Nachdem eine Schülerin aus einem J2-Kurs (12.Klasse) mich gefragt hatte, ob ich über Ihren Aufsatz schauen könnte, erlaubte sie mir nach einer Überarbeitung, dass ich diesen auf den Blog stellen kann, um anderen Schüler*innen die Möglichkeit zu geben, damit zu arbeiten und zu lernen. Alleine diese Tatsache zeigt, dass ich den Werkvergleich, zumal nach der Überarbeitung, für sehr gelungen halte. Herzlichen Dank an dieser Stelle an Rebecca, dass er anderen zur Verfügung gestellt werden kann.

Anmerkung zum Werkvergleich

Die Aufgabenstellung und der Außentext liegen momentan nicht vor. Beide Aspekte müssen aus den Ausführungen herausgearbeitet werden.

Wenngleich ich Anmerkungen für die Überarbeitung geleistet habe, ist der Text völlig eigenständig von der Schülerin verfasst worden.

Werkvergleich von Rebecca Fritz

Das menschliche Dasein ist vom ständigen Wechsel zwischen Höhen und Tiefen, Erfolgen und Niederlagen geprägt. Während manche versuchen, das Beste aus allem zu machen, wissen andere nicht damit umzugehen und lassen sich von ihren extremen Emotionen mitreißen. So auch der Gelehrte Heinrich Faust, welcher im Fokus von Johann Wolfgang von Goethes gleichnamigen Drama aus dem Jahre 1808 steht. Aus tiefster Verzweiflung und dem daraus resultierenden Streben nach der ultimativen Erkenntnis geht er schließlich eine Wette mit dem Teufel Mephisto ein. Faust verspricht ihm seine Seele, sollte er es schaffen, ihn glücklich zu machen.

Mephisto wird hierbei allerdings nicht nur durch die Aussicht auf Fausts Seele, sondern auch durch eine weitere, dem Teufelspakt vorausgehende Wette motiviert (vgl. V. 312). Bei einem Gespräch mit dem Herrn ist er überzeugt, Faust verführen und ihn vom rechten Weg abbringen zu können (vgl. V. 313 f.). Hierbei wird deutlich, dass er die Unzufriedenheit des Menschen als Konsequenz seiner Illusion der Erkenntnisfähigkeit sieht (vgl. V. 283 f.). Der Herr hält dagegen, da er glaubt, das Irren zwar menschlich sei, man aber schlussendlich immer zurück auf den richtigen Weg finden würde (vgl. V. 328 f.). Mephisto will ihm nun beweisen, dass er recht behalten wird (vgl. V. 330-33).

In der anschließenden Szene (V. 354-85) sitzt Faust in seinem Studierzimmer und reflektiert über die Situation, in der er sich befindet. Er ist sehr unglücklich und zweifelt seine bisherigen Lebensentscheidungen an. Die Erkenntnis, dass all seine bisherigen Bemühungen umsonst gewesen sind, resultiert in einer existentiellen Krise. Auf der Suche nach der Wurzel seiner Unzufriedenheit stößt er zunächst auf die Magie, welche er für die Lösung seiner Probleme hält.

Nun stellt sich die Frage, wie er zu diesem Ausweg gefunden hat. Ein unbekannter Verfasser ist der Meinung, man müsse wissen, warum man gescheitert ist, um einen Weg aus seiner Niederlage zu finden. Der Versuch, dies dann in die Tat umzusetzen, sei das, was uns menschlich mache. Und tatsächlich leuchtet es ein, dass die ausführliche Analyse der eigenen Situation hilft, logische Schlussfolgerungen zu ziehen. Nur, wer die sein Scheitern bedingenden Faktoren identifizieren kann, kann diese auch eliminieren bzw. manipulieren, sodass die Niederlage überwunden werden kann. Dies dann auch umzusetzen macht insofern menschlich, dass sowohl das Scheitern an sich als auch das stetige Streben nach Verbesserung charakteristisch für den Menschen sind. Um beurteilen zu können, inwiefern Faust in dieser Textstelle scheitert, welche Gründe er dafür findet und ob ihn diese Erkenntnis zu einer möglichen Lösung des Problems verhilft, soll die Textstelle im Folgenden genauer betrachtet werden.

