Als ich in den letzten Zügen eines Vortrags über mein Dasein als „Netzlehrer“ sprach, den ich am Tag nach der Verleihung des Goldenen Bloggers gehalten habe, machten die Teilnehmer*innen große Augen: Hauen und Stechen in der Bildungsbubble? Wie ist das gerade dort möglich? Einfach ist die Frage nicht zu beantworten, aber auch nicht besonders schwer. Es hat vor allem damit zu tun, dass einige Player ihren Selbstwert über die Diskreditierung anderer beziehen.

Eine Analyse.

Eine Vorbemerkung

Im #twitterlehrerzimmer ist vor allem seit dem sogenannten #wowdw, dem „Wow der Woche“ viel positive Energie entstanden. Endlich wieder! Alle möglichen Menschen tauschen sich über schöne Erlebnisse, großartige Ideen und Konzepte und alles aus, was sie in der Woche gut finden. Dabei geht es gar nicht darum, den innovativsten Unterricht des Monats zu präsentieren, sondern einfach ein schönes Erlebnis. Das ist enorm wichtig, tendiert die Social-Media-Welt ja grundsätzlich und vor allem in so schwierigen Zeiten zu Polemik und Hass. So muss man sich, schreibt man über ein Thema wie Kommunikation, immer gefallen lassen, dass die Frage gestellt wird: Muss das sein? Streust du nicht Salz in die Wunde? Möglich. Aber obwohl ich nicht betroffen bin, möchte ich einen Blick auf Mechanismen werfen, die die „Szene“ oftmals empfindlich stören. Und weil ich einen Blog habe und Blogger bin, blogge ich darüber.

Sensibilitäten?

Bevor es um die immer gleichen Empörungsstrategien eines kleinen Haufens von Personen geht, die ich an dieser Stelle nicht nennen werde[i], möchte ich erklären, warum ich es für nötig halte, das, was ich toxische Netzkultur nenne, überhaupt offen zu legen. Die eigentliche Pointe ist einfach und folgt als ein Appell am Ende des Artikels. Ich befasse mich damit, weil es reale Auswirkungen hat. Mir haben in den vielen Jahren, in denen die Empörungswellen nach dem immer gleichen Muster über mich und andere geschwappt sind, Leute Hinweise gegeben, wie man sie gemobbten Kindern auf dem Schulhof gibt: „Ignoriere sie, die hören dann auf.“ Oder: „Die meinen das nicht so.“ Aber das ist falsch. Das Verhalten einiger Menschen innerhalb des Bildungsdiskurses hat reale Auswirkungen, die weit über teilweise ekelhafte Kommentare hinausgehen:

  • Da wird über Menschen hergezogen und es wird gedroht, dass jemand nicht an einer Konferenz teilnimmt, wenn ein anderer dabei ist.
  • Da werden Menschen aufgrund eines Tweets in ihrem Menschsein herabgesetzt.
  • Da werden Menschen aufgefordert, gegen andere vorzugehen.
  • Da werden Menschen fallengelassen, nachdem sie mit anderen Menschen in Kontakt standen.
  • Da werden Lügen erzählt, die bis hinein in eine Rufschädigung gehen.

Um es deutlich zu machen: Die toxische Netzkultur hat Auswirkungen! Auswirkungen, die ich persönlich erlebt habe und nun auch bei anderen erlebe. Das, was man als Kommunikation sieht, hat also auch im realen Leben Bedeutung. Und wenn es der einfache Fakt ist, dass eine strategisch geplante Kontroverse Menschen einfach verletzt.

Es scheint zunächst seltsam, dass das diejenigen nicht zu wissen scheinen, die sich doch eigentlich qua ihres Berufs damit befassen. Das ist aber Quatsch. Denn sie wissen es. Die Angriffe sind genauso plump, wie sie geplant und Teil eines Wunsches nach Deutungshoheit und Sichtbarkeit sind.

