien hat, kann wohl niemand wissen und ich hoffe es auch nicht. Und trotzdem: Ihn staatlich zur Rechenschaft ziehen, wäre Zensur und das verstößt gegen die Kunstfreiheit und ist somit verboten. Generell geht es ja auch eher um den Inhalt seines Gedichts und wie die Vergewaltigung dargestellt ist, denn Kunstfreiheit erlaubt es, kontroverse Themen darzustellen. Das ist auch wichtig, denn die Realität besteht nunmal nicht nur aus Harmonie und Liebe. Hass und Missstände gehören dazu und diese zu problematisieren, wie viele umstrittene Werke es tun, ist richtig. Was Lindemann in seinem Werk allerdings schreibt, ist eher Verherrlichung als Aufklärung. Nirgends wird klar, dass Vergewaltigung und untergemischte Drogen falsch und zu bekämpfen sind. Es wird als „Segen“ dargestellt und die Perspektive des Opfers bleibt außen vor. Natürlich kann ein lyrisches Ich auch Gewalt verherrlichen und zum Täter werden und dennoch kann ein Thema in solch falsch dargestellter Weise die Opfer von sexueller Gewalt triggern (M4/M5).
Der Aufschrei den das Gedicht ausgelöst hat ist meiner Meinung nach unbedingt gerechtfertigt. Und die schlappe Verteidigung des herausgebenden Verlags KiWi eher unangebracht. Natürlich darf man lyrisches Ich und Autor nicht gleichstellen, aber der Autor kann nicht aus der Verantwortung der Inhalte des Gedichts genommen werden. Er hat das Gedicht kreiert, er hat den Erzähler kreiert und die fiktive Welt, er hat sich bewusst für eine Perspektive entschieden und dafür, wie er die Inalte darstellt. Und wenn es Till Lindemann selbst nicht erkannt hat, dann hätte es ein Verlag erkennen müssen, dass diese Darstellungsweise absolut verwerflich und unangebracht ist. Das fiele dann auch nicht unter Zensur, da nicht staatlich angeordnet wurde, das Gedicht nicht zu veröffentlichen, es wäre die freie Entscheidung des Verlages gewesen.
[…] unterschiedlich sind (um sich das zu vergegenwärtigen, kann man sich vorstellen, wie man einen Kommentar, der sich auf fünf Materialien bezieht, die ja schon da sind und zu dem man sich nicht vorbereiten […]
[…] Schreiben von argumentierenden Kommentaren. Teil des Abiturs und dessen Vorbereitung. Ein weiteres Beispiel kann man hier nachlesen. An dieser Stelle kann man ein Dossier, die selbst erstellte Aufgabenstellung und den […]