Faust ist zutiefst verzweifelt. Dies wird bereits im ersten Vers der Szene durch die Interjektion „ach!“ deutlich. In den letzten Jahren hat er sehr viel Wissen angehäuft, was durch die Akkumulation seiner Studienfächer betont wird (vgl. V 354-56). Er hat mit „heißem Bemühen“ (V. 357) gelernt, voller Ehrgeiz und Leidenschaft, nur um dann zu bemerken, dass er, anstatt die erhoffte Befriedigung zu erlangen, „so klug als wie zuvor“ (V. 359) ist. Er bezeichnet sich selbst als „arme[n] Tor“ (V. 358), was sowohl Ausdruck seines Selbstmitleids ist als auch darauf verweist, dass er sich rückblickend unklug und naiv vorkommt. Mit der Metapher und darin integrierten Akkumulation von Richtungen, er würde seine Schüler schon seit Jahren „[h]erauf, herab und quer und krumm, / […] an der Nase herum[ziehen]“ (V. 362 f.), wird Fausts Orientierungslosigkeit, aber auch die Sinnlosigkeit seiner Lehrtätigkeit verdeutlicht. Dennoch fühlt sich Faust anderen intellektuell überlegen („Laffen, / Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen“, V. 366 f.) und sieht Eigenschaften wie Eitelkeit und Glaube als minderwertig an (vgl. ebd.). Dies wirkt aufgrund seiner vorangehenden Aussage „Heiße Magister, heiße Doktor gar“ (V. 360) auf den ersten Blick paradox, steht jedoch eigentlich für seine fehlende Identifikation mit diesen Titeln aufgrund der ausbleibenden erhofften Erfüllung. Auch seine subjektive Wahrnehmung, er hätte weder „Skrupel noch Zweifel, / Fürchte [s]ich weder vor Hölle noch Teufel“ (V. 368 f.) trägt zu seinem Gefühl der Superiorität bei. Zudem wird an dieser Stelle bereits auf seine Begegnung mit Mephisto und Fausts Bereitschaft, für seine Ziele einiges zu riskieren, verwiesen. Mit der Feststellung „Dafür ist mir auch alle Freud entrissen“ (V. 370) erkennt er allerdings die Tendenz zum Unglücklichsein als Preis seiner (überdurchschnittlichen) Intelligenz. Anschließend gibt Faust an, weder materiellen Besitz noch gesellschaftliches Ansehen vorweisen zu können (vgl. V. 374 f.). Hierdurch wird deutlich, dass sein Leben nicht der konventionellen Auffassung eines erfüllten Lebens entspricht, aber auch, dass er teilweise eine verfälschte Selbstwahrnehmung besitzt. Bei seinem Osterspaziergang mit seinem Schüler Wagner in der späteren Handlung sieht man, dass Faust sehr wohl ein gewisses Ansehen in der Gesellschaft genießt, dieses aber aufgrund von Schuldgefühlen nicht akzeptieren will. Dies weist darauf hin, dass es sich bei Fausts Scheitern um sein subjektives Empfinden handelt. Von außen betrachtet könnte man sein Leben durchaus als erfüllt wahrnehmen: Der wissbegierige Faust kann seine durch sein Studium erlangten Kenntnisse an seine Schüler weitergeben und wird nicht nur von diesen, sondern generell von der Gesellschaft hoch geschätzt. Nur durch Fausts Monolog gewinnt man Einsicht in sein Inneres und erfährt, wie unzufrieden er mit seiner Situation ist. Fausts subjektives Scheitern besteht also darin, dass das durch seine Studien erlangte Wissen ihn nicht weiterbringt und er kein Gefühl der Erfüllung verspürt.