Kommunikationsstrategien

„Worum geht es eigentlich?“, möchte man wohl einwerfen. Ich werde dies anhand eines fiktiven Beispiels erläutern. Stellen wir uns vor, dass jemand folgenden Satz twittert:

„Habe heute eine halbe Stunde lang erklärt und die Kinder haben zugehört und danach gesagt, dass sie die Stunde toll fanden.“

Auf einen Tweet gibt es verschiedene Reaktionsmöglichkeiten, die von Interesse bis offener ad hominem Kritik reichen. Gehen wir davon aus, dass die Antworten von Menschen stammen, die eine halbe Stunde Erklärung für zu lang halten. Eine Auswahl:

  1. Keine Reaktion

Nicht zu reagieren, auch wenn man etwas liest, das man möglicherweise problematisch findet, ist eine Form der Reaktion. Da sie keiner mitbekommt, ist sie die unauffälligste aller Reaktionen.

  1. Zugewandte Nachfrage

Eine Form der Reaktion ist die zugewandte Nachfrage. Sie hat auch viel damit zu tun, ob sich die Menschen, um die es gibt aus der realen Welt kennen und schätzen. Dabei geht es um Klärung des Sachverhalts („Hast du nur allein geredet?“) bis zu Fragen nach dem Kontext („Was habt ihr denn danach oder davor gemacht?“).

  1. Kritische Nachfrage

Eine kritische Nachfrage befasst sich immer noch mit dem Gegenstand, lässt aber deutlicher durchblicken, dass die Person nicht einverstanden ist. Die Fragen können durchaus suggestiv sein: „Findest du eine halbe Stunde Erklärung nicht ein wenig zu lang?“ Aber auch hier kann noch eine fruchtbare Diskussion entstehen.

  1. Kritische Anmerkung

Die kritische Anmerkung als Kommentar unter dem Tweet (DruKo) kann zwar konfrontativ sein, muss aber nicht zu einem Eklat führen. Ein Satz wie „Das finde ich persönlich zu lange“ kann ja Teil einer Diskussion sein.

  1. Kritischer Drüberkommentar

Sobald wir über kritische Drüberkommentare (DrüKo) sprechen, wechselt das Verhältnis. Es geht meist weniger darum, miteinander zu sprechen, sondern wortwörtlich übereinander. Gerade die Drükos sind also ein Mittel der fundamentalen Kritik. Aber auch hier ist die Qualität noch variierbar. Vorstellbar wäre ein DrüKo, in dem beispielsweise die vorherigen Kommentare als Kritik am Gegenstand formuliert würden.

All das führe ich hier deshalb an, um zu zeigen, wie viele Formen der Kritik es gibt und dass jene Form, die von den Vertretern der toxischen Netzkultur[ii] gewählt wird, ihre eigene Entscheidung ist. Eine bewusste, eigene Entscheidung.

Die Kommunikationsstrategie, von der ich hier rede, ist jene, einen Tweet wie den obigen als par pro toto für eine Haltung, ja, einen ganzen Menschen zu nehmen und ihm entweder seine gesamte berufliche Haltung abzusprechen oder sogar seine Fähigkeit des menschlichen Umgangs. Was, wegen eines Tweets? Ja, genau. Wegen eines Tweets.

Deutungshoheit

Denn im Grunde geht es einigen bestimmten Leuten nicht um Diskurs, Diskussion oder Austausch. Es geht um eine persönliche Profilierung auf dem Rücken anderer. Das ist durchaus strategisch, denn die Angegriffenen werden sehr fein danach ausgewählt, wie viele Follower sie haben, damit man sich in einem weiteren Schritt über die Reaktion der Blase beschweren kann. Perfide, aber durch und durch geplant und sehr genau orchestriert. Aus dem Grund kann man immer wieder dasselbe Schema sehen:

  1. Angriff
  2. Opferrolle
  3. Orchestrierter Gegenangriff
  4. Person X diskutiert tagelang weiter

Orchestriert ist das Ganze übrigens, weil natürlich unzählige Backchannels bestehen, wo dann die Leute, die für offene Kultur stehen, im geheimen besprechen, wer jetzt wie antwortet (hört sich nach Verschwörung an, ich weiß, aber „ich hab‘ da meine Quellen“. Lol!).