Aus alldem schlussfolgert Faust, „dass wir nichts wissen können!“ (V. 364) und stellt damit hyperbolisch nicht nur seine Begrenztheit, sondern die der ganzen Menschheit als deren größte Schwäche dar. Er hat den Eindruck, sich dieser als Einziger bewusst zu sein und im Gegensatz zu anderen nicht in einer Illusion zu leben, was sich in der Anapher „Bilde mir nicht ein was Rechts zu wissen, / Bilde mir nicht ein ich könnte was lehren / Die Menschen zu bessern und zu bekehren“ (V. 371-73) zeigt. Dies stärkt zusätzlich sein Gefühl der Überlegenheit. Die Metapher „das will mir schier das Herz verbrennen“ (V. 365) zeigt jedoch die unsäglichen Schmerzen, die ihm die Erkenntnis der menschlichen Eingeschränktheit zufügt, welche er für den Verursacher seiner Krise hält. Somit bestätigt er in gewisser Weise Mephistos Menschenbild, welches im „Prolog im Himmel“ deutlich wird: Die Wurzel des menschlichen Leidens ist der Anschein, erkenntnisfähig zu sein, wobei gerade das Bewusstsein dessen, also die Erkenntnis, dieses Leiden im Fall von Faust bedingt.
„Es möchte kein Hund so länger leben!“ (V. 376), behauptet Faust, womit ihm zwei Optionen bleiben: die grundsätzliche Veränderung seines Lebens, oder seiner Todessehnsucht nachzugeben und dem Ganzen ein Ende zu setzen. Zweiteres setzt er gegen Ende der Szene auch beinahe in die Tat um, nachdem seine Entgrenzungsversuche kläglich scheitern. Denn danach sehnt sich Faust: Entgrenzung. Diese erhofft er sich nun von der Magie (vgl. V. 377). Er glaubt, das Übernatürliche könne ihm zu neuen Erkenntnissen verhelfen, die ihm sonst unzugänglich waren (vgl. V. 378 f.). Er verspricht sich davon, dass er von der Anstrengung durch die ständige Konfrontation mit seiner Begrenztheit befreit wird (vgl. V. 380 f.). Er strebt danach, die innersten Weltzusammenhänge zu begreifen (vgl. V. 382 f.) und will mit der Buchgelehrtheit abschließen, da diese ihm nichts bieten kann (vgl. V. 385). Aus der Erkenntnis, dass der Mensch durch gewisse Grenzen eingeschränkt ist, schlussfolgert Faust also, dass die Magie der Weg aus seinem Unglück sein könnte.
Dass nun gerade der Versuch, sich dem Übermenschlichen bzw. -natürlichen zuzuwenden, Faust menschlich machen sollen, erscheint zunächst paradox. Definiert man Menschlichkeit jedoch als all das, was den Menschen von anderen Lebensformen unterscheidet, kann man es durchaus so betrachten, dass gerade der Glaube an das, was weder sichtbar noch bewiesen ist, eine ausschließlich dem Menschen vorbehaltene Eigenschaft ist und somit als menschlich bezeichnet werden kann. Folglich kann Fausts Versuch, sich zu entgrenzen und sich von der Beschränktheit des menschlichen Daseins zu lösen durchaus als Anzeichen seiner Menschlichkeit verstanden werden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Faust es bisher nicht gelungen ist, ein Gefühl der Erfüllung zu erreichen. Seiner Ansicht nach liegt dies an der Begrenztheit des Menschen, weshalb er die Magie als Ausweg aus seiner Situation betrachtet. Hinsichtlich dessen kann man also feststellen, dass Fausts Erkenntnis über die Gründe seines Scheiterns die Grundlage für den daraus gefolgerten Ausweg grundlegend ist.

Auch Anselmus aus dem 1814 erschienenen Kunstmärchen „Der goldne Topf“ von E.T.A. Hoffmann macht seine Erfahrungen mit dem Scheitern. Das Werk thematisiert seinen inneren Konflikt zwischen der realen, bürgerlichen Welt und die der Fantasie und Poesie. Dieser wird unter anderem durch das Konkurrieren von zwei potenziellen Liebhaberinnen, der Konrektorstochter Veronika und Serpentina, der Tochter eines Archivars namens Lindhorst, veranschaulicht.

Der sonst eher tollpatschige Student hat ein außergewöhnliches Talent für das Schreiben und Kopieren von Texten und erhält deshalb eine Stelle bei Archivarius Lindhorst (vgl. S. 27, Z. 4ff.). Obwohl er nach anfänglichen Schwierigkeiten (vgl. S. 20, Z. 22-S. 21, Z. 15) sehr gute Arbeit leistet und dabei noch zusätzlich von seiner Liebe zu Serpentina beflügelt wird (vgl. S. 62, Z. 28-S. 63, Z. 13), macht er eines Tages einen folgenschweren Fehler beim Kopieren (vgl. S. 81, Z. 5-18). Nun stellt sich die Frage, inwiefern seine Erkenntnis der Gründe dieses Scheiterns seine Lösungsfindung bedingt.