All das passiert vor dem Hintergrund von zwei Grundannahmen, die aber immer nur dann greifen, wenn die eigene Gruppe nicht gemeint ist:

  1. Es geht nur um die Sache, die verteidigt werden muss.
  2. Was die Sache ist, bestimmt nur eine bestimmte Gruppe.
  3. Allen anderen geht es um – „Choose your Fighter“ – : Reichweite, Ego, Geld.

Das ist fast schon lustig, weil das im Grunde für die meisten, die sich mit bestimmten Personen befassen mussten, absolut klar ist: Die, die z.B. am lautesten schreien, wenn es um Bezahlung von Autoren geht, verhandeln bei ihren Buchdeals am härtesten[iii]. Und das wiederum ist die perfekte Überleitung für die Paradoxien der toxischen Netzkultur im Bildungsbereich.

Paradoxien

Zunächst einmal: Keiner ist perfekt (wobei man so hört, dass ein paar Leute in ihren Internet-Grüppchen doch für sehr schlau und andere für weniger schlau halten. *Zwinkersmiley). Aber die Widersprüche, die einige Personen[iv], vor sich hertragen, sind wirklich zu gut. Eine Auswahl:

  • Es wird Kritikfähigkeit von Leuten gefordert, aber wenn man selbst kritisiert wird, blockiert man Leute, stellt sie stumm oder weigert sich sogar, mit ihnen auf derselben Konferenz zu sprechen.
  • Es wird eine offene Kultur propagiert, in der aber nur eine vorgegebene Meinung akzeptiert wird.
  • Es wird behauptet, dass Leute den Diskurs vermeiden, aber man reagiert nicht oder nur dann, wenn es die richtige Person ist.
  • Es wird behauptet, dass man gegen Tech-Unternehmen ist, aber lässt sich fürstlich von ihnen bezahlen.
  • Es wird behauptet, dass diejenigen, die für die Tech-Unternehmen arbeiten, geldgierig seien, aber akzeptiert, wenn die eigenen Buddies das tun.
  • Es wird gefordert, dass am Diskurs Beteiligte sich intensiver mit der Materie befassen müssen, während man selbst nach oberflächlichem Lesen zu Schlussfolgerungen kommt, die der Sache und den Personen nicht gerecht werden.
  • Es wird Transparenz gefordert, aber verlagert die Diskussion grundsätzlich in die persönlichen Nachrichten.
  • Es wird gefordert, dass Klarnamen genutzt werden sollten, aber der Diskussion mit „echten“ Usern wird aus dem Weg gegangen.
  • Es werden stundenlange Vorträge gehalten, wie Schülerzentrierung zu funktionieren hat.
  • Es wird die offene Arbeit gefordert, während man bei der eigenen Arbeit sehr genaue Kriterien anlegt.
  • Es wird Fehlerkultur gefordert, die aber den Followern nicht zugestanden wird.
  • Es wird Vernetzung gepredigt, während on- und offline immer nur mit denselben Leuten geredet wird.
  • Es wird sich über Marketingstrategien lustig gemacht, während man diese für die eigene Sache selbst anwendet (aber immerhin: Für die Sache!).
  • Es wird behauptet, dass man sich mit Kommunikation und Medien auskenne, und scheitert schon daran, einen sachlichen Umgang zu pflegen.

Und ganz grundsätzlich: Es wird Offenheit gefordert, die sich dann an der eigenen Deutung zu orientieren hat. Damit wird die Forderung zur Heuchelei.

Fazit und Appell

Ich weiß nicht, ob das Einbildung ist, aber ich meine, es gab mal eine andere Zeit. Eine Zeit, in der sich die Leute auch dann, wenn sie sich uneinig waren, austauschen konnten, ohne dass eine andere Meinung dazu geführt hat, die andere Person zu diskreditieren, auszuschließen oder sich über sie lustig zu machen.