Anselmus Niederlage besteht darin, dass er beim Abschreiben eines Manuskripts das Original beschädigt. Irritiert von den „viele[n] sonderbare[n] krause[n] Züge[n] und Schnörkel[n] […], die, ohne dem Auge einen einzigen Ruhepunkt zu geben, den Blick verwirrten“ (S. 81, Z. 8 ff.), aber dennoch bemüht, das scheinbar Unmögliche zu versuchen (vgl. Z. 10 ff., Z. 14 f.), beginnt er seine Arbeit. Jedoch „wollte [die Tinte] durchaus nicht fließen“ (Z. 16), Anselmus wird ungeduldig und macht einen Fleck auf das zu kopierende Dokument. Als Strafe für seine „im frechen Frevel“ (Z. 30) ausgeführte Tat wird er in eine Kristallflasche gesperrt – der vom Äpfelweib prophezeite Fall ins Kristall (vgl. S. 5, Z. 20) bewahrheitet sich. Anselmus gelingt es also nicht, die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen und wird dementsprechend bestraft.
„Bin ich denn nicht an meinem Elende lediglich selbst schuld“ (S. 83, Z. 20 f.), stellt Anselmus fest. Er habe Serpentina Unrecht getan (vgl. Z. 21 f.), indem er „schnöde Zweifel gegen [sie] gehegt“ (Z. 23) hat. Sein Glaube sei verloren gegangen (vgl. Z. 23 f.) „und mit ihm alles, was [ihn] hoch beglücken sollte“ (Z. 24 f.). Anselmus hat versucht, eine klare Linie zwischen Fantasie und Realität zu ziehen und dabei Serpentina sowie Teile von Lindhorsts Person als bloße Einbildung abgetan. Den Grund seiner „Träumereien“ (S. 75, Z. 14) sieht er in seiner Aufregung durch seine Liebe zu Veronika und seiner Arbeit (vgl. Z. 14 ff.). Aus diesen Erkenntnissen resultiert ein plötzlicher Sinneswandel, Anselmus fühlt sich, „als risse eine fremde plötzlich auf ihn einbrechende Macht ihn unwiderstehlich hin zur vergessenen Veronika“ (S. 73, Z. 21 ff.). Anfangs hat er noch Rückfälle und kann sich noch nicht ganz von seinen Phantasmen loslösen kann (vgl. S. 75, Z. 2-7; S. 76-79), identifiziert diese jedoch im Nachhinein als Hirngespinste oder Rausch („Nun musste er selbst recht herzlich lachen über die Wirkungen des Punsches lachen“, S. 79, Z. 35 f.). Er ist beinahe erleichtert „bald von all den fantastischen Einbildungen befreit [zu] sein“ (S. 76, Z. 14 f.), die ihn fast zum „wahnwitzigen Narren“ (Z. 16) gemacht hätten. Indem Anselmus alle fantastischen und poetischen Elemente aus seinem Leben verbannt, beschränkt er sich allein auf das Greifbare, die Realität. Er eignet sich eine kleinbürgerlich-engstirnige Einstellung an, die wir bereits von Figuren wie seinem Freund Konrektor Paulmann kennen. Ganz im Sinne der Philister entwickelt er eine kategorische Abneigung gegen die Fantasie. Metaphorisch wird dies in seiner Bestrafung verbildlicht: Wie die Realität durch Naturgesetze eingeschränkt wird, so ist die Kristallflasche durch die physische Barriere nach außen abgegrenzt. Allerdings ist Anselmus‘ Glaube noch nicht ganz erloschen: Nur durch ihn ist er sich überhaupt im Klaren darüber, dass er eingesperrt ist, anders als die anderen Schüler und Praktikanten („Der Studiosus ist toll, er bildet sich ein in einer gläsernen Flasche zu sitzen“, S. 24, Z. 29 ff.). Wie Anselmus selbst bemerkt, liegt dies daran, dass „sie […] nicht [wissen] was Freiheit und Leben in Glauben und Liebe ist“ (Z. 34 f.), da sie nicht dieselbe Fantasiebegabung wie er besitzen. Sie realisieren nicht, dass ihre Welt, also ihre Flasche, nur ein Bruchteil von allem ist. Auch hier lässt sich aufführen, dass Anselmus‘ Scheitern eine Frage der Perspektive ist: Nimmt man die eines Philisters ein, könnte man Anselmus‘ Tendenz zur bürgerlichen Welt als ein Zurückkommen auf den richtigen Pfad betrachten. Um auf das anfänglich erläuterte Menschenbild von Goethes Herr zurückzukommen, wäre dies hier unzutreffend, da es Anselmus nicht gelingt, schlussendlich den „richtigen“ Weg zu wählen. Aber auch Anselmus selbst erkennt sein Scheitern bzw. seine Verantwortlichkeit dafür erst an, nachdem Lindhorst ihn in Form der Strafe darauf aufmerksam macht. Anselmus ist also nicht aus eigener Kraft zu der Erkenntnis der Gründe für sein Scheitern gelangt, erst die von Lindhorst auferlegte Strafe lässt ihn seinen Fehler einsehen. Ohne diese Einwirkung von außen wäre Anselmus mutmaßlich unfähig gewesen, den Verlust seines Glaubens als Grund seines ebenfalls subjektiven Scheiterns zu identifizieren. In dieser Hinsicht würde in Anselmus’ Weg Gottes Menschenbild bestätigt werden, trotz einer kurzen Phase des Irrens findet Anselmus letztendlich auf den „richtigen“ Weg zurück. Nachdem Anselmus nun eingesehen hat, warum er gescheitert ist, kann er sich zurück auf seinen Glauben an Serpentina und seine Liebe für sie besinnen, um nicht den Mut zu verlieren („O Serpentina – Serpentina, rette mich vor dieser Höllenqual!“, S. 83, Z. 15 f.; „Ach, nur ein einziges Mal möcht‘ ich dich sehen, deine holde süße Stimme hören, liebliche Serpentina!“, Z. 27 ff.). Durch sie hat er die Kraft zu hoffen, und seine Treue zu ihr stellt letztendlich seine Rettung dar (vgl. S. 89, Z. 11 f.). Durch die Überschreitung der Grenzen des Realen kann er analog auch die der Kristallflasche überwinden. Jedoch ist sein gefundener Ausweg nicht das Resultat seiner selbstständigen Reflektion, sondern von einem von außen inspirierten Denkprozess.
Menschlich macht ihn dieser Versuch, seine Niederlage zu bewältigen, insofern, dass der Glaube und auch die Vorstellungskraft an sich charakteristisch für den Menschen ist.