Meine Vermutung ist, dass diese Zeit auch deshalb vorbei ist, weil einige Leute[v] nicht damit klarkommen, dass es auch andere Menschen mit Ideen gibt. Das ist sehr schade, vor allem deshalb, weil ich die sachbezogenen Gedanken von einigen Menschen immer sehr geschätzt habe, ja, davon inspiriert war. Aber ich kann mich nicht von Menschenfeindlichkeit inspirieren lassen. Mit großer Freude merke ich aber, dass in der letzten Zeit die Scheinheiligkeit und das grundsätzlich toxische Verhalten von einigen Personen durchschaut wird. Und dass es viele Menschen gibt, die irritiert sind.

Und genau das ist mein Appell, vor allem an jene, die bis hierhin noch nicht wissen, um wen es geht: Schaut euch die Accounts genau an. Schaut, ob es Unterstützendes gibt, Wertschätzendes, Hilfreiches. Es geht nicht darum, dass man nicht abkotzen könnte oder wütend sein. Und es geht auch nicht darum, dass man nicht kritisieren könnte oder etwas diskutieren. Aber wenn ein Account zur Hälfte daraus besteht, über andere herzuziehen, andere zu diskreditieren oder Menschen ihre Fähigkeiten abzusprechen. Dann sollte man das tun, was diesen Leuten am meisten auf die Nerven geht: Ihnen entfolgen und ihnen keine Beachtung mehr schenken.

Ich weiß, ich weiß: Genau das mache ich mit diesem Beitrag nicht. Aber immerhin sage ich ja nicht, um wen es geht. Aber ein kleiner Tipp für die Datensammler unter euch: Schaut euch nach ein paar Stunden mal an, wer so alles geliked hat. Und wer nicht. Dann haben wir sie umzingelt. *Zwinkersmiley.

P.S. Bei diesem Beitrag geht es mir natürlich nur um Leserzahlen und Likes. Was denkt ihr denn?

P.P.S. Wer den Hashtag nie nutzt, der ist auch nicht Teil des #twlz. Bätsch!

P.P.P.S. Die nächsten Beiträge sind wieder positiver, wertschätzender und befassen sich mit anderen Themen, versprochen.

[i] In etwa 10 Jahren, in denen ich mit und über Personen und Themen gesprochen habe, habe ich beides versucht: Die direkte Nennung und auch die Nicht-Nennung. Beides wurde mir schon vorgeworfen. Insofern muss ich mich für eines entscheiden, was ich hiermit tue. Das gute ist: Für das Verständnis ist das Wissen über die Personen egal. Die meisten werden aber wissen, wer gemeint ist – inklusive die Personen selbst, deren Strategie genau diese Form des „Non-Mentions“ ist, die angewandt wird, damit sie sich von jeglicher Verantwortung befreien können. Genau das tue ich hier auch.

[ii] Nein, ich sage immer noch nicht, um wen es geht.

[iii] Keine Ahnung, um wen es geht. Sollte sich jemand angesprochen fühlen: Nein, du bist nicht gemeint. Ich meinte jemand anderen.

[iv] Die Fußnote ist jetzt echt nur noch ein Witz.

[v] Jetzt ist der Witz alt.

6 Kommentare

  1. das #twlz ist ein absolut zweischneidiges Schwert … als ich dort vor ein paar Jahren das erste mal dabei war, war ich überrascht von der tollen Vernetzung, den kreativen Inputs und der Hilfsbereitschaft einiger.

    Gleichzeitig war ich absolut geschockt auf was für einem menschlichen Niveau das dort teilweise zuging… kontextfreie Beurteilung der Dinge, die ich teilen wollte, unnötige Diskussionen über Kleinigkeiten, ein common sense in vielen Themen (gegen den man nicht ankommen zu versuchen brauchte), Häme und Spott gegen bestimmte Inhalte …

    Das könnte ich noch länger fortführen …

    Exemplarisches Beispiel: was für mich eine neue Erfahrung war: jemand retweetet etwas und spricht im Retweet bei seiner großen Zahl an Followern negativ über meinen Post oder noch besser: über mich als Person aufgrund meines Posts…
    Übertragen auf die Realität: ich stehe auf der Straße, jemand stellt sich mit einem Megafon neben mich und brüllt Dinge über mich Richtung seiner Fands, die jubelnd dabenen stehen.

    Wie absurd ist das, oder?

    Jetzt ist man ja Gott sei Dank erwachsen und charakterlich (und auch fachlich im eigenen Gebiet) gefestigt.
    Trotzdem war es interessant, was es mit einem gemacht hat

    – ungutes Gefühl und negative Gedanken wenn man auf Twitter geht
    – sich auch außerhalb der Bubble mit den Ärgernissen beschäftigen und sich viele Dinge zu sehr zu Herzen zu nehmen
    – sich immer weniger trauen Einblicke in die eigene Praxis zu geben und somit deutlich geringere Bereitschaft Materialien/ Ideen/ Strukturen zu teilen

    Ich habe mit vielen Leuten (die auch im #twlz sind) gesprochen, denen es ähnlich ging… War froh, dass das nicht nur meine Wahrnehmung war/ist.

    Die “Langzeitfolgen” sind, dass ich mich dort sehr zurückgezogen habe, im Prinzip wenig bis gar nichts mehr poste und aber trotzdem gerne weiterhin von den Beiträgen und Ideen von Menschen profitiere, die sich hier beteiligen.
    In meinem Umfeld sorgt das auch dafür, dass ich das #twlz trotz aller Vorteile nicht mehr per se weiterempfehle, und wenn dann immer verbunden mit einer Warnung sich da langsam reinzutasten.

    Das Interessante und ein Stück weit traurige daran ist: das sind überwiegend Lehrer:innen, die es eigentlich besser wissen sollten. Trotzdem kommt man sich ein bisschen vor, als wäre man in die siebte Klasse zurückversetzt.

    Was die Sache für ich persönlich schon fast ins Lächerliche zieht:
    Ja, mir ist klar, einige verdienen ganz gut nebenbei
    Ja, mir ist klar, dass einigen die Reichweite fürs eigene Ego schmeichelt
    Ja, mir ist klar, dass es relativ praxisferne Lehrer:innen gibt, die trotzdem gerne auf einer Möchte-Gern-Metaebene versuchen einen Diskurs komplett zu bestimmen
    Ja, mir ist klar, dass wir alle auch nur Menschen sind und Fehler machen

    Aber trotzdem sollte man sich einer Sache immer wieder bewusst werden:
    – Ihr seid Lehrer:innen
    – euer Twitter-Fame spielt sich in einer kleinen Bubble ab
    – vermutlich wird keiner von euch ein Star (falls doch: Hut ab!)
    – das Thema sollte immer über der eigentlichen Befindlichkeit stehen

    Könnte hier ewig drüber schreiben, hab lange schon mit dem Gedanken gespielt mal darüber zu bloggen… ich hatte aber keine Lust auf das Echo… und hab tatsächlich auch noch andere, reale Themen und Verpflichtungen in meinem Leben, die meiner Aufmerksamkeit bedürfen.

    danke fürs Verbloggen!