Anselmus scheitert daran, seine Arbeit zur Zufriedenheit seines Arbeitgebers zu verrichten und wird von diesem dafür bestraft. Die Versinnbildlichung seiner Fehler hilft ihm, diese als solche und sein Scheitern generell anzuerkennen und die Gründe seines Versagens zu identifizieren, nämlich die Ablehnung der Fantasie. Folglich wendet er sich dieser und seinem Glauben an Serpentina wieder zu, was ihn letztendlich aus seiner misslichen Lage befreit. Auch hier ist der Ausweg also eine logische Schlussfolgerung aus der Ursache der Situation, die Erkenntnis dieser verhilft also zur Lösungsfindung.

Stellt man nun beide Figuren gegenüber, wird deutlich, dass beide auf eine sehr unterschiedliche Weise scheitern: Faust gelingt es nicht, seinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und sein angestrebtes Ziel zu erreichen, Anselmus hingegen enttäuscht eine außenstehende Person, den Archivarius Lindhorst. Dennoch stimmt bei beiden überein, dass ihr Scheitern nur aus bestimmten Perspektiven als solches erkennbar ist. Bei Faust ist das seine persönliche Perspektive, während Anselmus‘ Abwendung von der Fantasie zunächst nur von Lindhorst und nach dessen Einwirkung auf Anselmus von diesem selbst als falsch betrachtet wird. Außerdem verhilft beiden die Identifikation der Gründe für ihr jeweiliges Scheitern dazu, einen Ausweg aus ihrer Situation zu finden. Beide haben gemeinsam, dass die Ursache dafür im weitesten Sinne in einer Einschränkung liegt. Bei Faust ist das die Begrenztheit der Erkenntnisfähigkeit, der er als Mensch unterworfen ist. Anselmus hingegen eignet sich temporär eine einschränkende Weltanschauung an, die Fantasie grundsätzlich ausschließt. Während Faust diesen Grund eigenständig als solchen anerkennen kann, wird Anselmus‘ Realisierung durch Lindhorst bzw. dessen Strafe katalysiert. Aus der Erkenntnis dieser Gründe ergibt sich die Überschreitung dieser gegebenen bzw. auferlegten Grenzen als logischer Ausweg. Faust überschreitet die Grenze des Menschseins durch die Verwendung von Magie, wohingegen Anselmus sein Philisterdenken ablegt und der Fantasie wieder Raum gibt. Zusätzlich kann man bei beiden auch feststellen, dass ihre Versuche, ihre Niederlage zu überwinden, sie menschlich machen, da sowohl das Streben nach Verbesserung als auch der Glaube an das Übernatürliche und Vorstellungskraft dem Menschen vorbehalten sind.

Abschließend kann man resümieren, dass die Auffassung von Scheitern des unbekannten Verfassers sowohl auf Faust als auch auf Anselmus insofern zutrifft, dass die Erkenntnis der Gründe ihres Scheiterns beiden dazu verhilft, eine Möglichkeit zu finden, ihre Niederlage zu überwinden. Der größte Unterschied besteht jedoch darin, dass Anselmus seine Fehler erst durch die ihm auferlegte Strafe einsieht und sein Prozess der Lösungsfindung somit nicht autonom stattfindet, wie es bei Faust der Fall ist.

3 Kommentare

  1. Sehr eindrucksvoll! Die vielfältigen Belege sind ganz erstaunlich genau und der Vergleich recht differenziert durchgeführt.
    Mit meinem Blick von außen (!) darf ich vielleicht anmerken, dass m.E. die Magie durchaus nicht autonom erworben ist, vor allem aber die eigentliche Ursache für das Scheitern seines Lebensentwurfs wird. Und gar wenn Gretchens Liebe ihn erlöst … Aber zugegeben, Faust II entzieht sich natürlich dem Vergleich mit dem goldenen Topf. Aber die Wette gibt es ja schon in Faust I.

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