  2. Denke nicht, dass ich gemeint bin – und könnte natürlich tun, als hätte ich das nicht gelesen. Aber ich habs gelesen.
    Und ich mache mir Sorgen. Du wünschst dir »Eine Zeit, in der sich die Leute auch dann, wenn sie sich uneinig waren, austauschen konnten, ohne dass eine andere Meinung dazu geführt hat, die andere Person zu diskreditieren, auszuschließen oder sich über sie lustig zu machen.« Dann machen wir das doch einfach. Leben wir das einfach jeden Tag vor.
    Stattdessen versammelst du hier Vorwürfe aus ganz unterschiedlichen Ebenen, die wahrscheinlich nicht einmal dieselbe Person oder dieselben Personen meinen, und konstruierst einen Gegner, den du dafür verantwortlich machst, dass alles nicht mehr so ist, wie es einmal war. Wenn Menschen gemeinsam etwas machen und es nicht so ist, wie sie sich das wünschen – dann haben alle daran einen Anteil. Das Thema, das wir schon x-mal hatten, zeigt das ganz gut: Man kann Kritik als Ressource verstehen, als scherzhaften Seitenhieb oder als ganz gemeine Abwertung. Du *willst* diese Abwertungskomponente stark machen – über die Motive mag ich nicht spekulieren. Es wäre auch möglich zu betonen, dass es Lehrpersonen durchaus guttun kann, wenn die Art und Weise, wie sie ihre Macht einsetzen, ab und zu hinterfragt wird. Die Vorstellung, ein professioneller Austausch sei dazu da, einem gute Gefühle zu geben, ist für mich komplett absurd. Wenn ich gute Gefühle will, schaue ich »Gilmore Girls«, ich teile sicher nicht meine Gedanken auf Twitter. Das mache ich, wenn ich sie prüfen will, wenn ich sehen will, was andere denken, was anderen daran missfällt. Das als Diskreditierung, Ausschluss oder Beleidigung zu lesen bringt nichts. Es hat dazu geführt, dass weder du noch ich uns getrauen, Probleme direkt anzusprechen.

    Das wäre denn auch das einzige, was helfen würde: Probleme direkt und offen ansprechen. Keine Gerüchte verbreiten, wer von der Techindustrie bezahlt wird oder sich in geheimen Gruppen zusammenrottet; nicht aufrufen, man solle Likes checken oder Wertschätzung suchen – sondern einfach da, wo etwas nicht stimmt, das ansprechen. Haltungen und Werte haben bedeutet nicht, sich zu wünschen, andere hätten sie. Es bedeutet, sie zu leben.

    • Lieber Philippe, auch wenn wir es in den letzten Jahren nicht geschafft haben, zu einem Konsens zu kommen, schätze ich deine offene Art des (wieder aufgenommenen) Diskurses. Ich werde einige deiner Ausführung zitieren und darauf eingehen. Ich bitte dies nicht als bevormundend aufzunehmen.
      “Dann machen wir das doch einfach. Leben wir das einfach jeden Tag vor.”
      Du hast Recht, du bist nicht gemeint. Und dieses Motto finde ich klasse. Mehr noch, Philippe: Das mache ich. Ich schreibe, nehme Videos auf, produziere und blogge, nicht, damit Leute schreiben, wie sehr ihnen das hilft, sondern – man muss es so pathetisch sagen – weil ich nicht anders kann. Weil es das ist, was mich glücklich macht.
      Ist dir aufgefallen, lieber Philippe, das bestimmte Leute zwischen meinen hunderten Artikeln, meinen hunderten Videos, meiner ganze Arbeit, zwei Sätze eines wissenschaftlichen Verrisses markieren, um das genüsslich (und ohne Nennung) vor ihren tausenden Followern breitzutreten? Ist dir bewusst, dass Menschen in deinem Umfeld nicht zusammen mit mir auf einer Konferenz sein wollen? Einfach, weil ich es bin? Macht dir das was aus? Ist das die legitime Kritik, von der du sprichst?
      Aber, und das muss man hier auch deutlich machen: Um mich geht es hier nicht. Oder nur am Rande. Du fragst, warum ich das tue:

      Weil ich Leuten wie denen, die auch hier kommentiert haben, zeigen möchte: Ihr seid nicht alleine! Das ist eine Strategie!

      “Man kann Kritik als Ressource verstehen, als scherzhaften Seitenhieb oder als ganz gemeine Abwertung. Du *willst* diese Abwertungskomponente stark machen – über die Motive mag ich nicht spekulieren.”

      Verzeih mir, Philippe, das ich hier deutlicher werde. Du hast einen blinden Fleck, wenn es um das geht, was du “Kritik” nennst. Über die verschiedenen Arten der Kritik schreibe ich ja, da gehst du nicht drauf ein. Ich werde hart kritisiert. Von vielen Menschen. Aber eines tun diese Menschen nicht: Ihre Kritik in einer Form der Verachtung ausdrücken. Ist das so schwer zu verstehen?

      Ich mache die Abwertungskomponente stark, weil es Leute gibt, die andere abwerten. Und weil ich mal wieder das Bedürfnis hatte zu sagen: Das geht so nicht. Du argumentierst, wie so oft, rein über die Rezipienten-Ebene. Dein Gilmore-Metapher ist: “Sind sie zu hart, bist du zu schwach.” Oder anders ausgedrückt: “Stellt euch nicht so an, ihr Pussies.”

      Das kann man so sehen. Man könnte aber auch denken, dass Menschen, deren Profession Kommunikation, Medien und Sprache sind, ein Mindestmaß an Sensibilität haben. Auch hier: Was ist daran so schwer zu verstehen?

      Was hält jemanden von harter Kritik ab, in der steht: “Ich finde, du wertest hier Schüler ab.” Oder die eine Nachfrage enthält. Oder, oder, oder. Wieso, Philippe, sind immer nur die Rezipienten schuld. Ich treibe es auf die Spitze: Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr erster Sahne! Auch das habe ich aus einer bestimmten Ecke übrigens schon häufig erlebt. Es überrascht mich nicht mehr.

      Nein, ich spreche nicht von mir. Ich habe das Gefühl, ich habe mich emanzipiert. Ich habe den Text aus einem inneren Antrieb verfasst, ohne böse Gefühle.

      Probleme direkt und offen ansprechen, Philippe? Gerne: Ich warte auf eine Einladung auf ein Podium gerne mit dir, gerne mit allen anderen. Und wenn du dabei bist: Kannst du das mit den Gerüchten mal in deinem näheren Umfeld sagen? Hast du die Courage, das auch vor anderen zu vertreten?

      “Haltungen und Werte haben bedeutet nicht, sich zu wünschen, andere hätten sie. Es bedeutet, sie zu leben.”

      Ja, Philippe! Das stimmt! Und das tue ich! Ich habe ein völlig reines Gewissen.
      Ich zitiere einen Teil des Nachworts aus meinem neuen Buch “Deutschunterricht digital”, in dem ich dich und andere sehr häufig zitiert habe.

      “Ein weiterer Dank gilt all jenen Menschen, die für den Bereich des digital erweiterten Deutschunterrichts Pionierarbeit geleistet haben und auch weiter leisten. Nicht nur obwohl, sondern auch gerade weil wir uns oftmals uneinig sind über einige grundlegende Fragen des Unterrichts. Vielleicht kann das respektvolle Gespräch irgendwann wieder aufgenommen werden.”

      Damit, Philippe, warst auch du gemeint.

      “Dann machen wir das doch einfach. Leben wir das einfach jeden Tag vor.”

      Das machen wir, Philippe. Und wenn du das Gefühl hast, dass es Leute um dich herum gibt, die das nicht machen. Die das nicht leben. Die stattdessen andere heruntermachen. Dann sag denen doch auch das, was du mir gesagt hast. Dann brauche ich auch keine Blogbeiträge dieser Art mehr zu schreiben.

  3. Es geht nicht um Schuld, sondern um Verantwortung und die Bereitschaft, die Perspektive zu wechseln. Einen Diskurs als Abwertung oder Verachtung zu framen ist nicht die einzige Option. Es wäre möglich, über die Sache zu sprechen. Du wählst es immer wieder, über Personen und Zugehörigkeit zu sprechen. Ich sage auch Anfragen ab, wenn ich weiß, dass du eingeladen bist: Weil es mir dann nicht möglich ist, über Sachthemen zu sprechen, wissenschaftlich zu argumentieren. Ich muss immer Angst haben, du oder dein Publikum würden eine Aussage von mir als Angriff oder Abwertung oder Verachtung darstellen. So kann man nicht Lernen und keine Wissenschaft betreiben.
    Und das musst du verantworten. Es ist natürlich verlockend, anderen die Schuld zu geben und sich selber in die Rolle des Reagierenden und Herabgesetzten zu begeben. Im Blogpost machst du Dinge, die du ablehnst – mit dem Gefühl, als Reaktion sei das legitim. Du hast mich in die Rolle eines Aggressors geschoben, der von einigen Lehrpersonen als unfair, brutal und empathielos dargestellt wird. Ich rede nie über Härte oder Schwäche, mir ist klar, dass Kommunikation und Kritik eine emotionale Komponente haben. Aber diese Komponente ist nicht festgelegt, Interaktionen können Vertrauen schaffen und Menschen zeigen, dass sie sachlich mit Themen umgehen können, die auf den ersten Blick emotional wirken. Aus meiner Sicht willst du das nicht. Du suchst Verletzung, du willst Täter und Opfer. Und in dieser Schematik bin ich ein Täter. Das verhindert und verhärtet vieles. Das finde ich schade, aber ich kann nichts anderes machen als das anzusprechen und mich so zu verhalten, wie ich mir das von anderen wünschen würde.

    • Aus meiner Sicht bräuchten wir, wenn wir das wollten, einen Moderator, weil ich für meinen Teil das Gefühl habe, dass wir immer wieder aneinander vorbei reden. (By the way: Ich weiß nicht, von wann du redest, wenn du über die “Rolle des Aggressors” redest). Für mich ist es schlicht nicht möglich, nachzuvollziehen, wie du darauf kommen kannst, dass ich derjenige bin, der framen würde. Als sei ein neutraler Diskurs vorzufinden, den man nur deuten müsse. Der Diskurs ist aber nicht neutral. Ich könnte eine lange Liste machen, in der ich hier einfach nur Screenshots davon poste, wie manche Leute mit anderen umgehen. Kein Frame, kein Kommentar, nichts. Also nochmal: Ich stelle aus meiner Sicht nicht dar. Ich beobachte etwas, das schon da ist. Und natürlich gebe ich Leuten die Schuld! Schuld dafür, dass sie so reden und schreiben, wie sie es tun. Mir ist es unbegreiflich, wie du mir auf der einen Seite einen unsachlichen Umgang vorwerfen kannst und auf der anderen Seite die Aktionen von Leuten in deiner Bubble völlig unerwähnt lässt. “So kann man nicht Lernen und keine Wissenschaft betreiben”. Ja, genau! Wieso gilt das denn nicht für alle? Ich suche keine Verletzung, ich suche keine Täter, ich suche keine Opfer. Ich schalte mich immer mal wieder ein, wenn ich denke, dass Leuten unfair mitgespielt wird.

      Aber nochmal: Wir drehen uns im Kreis. Aus meiner Sicht, weil du nicht verstehen möchtest oder gar nicht wahrnehmen kannst, wie Menschen von anderen verletzt werden (und nein, es geht jetzt nicht um dich). Und auch darum, weil du mir Dinge unterstellst, die aus meiner Sicht absolut nicht zutreffen. Du sagst es selbst: Du sagst Anfragen ab, wenn ich dabei bin. Das ist für mich unsäglich. Du kannst nicht Diskurs fordern und dich dem entziehen. Beides geht nicht. Und das tust du auf Grundlage von vermuteten Intentionen, die nicht zutreffen. Zeig mir eine Diskussionsrunde, in der ich dabei war, in der es mir darum ging, Personen abzuwerten.

      Insofern wird es (aus meiner Sicht leider) beim Status quo bleiben. Es wird immer wieder unsägliche Angriffe geben, in denen Kritik ad hominem vorgebracht wird. Und irgendwann werde ich wieder schreiben, um für andere einzuspringen. Und dann wirst du oder auch nicht erklären, dass dies nur meine Wahrnehmung und mein Frame ist. Es ist das ewige Lied. Und das zu durchbrechen, bräuchte es wahrscheinlich ein moderiertes Gespräch. Aber das müsste man wollen und nicht, wie du es ja tust, Gespräche absagen.

      Insofern: Danke für deine offenen Worte und die Teilnahme an einem Gespräch, was einmal mehr keine Lösung haben wird.

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